hatte sich dort den Revolutionaren angeschlossen und ein Kaperschiff gegen die Englander gefuhrt. An dieser Nachricht war sein Vater gestorben, ganz gleich, was der Doktor als Todesursache genannt hatte.
Bolitho fa?te sein Glas fester. Einen gro?en Teil seiner Prisengelder hatte es gekostet, das Land zuruckzukaufen, das sein Vater hatte verau?ern mussen, um Hughs Schulden zu bezahlen. Aber seine Ehre konnte er nicht zuruckkaufen. Gut, da? Hugh tot war. Hatten sie sich je getroffen — Richard Bolitho hatte seinen Bruder umbringen konnen fur das, was er getan hatte.
«Noch Wein?«Winslade schien selbst in Gedanken gewesen zu sein.»Sie segeln also zunachst nach Madras. Dort melden Sie sich bei… Nun, das lesen Sie noch in Ihrer Segelorder. Hat keinen Sinn, es jetzt schon bekanntzugeben. Konnte ja sein, Sie kriegen Ihr Schiff doch nicht voll bemannt, eh?»
«Ich schaffe es schon, Sir. Und wenn ich personlich nach Corn-wall fahren mu?.»
«Das wird hoffentlich nicht notig sein.»
Winslade wechselte das Thema.»Wahrend des amerikanischen Krieges haben Sie wahrscheinlich gemerkt, da? die Zusammenarbeit zwischen den militarischen und den zivilen Dienststellen sehr zu wunschen ubrig lie?. Die Truppen kampften, schlugen ihre Schlachten und vertrauten auf keine der beiden Instanzen. Dazu darf es nicht wieder kommen. Ihr neuer Auftrag mu?te eigentlich von einem ganzen Geschwader ausgefuhrt werden und unter der Flagge eines Admirals. Aber das wurde Aufsehen erregen, und gerade das will das Parlament angesichts der Unsicherheit dieses Friedens vermeiden. «Winslade schwieg einen Moment; dann fragte er unvermittelt:»Wo wohnen Sie in London?»
«In Southwark, im
Schiff.»
«Jawohl, Sir. «Er war sich nie im Zweifel daruber gewesen, wem er diesen Posten anbieten wurde, wenn er je wieder ein Schiff bekame.
«Na schon, Mr. Herrick also. Er kann die anfallenden Sachen erledigen. Ich brauche Sie fur die nachsten vier Tage in London. Mindestens!«bekraftigte er, als er den Protest in Bolithos Miene sah. Nachdenklich blickte der Admiral ihn sekundenlang an. Gewi?, Bolitho wollte so schnell wie moglich wieder auf sein Schiff und fuhlte sich in der fremden, verwirrenden Umgebung unsicher. Das und noch mehr stand ihm im Gesicht geschrieben. Als Bolitho vorhin ins Zimmer trat, war dem Admiral die Ahnlichkeit mit dem Vater aufgefallen: gro?, schlank, das schwarze Haar am Nackenansatz zusammengebunden. Jedoch die schwarze Locke uber dem rechten Auge erzahlte eine andere Geschichte. Einmal, als Bolitho sein Glas hob, war sie verrutscht, so da? darunter eine wei?liche Narbe sichtbar wurde, die sich bis in den Haaransatz hineinzog. Winslade war mit seiner Wahl sehr zufrieden. Bolithos ernste Zuge verrieten Intelligenz und auch Mitgefuhl, das sogar in sieben Kriegsjahren nicht geschwunden war. Winslade hatte sich seinen Mann aus hundert Kapitanen aussuchen konnen, aber er wollte einen haben, der ein Schiff und das Meer brauchte und nicht blo? die materielle Sicherheit, die eine solche Stellung mit sich brachte. Und er brauchte einen Mann, der nicht nur denken, sondern auch entsprechend handeln konnte, der sich nicht einfach auf die Feuerkraft seiner Breitseiten verlie?. Bolithos Personalakte bewies deutlich, da? ihm eine schriftliche Order nicht die eigene Initiative ersetzte. Mehrere Admirale hatten gemurrt, als Winslade ihn fur dieses Kommando vorschlug. Aber Winslade hatte seinen Kopf durchgesetzt, denn er hatte das Parlament hinter sich, und das war ebenfalls eine Seltenheit.
Mit einem Seufzer griff er nach der Tischglocke.»Gehen Sie jetzt, und leiten Sie Ihren Umzug in die Wege — ich gebe Ihnen gleich die Adresse. Im ubrigen habe ich viel zu tun, also amusieren Sie sich ruhig, so lange Sie konnen!»
Auf sein Lauten erschien ein Diener, brachte Bolithos Hut und Degen und legte ihm geschickt das Gehange um. Winslade sah aufmerksam zu.»Immer noch dieselbe alte Klinge, wie?»
Er fa?te den Degen an — eine in langem Dienst glattgewetzte Waffe und viel leichter als die modernen Degen.
«Aye, Sir«, lachelte Bolitho.»Mein Vater gab ihn mir, als… »
«Ich wei?. Denken Sie nicht mehr an die Geschichte mit Ihrem Bruder, Bolitho. «Er tippte nochmals an den Degengriff.»Ihre Familie hat in vielen Generationen so viel Ehre angesammelt, da? sie durch einen einzelnen nicht entehrt werden kann. «Er hielt ihm die Hand hin.»Seien Sie vorsichtig. Sicher zerrei?en sich schon manche Leute den Mund uber Ihren heutigen Besuch bei mir.»
Bolitho trat hinter dem Diener auf den Flur und dachte unruhig uber die verschiedenen Gesichtspunkte der Unterredung nach. Madras… Ein fremder Kontinent… Eine lange, schwierige Reise, aber offenbar nur der Anfang seiner Mission.
Jede Meile, die er segelte, wurde ihre Schwierigkeiten bringen, dachte er lachelnd. Und ihren Lohn. Er blieb einen Augenblick unter dem Torbogen stehen und starrte auf das Gewimmel der Menschen und Wagen. Bald wurde er wieder auf dem offenen Meer sein, nicht mehr in diesem Schmutz und Larm! Ein Schiff war ein lebendiges Wesen, etwas ganz anderes als diese langweiligen, pomposen Bauwerke.
Jemand beruhrte seinen Arm. Er fuhr herum und sah einen jungen Mann in schabiger Uniform, der ihn mit banger Erwartung anblickte.»Ja, bitte? Sie wunschen?»
«Mein Name ist Chatterton, Captain«, sagte der Mann gepre?t.»Ich war Zweiter Leutnant auf der
Warrior
«Wenn ich Ihnen aushelfen kann«, sagte Bolitho leise,»eine kleine Uberbruckung… «Er fa?te in die Tasche.»Danke, nein, Sir. «Der junge Mann zwang sich ein Lacheln ab.»Jedenfalls jetzt noch nicht. «Er stellte seinen Rockkragen hoch. Im Weggehen rief er noch:»Viel Gluck, Captain!»
Bolitho sah ihm nach, bis er um die Ecke war. So hatte es auch Herrick gehen konnen, dachte er. Und jedem von uns.
Der immer steifer werdende Sudost peitschte den Solent[2] zu einer einzigen Masse kabbeliger, schaumgekronter Wellen auf, und die
Trotz des schlechten Wetters herrschte lebhafter Betrieb an Deck, ebenso langsseits in den schwankenden Versorgungsbooten und Leichtern. Hier und da, auf den Decksgangen und im Bug des Schiffes, setzten die roten Uniformen der Wache stehenden Seesoldaten dem alles beherrschenden truben Grau ein paar farbige Lichter auf. Die Marineinfanteristen sollten dafur sorgen, da? die von den Booten und Leichtern ubernommenen Lebensmittel und Ausrustungsgegenstande nur in einer Richtung gingen und nicht durch eine offene Luke im Tausch gegen billigen Schnaps und andere Genusse wieder an Land gelangten.
Zufrieden grinste Herrick und stampfte mit seinen kalten Fu?en auf den nassen Deckplanken. In dem Monat seit seiner Anmusterung hatte es eine Menge Arbeit gegeben. Andere mochten uber das schlechte Wetter, die Unsicherheit der langen Reise, uber die Strapazen in See und Wind fluchen — er nicht. Im vergangenen Jahr hatte er erheblich mehr Plage und Muhe gehabt; und er war froh, wieder an Bord eines Kriegsschiffes zu sein. Schon mit knapp zwolf Jahren war er in die Marine eingetreten; und in diesen letzten langen Monaten nach der Unterzeichnung des Friedens mit Frankreich und der Anerkennung der Unabhangigkeit Amerikas hatte er zum erstenmal erfahren, was es hei?t, der einzigen Lebensform, die er verstand und mit der er vertraut war, nicht mehr anzugehoren.
Anders als viele seiner Kameraden mu?te Herrick von dem leben, was er verdiente. Er kam aus einer armen Familie; sein
Vater war Schreiber in Rochester, seiner Heimatstadt. Als er von der
abmusterte, sich von Bolitho verabschiedete und wieder nach Rochester kam, war es noch schlimmer gewesen, als er erwartet hatte. Die Gesundheit seines Vaters war ruiniert, er schien sich zu Tode zu husten. Herricks einzige Schwester war gelahmt und konnte ihrer Mutter kaum im Haus helfen; und somit sah die Familie seine Ruckkehr mit anderen Augen als er, der sich wie ein Ausgesto?ener vorkam. Uber den Prinzipal seines Vaters hatte er eine Heuer als Maat auf einer kleinen Brigg bekommen, die ihr Geld mit Stuckgutfracht langs der Ostkuste und gelegentlich auch einmal uber den Kanal nach Holland verdiente. Der Schiffseigner war ein Geizhals, der mit einer so kleinen Mannschaft fuhr, da? das Schiff kaum bedient werden konnte, vom Be- und Entladen und von Reparaturen ganz zu schweigen. Als er Bolithos Brief bekam, dem der Befehl der Admiralitat beilag, sich an Bord der
Er war ein kleiner Kerl und erst seit etwa drei Wochen an Bord; er bibberte vor Kalte.
«Danke, Mr. Penn. Hoffentlich mit ein paar neue Matrosen.»
Er sah den Jungen mi?billigend an.
«Bringen Sie Ihre Uniform in Ordnung. Der Captain kommt vielleicht heute zuruck. «Dann ging er wieder auf und ab. Funf Tage lang war Bolitho nun schon in London. Herrick freute sich auf die Neuigkeiten, die er mitbringen wurde, besonders auf die Segelorder, damit sie endlich aus dem scheu?lichen Solent herauskamen. Er beobachtete den Kutter, der sich schwer stampfend durch die wei?en Wellenkamme arbeitete. Trotz der Bemuhungen des Bootsfuhrers handhabten die Bootsgasten die Riemen ziemlich ungeschickt. Er konnte den Dreispitz des Dritten Leutnants John Soames in der Achterplicht erkennen — ob der wohl Gluck gehabt hatte und Rekruten mitbrachte?
Herrick hatte an Bord der
als Dritter angefangen und war zu Bolithos Stellvertreter aufgestiegen, nachdem der Erste und der Zweite Leutnant im Gefecht den Tod gefunden hatten. Die Frage ging ihm durch den Sinn, ob Soames sich schon uber seine eigene Beforderung in den kommenden Monaten Gedanken machte. Soames war ein Riesenkerl und stand im drei?igsten Lebensjahr, war drei Jahre alter als Herrick. Er war erst sehr spat Leutnant geworden, und zwar auf allerlei Umwegen uber den Dienst in der Handelsflotte und spater als Steuermannsmaat in der Kriegsmarine. Was er wu?te, hatte er sich selbst beigebracht: ein Mensch, der nicht kleinzukriegen war, aus dem man aber auch nicht klug wurde. Herrick traute ihm nicht recht.
Ganz anders war der Zweite, Villiers Davy. Wie schon der Name vermuten lie?, war er von Familie; Geld und stolze Haltung gaben seinem quecksilbrigen Witz den notigen Ruckhalt. Auch ihm traute Herrick nicht so ganz; aber er hielt sich immer wieder vor Augen, da? seine Abneigung auf Davys Ahnlichkeit mit einem arroganten Midshipman der
beruhen mochte.
Herrick drehte sich um, weil er Schritte hinter sich horte: ein machtiges Kassenbuch unter dem Mantel, kam Zahlmeister Triphook durch den stromenden Regen geschlurft.
«Ein schlimmer Tag, Mr. Herrick«, brummte er mi?mutig. Er deutete auf die Boote und fuhr fort:»Hol der Teufel diese Gauner. Die wurden noch einen Blinden bestehlen, das wurden sie.»
Herrick grinste.»Ihr Zahlmeister tut so was nicht, wie?«Triphook blickte ihn ernsthaft an. Er war sehr dunn, hielt sich krumm und hatte lange gelbe Pferdezahne.
«Ich hoffe, Sie haben das nicht ernst gemeint, Sir.»
Herrick beugte sich uber die triefenden Finknetze,[4] um einen Blick in den Kutter zu werfen, der eben langsseits festmachte. Du lieber Gott, was fur sauma?iges Rudern! Bolitho wurde etwas Besseres sehen wollen, und das bald.
«Regen Sie sich nicht auf, Mr. Triphook«, erwiderte er kurz.»Ich wollte Ihnen blo? einen Tip geben. An Bord meines vorigen Schiffes hatten wir einen Zahlmeister — Evans hie? er — , der verschob den Proviant. Lie? verdorbenes Fleisch liefern und steckte die Preisdifferenz ein — es ging damals ziemlich drunter und druber. Aber es kam rechtzeitig raus.»
Triphook sah ihn unsicher an.»Und?»
«Captain Bolitho lie? ihn auf eigene Kosten frisches Fleisch kaufen. Fa? fur Fa? — ein frisches Fa? fur jedes schlechte. «Er grinste wieder.»Also lassen Sie sich warnen, mein Freund!»
«Bei mir wird der Captain nichts zu beanstanden haben, Mr. Herrick. «Im Weggehen sagte er noch:
«Darauf konnen Sie sich verlassen!«Aber es klang nicht sehr uberzeugend.
Leutnant Soames kam aufs Achterdeck, fa?te an den Hut und meldete mit einem angewiderten Blick auf die nassen Planken:»Funf Mann, Sir. Ich war den ganzen Tag unterwegs und bin total heiser vom Vorlesen dieser Flugblatter.»
Herrick nickte mitfuhlend. Er hatte das oft genug selbst machen mussen. Funf Mann. Sie brauchten immer noch drei?ig. Und selbst dann hatten sie keine Reserve fur Todesfalle und Verwundungen, mit denen man schlie?lich bei jeder langen Reise rechnen mu?te.
Murrisch fragte Soames:»Was Neues?»
«Nein. Nur, da? wir nach Madras segeln. Aber ich denke, es geht bald los.»
«Je eher wir von Land weg sind, um so besser. Die Stra?en sind voller Besoffener, prima Seeleute, die wir gut gebrauchen konnten. «Zogernd fuhr er fort:»Wenn Sie nichts dagegen haben, konnte ich heute nacht mit einem Boot losfahren und ein paar davon schnappen, wenn sie aus ihren verdammten Bierkneipen getorkelt kommen.»
Sie fuhren herum. Kreischendes Gelachter erklang vom Geschutzdeck, und eine Frau, die blo?en Bruste dem Regen preisgegeben, kam backbords unter dem Decksgang hervorgerannt. Zwei Matrosen waren hinter ihr her, beide offensichtlich angetrunken; man brauchte nicht lange daruber nachzudenken, was sie von ihr wollten.