«Sehr gut, Mr. Inch. Sie konnen Befehl zum Laden geben.»
Als Inch heftig einem Midshipman winkte, erinnerte Bolitho sich der anderen Gelegenheiten, bei denen er ins Gefecht gesegelt war. Jedes Geschutz mit doppelter Ladung und zusatzlich mit Schrapnell geladen, um damit die erste verheerende Salve voll zur Wirkung zu bringen. Jetzt, mit nur halb ausgebildeten Leuten, die sich in der Finsternis des Zwischendecks zurechttasteten, konnte das eine Katastrophe herausfordern. Solche Methoden anzuwenden, verlangte Erfahrung. Eine falsche Ladung, und eine Kanone konnte explodieren und wenigstens ihre Bedienung toten.
Der Wind lie? ein wenig nach; in der plotzlich eintretenden Stille horte er hastige Schritte auf den mit Sand bestreuten Decks: die Pulveraffchen, die von Geschutz zu Geschutz rannten und die Ladung verteilten, die sie gerade vom Magazin empfangen hatten, wo Johns, der Stuckmeister, in funkensicheren Filzpantoffeln an dem einzigen Ort stand, von dem es kein Entkommen gab, wenn das Schiff im Gefecht in Brand geriet. Gott sei Dank war er ein erfahrener Veteran, der sich nicht blind auf das Konnen jener verlassen wurde, die er mit Pulver aus seinem Magazin versorgte.
Gossett rief:»Nach meiner Berechnung liegt die Landzunge jetzt drei Meilen querab, Sir. «Er hustete.»Selbstverstandlich ist es bei der Stromung und dem Nebel schwer, Genaueres zu sagen.«»Alle Geschutze feuerbereit, Sir.»
Bolitho hielt seine Uhr in das Licht der Kompa?laterne. Jetzt mu?te es bald hell werden. Er sah sich schnell nach allen Richtungen um. Lichtete sich das Dunkel tatsachlich schon, oder hatten sich seine Augen so sehr an die Finsternis gewohnt, da? er die Neunpfunder in Lee schwarz und scharf umrissen vor dem Schanzkleid wahrnahm?
Gern hatte er noch einmal einen Blick auf die Karte geworfen, aber dazu blieb keine Zeit mehr. Er versuchte, sich genau zu erinnern, was er vor Augen gehabt hatte: die Landzunge und das geschutzte Wasser dahinter, die unterschiedlichen Wassertiefen, der Verlauf des Fahrwassers und die Starke der Stromung, in der jede unvorsichtige Annaherung zu einer Katastrophe fuhren konnte.
«Etwa mehr Steuerbord!«Er stand neben Inch an der Achterdecksreling, das Teleskop nach Luv gerichtet, wahrend sich das Ruder knarrend drehte.
«Recht so!«Er konnte Inchs lautes Atmen horen und nahm einen der Achterdeckskanoniere wahr, der neben einem Neunpfunder kniete. Der Mann war trotz der eisigen Luft bis zu den Huften nackt und hatte sein Entermesser achtlos hinten in den Gurtel geschoben, wo der Griff sich nun dunkel von dem blo?en Rucken abhob. Die Lange seines Zopfes verriet Bolitho, da? er kein Neuling war, und er hoffte, da? au?er dem befehligenden Deckoffizier noch ein paar seinesgleichen fur Ruhe und Ordnung sorgen wurden, wenn es zum Gefecht kam.
Auf dem Hauptdeck lie? jemand eine Spake fallen, und als Bo-litho wutend nach vorn blickte, stellte er uberrascht fest, da? er Vorschiff und Kluverbaum erkennen konnte. Doch je mehr das Schiff in der weichenden Dunkelheit an Gestalt gewann, desto dichter schien der Nebel zu werden, bis die
schlie?lich hilflos seitwarts abzutreiben schien, ein Eindruck, der noch durch die Geschwindigkeit, mit der der Nebel durch die Wanten und um sie herum strich, verstarkt wurde.
Plotzlich sagte Bolitho:»Entern Sie auf, Mr. Gascoigne. Sie haben scharfe Augen.»
Der Midshipman kletterte behende in die Webeleinen, und Inch sagte:»Wir konnten die Fregatte verfehlen, Sir.»
Bolitho sah das Gro?bramsegel in einer Fallbo killen und entdeckte in diesen Sekunden einen schwachen blauen Fleck: Uber dem Nebel klarte der Himmel bereits auf, leuchtete hell und kalt, und das war gut so.
Blocke und Taljen klapperten nervos, und Gossett bemerkte:»Der Wind frischt auf, Sir.»
Es war nur wenig, genugte aber. Mit einem Mal ri? der Nebel auf und verfluchtigte sich zu einem tiefliegenden Dunst; als Gascoignes schriller Ruf noch nach unten drang, erkannte Bolitho schon die Umrisse des anderen Schiffes.
«Fregatte Steuerbord voraus!«schrie Gascoigne aufgeregt.»Vor Anker, Sir.»
Inch wandte den Blick von dem anderen Schiff ab und starrte Bo-litho an, als ob er es nicht glauben konne.
Bolitho beobachtete die Fregatte unbewegt, deren Umrisse immer klarer wurden, wahrend der Nebel an ihr vorbei auf die offene See hinaustrieb. Dort lag die Landzunge, blaugrau im Dammerlicht, und obwohl es noch nicht moglich war, den anderen Landarm der Flu?mundung auszumachen, wu?te er, da? er richtig gerechnet hatte, und empfand beinahe Mitleid mit dem Mann an Bord der Fregatte, der jetzt als erster die naherkommende
sehen mu?te. Sie mu?te auf ihn wie ein Bote der Holle wirken, als sie sich vor seinen Fluchtweg schob, mit leicht killenden Bram- und Marssegeln, ihre Gro?segel zum Gefecht aufgegeit, mit dieser goldschimmernden, starr blickenden Galionsfigur, die den Dreizack hob, als ob sie das Schiff geradewegs auf sein Opfer lenken wolle.
Uber den Streifen Wasser horte Bolitho plotzlich das Schmettern einer Trompete. Noch eine Meile trennte die Fregatte von dem Zweidecker, doch selbst wenn sie ihr Ankerkabel kappte, brauchte es Zeit, um die Besatzung auf Gefechtsstationen zu treiben und genug Segel zu setzen, um zu entkommen. Oben horte Bolitho die Marssegel sich mit einem gedampften Donnern fullen, als sein Schiff aus dem Windschutz der Landzunge glitt. Die Fregatte hatte keine Zeit mehr.
Er packte die Reling und rief:»Alles herhoren!«Die Leute an Geschutzen und Brassen rissen die Blicke von der Fregatte los und starrten wie ein Mann nach achtern.»Das da druben ist ein franzosisches Schiff, und ich beabsichtige, es anzugreifen. «Einer rief Hurra, verstummte aber unter dem strengen Blick des Kommandanten.»Wenn wir es als Prise nehmen konnen, schon. Aber wenn nicht, dann werden wir es vernichten. «Er lie? seine Worte wirken und fugte hinzu:»Doch lassen Sie sich durch ihren Anblick nicht tauschen. Sie kann sich als tapferer Gegner erweisen, und ich habe schon ebensoviele aus Selbstuberschatzung fallen sehen wie durch die Treffsicherheit des Feindes. «Dann lachelte er trotz des eisenharten Drucks in seiner Magengegend.»Tut euer Bestes, Jungs. Fur das Schiff und fur England.»
Er wendete sich wieder den Netzen zu, als Hurrarufe erklangen, die von den Mannern im unteren Deck aufgenommen wurden, bis aus dem ganzen Schiff erregtes Schreien und Jubeln aufstieg.
Bolitho sagte ruhig:»Lassen Sie die Leute larmen, Mr. Inch. Vielleicht geht es den Froschfressern auf die Nerven.»
Naher und naher kamen sie, und die ganze Zeit uber beobachtete Bolitho das Durcheinander an Bord der jah aufgeschreckten Fregatte. Zuerst erschien das flatternde Kluversegel und dann das Vormarssegel, ehe ein Ausguck herunterrief:»Sie hi?t die Flagge!»
Bolitho sah die Trikolore sich an der Gaffel entfalten. Diesmal also die rechtma?ige Flagge. Jedenfalls war jetzt offenkundig, da? sie sich nicht kampflos ergeben wurden.
«Geschutze ausrennen, Mr. Inch!»
Eine Pfeife schrillte, und als sich die Geschutzpforten offneten, schossen die Rohre um die Wette aus der Bordwand, bis die
dem franzosischen Schiff wie eine Doppelreihe schwarzer Zahne ihre volle Breitseite zeigte.
Stepkyne stand mit gezogenem Degen am Fu? des Fockmasts, den Blick zum Achterdeck gerichtet.
Noch weiter vorn wartete Leutnant Hicks von den Marinesoldaten neben den beiden gedrungenen Karronaden, wahrend das Gros der Rotrocke ihr sauberes Karree auf dem Achterdeck aufgelost hatten und uber Hutte und Achterdeck ausgeschwarmt waren, um die langen Musketen schu?bereit auf das naherkommende Schiff zu richten.
«Hart Backbord!«Bolitho hob die Hand, als ob er das Schiff steuern wolle.»Ruhig, Jungs!«Er beobachtete, wie der Kluverbaum auf den Fockmast der Fregatte zuschwang, bis es schien, als sei das andere Schiff bereits auf einem riesigen Sto?zahn aufgespie?t.
«Ruhig!«Das Herz pochte ihm gegen die Rippen, und er spurte die salzige Trockenheit seiner Lippen.»Aufgepa?t, Mr. Gossett.»
Der feindliche Kommandant hatte wahrscheinlich abdrehen und das Weite suchen wollen. Denn es war ihm kaum moglich, der starken Artillerie der
unversehrt zu entkommen, aber wenn er offenes Wasser erreichte, konnte er ihr innerhalb von Minuten davonsegeln.
Bolitho wu?te, da? die wahren Feinde jedes Kommandanten die» Wenn «und» Aber «waren.
Warum hatte der Ausguck die
nicht fruher gesichtet? Oder
Es blieb keine Zeit mehr zur Flucht. Sein ungeschutztes Heck diesen Vierundzwanzigpfundern zu prasentieren, hatte das Ende bedeutet, ohne auch nur einen Schu? zu erwidern.
Fast verzagt schwangen die Rahen der Fregatte herum, ihre Backbordbatterie wurde bereits ausgerannt, als sie sich bereit machte, die Herausforderung anzunehmen.
Bolitho rief:»Jetzt!»
Gossett bellte:»Ruder nach Lee!»
Als das Doppelrad herumwirbelte, schwenkten auch die Rahen schon knarrend herum, und wahrend Bolitho nach der Reling griff, sah er, da? der Bugspriet sich weiter und weiter drehte und das alte Schiff unter der Wirkung von Ruder und Wind jetzt beinahe auf gleicher Hohe mit dem Feind lief.
«Klar zum Feuern!»
Er sah, wie Stepkyne zum vordersten Zwolfpfunder lief, sich neben den Geschutzfuhrer kauerte und durch die offene Stuckpforte spahte, wahrend das Schiff sich schwerfallig herumwalzte und die franzosische Fregatte vor den Mundungen vorbeizog.
«Feuer!«Bolitho durchschnitt die Luft mit seinem Sabel. Auf der ganzen Lange des Hauptdecks ri? Geschutzfuhrer nach Geschutzfuhrer die Abzugsleine zuruck, die See verschwand hinter einer dichten Wand aus wallendem, braunem Rauch, und die Luft wurde von Detonationen zerrissen.
Bolitho schrie:»Noch mal, Jungs!«Er wischte sich die tranenden Augen und spurte das Deck beben, als die ersten Geschutze ausgewischt, neu geladen und wieder ausgerannt wurden.
«Feuer!«Das Krac hen der Abschusse erschutterte den Rumpf wie ein Erdbeben, und als die Neunpfunder des Achterdecks beim Rucksto? von ihren Taljen aufgefangen wurden, sah Bolitho den Fockmast der Fregatte zittern und dann wie trunken durch den Pulverqualm taumeln.
Er schrie:»Neu laden, verdammt noch mal!«Denn einige Kanoniere hatten ihre Posten verlassen, tanzten herum und jubelten uber die Wirkung ihres Bombardements.
«Hart Backbord!«Er sah Rauch aufsteigen, von langen, gelben Zungen durchsto?en, als die Franzosen jetzt zum ersten Mal zuruckfeuerten.
Die Wirkung der Geschosse war relativ kummerlich, aber Bolitho spurte, wie sie in den Rumpf einschlugen, und schrie:»Dicht ran, Mr. Gossett!»
Die Kanoniere des Oberdecks hatten ihr Jubeln eingestellt; als Stepkyne seinen Degen senkte, feuerten ihre Geschutze wieder. Es mu?te viele uberraschen, da? eine bescheidene Fregatte einen derartigen Beschu? uberstehen und auch noch zuruckschlagen konnte.
Eine Kugel schlug in die Steuerbordgangway ein, und ein Mann schrie gellend auf. Wie ein Pfeil war ihm ein langer Holzsplitter in den Rucken gedrungen. Kameraden sprangen hinzu und wollten ihn zur Luke und nach unten schaffen, aber Bolitho schrie sie an:»Zuruck an eure Platze!«Ein weiteres Gescho? fuhr durch eine Geschutzpforte und traf die zogernden Matrosen wie eine riesige Axt. Vor einem Augenblick waren sie noch eine Gruppe benommener, ratloser Manner gewesen, jetzt zuckten sie in einem wirren Durcheinander von Gliedma?en und blutbedeckten Leibern.
Bolitho ri? den Blick davon los und stellte fest, da? auch die Gro?marsstenge der Fregatte verschwunden war; als ein Windsto? den Qualm vertrieb, sah er, was seine Breitseiten angerichtet hatten. Die Segel waren zerfetzt, und der tiefliegende Rumpf war fast bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen. Hier und dort feuerte noch eine Kanone, doch als die untere Batterie der
uber den schmalen Streifen Wasser hinweg noch einmal aufbrullte, sah er Blut aus den Speigatten der Fregatte rinnen. Eiskalt beobachtete er, wie Getroffene von den zersplitterten Masten und Rahen sturzten und zwischen den treibenden Wrackteilen versanken.
Gro?e Stucke des Schanzkleids und der Gangways des franzosischen Schiffs wurden in die Luft geschleudert; selbst ohne Glas konnte Bolitho zerfetzte Leichen auf dem verwusteten Deck liegen sehen.
Scharf befahl er:»Feuer einstellen!«Als sich Stille uber die gra?liche Szene senkte, packte Bolitho beim Anblick der Fregatte verspatetes Entsetzen. Er hob die Hande als Trichter an den Mund und schrie hinuber:»Flagge streichen! Ergeben Sie sich!»
Vielleicht konnte die Fregatte noch repariert und als Ersatz fur die
Unter seinen Fu?en spurte er das Deck vibrieren, als die Geschutze nach dem Laden wieder ausgerannt und auf eine Distanz von kaum siebzig Metern wieder gegen den Feind gerichtet wurden.
Auf der Fregatte scho? kein Geschutz mehr, aber plotzlich knatterten Musketen auf ihrer Hutte los, und der Marinesoldat neben Bolitho schlug die Hande vors Gesicht und brullte wie ein Tier, wahrend ihm Blut zwischen den Fingern hervorstromte. Er schrie immer noch, als er gepackt und zum Arzt ins Orlopdeck geschleppt wurde. Gossett nahm seinen Hut ab und starrte den Blutfleck an, der darauf wie ein Kokarde leuchtete.»Dieser Froschfresser glaubt wohl immer noch, da? er uns entkommen kann, Sir.»
Bolitho sah uber die Rucken der kauernden Kanoniere hinweg nach vorn. Es stimmte. Die
war der Fregatte in einem weiten Bogen gefolgt und lief jetzt geradewegs auf die gegenuberliegende Landzunge zu. Sie mu?ten bald wenden, und das mochte dem franzosischen Schiff das Entkommen ermoglichen.
Immer noch flatterte die Trikolore an ihrer Gaffel; das Musketenfeuer war eine klare Absage auf sein Angebot, den ungleichen Kampf zu beenden.
Doch er konnte den Befehl zum Feuern nicht geben. Auch ohne da? er sich uber das Schanzkleid beugte, sah er die Doppelreihe der Geschutzrohre vor sich, die wachsamen Augen und die drohende Mundung in jeder Stuckpforte. Dagegen war jede Kanone der Fregatte, die zum Einsatz gekommen war, entweder umgesturzt oder zerschmettert, und ihr Rumpf lag bereits so tief, da? sie sich nicht mehr lange halten konnte, wenn sie keine Hilfe bekam. Er durfte sie nicht entkommen lassen, aber er durfte auch nicht das Leben seiner Leute beim Versuch, sie zu entern, aufs Spiel setzen. Der franzosische Kommandant mu?te ein Fanatiker sein. Kaum konnte Bolitho ein Lacheln unterdrucken, und der halbnackte Seemann an seiner Seite schuttelte verwundert den bezopften Kopf. Aber Bo-litho lachelte aus Mitgefuhl und Trauer. Er dachte daran, wie er selbst als junger Fregattenkapitan gegen ein Linienschiff gekampft hatte. Die Umstande hatten an diesem Tag zu seinen Gunsten entschieden, aber vielleicht hatte er auch nur Gluck gehabt.
Fu?e klatschten laut aufs Deck, und einen Augenblick furchtete Bolitho, ein Verwundeter ware von einer Rahe gesturzt. Es war aber Gascoigne. Bolitho hatte den jungen Midshipman bis zu diesem Augenblick vollig vergessen.
«Nun, junger Mann, warum verlassen Sie Ihren Posten auf dem Mast?«Das war eine dumme Frage, aber sie gab ihm ein paar Sekunden Zeit, zu uberlegen und zu entscheiden, was er tun sollte.
Gascoigne rieb sich die brennenden Hande.»Niemand hat mich gehort, Sir. «Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf die Flu?mundung. Hinter den Schwemmsandbanken und den letzten Nebelschwaden sah Bolitho die dunklen Umrisse des Landes und das fruher viel benutzte Fahrwasser nach Bordeaux.