Der Piratenfurst: Fregattenkapitan Bolitho in der Java-See - Kent Alexander 6 стр.


III Gemischte Gesellschaft

Am Morgen des vierzehnten Tages sa? Bolitho in seiner Kajute vor einem Becher Kaffee und grubelte zum soundsovielten Male daruber nach, was er bisher erreicht hatte.

Am Vorabend hatten sie den runden Buckel der Insel Teneriffa gesichtet, der sich wie eine Wolkenbank am Horizont abzeichnete. Er hatte sich entschlossen, beizudrehen. In der Nacht die Kuste anzulaufen, war ein Risiko, das er lieber vermeiden wollte. Vierzehn Tage — sie kamen ihm wie eine Ewigkeit vor. Die meiste Zeit hatten sie sich mit schlechtem Wetter herumschlagen mussen. Er blatterte in seinem privaten Logbuch und uberflog die vielen deprimierenden Eintragungen: Gegenwind; gelegentlich starker Sturm; standig mu?ten Segel gekurzt oder gerefft werden, mu?ten sie Sturme abreiten. Nur die gefurchtete Biskaya hatte sich ihnen freundlich erwiesen, und das war wenigstens ein Trost. Andernfalls ware fast die halbe Mannschaft zu seekrank gewesen, um aufzuentern; und von den Gesunden hatte die Halfte zu viel Angst gehabt, um auf den wie betrunken schwankenden Rahen herumzuturnen, wenn die Deckoffiziere und Maaten nicht hart dazwischenschlugen — nein, bei schlechtem Wetter ware die

Bolitho erkannte alle diese Zeichen wieder und wu?te, da? sie fur ihn eine ahnliche Herausforderung bedeuteten: gab er seinem Verstandnis, seinem Mitgefuhl nach, horte er sich von seinen uberlasteten Leutnants und Deckoffizieren zu viele Entschuldigungen an, wurde er das Schiff nie in den Griff bekommen, nie seine Leute in Schwung bringen, wenn es wirklich hart auf hart ging. Er wu?te, da? viele ihn heimlich verfluchten und beteten, der Schlag moge ihn treffen oder er moge nachts uber Bord fallen. Er sah ihre finsteren Blicke, spurte ihren Widerstand, wenn er an ihnen vorbeiging, zu jeder Stunde des Tages. Segeldrill immer wieder und wieder, stets nach Herricks Uhr gestoppt; und mit voller Absicht lie? er alle Beteiligten merken, da? er genau beobachtete, ob sie sich auch wirklich Muhe gaben. Er lie? die Mannschaften der drei Masten beim Segelsetzen oder Reffen miteinander in Wettbewerb treten, bis sie schlie?lich mit au?erster Anstrengung arbeiteten — nicht in sportlichem Geist, sondern in keuchender Wut und unter lautlosen Fluchen.

Jetzt, uber seinem Becher Kaffee, empfand er widerwillige Befriedigung uber das, was sie gemeinsam geleistet hatten, sei es aus freiem Willen oder unter hartem Zwang. Wenn die

So wie er seine Mannschaft bis an die Grenze ihrer Krafte getrieben hatte, hatte er auch sich selbst nicht geschont. Und das spurte er trotz der einladenden Strahlen der Morgensonne, die uber die Decksaufbauten spielte. Fast bei jeder Wache, ob Tag oder Nacht, war er eine Zeitlang an Deck gewesen und hatte sich um den Dienst gekummert. Leutnant Davy besa? wenig Erfahrung in der Schiffsfuhrung bei widrigem Wetter; aber mit der Zeit wurde er es schon lernen. Soames verlor zu leicht die Geduld, wenn etwas nicht gleich klappte. Dann schubste er den unglucklichen Matrosen beiseite, brullte:»Ihr habt ja keine Ahnung! Lieber mach' ich es selbst!«und ri? ihm die Arbeit aus den Handen. Nur Herrick war imstande, den Sturm der endlosen Forderungen Bolithos abzuwettern; und diesem tat es leid, da? ausgerechnet sein Freund die Hauptlast zu tragen hatte. Es war leicht, einen Matrosen zu bestrafen, wenn in Wirklichkeit der Offizier den Kopf verloren oder in einer scharfen Brise nicht das richtige Wort gefunden hatte. Herrick stand wie ein Fels zwischen Offiziersmesse und Logis, zwischen Kapitan und Mannschaft.

Zweimal mu?te sogar Prugelstrafe verhangt werden — Bolitho hatte gehofft, dergleichen vermeiden zu konnen. Beide Falle hatten ihre Ursache im privaten Bereich des Mannschaftslogis. Beim erstenmal hatte sich ein Dieb an den geringen Ersparnissen eines Matrosen vergriffen. Der zweite Fall war weit ernster: eine wilde Messerstecherei, bei der einem Mann das Gesicht vom Ohr bis zum Kinn aufgeschlitzt worden war. Bolitho wu?te nicht einmal, ob es sich um eine wirkliche Feindschaft handelte oder ob bei der allgemeinen Gereiztheit nur ein rascher Funken Mi?mut den Brand entzundet hatte. In einem Schiff mit gutem Ausbildungsstand hatte er in beiden Fallen kaum von der Sache gehort. Dann hatte namlich die Justiz des Mannschaftslogis wesentlich drastischer und rascher funktioniert, wenn ihre private Welt von einem Dieb oder Messerstecher bedroht wurde. Bolitho verabscheute Kapitane, die ihre Disziplinargewalt gebrauchten, ohne zu bedenken, wie sie einen Menschen zerbrechen konnte; die brutale korperliche Strafen verhangten, ohne dem Ubel an die Wurzel zu gehen und so Bestrafungen zu vermeiden, Herrick wu?te, wie Bolitho daruber dachte. Als sie sich kennenlernten, war Herrick der jungste Leutnant auf dem Schiff gewesen, dessen vorheriger Kapitan so streng, so gedankenlos brutal gestraft hatte, da? der Boden fur eine Meuterei aufs Beste bereitet war. Herrick wu?te in solchen Dingen besser Bescheid als die meisten Offiziere, und doch hatte er es auf sich genommen, personlich bei Bolitho gegen den Vollzug der Prugelstrafe zu intervenieren. Das war ihre erste wirkliche Meinungsverschiedenheit; und Bolitho hatte mit gro?em Bedauern an Herricks Augen gesehen, wie sehr diesen die Ablehnung verletzte.

«Wir haben eine neue Mannschaft«, hatte Bolitho gesagt.»Es braucht seine Zeit, die Leute so zusammenzuschwei?en, da? sich jeder einzelne unter allen Umstanden auf seine Kameraden verlassen kann. Viele haben uberhaupt keine Ahnung, was bei der Marine gefordert wird. Es emport sie, wenn sie sehen, da? andere straflos ausgehen fur Versto?e, die sie selber sorgsam meiden. In diesem Stadium konnen wir nicht zulassen, da? sich die Manner in Fraktionen spalten: seebefahrene alte Leute gegen neue Rekruten; Gewohnheitsverbrecher gegen Schwache, die sich nur dadurch schutzen konnen, da? sie sich einer anderen Clique anschlie?en.»

Aber Herrick wollte nicht nachgeben.»In Friedenszeiten, Sir, dauert es eben etwas langer.»

«Das abzuwarten, ware ein Luxus, den wir uns nicht leisten konnen. «Absichtlich schlug Bolitho einen harteren Ton an.»Sie wissen genau, wie ich daruber denke. Auch mir fallt das nicht leicht!»

Der Dieb hatte keinen Laut von sich gegeben, als er seine Strafe erlitt, ein Dutzend Peitschenhiebe. Friedlich segelte die

Der zweite Delinquent, Sullivan hie? er, war ein Vieh von einem Kerl. Er hatte sich in Portsmouth freiwillig beim Rekrutierungskommando gemeldet und machte durchaus den

Eindruck eines Gewohnheitsverbrechers. Aber er hatte schon einmal auf einem Kriegsschiff gedient und wurde daher als willkommener Zuwachs angesehen. Er bekam drei Dutzend Peitschenhiebe, nach dem Ma?stab der Kriegsmarine wenig genug fur jemanden, der einen Schiffskameraden halb umgebracht hatte. Wenn er sich an einem Offizier vergriffen hatte, ware er wahrscheinlich nicht ausgepeitscht, sondern gehangt worden.

Auch das Auspeitschen war furchtbar. Beim ersten Hieb auf seinen nackten Rucken brach Sullivan vollig zusammen, und bei den weiteren Hieben, welche ihm zwei Maaten abwechselnd uber Schultern und Rucken zogen, wand und krummte er sich unter irrem Gebrull. Er hatte Schaum vorm Mund; die Augen quollen ihm wie Glaskugeln aus dem verzerrten Gesicht.

Midshipman Armitage fiel beinahe in Ohnmacht; und manche, die eben mit ihrer Seekrankheit fertig geworden waren, fingen gleichzeitig an, sich zu ubergeben. Das grobe Fluchen der Deckoffiziere und Maaten nutzte gar nichts. Dann war es vorbei, und als» Wegtreten «befohlen wurde, ging es wie ein Seufzer der Erleichterung durch die Manner. Sullivan wurde losgebunden und zu Whitmarsh ins Lazarett geschafft, wo er ohne Zweifel zunachst eine doppelte Ration Rum bekam.

In den Tagen nach dem Strafvollzug fuhlte Bolitho, wenn er auf dem Achterdeck patrouillierte oder Schiffsmanover beobachtete, standig die Blicke der Manner in seinem Rucken. Vielleicht sahen sie in ihm eher einen Feind als ihren Kapitan. Oft genug hatte er sich gesagt: wenn man die Ehre eines Kommandos will, mu? man auch alles andere, was damit zusammenhangt, akzeptieren. Nicht nur die Autoritat und das stolze Gefuhl, uber ein lebendiges Schiff zu herrschen, sondern auch die Sto?e und Puffe.

Es klopfte, und Herrick trat in die Kajute.»Noch eine Stunde, bis wir unter Land sind, Sir. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich alles au?er Marssegel und Kluver reffen lassen. Dann kommen wir leichter herein.»

«Trinken Sie einen Kaffee mit, Thomas!«Bolitho entspannte sich, als Herrick Platz nahm.»Ich frage mich, wie es mit uns weitergeht.»

Herrick nahm den Becher entgegen und probierte vorsichtig.»Ich auch. «Er lachelte uber den Becherrand hinweg.»Ein- oder zweimal dachte ich, wir wurden uberhaupt nicht mehr Land zu sehen kriegen.»

«Ja. Ich kann verstehen, wie manchen Leuten an Bord zumute ist. Viele haben die See uberhaupt noch nicht gesehen, und schon gar nicht sind sie je so weit von England weg gewesen. Und auf einmal haben sie Afrika gleich backbords vor dem Bug. Anschlie?end segeln wir auf die andere Seite der Erde. Aber manche fangen wahrhaftig schon an, sich als Seeleute zu fuhlen, obwohl sie vor vierzehn Tagen noch zwei linke Hande mit lauter Daumen hatten.»

Herrick lachelte noch breiter.»Das ist Ihr Verdienst, Sir. Manchmal bin ich dem Schicksal sehr dankbar, da? ich nicht Kapitan bin und keine Aussicht habe, einer zu werden.»

Bolitho betrachtete ihn nachdenklich. Der Ri? war also verheilt.»Ich furchte, die Entscheidung daruber liegt nicht bei Ihnen, Thomas. «Er stand auf.»Jedenfalls werde ich dafur sorgen, da? Sie ein eigenes Schiff kriegen, sobald sich Gelegenheit ergibt, und sei es auch nur, damit etwas von Ihrem wilden Idealismus in die Bilge geht.»

Sie grinsten einander an wie Verschworene.

«Jetzt hauen Sie ab, damit ich mir einen besseren Rock anziehen kann. «Er verzog das Gesicht.»Wir mussen unseren spanischen Freunden doch Respekt erweisen, wie?»

Eine gute Stunde spater naherte sich die

Allday stand achtern an der Kampanje und murmelte:»Der eine oder andere von den Dons wurde uns liebend gern eine Salve verpassen, wie wir da so schon langsam reinkommen. Darauf mocht' ich wetten.»

Bolithos Blicke uberflogen noch einmal sein Schiff; er versuchte, es so zu sehen, wie man es von Land aus mustern wurde. Die

Der alte Mudge stand neben dem Ruder, die Hande tief in den Taschen seines Wachmantels, den er anscheinend bei jedem Wetter trug. In den weitraumigen Taschen hatte er stets eine Unmenge von Instrumenten und privaten Kleinigkeiten. Vielleicht, dachte Bolitho, hatte er fruher einmal, als er eilig an Deck mu?te, die Halfte von all dem Zeug in seiner Kabine lassen mussen, und seitdem hatte er seine Taschen nicht mehr geleert. Er knurrte die Rudergasten an; sie drehten das Rad um ein paar Speichen, worauf sich das Gro?marssegel fullte, aber gleich wieder schlaff wurde, weil das Schiff langsam in Lee des Landes geriet.

Herrick richtete das Teleskop auf die Kuste und meldete dann:»Wir runden das Kap, Sir.«»Ausgezeichnet. «Bolitho gab Tapril einen Wink.»Salut schie?en!»

Und wahrend die britische Fregatte langsam auf die Reede zuhielt, erzitterte die frische Morgenluft unter dem regelma?igen Krachen der Kanonen. Geschutz um Geschutz antworteten die Spanier. Fast bewegungslos hing der Rauch uber dem flacher werdenden Wasser.

Bolitho pre?te hinter seinem Rucken die Hande zusammen und spurte, wie ihm der Schwei? ausbrach. Unter dem schweren Uniformrock klebte das frische Hemd wie ein nasser Lappen am Korper.

Ein seltsames Gefuhl, so unbewegt dazustehen, wahrend das Schiff langsam an der Sperrmauer entlangglitt — wie ein Traum oder ein Zaubertrick. Jeden Moment, glaubte er, musse sein Achterkastell unter einer Kanonenkugel bersten oder ein Treffer in die angetretenen Seesoldaten schlagen und blutiges Hackfleisch aus ihnen machen.

Der letzte Schu? drohnte in seinen Ohren, und als der dichte Pulverrauch sich vom Deck hob, sah er eine andere Fregatte am Kopf der Mole vor Anker liegen: ein spanisches Schiff und gro?er als die

Mudge schnaubte sich kraftig die riesige Nase wie jedesmal, wenn er im Begriff war, ein Segelmanover einzuleiten.

«Alles klar, Sir.»

«Gut. An die Brassen! Klar zum Halsen!»

Mr. Mudge gab den Befehl weiter; die nackten Fu?e der Matrosen platschten im Takt uber die frischgescheuerten Decksplanken, und Bolitho atmete erleichtert aus, als jeder Mann ohne Zwischenfalle seine Station erreicht hatte.

«Fier auf Marssegelschoten!»

Die Flagge uber der Kustenbatterie dippte kurz im blendenden Sonnenlicht und stieg dann wieder hoch. Ein paar kleine Boote legten von Land ab, die meisten mit Fruchten und anderen Handelswaren beladen. Triphook, der Zahlmeister, wurde viel zu tun bekommen, denn fast der gesamte Brotvorrat war im ersten Sturm verdorben, und was sie noch an frischem Obst hatten, war der reine Abfall gegen das, was die Boote da heranbrachten.

«Gei auf Marssegel!»

Ein Bootsmannsmaat schuttelte die Faust und brullte zu einem der Manner auf der Vormarsrah hinauf:

«Schafskopf, ungeschickter! Halt' dich gefalligst mit einer Hand fest, sonst siehst du deine Alte nie wieder!»

Bolitho verfolgte genau, wie der Streifen Wasser zwischen Schiff und Land immer schmaler wurde. Die Sonne blendete; er mu?te die Augen zukneifen.

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