Quantocks scharfe Stimme schnitt in seine Uberlegungen.»Standard, das ist am wichtigsten, ein hoher Standard. Ich werde nicht zulassen, da? die Schiffsfuhrung durch Laxheit leidet.»
Rooke sah den neuen Kommandanten uber Deck herankommen. Einen anderen Offizier hatte er wahrscheinlich gewarnt, aber Quantock verubelte er immer noch seine Unbeherrschtheit.
«Obendrein.»
«Mr. Quantock. «Keen wartete, bis der Erste zu ihm trat, damit sie von den Wachgangern nicht gehort werden konnten.»Ich bewundere Ihre Pflichttreue. Trotzdem ware es mir lieber, wenn Sie Ihre Ansichten in Zukunft mir gegenuber au?ern wurden und nicht vor der ganzen Mannschaft!»
Bolitho hatte von der Poop aus das meiste mitbekommen und den
Rest erraten. Machte es wirklich einen so gro?en Unterschied, da? sie unter Admiralsflagge segelten? Selbst Keen schien gereizt zu sein; vielleicht bedauerte er schon seine Beforderung, die ihn in eine Sackgasse gefuhrt haben mochte.
Nein, daran lag es nicht, entschied Bolitho. Die Ungewi?heit war schuld. Das Vakuum, das der Friede fur die Marine bedeutete. Sie hatten sich zu sehr an den Kampf gewohnt, rechneten ungeduldig damit, und sein Ausbleiben wirkte wie ein Dampfer.
«An Deck! Segel in Luv voraus!»
Keen blickte nach oben und wandte sich dann mit fragender Miene zu Bolitho um. Ihr Verfolger blieb ihnen also weiter auf den Fersen, lauerte wie ein Attentater knapp au?er Sicht.
Vielleicht, dachte Bolitho, bekamen sie alle noch mehr Pulverrauch zu schmecken, als ihnen lieb war, obwohl die Unterschriften unter dem Friedensvertrag noch nicht lange getrocknet sein konnten. Mit neuer Zielstrebigkeit nahm er seinen Spaziergang wieder auf, als wolle er uberschussige Kraft verbrauchen.
Er machte sich Vorwurfe, da? seine Phantasie mit ihm durchgegangen war. Nicht die Mannschaft, er selbst gierte nach Abwechslung, nach einem Zwischenfall, der ihn davon ablenken konnte, da? erbarmungslos ein Tag nach dem anderen verstrich.
Schlacht gegen Remonds Geschwader waren zu viel gewesen und zu bald nach seiner schweren Verwundung gekommen. Wie zum Hohn wuhlte der alte Schmerz wieder in seinem Schenkel. Er versuchte, sich an Belindas Beruhrung zu erinnern, aber es gelang ihm nicht.
Er rief:»Kapitan Keen, wenn es dunkelt, loschen wir alle Lichter und gehen uber Stag. Neuer Kurs Nordwest. Bis zum Morgen will ich dieses fremde Schiff in unserem Lee sehen, damit wir es stellen konnen.»
Schon offnete Keen den Mund zum Protest, tippte dann aber gehorsam an den Hut.»Ich lasse jeden Fetzen Tuch setzen, Sir«, versprach er.
Bolitho verschwand im Schatten unter dem Huttendeck und begab sich nach achtern in sein Quartier.
War sein Entschlu? uberhastet, vielleicht sogar kindisch?
Mit einem Seitenblick auf Bolitho, der mit windzerzaustem Haar auf der Bank unter den Heckfenstern sa?, stellte er fest, da? der Vizeadmiral wieder die Ruhe selbst war. Der Sturm schien vorbeigezogen zu sein.
«Ich frage mich, Sir.»
Bolitho fuhr herum, er merkte erst jetzt, da? er nicht mehr allein war.»Was?»
«Na ja, Sir, ich meine, wenn Sie Gouverneur dieser Insel waren, die wir jetzt den Musjos in den Scho? werfen, was wurden Sie dann tun?»
Bolitho erhob sich und ging zum Weinkabinett hinuber, wo er zwei Glaser Brandy eingo?.
Eines reichte er dem erstaunten Allday und sagte:»Danke. Das ist genau der Punkt. «Der Brandy brannte auf seinen Lippen.»Was ich tun wurde, Allday? Ich wurde mich wehren, wurde kampfen. Und genau das wird er wahrscheinlich tun.»
Allday atmete auf. Er verstand zwar nicht ganz, was er mit seiner Frage bewirkt hatte, aber es erleichterte ihn, da? sich Bolithos Stirn glattete.
Bolitho sah ihn voll Zuneigung an.»Dir hatten sie einen Sitz im Parlament geben sollen, Allday.»
Allday stellte sein leeres Glas ab. In dieser Stimmung kannte er seinen Admiral noch nicht.»Dafur bin ich zu ehrlich, Sir.»
Lachend wandte sich Bolitho den Fenstern zu und studierte die Wirbel des Kielwassers, das
Vielleicht hatte Sheaffe deshalb einen Mann gebraucht, der nicht nur taktvoll, sondern vor allem tapfer war. Aber da mu?te erst Allday kommen und ihn darauf sto?en.
«Alle Mann auf Stationen, Sir, Schiff klar zum Gefecht.»
Keens Stimme kam aus der Dunkelheit, Bolitho konnte die Gestalt des Kommandanten kaum von den anderen Mannern an der Querreling unterscheiden.
Keens standiges Exerzieren hatte bei der schon von ihrem alten Kommandanten gedrillten Mannschaft gute Fruchte getragen, dachte Bolitho. Das Kommando» Alle Mann!«hatte die Leute fruh alarmiert; sie hatten noch eine warme Mahlzeit bekommen, ehe sie alle Feuer loschten und das Schiff gefechtsklar machten.
Trotzdem gab es kaum Anzeichen fur Nervositat oder Furcht vor drohender Gefahr. Es herrschte doch Friede, weshalb sollten sie sich also angstigen?
«Das ging leise vonstatten«, lobte Bolitho.
Er schauderte kurz in dem kalten, feuchten Wind, der quer uber Deck fauchte. Erst in einer Stunde wurde die Sonne aufgehen und mit ihrer Warme die Planken zum Dampfen und das Pech der Decksnahte zum Schmelzen bringen.»Kurs West zu Nord liegt an, Sir.»
Bolitho nickte. Das war Segelmeister Knockers Stimme gewesen. An Ruder und Kompa? hatte er das Sagen, ein Mann, der nur selten lachelte, hager und hochgewachsen, mit dem asketischen Gesicht eines Monchs. Aber seine Kursberechnungen und Standortbestimmungen waren so zuverlassig, wie sich Bolitho es nicht besser wunschen konnte.
Einige Stuckmannschaften auf dem Batteriedeck flusterten miteinander und stie?en sich an. Ihnen war alles willkommen, was die langweilige Routine unterbrach. Was scherte es sie, wenn ihr Admiral verruckt genug war, wegen irgendeines bloden Fremdlings gefechtsklar zu machen?
Eine andere Stimme meldete:»Es dammert schon, Sir.»
Bolitho wandte sich um und spahte achteraus, wo sich die Kimm allmahlich abzuzeichnen begann. Wie viele Morgendammerungen hatte er so schon erlebt? fragte er sich. Und wie oft hatte er damit gerechnet, da? es sein letzter Tag war, den er da anbrechen sah?
Wieder eine neue Stimme:»Der Strolch kann uns in der Nacht durch die Lappen gegangen sein.»
Der Marinesergeant stampfte mahnend mit seiner Pike auf und befahl:»Schlu? jetzt, Jungs! Ich bitte mir Ruhe aus!»
Schon wurden die gekreuzten Brustriemen der Marinesoldaten an den Finknetzen[6] heller, und als Bolitho zur Gro?maststenge aufblickte, sah er ihr Topp in fahles Gold getaucht. Wie die Spitze einer Lanze.
Die Ausguckposten oben in den Krahennestern oder den schwankenden Marsen wurden das fremde Schiff als erste sehen. Falls es noch da war.
Wahrend der ganzen Nacht hatte Keen die
Bolitho lauschte dem Zischen, mit dem die See in Lee an der Bordwand abflo?, und dem gelegentlichen Quietschen einer Stucklafette, deren Taljen die Last zu spuren bekamen.
Vorn ostlichen Horizont flo? das Tageslicht heran wie goldene Lava, die das Schiff zu verfolgen schien.
«Da ist sie! In Lee voraus!»
Jetzt redeten alle zugleich, und Bolitho sah Keens Zahne aufleuchten, als dieser grinsend dem Segelmeister zunickte.
Die Position, die sie sich erkampft hatten, war noch gunstiger als erwartet. Sie hatten nun den Windvorteil des Luvschiffs und konnten ihn auch halten, falls es zu einer Verfolgungsjagd kam.
Bolitho starrte zu dem fernen Schemen hipuber, der auf dem dunklen Wasser langsam Gestalt annahm.
Mit einem Klicken schob Keen sein Teleskop zusammen.»Doch gro?er als ein Schiff der funften Klasse, Mr. Pas — ah, Mr. Bolitho«, sagte er.
Einige der Umstehenden schmunzelten, und Bolitho freute sich wie schon oft, da? er Adam um sich hatte.
Er horte seinen Neffen zu Keen sagen:»Ganz Ihrer Meinung, Sir. Wahrscheinlich eher ein kurzer Zweidecker.»
Keen trat zu Bolitho heran.»Ihre Befehle, Sir?»
«Wir warten ab. Noch hat er uns nicht bemerkt. Wenn es soweit ist, fordern Sie ihn auf, sich zu identifizieren.»
Unglaublich, da? die
Achates'
Plotzlich wurden die Gerausche von See und Wind durch ein schrilles Pfeifen druben ubertont. Er konnte sich die Szene genau vorstellen: ein verschlafener Ausguckposten, der wahrscheinlich Befehl hatte, beim ersten Licht nach
Plotzlich Quantocks scharfe Stimme:»Sie setzt die Bramsegel!»
Keen nickte.»Die geben Fersengeld, Sir. Also hatten sie doch nichts Gutes vor.»
Bolitho spurte einen kalten Schauer uber den Rucken laufen, als erlebe er das alles zum erstenmal: Triumph, Erregung oder Wahnsinn, wer wollte das beurteilen?
«Sobald es hell genug ist, setzen Sie Ihr Signal ab. Und bis dahin halten Sie ihn an Backbord voraus.»
Keen nickte; die Erregung wirkte ansteckend, wie immer seit seinen Kadettentagen, vor einer Ewigkeit und in einem anderen Erdteil.
«Lassen Sie die Toppgasten aufentern, Mr. Quantock. Wir brauchen mehr Segelflache.»
Pfeifen schrillten, wahrend schon die ersten Manner zu beiden Seiten in den Webeleinen emporkletterten; beim Aufentern erfa?te sie die fahle Morgensonne und lie? ihre Korper ergluhen.
«Noch einen Strich nach Luv. Bemannt die Brassen dort!»
Gischt scho? uber Bugspriet und Vorschiff und sprenkelte das Deck wie ein tropischer Regengu?.
Aber auch das andere Schiff hatte mehr Segel gesetzt und schien zugig Distanz zu gewinnen.
Unter Bolithos Fu?en erzitterten die Planken, als
Bolitho stieg auf eine Lafette und richtete sein Glas auf das Schiff vor ihnen. Es wurde jetzt schnell heller, deshalb konnte er schon das vergoldete Schnitzwerk an Heckgalerie und Poop des Fremden schimmern sehen und den Glanz der rotlichen Morgensonne auf seinen Heckfenstern, als hatten sie Feuer an Bord.
«Kein Franzose«, stellte Keen fest.
«Vielleicht ein Hollander«, uberlegte ein anderer.
Aber sie irrten sich alle. Bolitho hatte schon ganz ahnliche Schiffe gesehen und glaubte die Werft zu kennen, wo sie auf Kiel gelegt worden waren.
Er sagte:»Ein Spanier. Ich habe mit seinesgleichen schon manchen Strau? gefochten.»
Niemand antwortete, und Bolitho mu?te sich ein Lacheln verkneifen. Ob er nun recht hatte oder nicht, niemand wiedersprach einem Admiral, und wenn er noch so jung war.
Keen nickte.»Und ich stimme dem Flaggleutnant zu, Sir. Sie ist zu gro? fur eine Fregatte. So, wie sie aussieht, hat sie mindestens funfzig Kanonen, schatze ich.»
«Signalisieren Sie, sie soll Segel kurzen.»
Bolitho spurte, wie sich um ihn Gleichgultigkeit verbreitete. Die Jagd war vorbei, ehe sie richtig begonnen hatte.
Die Signalflaggen stiegen auf zu ihrer Rah, wo sie knatternd auswehten. Aber die Signalrah druben blieb leer, nicht einmal das Bestatigungssignal wurde gehei?t.
«Sie fallt jetzt ein bi?chen ab, Sir.»
Bolitho richtete sein Glas neu aus und glaubte, neben einer der Pooplaternen druben Sonnenlicht von einer Teleskoplinse reflektieren zu sehen.
Achates
Keen meinte:»Wenn der Wind so bleibt, lasse ich Leesegel setzen… »
Bolitho wischte sich die tranenden Augen und hob abermals das Glas. Achates hielt mit dem Fremdling mit, obwohl dieser die Royals gesetzt hatte, um ihr zu entkommen. Aber der Wind konnte abflauen oder ganz einschlafen. Wenn Achates sie nicht vor Einbruch der Nacht gestellt hatte, wurden sie nie erfahren, was da vor sich ging.
Seltsam, das Ganze. Bolitho konzentrierte sich vollig auf die kleine, lautlose Welt in der Linse seines Fernrohrs. Das fremde Schiff trug einen frischen Farbanstrich, als ware es wie die Achates eben erst aus dem Dock gekommen. Aber auf dem breiten roten Streifen quer ubers Heck fehlte der Schiffsname. Entweder war sie uberhastet in See gegangen, oder sie wollte ihre Identitat verschleiern.