Mauern aus Holz, Manner aus Eisen: Admiral Bolitho am Kap der Entscheidung - Kent Alexander 5 стр.


Er hatte seinen Auftrag ausgefuhrt, hatte Bolithos Depeschen dem General und dem dortigen Commodore ubergeben und war nun froh, wieder unterwegs zu sein.

Tyacke war drei?ig Jahre alt und seit drei Jahren Kommandant der

Leutnant Tyacke blickte auf den Kompa?. Sein Schiff schnitt durch die Wogen, als seien sie Luft. Er legte die Hand aufs Gesicht und spurte, was er jeden Tag beim Rasieren im Spiegel sah. Eine Kanone war explodiert oder eine brennende Lunte herubergeschleudert worden und hatte eine Ladung Pulver entzundet. Niemand war ubriggeblieben, der ihm den genauen Ablauf beschreiben konnte. Niemand au?er ihm. Die ganze rechte Halfte seines Gesichts war weggebrannt worden und sah nun aus wie gegrilltes Fleisch. Die Leute drehten sich weg, um ihn nicht sehen zu mussen. Ein Wunder, da? die Augen unverletzt geblieben waren.

Er erinnerte sich, wie er vor Stunden mit den Depeschen an Bord des Flaggschiffs gekommen war. Er hatte weder den dortigen Commodore noch den General gesehen. Ein gelangweilter Oberst nahm ihm den Umschlag ab, ein Glas Wein in der gepflegten Hand, und lud ihn nicht einmal zum Sitzen ein, schon gar nicht zum Mittrinken.

Als er dann uber die Seite des riesigen Schiffes in sein Beiboot hinunterkletterte, war eben dieser Oberst an die Reling geeilt.»Leutnant! Warum haben Sie uns nichts von Nelson und seinem Sieg berichtet?«hatte er ihm nachgerufen.

Tyacke hatte an der schwarzen, gewolbten Bordwand hinaufgeblickt und seine Verachtung nicht langer verhehlt.»Niemand hat mich danach gefragt, Sir!»

Benjamin Simcox, als Master-Gehilfe fur Navigation auf der

Tyacke, Simcox oder Jay waren die drei Wachfuhrer, und Tyacke und Simcox waren in den drei Jahren Freunde geworden. Ihr unterschiedlicher Rang trennte sie nur bei so offiziellen Anlassen wie jetzt beim Besuch des Flaggschiffs.

Tyacke sah Simcox an, verga? seine Entstellung fur einen Augenblick und sagte:»Das war seit einem Jahr das erste Mal, da? ich wieder den Degen angelegt habe, Ben.»

Simcox nickte und erinnerte sich daran, wie er einmal nachts in der Kammer neben der des Kommandanten erwacht war. Tyacke hatte im Traum laut auf ein Madchen eingeredet, das versprochen hatte, auf ihn zu warten. Das Gestammel war herzzerrei?end gewesen. Simcox hatte Tyacke an der Schulter geruttelt, damit nicht das ganze Schiff mithorte. Eine Erklarung war nicht notig. Tyacke hatte eine Flasche Brandy geholt, die bis zur Morgendammerung leer gewesen war. Tyacke hatte dem Madchen, das er seit seiner Jugend kannte, keine Vorwurfe gemacht. Niemand wurde sein Gesicht jeden Morgen sehen wollen, sagte er.

Nachdem sich die

Es war Midshipman Roger Segrave, seit Gibraltar auf der

Admiral in Plymouth und bange um den guten Namen der Familie. Roger durfte auf keinen Fall durch das Leutnantsexamen fallen. Tyacke hatte klar gesagt, da? er nichts davon hielt. Der junge Mann storte die eingespielte Bordroutine wie ein unwillkommener Besucher.

Simcox war von der alten Schule. Von einem Tampen oder einer Ohrfeige zur rechten Zeit hielt er mehr als von langen Reden uber Disziplin. Doch verbohrt war er nicht. Also erklarte er dem Midshipman, was ihm bevorstand. Leutnant Tyacke war der einzige Offizier an Bord, und Segrave als Kadett durfte auf diesem kleinen Schoner keine Privilegien erwarten. Hier waren alle eine einzige Besatzung, anders als auf einem ubervollen Linienschiff.

Segrave sank stohnend uber die Luke. Sechzehn Jahre war er alt und fast so hubsch wie ein Madchen; er benahm sich wie ein scheuer Edelknappe, auch der Besatzung gegenuber. Zwar gehorte er nicht zu den verwohnten Monstern, von denen Simcox gehort hatte, aber leider auch nicht zu den jungen Mannern, die alles erfolgreich anpacken konnten. Er gab sich Muhe — ohne Erfolg. Jetzt starrte er in den Himmel, gleichgultig gegenuber dem peitschenden Gischt und seiner beschmutzten Kleidung. Leutnant Tyacke musterte ihn kuhl.»Binden Sie sich los, gehen Sie nach unten und holen Sie uns Rum. Leider kann ich niemand anderen schicken, alle werden hier gebraucht.»

Simcox grinste hinter dem Jungen her, der achzend unter Deck verschwand.»Gehen Sie nicht ein bi?chen hart mit ihm um, James?»

Tyacke zuckte mit den Schultern.»Schadet nichts. In ein oder zwei Jahren la?t er Manner an der Grating auspeitschen, nur weil sie ihn scheel angeschaut haben.»

«Der Wind raumt«, rief Jay, der zweite Gehilfe.

«Geht hoher ran. Setzt die Marssegel und dann ab mit Vollzeug.»

Unter Deck horte man Scherben klirren. Jemand erbrach sich.

«Den kleinen Affen bringe ich noch mal um«, murmelte Tyacke.

«Was halten Sie von Bolitho?«fragte Simcox, um ihn abzulenken.

Der Kommandant hielt sich fest und beugte sich vor, als eine See uber Deck rauschte. In dem schaumenden, gurgelnden Wasser standen seine halbnackten Manner und grinsten einander zu. Niemand von denen wurde uber Bord gehen.

«Ein guter Mann, ganz bestimmt. «Tyacke erinnerte sich an die Hurrarufe, als Bolithos Schiff in die Schlacht eingegriffen hatte.»Ich kannte viele, die unter ihm gedient haben. In Dover gab's noch einen alten Mann, der unter Bolithos Vater kampfte, als der seinen Arm verlor. In Dover war ich zu Hause, und da ist auch dieser Schoner gebaut.»

Simcox musterte das scharfe Profil seines Kommandanten. Ein Madchen, das den Leutnant nur von dieser Seite sah, hatte sich leicht in ihn verlieben konnen.

«Erzahlen Sie dem Admiral von diesem alten Mann?»

Tyacke wischte sich Wasser von Gesicht und Hals.»Wie denn? Er ist doch Admiral!»

Die Miranda jagte unter vollem Tuch durchs Wasser, da? der Schatten ihrer Segel wie eine riesige Flosse uber die Wellen flog. Trotzdem lag sie leicht auf dem Ruder. Sie war als Paketboot in Dover gebaut worden, aber schon nach den ersten Fahrten von der Royal Navy requiriert worden. Siebzehn Jahr spater segelte sie noch immer unter der Kriegsflagge, ein sehr lebendiges Schiff, das hoch an den Wind ging wegen seines einfachen Segelrisses und seines tiefen Kiels. Er verhinderte, da? sie zuviel Abdrift machte wie manche gro?eren Schiffe. Mit ihren vier Vierpfundern und zwei Karronaden war sie als Kurier gebaut, nicht fur Gefechte. Eine einzige Breitseite von einer Fregatte hatte sie in ein Wrack verwandelt.

Zwischen den Decks hing der kraftige Duft nach Rum und Tabak und der fette Geruch des Mittagessens. Als sich die Wache um den Messetisch versammelte, sa?en Simcox und Tyacke in der Kajute. Dieser Raum war so niedrig, da? sich die beiden gro?en Manner darin nur gebuckt bewegen konnten.

Der Midshipman sa? ihnen beschamt und angstlich am anderen Ende gegenuber. Er tat Simcox leid. Schon der Gedanke an Essen bei diesem Seegang mu?te seinen Magen aus dem Gleichgewicht bringen.

Plotzlich sagte Tyacke:»Sollte ich doch mit dem Admiral zusammentreffen, werde ich ihn um Bier fur uns bitten. Ich habe gesehen, da? einige Soldaten auf dem Flaggschiff Bier tranken — warum also nicht auch wir? Das Wasser bringt hier sicherlich mehr Leute um als die Hollander.»

Beide sahen uberrascht auf, als Segrave sich meldete:»In London wurde viel uber Vizeadmiral Bolitho geredet.»

«Und was bitte?«fragte Tyacke mit tauschend freundlicher Stimme.

Segrave verga? seine Seekrankheit und gab bereitwillig Auskunft.»Meine Mutter meinte, er hat sich unmoglich benommen. Unmoglich! Wie konnte er nur seine Frau wegen dieser Kokotte verlassen? Ganz London emport sich daruber. «Weiter kam er nicht.

«Wenn Sie das vor der Mannschaft sagen, werde ich Sie unter Arrest stellen und in Eisen legen lassen, junger Mann«, drohte Tyacke. Aber Simcox war sicher, da? die Freiwache trotzdem jedes Wort gehort hatte. Warum erregte sich der Kommandant so?

Tyacke beugte sich vor.»Und wenn Sie hier solchen Schwachsinn noch einmal sagen, werde ich Sie zum Duell fordern, egal wie jung und nutzlos Sie sind.»

Segrave wurde bla?. Simcox legte Tyacke eine Hand auf den Arm.»Ruhe, Ruhe. Woher soll's der Junge wissen?»

Tyacke schuttelte seine Hand ab.»Verdammt noch mal, Ben, was wollen diese Leute eigentlich?«Er wies mit dem Zeigefinger auf Segrave.»Wieso durfen sie Manner verurteilen, die jede Stunde, jeden Tag ihr Leben aufs Spiel setzen, damit andere in Ruhe und Frieden daheim ihren Tee trinken und ihre Kekse essen konnen? Ich kenne Bolitho nicht, aber so etwas lasse ich nicht uber ihn sagen.»

In der Stille gurgelte die See ums Heck.»Tut mir leid, Sir«, wisperte Segrave schlie?lich.

Tyacke lachelte unerwartet.»Ich hatte Sie nicht anbrullen sollen, das war nicht fair. Sie konnen sich nicht wehren. «Er wischte sich die Stirn mit einem zerknullten Taschentuch.»Aber jedes Wort zahlt, also seien Sie auf der Hut.»

In dem frischen Nordwest war von drau?en plotzlich der Ruf des Ausgucks zu horen:»Segel an Steuerbord voraus!»

Simcox klemmte seine Tasse in einem sicheren Winkel fest.

Der Ruf war gerade zur rechten Zeit gekommen.

«Kurs Sudwest zu Sud liegt an, Sir. Voll und bei.»

Das Deck der

Simcox nickte zustimmend, als der rundliche Bootsmann George Sperry noch zwei Mann ans Ruder stellte. Die

«Her zu mir!«rief Simcox.»Achten Sie auf Segel, Wind und Kompa?, damit Sie endlich ein Gefuhl fur die

Segrave klammerte sich an die Beting unter dem Besanbaum und starrte nach oben. Die Manner, die da arbeiteten, scherten sich einen Teufel um den Wind, der sie aus der Takelage rei?en wollte. Noch nie hatte er sich so elend, so verzweifelt und so mutlos gefuhlt. Noch immer schmerzte ihn Tyackes Anpfiff wegen Bolitho. So wutend hatte er den Kommandanten noch nie erlebt.

Segrave wollte Tyacke ausweichen, doch das war auf einem so kleinen Schiff unmoglich. Es gab niemanden, mit dem er reden konnte, der ihn verstand. Auf seinem letzten Schiff hatte er gleichaltrige Kameraden gehabt, aber was blieb ihm hier? Sein Vater war ein Held gewesen, an den sich Roger Segrave allerdings kaum erinnern konnte. Bei seinen seltenen Besuchen daheim war er ihm fremd geblieben, ein unzufriedener Mann. Lag es daran, da? er drei Tochter, aber nur einen Sohn hatte? Eines Tages traf die Nachricht ein, da? Kapitan Segrave in der Schlacht von Camperdown gefallen war. Mit trauriger, doch gefa?ter Stimme hatte die Mutter den Kindern den Tod des Vaters mitgeteilt. Da hatte schon ein Onkel, pensionierter Admiral in Plymouth, Roger unter seine Fittiche genommen — zum bleibenden Ruhm der Familie. Als der Onkel ein passendes Schiff gefunden hatte, wurde der Junge mit einer Seekiste an Bord geschickt. So begannen fur ihn drei hollische Jahre auf See. Segrave ha?te die Marine, ihm war die Familientradition herzlich gleichgultig. Ehe er Portsmouth verlie?, hatte er seiner Mutter sein Herz ausgeschuttet, aber sie hatte ihn umarmt und dann von sich geschoben. Ihre Stimme klang verletzt:»Und das, nachdem der Admiral soviel fur dich und unsere Familie getan hat! Sei tapfer, Roger. Wir wollen stolz auf dich sein!»

Segrave versteifte sich jetzt, als der Kommandant sich zu ihm umdrehte. Wenn er nur nicht dieses furchtbar entstellte Gesicht gehabt hatte! Segrave ahnte trotz seiner Jugend, wie sehr Tyacke darunter litt. Und obwohl er es gar nicht wollte, starrte er ihm immer wieder ins Gesicht.

Wenn er seine Prufung bestand, wurde er zum Leutnant befordert werden. Er duckte sich, als Gischt auf ihn niederprasselte. Dann mu?te er die Messe mit anderen Offizieren teilen, und die wurden schnell erkennen, was fur ein Schwachling er war; eine Gefahr fur alle, wenn es zum Kampf kam. Er ballte die Hande, bis es schmerzte, und schluckte vor Furcht.

Simcox kopfte ihm auf die Schulter.»Fallen Sie einen Strich ab. Neuer Kurs Sudsudwest. «Segrave gab den Befehl an den altesten Ruderganger weiter, doch der ubersah den Midshipman und suchte Simcox' Blick zur Bestatigung.

«An Deck! Der Fremde lauft davon und setzt mehr Segel.»

Tyacke schob die Daumen hinter seinen Gurtel.»Er versucht's also. «Durch die hohlen Hande rief er:»Mr. Jay, nehmen Sie ein Glas mit nach oben!«Der Mastergehilfe eilte zu den Webleinen, und da kam schon der nachste Befehl:

«Marssegel setzen!«Tyacke lachelte, was er selten tat.»Er wird uns nicht entkommen.»

Dann schien er Segrave zum erstenmal zu bemerken.»Entern Sie mit auf und lernen Sie was!«Damit lie? er den Midshipman stehen.

Segrave hatte endlich das Ende der schwankenden Webleinen erreicht und hielt sich neben Mr. Jay auf der Saling fest. Die Hohe machte ihm nichts aus, er starrte uber die endlose See mit ihren wei?schaumenden Wellen. Hier oben konnte man das Schiff vergessen. Er sah, wie die Gischt am Bug hochstieg und uber das Deck geweht wurde, fuhlte das Zittern des Mastes und merkte, wie die Segel den Wind einfingen, dessen Heulen alles an Deck ubertonte.

Jay gab ihm das Teleskop.»Schauen Sie sich den mal an. «Dann brullte er nach unten:»Ein Schoner, Sir! Ohne Flagge.»

Tyackes Stimme drang muhelos bis zu ihnen herauf:»Flieht er?»

«Aye, aye, Sir.»

Sie horten das Quietschen eines Blocks, und Sekunden spater entfaltete sich die Kriegsflagge unter der Gaffel der Miranda. Jay grinste:»Denen werden wir's zeigen!»

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