Der Kapitan zuckte bedauernd die Achseln.»Wenn sie nicht zur Garnison gehort, Sir Richard, darf sie leider nicht an Land.»
Die Riemen begannen sich zu bewegen, das Boot nahm Fahrt auf. Der Kapitan luftete gru?end den Hut.»Ich hole die Damen jetzt, Sir. «Damit war der Kontakt unterbrochen.
Keen senkte die Stimme.»Sie haben ihm nicht verraten, da? es eine Strafgefangene ist, Sir.»
Bolitho sah zu, wie der Beutel nach achtern getragen wurde.»Ich kann mich nicht entsinnen, danach gefragt worden zu sein, Val. «Er trat aus dem Schatten und starrte zum Felsen von Gibraltar hoch, dessen uralte maurische Burg der Hitzedunst verhullte.»Der Gouverneur hatte sie in eine Zelle gesteckt, Val. Da er den Belagerungszustand verhangt hat, kame es auf ein Unrecht mehr oder weniger nicht an.»
Keen starrte ihm erstaunt nach. Bolitho mu?te die Depeschen durchgehen und mit seinen Instruktionen von der Admiralitat vergleichen; schwere Verantwortung lastete auf ihm. Dennoch hatte er sich Gedanken um das Madchen Zenoria gemacht. Das brachte Keen aus der Ruhe.
Er drehte sich um und musterte seine Offiziere.»Nun, Mr. Paget, wo fangen wir an?«Er war nun wieder ganz gelassen. Aber wenn auch nur eine Andeutung uber diese Affare nach oben drang, war es um Bolithos Ruf geschehen. Trotzdem hatte er nicht gezogert.
Bei den Booten starrte Allday stirnrunzelnd die grune Ad-miralsbarkasse an. Hier vor Gibraltar wurde sie also nicht zu Wasser gelassen werden. Er kletterte hinauf, um einen Blick in den schlanken Rumpf zu werfen, und bi? sich dabei auf die Lippen, als erwarte er wieder den brennenden Schmerz in der Brust. Das Boot war halb mit Wasser gefullt, damit sich die Fugen in der Sonne nicht offneten. Er warf einen Blick hinunter zu Bankart und grinste.
«Das hast du gut gemacht, Junge. «Er war erfreut uber die plotzliche Wendung, die ihm einen Sohn beschert hatte, aber noch immer etwas verwirrt. Die beiden unterhielten sich zwar viel, hatten aber nichts gemeinsam au?er der Marine. Bankart war ein angenehmer junger Mann, der seinen Posten als Zweiter Bootsfuhrer nicht mi?brauchte.
Allday lie? sich wieder aufs Deck fallen.»Zeit fur einen Schluck. Hier werden wir im Augenblick nicht gebraucht. «Er schaute nach achtern.»Der Admiral ist beschaftigt.»
Bankart zog unterm Seitendeck den Kopf ein und fragte:»Wie ist er eigentlich? Ich habe gehort, du bist schon lange bei ihm.»
Allday musterte ihn voller Zuneigung.»Seit deiner Geburt. Ein gro?artiger Mann. Er ist tapfer und steht zu seinen Kameraden. «Er dachte an das Madchen in Mannerkleidern. Wenn Keen sich nicht vorsah, mu?te es bald kritisch werden. Die Matrosen hatten schon begonnen, Wetten abzuschlie?en, ob der Admiral mit ihr schlief oder der Kommandant:»Offiziere konnen sich alles leisten, was, Jungs? Und wir armen Teerjacken haben das Nachsehen!«Diesen vorwitzigen Gesellen hatte Allday mit der Faust zum Schweigen gebracht, aber es gab noch viele andere, die so dachten.
«Wenn wir wieder daheim sind«, sagte er,»nehme ich dich mit in sein Haus. Es ist ein richtiger Palast, aber sie haben mich trotzdem dort untergebracht, als gehorte ich dazu.»
Beim Gedanken an Falmouth wurde ihm unbehaglich. Er wu?te nur zu gut, da? etwas, das Lady Belinda gesagt oder getan hatte, Bolitho tief verargert hatte. Allday war bereit, sich auch in aussichtsloser Lage ganz fur Bolitho einzusetzen, empfand aber auch Mitgefuhl fur seine schone Frau. Es mu?te schwer sein, in Cheneys Schatten zu stehen.
Er ri? sich mit einem Ruck aus dieser Stimmung, als ihm der Duft nach Rum in die Nase stieg.
«Recht so, einen kraftigen Schluck konnen wir jetzt vertragen.»
Der Schiffsarzt stand gleich hinter der Tur der improvisierten Kabine und wischte sich die kraftigen Finger an einem Tuch ab, als Keen erschien. Die Luft war trotz der Sonnensegel hei? und stickig.»Wie geht es ihr?»
Tuson musterte ihn einige Sekunden lang.»Ich habe den Verband abgenommen, Sir.»
Keen trat an ihm vorbei und sah das Madchen mit gelostem Haar, das seine Schultern bedeckte, auf einem Hocker sitzen.»Tut es noch sehr weh?«fragte er.
Sie schaute zu ihm auf.»Es ist ertraglich, Sir. «Vorsichtig bewegte sie die Schultern unterm Hemd und verzog schmerzlich das Gesicht.»Ich bin noch etwas steif. «Sie schien zu merken, da? sich das geborgte Hemd geoffnet hatte, und zog es rasch zusammen.
«Ich habe gehort, was heute vorgefallen ist«, sagte sie dann.»Mich betreffend. «Er sah die nackte Angst in ihren Augen.»Will man mich zuruck auf dieses Schiff schicken, Sir? Lieber bringe ich mich um!»
«Nein. Reden Sie nicht so«, sagte Keen.
Tuson schaute von der Tur aus zu. Den gro?en, eleganten Kapitan und das langhaarige Madchen auf dem Hocker trennten Welten, dennoch schien sie etwas zu verbinden. Er rausperte sich.»Ich hole Salbe fur die Narbe. «Mit einem Blick auf Keen fugte er leise hinzu:»Bin in zehn Minuten zuruck, Sir. «Dann war er verschwunden.
«Wollen Sie sich nicht setzen, Sir?«Sie wies auf eine gro?e Truhe und lachelte. Keen sah zum ersten Mal, wie sich ihr Gesicht dabei erhellte. Er senkte den Blick auf ihre Hande im Scho? und hatte sie am liebsten ergriffen.
«Ich wollte, ich konnte es Ihnen bequemer machen.»
Sie schaute ihn fest an.
«Was wollen Sie von mir?«Das klang weder zornig noch verangstigt. Offenbar erwartete sie, da? er rundheraus von ihr verlangte, was ihr schon mit brutaler Gewalt abgerungen worden war.
«Ich mochte fur Sie sorgen. «Keen starrte zu Boden. Wurde sie nun nach dem Posten rufen oder — schlimmer — ihn wegen seiner Tolpelhaftigkeit auslachen?
Wortlos erhob sie sich vom Hocker, kniete vor ihm nieder und legte ihren Kopf auf seine Knie.
Keen merkte, da? er ihr langes Haar streichelte, da? er unzusammenhangende Dinge sagte und alles tat, um diesen unglaublichen Augenblick zu verlangern.
Schritte auf dem Niedergang. Vor der Tur lie? der Posten den Kolben seiner Muskete auf die Planken knallen. Tuson kam zuruck.
Da schaute sie zu ihm auf, und er sah, da? ihr Gesicht tranenna? war. Jetzt spurte er auch die Feuchtigkeit durch den Stoff seiner wei?en Hose.
«Meinen Sie das ernst?«flusterte sie.
Keen stand auf und zog sie hoch. Ohne Schuhe reichte sie ihm kaum bis an die Brust.
Er beruhrte ihr Gesicht und hob dann ganz behutsam ihr Kinn an.»Bitte glaub mir. Nie ist mir etwas so ernst gewesen.»
Dann, als Tusons Schatten zwischen sie fiel, trat er durch die Tur.
Tuson hatte sie beobachtet und war uberrascht, da? er nach allem, was ihm sein Beruf zugefugt hatte, noch so geruhrt sein konnte. Ihm war, als teile er ein Geheimnis. Aber eins, das nicht lange geheim bleiben wurde.
Ozzard und seine Helfer hatten zusatzliche Laternen in die Achterkajute gebracht, so da? die Fenster vergleichsweise schwarz wirkten. Zum ersten Mal waren alle Kommandanten von Bolithos Geschwader hier versammelt. Die Atmosphare war locker, und es herrschte sogar Erleichterung, weil man dem Fieber fernblieb.
Keen wartete ab, bis alle Glaser gefullt waren, und sagte dann:»Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, Gentlemen.»
Bolitho stand am Fenster, die Hande auf dem Rucken unterm Rockscho? gefaltet. Eine Landratte ware beeindruckt, dachte er, denn diese kleine Gruppe bot unter den langsam kreisenden Laternen ein prachtiges Bild.
Francis Inch, dessen langes Gesicht weder Angst noch Sorge verriet, war der Dienstalteste. Keen, der einzige andere Vollkapitan, wirkte gespannt, als er seine Kameraden musterte. Er schien in Gedanken noch immer bei Zenoria, wirkte aber erleichtert. Auch Bolitho hatte inzwischen von der gunstigen Wendung erfahren: Eine junge Jamaikanerin auf Helicon, die als Dienstmadchen mit einer Offiziersfrau gereist war, wollte nicht mit ihrer Herrin an Land. Sie schien eine angemessene Gefahrtin fur Zenoria Carwithen. Das wurde zwar dem Klatsch noch kein Ende setzen, ihn aber um die Halfte verringern.
Philip Montresor von der
ein junger, eifriger Mann, lie? sich von der einsamen Epaulette auf seiner rechten Schulter nicht im geringsten entmutigen. Tobias Houston von der
Commander Marcus Quarrell sagte gerade etwas zu La-pish, der vor ihm die Brigg
befehligt hatte. Quarrell war ein lebhafter, freundlicher Mann von der Isle of Man, doch sein Humor blieb bei Lapish, der noch immer in Schwermut versunken war, wirkungslos.
Auch Leutnant Hallowes vom Kutter
war anwesend, und das zu Recht, denn der Funktion nach war er ebenso Kommandant wie alle anderen.
Ein zusammengewurfelter Haufen, dachte Bolitho. So mu?te es bei der ganzen Flotte zugehen, weil die Seelords versuchten, nun eilends Schiffe und Manner fur den neuen Krieg aufzutreiben, den jeder Schwachkopf hatte voraussehen konnen.
Er studierte ihre erwartungsvollen Gesichter, den zuversichtlichen Ton ihrer Stimmen.
«Gentlemen«, begann er,»ich beabsichtige, so bald wie moglich wieder Segel zu setzen. In seinen Depeschen hat mich der Gouverneur davon in Kenntnis gesetzt, da? jeden Augenblick ein Ostindienfahrer hier eintreffen wird, der danach weiter ums Kap der Guten Hoffnung segelt. Mit seinen schweren Geschutzen und seiner ausgebildeten Mannschaft wurde er den beiden Straflingsschiffen ausreichend Geleitschutz bieten konnen. Ich bin sicher, da? der Gouverneur den Kapitan zu dieser Geste uberreden kann.»
Alle lachten. Die Ostindische Kompanie war dafur bekannt, da? sie sich bei ihren raschen Uberfahrten ungern aufhalten lie?.
Bolitho verbarg seine Erleichterung. Er hatte befurchtet, der Gouverneur wurde ihm eins seiner Schiffe fur diese Aufgabe abverlangen; dabei war das Geschwader ohnehin schon zu klein.
Er fuhr fort:»Die Lage ist hier anders als bei der Blockade von Brest und den Biskayahafen. Dort haben es unsere Einheiten zwar schwer, aber sie konnen wenigstens abgelost und zur Reparatur oder Proviantaufnahme zuruck nach England geschickt werden. Im Mittelmeer dagegen gibt es keine Ablosung. Hauptgrund zur Sorge ist uns Toulon; zur Uberwachung des Feindes und Enthullung seiner Absichten ist stete Wachsamkeit vonnoten. Woher aber bekommen wir Proviant und, wichtiger noch, unser Trinkwasser? Gibraltar ist achthundert Meilen von Toulon entfernt, und Malta liegt auch nicht naher. Ein von Malta ausgesandtes Schiff mag seinem Admiral uber zwei Monate lang fehlen. «Er lachelte schief.»Das ist vielleicht angenehm fur den Kommandanten — «, er sah sie grinsen,»- aber der Feind kann sich mittlerweile davongemacht haben. Ich bezweifle nicht, da? Vizeadmiral Nelson bereits eine Losung gefunden hat. Andernfalls beabsichtige ich, unabhangig zu handeln. «Er konnte sehen, da? besonders die Kommandanten der Zweidecker uber seine Worte nachdachten. Jeder hatte nur fur neunzig Tage Trinkwasser an Bord, und auch das nur bei gekurzten Rationen. Vor allem mu?ten sie nach Gibraltars Ausfall nun ihre Wasserversorgung sichern.
«Das Geschutz- und Segelexerzieren soll trotzdem ununterbrochen weitergehen. Das macht unsere Mannschaften besser und halt sie beschaftigt.»
Es roch nach Essen. Bolitho nahm an, da? Ozzard mit dem Dinner wartete.
«Wir reden spater weiter«, sagte er.»Hat jemand Fragen?»
Montresor erhob sich. Wie Keen hatte er blondes Haar und die frische Gesichtsfarbe eines Schuljungen.
«Sollen wir die Franzosen vor Toulon und den anderen Hafen blockieren, Sir Richard?«fragte er.
«Nicht nur das «erwiderte Bolitho.»Unsere Hauptaufgabe ist, sie beim Ausbrechen zu erwischen und zu vernichten. Vergessen Sie nicht, da? sie uns auf die Probe stellen, unsere Starke und unsere Fahigkeiten testen werden. «Er sah Keen an. Nur er wu?te, was sich Bolitho bis jetzt aufgespart hatte.»Es existiert ein neugebildetes franzosisches Geschwader, das aber bisher noch nicht vor Toulon gesichtet wurde. Befehligt wird es von Konteradmiral Jobert. «Er sah sie Blicke tauschen; manche hatten noch nicht ganz begriffen.
Er blickte sich in der Kajute um.»Gentlemen, dies hier war fruher Joberts Schiff. Wir nahmen es ihm vor funf Monaten ab.»
Wie hatte Jobert das fertiggebracht? Vielleicht war es ihm gelungen, gegen einen britischen Gefangenen gleichen Ranges ausgetauscht zu werden, aber Bolitho hatte von einem solchen Abkommen bisher nichts gehort.
«Er durfte unseren Kurs kennen und wissen, da? meine Flagge uber dem Geschwader weht. Er ist ein tapferer, einfallsreicher Offizier und auf Rache aus.»
Inch beugte sich vor.»Aber diesmal erledigen wir ihn!»
Bolitho schaute die drei jungeren Offiziere an.»Rekognoszieren ist von gro?ter Wichtigkeit. Fur mich steht fest, da? hinter der Falle fur
«Jobert mag vorhaben, kleine, von unserem Geschwader getrennte Schiffe aufzuspuren und zu vernichten, damit das Gros taub und blind wird.»
Da Joberts ehemaliges Flaggschiff
Keen wurde bla?, hielt sich aber zuruck.
«Kapitan Houston, sollte das vielleicht eine Krankung sein?«fragte Bolitho.»Wenn ja, fuhle ich mich personlich davon betroffen. «Seine grauen Augen waren plotzlich hart.»Ich warte auf Ihre Erklarung.»
Das Schweigen war so druckend wie die Schwule in der Kajute.
Houston erwiderte Bolithos Blick und sagte zogernd:»Ich wollte niemanden kranken, Sir Richard.»
«Das hore ich gern. «Bolitho wandte sich ab. Houston war ein Dummkopf. Schlimmer noch, er mochte sich zum schwachsten Glied ihrer dunnen Kette entwickeln.
Als sich die anderen zu dem langen Tisch mit den schimmernden Kerzen begaben, flusterte Keen:»Es fangt schon an, Sir. Ich mache mir Vorwurfe.»
Bolitho drehte sich zu ihm um und packte ihn, die anderen ignorierend, jah am Arm.
«Reden wir nicht mehr davon. Morgen oder nachste Woche sind wir vielleicht schon bei unseren gefallenen Freunden oder wimmern uns die Seele aus dem Leib, wahrend unsere amputierten Glieder in Tusons Abfallkubel fallen.»
Er packte noch fester zu.»Mit einem geschlossenen Gibraltar konnten Sie nicht rechnen. «Dann lachelte er und gab Keen frei.»Aber ehrlich, Val, ich beneide Sie. «Er wandte sich ab, ehe Keen antworten konnte.
Zwei Tage spater, als ein majestatischer Ostindienfahrer in der Bucht vor Anker ging, lief Bolithos Geschwader bei wassrigem Sonnenschein aus. Auf allen Schiffen sorgten sich die Zahlmeister um Trinkwasser und Proviant, und jeder Kommandant stand vor der Notwendigkeit, sparsam mit Tauwerk und Segeltuch umzugehen.