Bolitho zuckte zusammen: ein Kanonenschu? krachte, aus der Bordwand der Brigantine scho? eine lange, gelbrote Flamme wie eine giftige Zunge. Die Kugel zischte uber das Heck des Bootes hinweg und grub sich in den Sand.
«Ruhe!«rief Bolitho.»Und Schlag halten!«Denn unsauberes Rudern hatte zuviel Gischt aufgeworfen, dann mu?te das Boot ein besseres Ziel bieten.
«Einer ist eben gestorben«, flusterte Keen heiser.»Hodges,
Sir.»
«Werft ihn ins Wasser! Aber die Trimmung ausgleichen, das Boot mu? ruhig liegen!«Armer Hodges, er wurde nie mehr uber die Marschen von Norfolk streifen, nie wieder den Anhauch der Nordsee auf seinem Gesicht spuren oder einem Flug Enten nachschauen. Argerlich schuttelte sich Bolitho — was war mit ihm los? Der Leichnam glitt uber den Bootsrand, und der Ruderer, der dazu Platz gemacht hatte, rutschte wieder an die Ducht.
«Sie haben das Feuer eingestellt«, bemerkte Soames.»Lecken sich wahrscheinlich ihre Wunden, genau wie wir.»
Wieder fuhlte Bolitho Bitterkeit in sich aufsteigen. Der Sklavenfanger hatte eine Anzahl Manner verloren, gewi?. Aber er hatte immer noch genugend Neger an Bord, so da? sich seine Reise auch ohne die an der Lagerstelle lohnte. Wahrend er, Bolitho… Er versuchte, nicht an ihren Mi?erfolg zu denken. Seine Manner waren vermutlich deswegen zuruckgewichen, weil sie das Vertrauen zu ihm verloren hatten. Und wer die
Fowlar sagte:»Mr. Mudge hat es mir erklart, Sir. Morgen mu? die
«Ja. «Bolitho sah ein paar uberhangende Baume sich wie eine halbzerstorte Brucke ubers Wasser recken.»Wir machen hier fest. Lassen Sie die Manner rasten und verteilen Sie, was noch an Wasser und Verpflegung vorhanden ist.»
Niemand antwortete. Manche schienen im Sitzen zu schlafen und blieben unbeweglich hocken, wie Bundel alter Lumpen.
Bolitho versuchte, nicht an die Brigantine zu denken. Hatte er sie nicht angegriffen, so wu?te ihr Kapitan gar nicht, da? die
Undine
Undine
Nervion
«Steuern Sie sie an, Allday!«befahl Bolitho. Er schob seine Gedanken mit fast physischer Anstrengung beiseite.»Drei
Wachen zu je zwei Stunden. «Er setzte nochmals an.»Posten aufstellen und scharf aufpassen!»
Ein Mann sprang uber das Dollbord und watete durch das flache Wasser, den Festmacher wie ein Zuggeschirr uber der muden Schulter. Das Boot stie? auf harten Sand. Durch die Stromung und die plotzlich Gewichtsverlagerung beim Hinausklettern der Manner neigte es sich wie trunken zur Seite.
Bolitho horte Soames die erste Wache einteilen. Ob der wohl Bedenken gehabt hatte, wenn er das Enterkommando befehligt hatte? Vermutlich nicht. Soames hatte getan, was er fur richtig hielt, ungeachtet der hilflosen Sklaven, und hatte die Brigantine versenkt oder Feuer an das Pulvermagazin gelegt. Bei diesem Klima ware die Brigantine innerhalb weniger Minuten ausgebrannt, die Sklavenfanger waren hilflos gewesen und hatten spater leicht uberwaltigt werden konnen. Dagegen hatte er, Bolitho, uberhaupt nichts erreicht und obendrein fast ein Drittel seiner Mannschaft verloren, weil er die Sklaven nicht hatte opfern wollen.
Allday kam mit einer Wasserflasche.»Hab das Boot gesichert, Captain. «Er gahnte gewaltig.»Ich hoffe blo?, wir mussen nicht zu weit landeinwarts. «Und nach einer kleinen Pause:»Lassen Sie sich nicht unterkriegen, es ist eben nicht zu andern. Wir haben doch schon viel Schlimmeres gesehen und erlebt. Ich wei?, manche unserer Leute sind weggelaufen, statt zu kampfen, als sie am notigsten gebraucht wurden. Aber es sind eben andere Zeiten — viele denken das jedenfalls.»
Bolitho sah ihn stumpf an, konnte aber seine Gesichtszuge nicht erkennen.»Wie meinen Sie das?»
Allday hob die Schultern.»Sie sehen nicht ein, da? sie sich wegen ein paar Sklaven totschlagen lassen sollen — oder wegen eines Schiffes, von dem sie nichts wissen. An Bord der alten
war das anders, verstehen Sie? Da hatten sie eine Flagge, der man folgen konnte, einen Feind, den man sah.»
Bolitho lehnte sich gegen einen Baum, schlo? die Augen und lauschte, wie der Dschungel zur Nacht lebendig wurde, quiekend, brullend, grunzend, raschelnd.»Sie meinen, es war ihnen egal?«fragte er.
Allday grinste.»Wenn wir einen richtigen Krieg hatten, so einen wie den letzten, dann wurden wir verdammt schnell ganze Kerls aus ihnen machen.»
«Das hei?t also, wenn sie nicht personlich bedroht sind, fallt es ihnen gar nicht ein, fur diese Unglucklichen zu kampfen?»
Bolitho offnete die Augen wieder und studierte die Sterne.»Ich furchte, bevor die Reise zu Ende ist, werden einige von ihnen anders daruber denken.»
Aber Allday war schon eingeschlafen. Das Entermesser lag uber seiner Brust wie die Grabbeigabe eines Ritters.
Leise erhob sich Bolitho und ging zum Boot, um nachzusehen, wie der Verwundete versorgt war. Der Widerschein der Sterne glitzerte auf dem tragen Wasser. Zu seinem eigenen Erstaunen war er schon nicht mehr ganz so verzweifelt.
Er blickte zum Waldrand zuruck, aber Allday war in der Dunkelheit nicht mehr zu erkennen. Es war ihm mit Allday schon oft so ergangen: Der Mann schien, absichtlich oder zufallig, in seiner offenen, einfachen Art jedesmal den springenden Punkt zu treffen. Nicht da? er irgendeine Patentlosung anbot, aber man gewann Abstand, und die Dinge ruckten in ihre richtige Perspektive.
Der Verwundete lag in tiefem Schlaf. Kalkwei? hob sich sein Verband von den schwarzen Bootsplanken ab. Keen fuhr hoch, als Bolitho hinzutrat.»Entschuldigung, Sir. Ich habe Sie nicht kommen sehen.»
«Bleiben Sie ruhig liegen, Mr. Keen«, erwiderte Bolitho.»Wir haben es ja jetzt gemutlich fur die Nacht.»
Als Bolitho gegangen war, trat Fowlar, der sich in der See Gesicht und Hande gewaschen hatte, zum Boot und sagte bewundernd:»Das ist 'n Mann, was? Der jammert und jault nicht, wenn's mal schiefgeht.»
Keen nickte.»Ich wei?. Eines Tages werde ich hoffentlich so wie er.»
Fowlar lachte laut auf, und vom Wald her antworteten die Schreie aufgestorter Vogel.»Ach du lieber Gott, Mr. Keen, da wurde er sich aber geschmeichelt fuhlen, wenn er das wu?te!»
Keen wandte sich wieder dem Verwundeten zu. Leise, aber heftig murmelte er:»Trotzdem ist es so — basta!»
Im bleichen Glanz des Morgens flossen Himmel und Meer zu milchigem Dunst zusammen. Schwerfallig schob sich das uberladene Langboot aus den Baumen und kleinen Stranden heraus, die den Meeresarm zu beiden Seiten saumten. Bolitho hielt scharf Ausschau nach irgendwelchen Zeichen von Leben, die auf einen Hinterhalt deuteten. Hoch oben segelten ein paar Vogel, und weit drau?en, vor den letzten, winzigen Landfetzen, sah er die offene See, seltsam farblos im Morgenlicht. Dann musterte er die Manner im Boot. Die kurze Ruhepause schien ihnen wenig genutzt zu haben. Mude und verangstigt sahen sie aus, ihre Kleidung starrte vor Schmutz und getrocknetem Blut, die Gesichter waren hohl und stoppelig. Man konnte sich kaum vorstellen, da? sie zu einem Schiff des Konigs gehorten.
Soames stand aufrecht neben Allday und spahte voraus, uberwachte die Manner, die das eingesickerte Wasser ausschopften, und sah zwischendurch nach dem verwundeten Matrosen — seine Augen waren uberall. Ganz vorn auf dem Steven hockte Keen, die nackten Fu?e im Wasser, zusammengesunken wie unter einer schweren Last, und beobachtete das nachstliegende Ufer.
Die erste Dunung rollte in die Bucht; das Boot hob und senkte sich in den Wellen. Ein paar Leute stohnten erschrocken auf, aber die meisten starrten stumpf vor sich hin; ihnen war langst alles gleich.»Wenn wir im offenen Wasser sind«, sagte Bolitho,»drehen wir nach Backbord ab. So treffen wir am schnellsten auf die Boote der
«Die ist hin, Sir«, bemerkte Soames gelassen. Bolitho nickte und erinnerte sich daran, wie seine Mutter sie ihm geschenkt hatte. Er war gerade Leutnant geworden. Die Uhr hatte ihm sehr viel bedeutet, nicht zuletzt deswegen, weil sie ihn an seine Mutter erinnerte, an ihre Sanftheit und die Seelenstarke, mit der sie es getragen hatte, Mann und Sohne an die See zu verlieren.
Ein paar Stimmen protestierten laut, weil das Boot stark krangte, und Bolitho sah, da? Keen von seinem exponierten Platz ins Bootsinnere zuruckkletterte.»Da, Sir! Steuerbord voraus!«schrie er, das Gesicht vor Schreck verzerrt.
Bolitho stand auf, stutzte sich mit einer Hand auf Alldays Schulter und starrte auf die beiden langen, flachen Gebilde, die eben die au?erste Spitze des Landes rundeten: Boote. Unter perfektem Gleichschlag der langen Paddel glitten sie ziemlich schnell dahin, genau auf den Eingang der Bucht zu.
«Kriegskanus«, sagte Fowlar heiser.»Ich kenne sie von fruher. Die kommen noch naher ran, wenn ich mich nicht irre. «Er zog seine Pistole aus dem Gurtel und suchte nach dem Pulverhorn.
Mit zusammengekniffenen Augen spahte Soames nach den beiden Kanus aus. Sein Gesicht war maskenstarr.»Gott verdamm' mich, in jedem sind mindestens drei?ig Mann!»
«Die tun uns nichts, das ware nicht fair! Wir sind doch keine Sklavenjager!«schrie ein Matrose angstvoll auf.
«Still, der Mann da!«Fowlar spannte die Pistole und legte den Lauf auf den Unterarm.»Fur die sind alle Wei?en gleich, also halt die Schnauze!»
«Tempo zulegen!«befahl Bolitho.»Vielleicht kommen wir vorbei.»
«Wenn Sie meinen, Captain?«sagte Allday und gab den Ruderern einen schnelleren Rhythmus an.
«Achteraus, Sir!«rief ein anderer Matrose.»Ich sehe die Marssegel der Brigantine. «Vorsichtig, um die Ruderer nicht aus dem Takt zu bringen, drehte Bolitho sich um. Der Mann hatte sich nicht geirrt. Weit hinter ihnen glitt ein schlaffes Segel im Schneckentempo uber einer Reihe niedriger Baumwipfel dahin. Das Sklavenschiff mu?te schon vor Sonnenaufgang Anker gelichtet haben. Das leblose Tuch verriet Bolitho, da? die Brigantine von Booten geschleppt wurde. Aber war sie erst einmal in offenem Wasser, wurde sie auch bald entkommen sein. Und dort kamen die Kanus naher. Zum Unterschied von den Sklavenjagern sa?en er und seine Manner hier fest und wurden sterben — wenn sie Gluck hatten.
«Was konnen wir schon tun, Sir?«fragte Soames.»Diese Kanus sind schneller als wir, und zum Nahkampf lassen sie uns gar nicht erst dicht genug heran. «Nervos spielte er mit seinem Sabelgriff; zum erstenmal verriet er Angst.
«Stellen Sie fest, was wir an Waffen, Pulver und Munition haben«, erwiderte Bolitho.
Viel konnte nicht mehr ubrig sein nach der planlosen Schie?erei an Land, zumal sein eigenes Enterkommando ja auch die Waffen an Bord der Brigantine gelassen hatte.
Fowlar meldete:»Reicht kaum fur einen Schu? pro Mann,
Sir.»
«Na schon. Die zwei besten Schutzen nach achtern! Und geben Sie ihnen alles Pulver, das wir haben. «Etwas leiser sagte er zu Soames:»Vielleicht konnen wir sie in Schach halten, bis unsere Boote eintreffen.»
Die Kanus hatten gestoppt; unter dem Ruckwartsdruck der glitzernden Paddel lauerten sie wie zwei Hechte bewegungslos im Wasser. Bolitho hatte sein Fernrohr gebraucht — aber das lag irgendwo im Dschungel. Dennoch konnte er die Eingeborenen recht deutlich erkennen: die tief schwarzen Leiber waren uber die Paddel gebeugt, um auf Befehl sofort loszurudern. Im Heck sa? jeweils ein gro?er Mann mit buntem Kopfschmuck, den Korper von einem ovalen Schild gedeckt. Bolitho dachte an die Sklaven in der Lichtung, an das Madchen, das an Deck der Brigantine erschlagen worden war. Von diesen Negern, die stumm das Boot beobachteten, konnte kein Wei?er Gnade erwarten. Nur Blut wurde sie befriedigen.
Die Wei?en ruderten immer naher, bis nur noch eine halbe Kabellange sie von den Eingeborenen trennte. Bolitho blickte sich nach den beiden Scharfschutzen in der Achterplicht um. Fowlar war der eine, der andere ein Matrose mit zernarbtem Gesicht. Das Haufchen Pulver und Kugeln wirkte zwischen den beiden Mannern noch winziger als vorher.
«Abfallen nach Steuerbord, Allday!«Bolitho war selbst uberrascht, wie ruhig seine Stimme klang.»Sie mussen jetzt bald reagieren.»
Als sich das Langboot schwerfallig zur Mitte der Einmundung wandte, kam Leben in die beiden Kanus; schwungvoll fuhren die Paddel ins Wasser, plotzlich vibrierte die Luft von Trommelschlag, und im vordersten Kanu stie? der Anfuhrer einen schrillen Kriegsruf aus.
Bolitho fuhlte, wie auch ihr Boot unter ihm vorwarts scho?, sah den Schwei? auf den Gesichtern seiner Rudergasten und die Angst, mit der sie den herangleitenden Kanus entgegenblickten.
«Achtung!«brullte er,»Schlag halten! Augen binnenbords!»
Etwas schlug spritzend langsseits auf — ein schwerer Stein zweifellos; und jetzt prasselte eine ganze Salve wie Hagel auf Schultern und Rucken der zusammenzuckenden Matrosen. Einige wurden am Kopf getroffen und sanken bewu?tlos zusammen. Die Ruderer kamen aus dem Takt; ein Riemen fiel ins Wasser und trieb ab.
«Feuer!«befahl Bolitho.
Fowlar druckte ab und fluchte, weil er vorbeigeschossen hatte. Dann knallte die andere Muskete. Druben schrie ein Neger auf und sturzte ins Wasser.
«Lenzen!«brullte Soames. Er feuerte und grunzte befriedigt, als wieder ein Schwarzer ins Wasser sturzte.
Die Kanus trennten sich jetzt. Jedes schlug einen weiten Bogen, so da? sie etwas achterlicher zu beiden Seiten des Langbootes aufkamen, das damit vollig von den Ufern der Bucht abgeschnitten war. Vor ihnen lag die offene See, leer und lockend wie zum Hohn.
Wieder scho? Fowlar, und diesmal hatte er mehr Gluck: er traf den Mann mit dem Kopfschmuck, der offensichtlich den Takt angab.
Die Matrosen pullten so angestrengt oder spahten angstvoll nach vorn, da? kaum einer die eigentliche Gefahr bemerkte, bis es fast zu spat war.