«Dort vorn, Mr. Fowlar!«brullte Bolitho.»Feuern Sie so schnell wie moglich!«Denn mindestens ein Dutzend Kanus rundeten die grune, hugelige Landzunge, facherformig ausschwarmend und voll johlender, brullender Neger. Nach dem ersten Schu? zogerten sie, aber nur kurz. Dann schossen sie weiter durch die Dunung heran, durch die ihre Steven wie Messer schnitten.
Kopflos rissen die Matrosen an den Riemen, einige wimmernd vor Angst, andere wollten aufspringen; nur ein paar griffen nach den ins Boot gefallenen Steinen, um sich zu verteidigen.
«Das ist die letzte Kugel, Sir!«brullte Fowlar. Ein schwerer Stein, offenbar von einer Schleuder aus einem der beiden Kanus achtern, prallte vom Dollbord ab und ri? ihm den Handrucken auf. Er fluchte lasterlich.
Das vorderste Kanu der Flottille war inzwischen unter ohrenbetaubendem Getrommel und Kriegsgeschrei ganz nahe herangekommen.
Bolitho zog den Degen und blickte seine angstgelahmten Matrosen an.»Los, Jungs! Nahkampf!»
Aber daraus wurde nichts. Wieder ging ein Steinhagel auf das Boot nieder; ein Mann wurde so schwer getroffen, da? er uber Bord sturzte. Der letzte Scharfschutze feuerte und traf zwei Wilde mit einer Kugel. Das Kanu fiel ab; der ins Wasser gesturzte Matrose trieb dicht daran vorbei und wurde an Bord gezerrt. Sie stellten ihn auf die Fu?e, mit dem Gesicht zum Langboot, hielten ihm die Arme fest. Er schrie mit weit offenem Mund, aber die Schreie gingen im wilden Gebrull seiner Bezwinger unter. Plotzlich, Bolitho wurde es fast schlecht bei dem Anblick, hob der Anfuhrer ein Messer hoch uber seinen Kopf; die Augen des Gefangenen folgten der blitzenden Klinge wie hypnotisiert, der schreiend aufgerissene Mund war ein schwarzes Loch in dem kalkwei?en Gesicht. Sehr langsam senkte sich das Messer, dann spritzte leuchtendrotes Blut. Schrecken und Abscheu drehten den zuschauenden Matrosen fast den Magen um.
«Jesus Christus!«sagte Allday gepre?t.»Sie ziehen ihm bei lebendigem Leibe die Haut ab!»
Bolitho packte den Scharfschutzen bei der Schulter; der zuckte zusammen, als sturbe er mit dem Mann im Kanu.
«Tu dein Bestes!«Bolitho hatte Muhe, die Worte herauszubringen. Der Mann druben lebte immer noch, wand sich wie eine arme Seele in Hollenqualen, wahrend das Messer sein Werk verrichtete.
Ein Knall, und der Musketenkolbe n schlug im Rucksto? gegen die Schulter des Schutzen. Bolitho wandte sich ab.
Gedampft sagte Soames:»Das war die einzige Moglichkeit, Sir. Ich wurde keinen Hund so leiden lassen.»
«Die Brigantine nimmt Fahrt auf, Sir!«rief Fowlar. Ohne da? jemand darauf geachtet hatte, war das Sklavenschiff ins freie Wasser gelangt. Sie hatten die schleppenden Boote eingeholt, die Vorsegel gesetzt, und segelten sich nun frei von Land.
Die Kanus bildeten zwei Sto?keile; unter wildem Trommelwirbel setzten die Schwarzen zum letzten Angriff an. Bolitho hob seinen Degen zum dunstigen Himmel.
«Pullt, Leute! Wir kampfen bis zum Letzten!«Leere Worte — aber es war immer noch besser zu kampfen, als sich schweigend und ohne einen Finger zu ruhren, uberwaltigen, martern und abschlachten zu lassen.
«Da sind sie«, flusterte Allday. Er klemmte die Ruderpinne zwischen die Knie und zog das Entermesser.»Bleiben Sie dicht bei mir, Captain! Wir werden's den Hunden schon zeigen!»
Bolitho blickte ihn an. Die Schwarzen waren ihnen an Zahl zehnfach uberlegen, und der Kampfeswille seiner ubermudeten Leute war schon jetzt gebrochen.»Das werden wir, Allday. «Er legte ihm die Hand auf den muskulosen Unterarm.»Und — danke!»
Ein ohrenbetaubender Aufschrei ri? ihn herum, so da? das Boot gefahrlich schwankte. Da erblickte er geschwellte Gro?-und Vorsegel, eine Gallionsfigur, die wie pures Gold im milchigen Sonnenglast schimmerte — die
«Hinsetzen! Sonst kentern wir!«brullte Soames. Und Fowlar rief:»Sie geht uber Stag, Sir! Um Gottes willen, sie halt auf die Untiefe zu!»
Bolitho verschlug es den Atem, als die elegante Silhouette der
«Hurra, Jungs, hurra!«brullte Keen unter Freudentranen. Er schwenkte sein Hemd uberm Kopf, die immer noch drohende Gefahr schon vergessend.
Auch die Brigantine hatte inzwischen gewendet und segelte sich frei von dem dunklen Schatten, der unter der glitzernden Wasserflache lauerte, schuttelte die Reffs aus, um sich vom Wind nach Suden tragen zu lassen.
Unglaubig rief Fowlar:»Sie verfolgt das Sklavenschiff! Die mussen verruckt geworden sein!»
Bolitho sagte nichts. Er sah nur sein Schiff, und das reichte ihm. Er wu?te genau, was Herrick dachte; sein Plan war ihm so klar, als hatten sie ihn abgesprochen: Herrick konnte nicht alle Kanus gleichzeitig angreifen, um Bolitho und seine kleine Schar zu retten. Also wollte er die Brigantine stellen und so die Kriegskanus auf die einzige ihm mogliche Weise ablenken.
Noch wahrend sich Bolitho das klarmachte, eroffnete die
Jemand stie? ein heiseres Hurra aus, als der Vormast der Brigantine erzitterte und mit dem ganzen Gewirr der Takelage uber Bord kippte. Die Wirkung zeigte sich augenblicklich: in Sekundenschnelle kam sie aus dem Wind und bot in voller Breite ihren Rumpf einer zweiten Salve dar. Eine Zwolfpfunderkugel schlug neben dem Heck in die See und zerplatzte — so dicht lag das Riff unter der Wasseroberflache.
«Sie ist aufgelaufen!»
Alles rief und schrie druben wie verruckt durcheinander. Manner umarmten sich und schluchzten, weil sie ihr Gluck nicht zu fassen vermochten. Bolitho konnte den Blick nur mit Muhe von der Brigantine lassen, die auf einem Riff oder einer Sandbank querschlug, wahrend die chaotische Takelage sie noch weiter landeinwarts druckte.
Bolitho hielt den Atem an, als die
Allday rief:»Sie hat beigedreht, Captain. Ein Boot wird ausgesetzt!»
Bolitho nickte nur, sprechen konnte er nicht.
Wild paddelten die Kanus zu der hilflosen Brigantine hinuber; weitere Boote rundeten die Landspitze, hielten sich aber vorsichtig au?er Reichweite der ausgefahrenen Kanonen der
Das erbeutete Langboot sank bereits. Wurfsteine hatten seine Au?enhaut eingedruckt; Bolitho hatte sich keine halbe Stunde mehr halten konnen, ganz abgesehen von dem zweiten Kanugeschwader.
Als die Pinasse langsseits kam und hilfreiche Hande die keuchenden Manner an Bord zogen, drehte sich Bolitho noch einmal um und sah zu der schon mit starker Schlagseite liegenden Brigantine hinuber. Selbst auf diese Entfernung waren Musketenschusse zu horen und das abgehackte Kriegsgeschrei aus den Kanus, die sich zum Angriff formierten: die Sklavenfanger wurden ein furchtbares Ende nehmen.
Davy fa?te ihn beim Handgelenk und zog ihn in die Pinasse.
«Schon, Sie wiederzusehen, Sir. Und Sie auch naturlich, Mr. Soames«, setzte er verlegen grinsend hinzu.
Bolitho lie? sich nieder, jetzt konnte er das Zittern seiner Beine nicht mehr beherrschen. Er vermochte die Augen nicht von seinem Schiff zu wenden, das, je naher sie kamen, immer hoher aufwuchs und schlie?lich turmhoch uber ihnen stand. Er war sich klar daruber, was er fur die
Herrick stand an der Reling, um ihn zu begru?en. Seine Erleichterung, als er Bolithos beide Hande ergriff, schien ebensogro? wie die Angst, die er offenbar ausgestanden hatte.»Gott sei Dank, Sir, da? Sie in Sicherheit sind!»
Bolitho suchte Zeit zu gewinnen. Er musterte die killenden Segel, die neugierigen Seesoldaten, die Geschutzbedienungen, die ihre Reinigungsarbeiten kurz unterbrochen hatten, um grinsend zu ihm heruberzusehen. Herrick war ein furchtbares Risiko eingegangen. Der reine Irrsinn. Aber Mudge neben dem Kompa? nickte ihm so strahlend zu, da? er an diesem Plan mindestens den gleichen Anteil gehabt haben mu?te wie Herrick.
Doch Bolitho spurte auch etwas Neues an ihnen und versuchte, es zu definieren.
Herrick berichtete:»Wir horten die Schie?erei, Sir, und schlossen daraus, da? Sie in Schwierigkeiten waren. Aber statt Boote zu schicken, kamen wir sozusagen in voller Starke. «Er warf einen Blick auf die geschaftigen Manner an den Geschutzen und Brassen.»Sie hielten sich gut. Und freuten sich, dabeizusein.»
Bolitho nickte begreifend.
Wiegenden Schrittes kam Mudge herbei und blieb neben Herrick stehen.»Das war knapp, Mr. Herrick. Wenn Sie's nicht befohlen hatten — ich wei? nicht, ob ich mich durch die Riffe getraut hatte.»
Herrick blickte ihn an und dachte an Bolithos Au?erung vorhin; schlie?lich brauchte er seine Gedanken jetzt nicht mehr zu verbergen.
«Gewi?, Mr. Mudge. Aber es war das Risiko wert.»
Er schaute auf die dunstige Kustenlinie, wo eine dunne Rauchwolke hochstieg. Die Brigantine mu?te in Brand geraten sein. Noch lange wurde ihm das Bild des vollgeschlagenen Bootes vor Augen stehen, mit Bolitho aufrecht im Heck, den alten, angelaufenen Degen in der Faust. Laut ausdrucklichem Befehl hatte die Sicherheit des Schiffes zwar absoluten Vorrang haben sollen. Und wenn er nicht gegen diesen Befehl gehandelt hatte, ware er jetzt Kommandant gewesen. Aber Bolitho ware auch irgendwo dort drau?en und kampfte mit dem Tode.
«Alle Mann an die Brassen!«Mit seinem Sprachrohr trat er an die Reling.»Und dankt Gott fur unser Gluck!»
In der Kajute horte Bolitho Herricks Lachen und dann das Klappern und Knarren der Blocke, als die Matrosen auf Stationen eilten, um das Schiff wieder in Fahrt zu bringen.
«Einen Schluck Wein, Captain?«fragte Allday leise.»Oder vielleicht etwas Starkeres?»
Bolitho lehnte sich an den Fu? des Besan. Das Holz vibrierte, als hoch oben der Wind in die Segel fuhr.
«Wissen Sie, Allday, nach allem, was es uns gekostet hat, mochte ich am liebsten ein Glas frisches Wasser.»
VIII Madras
Unbeweglich stand Bolitho an der Achterdeckreling und studierte die ausgedehnte Landflache vor dem Bug der
«Wir haben es geschafft.»
Bolitho hob sein Teleskop ans Auge und beobachtete ein paar hochbordige Dhaus, die unter den Schwingen ihres riesigen Segels dahinglitten. Auch sie gehorten zu diesem fremdartigen Zauber.
«Einen Strich abfallen!«sagte Mudge, und dann schwieg auch er, wahrend das Rad sich knarrend drehte.
Vielleicht war er mit sich zufrieden, dachte Bolitho, und dazu hatte er auch allen Grund. Madras — allein dieser Name bezeichnete wie ein gro?er Meilenstein alles, was sie gemeinsam erreicht hatten. Drei Monate und zwei Tage waren seit dem Ankerlichten in Spithead vergangen. Damals hatte er in Mudges Gesicht grimmige Zweifel lesen konnen, als er sagte, sie wurden die Reise in hundert Tagen schaffen.
Leise meinte Herrick:»Ja, Sir, seit wir die Kuste Afrikas im Rucken haben, ist uns das Gluck treu geblieben. «Er grinste breit.
«Sie und Ihr Gluck!«Aber Bolitho mu?te ebenfalls lacheln. Was Herrick gesagt hatte, stimmte. Innerhalb weniger Tage, nachdem das Land mit seinen Toten und Sterbenden achteraus verschwunden war, hatte der Sudwest stetig aufgefrischt — es waren die Auslaufer des Monsuns, der sich jetzt als ihr Freund erwies. Tag um Tag zog die
Bolitho warf einen Blick auf die leicht killenden Bramsegel oben und die einsame Fock vorn. Sie reichten knapp, um sie in das weite Hafenbecken zu bringen, wo eine imponierende Anzahl Schiffe vor Anker lag. Das war also Madras, der wichtigste britische Au?enposten an der Sudostkuste des indischen Kontinents, die Schwelle zu erweitertem Handel und neuen Entdeckungen. Schon die Namen klangen wie eine Aufforderung zum Abenteuer: Siam und Malakka und weiter sudostlich Java und eine Unzahl unbekannter Inseln.
Schwerfallig kreuzte ein turmhohes Handelsschiff, das immer noch mehr Segel setzte, in eine bleiche Dunstbank uber dem Meer hinein. Mit seinen schwarzwei?en Stuckpforten und dem tadellosen Segeldrill hatte man es fur ein Kriegsschiff halten konnen. Aber es war ein Kauffahrer der East India Company, der Ostindischen Handelsgesellschaft, und noch vor drei Monaten hatte Bolitho seinen rechten Arm fur ein paar ihrer
Matrosen gegeben. Sie waren gut ausgebildet und diszipliniert, der durchschnittlichen Mannschaft eines Kriegsschiffes in vieler Hinsicht uberlegen. Denn die britische Handelsgesellschaft konnte sich hohere Heuer, bessere Quartiere und Verpflegung fur ihre Besatzungen leisten, wahrend die Kriegsflotte nehmen mu?te, was sie mit anderen Mitteln kriegen konnte. Und in Kriegszeiten lief das gewohnlich auf Pre?kommandos hinaus.
Bolitho hatte oft daruber nachgedacht, wie ungerecht das ganze System war. Eines Tages — hoffentlich wurde er es noch erleben — mochte sich das andern und die Marine die gleichen Gegenleistungen bieten konnen wie die Handelsschiffahrt.
Der gro?e Indienfahrer dippte die Flagge, und Bolitho horte, wie Keen seine Signalgasten anwies, den Gru? zu erwidern. Dann schaute er wieder auf seine eigene Mannschaft — zur Zeit hatte er kaum einen Mann auswechseln wollen, wenn nicht besondere Grunde vorlagen. Braungebrannt von der Sonne, gehartet von schwerer Arbeit und regelma?igem Geschutz- und Segeldrill, waren sie aus ganz anderem Holz als der buntgemischte Haufen damals in Spithead.