Nachdem die Tur sich hinter den beiden geschlossen hatte, sagte Bolitho ruhig:»Ich denke, da? Sie mitkommen sollten, Sir. «Er spurte den Zorn wie Feuer in sich aufflackern.»Das ist das wenigste, was Sie fur ihn tun konnen.»
Pelham-Martin fuhr vom Tisch zuruck, als ob ihn ein Schlag getroffen hatte.»Wie konnen Sie es wagen, so mit mir zu sprechen.»
«Was Sie getan haben, gibt mir das Recht dazu. «Bolitho merkte, da? er seine Worte nicht mehr kontrollieren konnte. Er wollte es auch nicht.»Sie haben die Ehre, das Kommando uber diese Schiffe und diese Manner zu fuhren. Damit tragen Sie auch die Verantwortung. Sie haben jedoch beides fortgeworfen, ohne mehr Gedanken darauf zu verwenden als ein blinder Narr.»
«Ich warne Sie, Bolitho!«Pelham-Martins Hande offneten und schlossen sich wie zwei Klauen.»Ich bringe Sie vor ein Kriegsgericht. Ich werde nicht ruhen, bis Ihr Name ebenso mit Schande beladen ist wie der Ihres Bruders. «Er wurde bla?, als Bolitho einen Schritt auf ihn zutrat.»Es war eine Falle. Ich hatte nicht erwartet.»
Bolitho krampfte die Hande hinter seinem Rucken ineinander, nahm die Worte des Kommodore auf, wu?te, da? sie die letzte verzweifelte Verteidigung dieses Mannes waren.
Er sagte:»Vielleicht kommt es zur Verhandlung vor einem Kriegsgericht, Sir. Aber wir wissen beide, wem sie gelten wird. «Er sah, da? seine Worte getroffen hatten, und fugte langsamer hinzu:»Mir ist es so oder so gleichgultig, aber ich werde nicht untatig danebenstehen und zusehen, wie unsere Leute verunglimpft und unsere Sache entehrt wird. Nicht durch Sie, und nicht durch sonst jemanden, der mehr an seinen personlichen Vorteil als an seine Pflicht denkt.»
Ohne ein weiteres Wort stie? er die Tur auf und ging schnell uber das in der Sonne liegende Achterdeck. Jeden Augenblick erwartete er, da? Pelham-Martin nach dem Hauptmann der Marinesoldaten rufen und ihn unter Arrest stellen wurde; falls das geschah, wu?te er nicht, wozu sein Zorn und seine Verachtung ihn noch verleiten mochten.
Er konnte sich nicht erinnern, wie er den Weg zum Orlopdeck hinuntergefunden hatte, und er registrierte nur vage Bilder von Mannern, die mit Reparaturarbeiten beschaftigt waren, die Gesichter und Korper noch vom Pulverqualm geschwarzt, mit starren und wilden Augen.
Das Orlopdeck lag im Dunkeln, abgesehen von den schwankenden Laternen unter der Decke, die alle uber dem zentralen Punkt aufgehangt waren, an dem Todeskampf und Horror herrschten. Ringsum an den bauchigen Wanden des Rumpfes warteten zuk-kende und schluchzende Verwundete, deren Gesichter und zerschmetterte Gliedma?en im Lampenlicht kurz sichtbar wurden, ehe das Schiff sich auf die andere Seite legte und sie wieder in barmherzigem Schatten verschwinden lie?.
Kapitan Winstanley lag gegen einen der massiven Spanten gelehnt. Sein eines Auge war von einem dicken Verband bedeckt, in dessen Mitte ein roter Fleck leuchtete. Er war bis zu den Huften nackt, den Unterkorper nur mit einem Stuck Leinwand bedeckt. Sein gebogener Sabel, den er wahrend des Kampfes getragen hatte, lag neben ihm.
Bolitho lie? sich auf ein Knie nieder, sah den Schwei?, der Win-stanley uber die breite Brust rann, sein langsames, muhsames Atmen, das mehr als genug verriet.
Behutsam ergriff er die Hand des verwundeten Kapitans. Die Finger waren kalt wie Eis.»Hier bin ich, Winstanley. «Er sah, da? das nicht bedeckte Auge sich ihm zuwendete, dann das Erkennen, das so langsam kam wie der Atem des Mannes.
Die Finger bewegten sich etwas.»Sie wollte ich sehen. «Er schlo? das Auge und verzerrte in plotzlichem Schmerz das Gesicht. Dann fugte er mit schwacher Stimme hinzu:»Ich — ich wollte Pelham-Martin sagen. wollte ihm sagen. «Das Auge wich von Bolitho ab und richtete sich auf einen dunnen Mann in langer, blutbefleckter Schurze. Der Arzt der
Nahebei wich ein junger Midshipman mit vor Angst geweiteten Augen gegen die Bordwand zuruck, als ein Lazarettmaat sagte:»Der ist der nachste. Sein Arm mu? abgenommen werden. «Der Junge walzte sich auf die Seite, wehrte sich weinend gegen die Gehilfen, die aus dem Dunkel auftauchten.
Winstanley keuchte:»Sei tapfer, Junge, sei tapfer!«Aber seine Worte blieben ungehort.
Bolitho wandte sich ab, ihm war elend zumute. Er dachte an Pas-coe. Was hatte geschehen konnen, wenn er Pelham-Martins Signal befolgt hatte, sich mit den anderen um die
Winstanley sagte leise:»Anscheinend kann ich nicht mehr bewegt werden, Bolitho.»
Der Arzt brummte ungeduldig:»Tut mir leid, Captain Bolitho, aber Sie mussen jetzt gehen.»
Bolitho zuckte zusammen, als das Stuck Leinwand weggezogen wurde. Selbst Winstanleys Verband konnte den entsetzlichen Anblick seines Beins und seiner Hufte nicht verdecken. Muhsam sagte er:»Ich kann nicht warten, Winstanley. Ich besuche Sie spater, um Ihnen meinen Plan zu erlautern, ja?»
Winstanley nickte und lie? die Hand sinken. Er wu?te so gut wie Bolitho, da? es fur sie auf Erden kein Wiedersehen geben wurde. Und etwas in seinem einzigen Auge schien Bolitho zu danken, der in den Schatten zurucktrat. Zu danken fur das Versprechen eines Plans, von dem Bolitho selbst noch keine Vorstellung hatte. Und dafur, da? er nicht blieb, um Zeuge des letzten Elends und der Erniedrigung unter dem Messer zu werden, das schon im Licht der Laternen glanzte.
Auf dem Achterdeck brannte die Sonne hei?er und heller als je, aber die Ubelkeit in Bolithos Magen blieb unverandert, und er fuhlte sich so kalt wie Winstanleys Hand.
Manche Seeleute beobachteten ihn, als er vorbeiging. Ihr Ausdruck war beherrscht, aber in gewisser Weise wehrlos. Sie hatten ihren Kommandanten geliebt und ihm gut gedient. Dagegen war Bolitho ein Fremder.
In der Achterkajute fand er Fitzmaurice und Mulder, die mit dem Kommodore warteten. Ihre Gesichter waren zur Tur gerichtet, als ob sie die schon seit einiger Zeit beobachteten.
Bolitho sagte ruhig:»Ich bin bereit, Sir.»
Pelham-Martin sah sie der Reihe nach an.»Dann, glaube ich, sollten wir daruber diskutieren.»
Er blickte auf, als Fitzmaurice ihn schroff unterbrach:»Irgendwo auf See lauern die anderen Schiffe von Lequiller, wahrend wir hier herumstehen und reden. Wir konnen Las Mercedes nicht verlassen, ohne die zu zerstoren, gegen die wir gerade gekampft haben. «Er sah den Kommodore unbewegt an.»Doch wenn wir wieder angreifen, steht uns der gleiche Ruckschlag bevor, da sich das Krafteverhaltnis zu unseren Ungunsten verschoben hat.»
Der Kommodore betupfte sich automatisch die Stirn.»Wir haben es versucht, meine Herren. Und ich kann nicht sagen, da? wir unser Bestes geboten haben.»
Bolitho zerrte an seinem Halstuch. Diese Worte und die Hitze in der Kajute machten ihn schwindlig. Er sagte:»Es gibt noch eine Moglichkeit, den Feind zu uberraschen. «Er beobachtete PelhamMartins Gesicht, der seine Verwirrung zu verbergen suchte.»Die Zeit arbeitet nicht fur uns, und dieser Plan, jeder Plan, kann sich als besser erweisen als die vollige Niederlage.»
Die anderen sahen ihn aufmerksam an, aber er wandte den Blick nicht vom Gesicht des Kommodore. Es war, als ob zwischen ihnen ein Seil gespannt ware, und auch nur ein Anzeichen des Zogerns oder der Unsicherheit konnte allem ein Ende machen.
Wie von weit her horte er Pelham-Martin sagen:»Sehr gut. Dann seien Sie so freundlich und erlautern Sie ihn. «Als er sich in seinen Sessel sinken lie?, zitterten ihm die Hande stark, aber noch weniger zu ubersehen war der Ha? in seinen Augen.
Bolitho erkannte diesen Ausdruck und ignorierte ihn. Er dachte an Winstanley unten im Orlop: mitten unter seinen Leuten war er den Todesqualen unter der Sage des Chirurgen ausgeliefert.
X Ehrensache
Die Leutnants und ranghoheren Deckoffiziere der
standen Schulter an Schulter um Bolithos Schreibtisch. Ihren Gesichtern konnte man die unterschiedliche Konzentration ansehen, mit der sie den Erlauterungen ihres Kommandanten anhand seiner Karte folgten und auf seine eindringliche Stimme lauschten.
Die See hinter den Heckfenster lag vollig im Dunkeln, und wahrend das Schiff noch vor Anker schwojte, war es an Deck und auf den Gangways bereits lebendig von scharrenden Fu?en und dem Knarren der Taljen, als, begleitet von Befehlen und unterdruckten Fluchen, Boote zu Wasser gelassen wurden.
Bolitho setzte sich auf die Fensterbank, damit er die Gesichter unter den Laternen sehen und beurteilen konnte, wieviel oder wie wenig sie von seinem Plan verstanden und akzeptierten.
Als er ihn Pelham-Martin und den anderen Kommandanten erlautert hatte, war er uberrascht gewesen, wie klar er seine Gedanken formulieren konnte. Vielleicht hatten sein Zorn und seine Verachtung, sicher aber seine Trauer um Winstanley seinen Verstand besonders scharf arbeiten lassen, so da? der Plan, vage und verschwommen zunachst, sich mit jedem seiner Worte entwickelt, mit jeder Sekunde an Deutlichkeit gewonnen hatte.
Er sagte:»Wir nehmen vier Kutter, zwei der unseren, die beiden anderen kommen von der
Hauptmann Dawson sagte rauh:»Mir ware es lieber, Sie wurden meine Marinesoldaten nehmen, Sir.»
Bolitho lachelte.»Die werden ihre Chance spater bekommen. «Er neigte den Kopf und lauschte, als zusatzliches Poltern und Rufe die Ankunft von Booten ankundigten. Der Rest des Landekommandos mu?te schon eingetroffen sein.
Schnell erklarte er:»Der Erste Offizier der
Lang war der Dritte Offizier und in dem Gefecht bei St. Kruis leicht verwundet worden. Seine Verletzung war inzwischen geheilt, aber anscheinend hatte sie seine Nerven sehr belastet, so da? jetzt auf seinem Gesicht fast standig ein ratloses Stirnrunzeln stand.
Er nickte eifrig.»Danke, Sir.»
Stepkyne sagte abrupt:»Als Zweiter Offizier ist es aber mein Recht, mitzugehen, Sir.»
Bolitho hatte diesen Protest erwartet und konnte Stepkyne keinen Vorwurf machen. Eine Beforderung war zu allen Zeiten nur schwer zu erlangen, und fur einen Mann wie ihn war es doppelt schwierig. Er sagte:»Dieses Schiff ist unterbesetzt, Mr. Stepkyne. Sie sind sehr erfahren und konnen nicht entbehrt werden.»
«Es ist mein Recht, Sir. «Stepkyne schien seine Umgebung vergessen zu haben.
Bolitho verdrangte Stepkynes Privatproblem aus seinen Gedanken.»Hier steht mehr auf dem Spiel als Ihre Beforderung oder mein Begrabnis. Und ich mochte Sie darauf hinweisen, da? das, was Sie als Ihr Recht betrachten, in Wirklichkeit ein Privileg ist. Belassen wir es also dabei.»
Die Kajutentur wurde geoffnet, und Captain Fitzmaurice trat, gefolgt von seinem Ersten Offizier, ins Licht der Lampen. Er hob die
Hand.»Entschuldigen Sie die Storung, Bolitho. Ich wollte aber noch mit Ihnen sprechen, ehe Sie aufbrechen. «Er nickte den anderen kurz zu.»Dies ist Mr. Quince, mein Erster.»
Quince war ein gro?er magerer Mann mit hartem Mund und ungewohnlich hellen Augen. Bolitho hatte von Fitzmaurice bereits erfahren, da? Quince fur eine Beforderung geeignet und befahigt war, wenn sich die Chance dazu bot.
Bolitho sagte:»Im Interesse unserer Gaste, meine Herren, will ich den Plan noch einmal kurz erlautern. «Er strich die Karte auf seinem Schreibtisch glatt.»Das Landekommando besteht aus vier Kuttern mit achtzig Mann, Offizieren und Mannschaften. Sie werden sehr eng beieinandersitzen, aber der Einsatz von mehr Booten wurde dem Geschwader die Moglichkeit nehmen, an anderer Stelle ein Ablenkungsmanover zu starten.»
Es geschah nicht ausschlie?lich zur Unterrichtung Fitzmaurices, da? er seine Instruktionen wiederholte. Worte brauchten Zeit, um sich im Bewu?tsein festzusetzen, sie in Moglichkeiten oder harte Tatsachen zu ubertragen. Bei einem schnellen Blick auf die Manner erkannte Bolitho, da? er recht hatte. Sie blickten auf die Karte, aber ihre Augen waren jetzt aufnahmefahiger, nachdenklicher, denn jeder sah den Ablauf von seinem eigenen Standpunkt aus.
«Wie Sie gesehen haben, ist die Mundung des Flusses, der Las Mercedes von der Ruckseite aus schutzt, etwa eine Meile breit. Sie mogen ferner beobachtet haben, da? sie kaum mehr als ein Sumpf ist, voller Binsen und Sandbanke und deshalb fur gro?ere Fahrzeuge ungeeignet. Tiefer im Land wird es noch schlimmer, deshalb mussen unsere vier Boote so leicht wie moglich sein. «Er lie? seine Worte wirken.»Die Landegruppe mu? drei?ig Meilen in drei Tagen zurucklegen. Das ist vergleichsweise wenig, wenn Sie uber das Bodmin-Moor wandern, um Ihre Freundin zu besuchen. «Manche lachelten uber seine Worte.»Aber dieser Sumpf ist in keiner Karte verzeichnet und gefahrlich. Manche mogen ihn sogar fur unpassierbar halten. Aber wir werden es schaffen.»
Fitzmaurice rausperte sich.»Drei Tage — das ist nicht viel Zeit.»
Bolitho lachelte ernst.»Morgen unternimmt das Geschwader einen Scheinangriff gegen Las Mercedes. Die Franzosen werden von uns erwarten, da? wir etwas tun, und wenn wir nichts starten, konnten sie erraten, was wir beabsichtigen. Die Schaluppe
Er sah Hauptmann Dawson an.»Die ubrigen Boote des Geschwaders werden fur eine Scheinlandung unterhalb der Landzunge eingesetzt. Jedes Schiff stellt dazu seine Marinesoldaten, und Sie ubernehmen den Oberbefehl. «Etwas von Dawsons Unwillen verschwand, als Bolitho hinzufugte:»Veranstalten Sie eine gute Schau, aber riskieren Sie nicht unnotige Verluste. Sie werden spater zu Ihrem Lohn kommen.»
Er wendete sich wieder den anderen zu.»Dieses Ablenkungsmanover wird naturlich zeitlich begrenzt sein, aber inzwischen kann das Landekommando weit in die Sumpfe vordringen. Doch in drei Tagen, von der morgigen Dammerung an gerechnet, wird das Geschwader wirklich angreifen, meine Herren, und Sie konnen daraus ersehen, welche lebenswichtige Bedeutung die drei?ig Meilen haben, die wir zurucklegen mussen.»