Die neue Revolutionsregierung hatte den Konig provoziert, das sollte ihm eigentlich genugen. Aber bei ruhiger Uberlegung stieg oft der Wunsch in ihm hoch, da? die Menschen, gegen die er kampfte, die er sterben sah, nicht in seiner Muttersprache, ja haufig in seinem eigenen Dialekt rufen oder schreien mochten.
Ein paar Mowen umkreisten aufmerksam die unruhigen Masten und lie?en sich dann willig vom Wind landeinwarts zu ergiebigeren Futterplatzen tragen.
Sparke befahl:»Wechseln Sie die Ausguckposten aus und lassen
Sie einen Mann auch seewarts Ausschau halten. «In dem heller werdenden Licht wirkte er noch dunner, das nasse Hemd und die Kniehose klebten an seinem mageren Korper und glanzten wie Schlangenhaut.
Ein winziger Strahl wasserigen Sonnenlichts blinzelte vorsichtig durch die Wolken, das erste, das Bolitho seit Tagen gesehen hatte. Bald wurden von Land aus die Fernglaser auf sie gerichtet sein. Er fragte:»Soll ich das Gro?segel hissen lassen?»
«Ja. «Sparke nestelte an seinem Degengriff.
Die Seeleute holten keuchend Piek- und Klaufall durch. Vom Regenwasser gequollen, liefen die Trossen nur muhsam durch ihre Blocke, bis sich das nasse Gro?segel endlich lose flappend von seinem Baum erhob, und der rote Flicken im schwachen Sonnenlicht leuchtete.
Der Schoner ri? und zerrte an der Ankerkette wie ein Pferd, das Zugel und Gebi? erprobt.»Boot an Steuerbord, Sir!»
Bolitho sah es, anscheinend dasselbe Dory wie vorher. Mit kraftigen Riemenschlagen wurde es durch die Stromung getrieben. Unwahrscheinlich, da? jemand an Bord die Besatzung der
Bolitho beobachtete Stockdale und war von seiner Ruhe beeindruckt, als er jetzt an die Reling ging und zum Vorschiff winkte. Im selben Augenblick schwangen zwei Seeleute ein Drehgeschutz herum.
«Zuruckbleiben dort unten!«befahl der falsche Kapitan mit rauher Stimme.
Moffitt trat neben ihn und rief durch die trichterformig gehaltenen Hande:»Was wollt ihr von uns?»
Das Boot dumpelte in der kabbeligen See, die Ruderer beugten sich uber ihre Riemen, der Regen prasselte auf ihre Schultern.
Der Mann an der Pinne rief zuruck:»Cap'n Tracy?»
Stockdale hob die Schultern.»Moglich!»
Sparke sagte leise:»Sie sind nicht mal sicher, seht euch diese bloden Hunde an!»
Bolitho wandte dem Land den Rucken zu, er meinte fast korpe r-lich die vielen auf sie gerichteten Fernglaser zu spuren, die einen nach dem anderen aufs Korn nahmen.
Das Boot steuerte jetzt langsam naher heran.»Wo kommt ihr her?»
Moffitt blickte Sparke an, der kurz nickte. Da schrie Moffitt:»Drau?en kreuzt ein britisches Kriegsschiff! Wir warten nicht mehr lange! Habt ihr denn gar keinen Mumm?»
Frowd bemerkte:»Das genugt. Jetzt kommen sie.»
Die Erwahnung der britischen Korvette sowie Moffitts amerikanischer Tonfall hatten offensichtlich mehr bewirkt als der rote Flik-ken.
Das Dory schor langsseit, und ein Seemann machte die Fangleine fest. Stockdale blickte in das Boot hinunter und sagte dann in einem vollig ungezwungenen Tonfall, den Bolitho noch nie bei ihm gehort hatte:»Sagen Sie Ihrem Anfuhrer, er soll an Bord kommen. Ich bin noch nicht uberzeugt. «Er blickte zu den Offizieren hin, und Bo-litho nickte kurz.
Sparke zischte:»Haltet ihn auf alle Falle von dem Neunpfunder fern!«Und dann, an Balleine gewandt:»Fangt an mit dem Offnen der Ladeluken.»
Bolitho sah zu, wie der Mann vom Boot heraufkletterte, und stellte sich das Deck mit dessen Augen gesehen vor. Wenn jetzt etwas schiefging, dann war alles, was sie als Ausbeute vorzuweisen hatten, ein Dory und funf Tote.
Der Fremde auf dem schwankenden Deck war stammig, aber sehr beweglich fur sein Alter. Er hatte dichtes, graues Haar und Bart, seine Kleidung war so grob zusammengenaht wie die eines Waldlaufers.
Er musterte Stockdale ruhig und sagte:»Ich bin Elias Haskett. «Dann, nachdem er noch einen Schritt naher getreten war:»Sie sind nicht der Tracy, den ich kenne. «Es klang nicht herausfordernd, sondern mehr wie eine Feststellung.
Moffitt erklarte:»Dies ist Kapt'n Stockdale. Wir haben die
Elias Haskett schien uberzeugt.»Wir haben euch erwartet, aber es war nicht einfach. Die Rotrocke haben ihre Wachen uber das ganze Land verteilt, und das Schiff, von dem ihr gesprochen habt, kreuzt schon seit Wochen vor der Kuste. «Er blickte hinuber zu den anderen, seine Augen blieben einen Moment an Sparke hangen.
Moffitt warf ein:»Fast alles neue Leute, britische Deserteure. Ihr wi?t ja, wie das geht.»
«Klar. «Haskett wurde geschaftlich.»Bringt ihr gute Ladung?»
Balleine und ein paar andere hatten die Lukenpersennings abgenommen, und Haskett trat an den Sull, um hinunterzuspahen.
Bolitho sah die Szene und die Darsteller wechseln, genau wie sie es geubt hatten. Der erste Akt war zu Ende. Jetzt sah er Rowhurst, den Geschutzfuhrer, heranschlendern und sich neben Haskett stellen, die Hand auf seinem Dolch. Ein Zeichen von Mi?trauen, und Haskett war fur immer stumm.
Bolitho blickte einem Seemann uber die Schulter und versuchte, nicht an die Seesoldaten zu denken, die in einem hastig gezimmerten Verschlag unter dem doppelten Boden zusammengepfercht warteten. Von Deck aus schien es, als sei der Laderaum voller Pulverfasser, aber in Wirklichkeit war es nur eine einzige Schicht, und nur zwei der Fasser waren gefullt. Jetzt brauchte lediglich einer der Soldaten zu niesen, und alles war aus.
Moffitt kletterte hinunter und bemerkte gelassen:»Ein guter Fang. Wir haben zwei vom Konvoi abgedrangt. Da unten liegen Musketen und Bajonette und auch rund tausend Schu? Neunpfun-dermunition.»
Bolitho wollte schlucken oder sich rauspern, seine Kehle war wie ausgedorrt. Moffitts Rolle klappte perfekt. Er spielte nicht, er
Haskett sagte zu Stockdale:»Ich werde das Signal hei?en. Die Boote liegen dort druben versteckt. «Er zeigte vage zum Ufer, wo ein paar Baume mit fast bis aufs Wasser hangenden Zweigen standen. Es konnte der Eingang zu einer kleinen Bucht sein.
«Und was ist mit der britischen Korvette?«Moffitt blickte kurz zu Sparke hinuber.
«Die braucht einen halben Tag bis hierher, und ich habe dort oben ein paar gute Ausgucksposten aufgestellt, von da konnen sie alles ubersehen.»
Bolitho staunte, als Haskett jetzt geschickt einen kleinen, roten Wimpel ansteckte und am Fockmast hi?te. Er war offensichtlich kein Neuling auf See, wie er auch gekleidet sein mochte.
Plotzlich horte er den erstaunten Ausruf eines Seemanns und sah, wie sich ein Teil des einen Baumes vom Land loste. Dann stellte er zu seiner Verwunderung fest, da? es ein plumper Kutter mit Loffelbug war, der Mast und Rah mit Zweigen und Stechginster getarnt hatte. Sein schwerer Rumpf wurde jetzt langsam, aber sicher von langen Riemen vorwartsgetrieben. In seinem Kielwasser folgte ein Kutter gleicher Bauart. Sie schienen hollandischen Ursprungs, stammten moglicherweise von deren Inseln in der Karibik.
Bolitho wu?te, da? Sparke mit nur einem Fahrzeug gerechnet hatte, allenfalls mit einigen kleineren Leichtern oder Ruderbooten. Jeder dieser beiden Kutter jedoch war fast so gro? wie die Faithful selbst, dazu schwer wie ein Sturmbock.
Moffitt sah Sparkes kurzes Nicken und meinte beilaufig:»Einer ist genug. Die sehen ja aus, als konnten sie ein ganzes Arsenal an Bord nehmen.»
Haskett nickte.»Stimmt, aber wir haben noch mehr vor, weiter sudlich in Richtung der Chesapeake Bay. Unsere Leute haben dort vor einer Woche eine bewaffnete Brigantine geschnappt, sie sitzt auf Grund, ist aber voller Gewehre und Munition. Einer der Kutter soll ihre Ladung ubernehmen, es ist genug, um eine ganze Armee damit zu bewaffnen!»
Bolitho wandte sich ab, denn es fiel ihm schwer, weiterhin Spar-kes Gesicht zu sehen. Er konnte dessen Gedanken lesen, sich dessen Angriffsplan ausmalen. Da die Korvette zu weit weg war, um helfend einzugreifen, wurde er den Ruhm fur sich allein beanspruchen.
Die nachsten Augenblicke waren die schlimmsten, an die Bolitho sich erinnern konnte: das langsame Heranmanovrieren der beiden schweren Kutter mit ihrer seltsamen Tarnung und ihren langen Galeerenriemen. Es mu?ten wohl drei?ig bis vierzig Leute an Bord sein, schatzte er, einige sicherlich Seeleute, der Rest vielleicht ortliche Miliz oder einer von Washingtons Spahtrupps.
Der Wimpel an der Mastspitze der
Moffitt befahl:»Aufpassen da vorn, nehmt die Leinen wahr!«Wenn er nervos war, so zeigte er es zumindest nicht.
Ein Seemann rief zuruck:
Haskett fuhr fluchend herum:»Ihr dreckigen Halunken!»
Der Knall einer Pistole lie? sie alle zusammenfahren; Rufe aus dem langsseits liegenden Dory mischten sich mit dem schrillen Geschrei der aufgeschreckten Seevogel, aber Bolitho starrte nur wie gebannt auf den grauhaarigen Haskett, der zur Reling taumelte, blutigen Schaum vorm Mund, wahrend er seine Hande wie rote Krallen auf den Magen pre?te.
Sparke senkte die Pistole und befahl:»Drehbassen, Feuer!»
Wahrend die vier Schwenkgeschutze bellten und das Deck des vorderen Kutters mit heulendem Kartatschenfeuer uberschutteten, rissen Rowhursts Leute die Persenning vom Neunpfunder und wuchteten ihn mit Taljen und Handspaken zur Bordwand.
Ein paar Schu? kamen vom Kutter zuruck, aber der unerwartete Angriff hatte die von Sparke beabsichtigte Wirkung gebracht. Der Kartatschenhagel war zwischen die Ruderer gefahren und hatte sie niedergemaht, der bis dahin gleichma?ige Schlag der Riemen endete in einem furchterlichen Chaos. Der Kutter, durchlochert wie ein Sieb, trieb quer, wahrend Rowhursts andere Manner bereits mit brennenden Lunten bei den Sechspfundern warteten, die, vorher sorgfaltig mit Kartatschen geladen, ebenfalls klar zum Feuern waren.
«Feuer frei!«Bolitho zog seinen Degen und trat mitten zwischen seine Leute, als diese aus ihrer Erstarrung erwachten. Er zwang sich zur Ruhe. Eine Kugel pfiff ihm am Kopf vorbei, ein Seemann sturzte schreiend und zuckend neben dem toten Elias Haskett zu Boden.
Sparke lie? sich seine nachgeladene Pistole reichen und bemerkte wie abwesend:»Ich hoffe, Rowhursts Schie?kunste sind so gut wie seine Zoten.»
Selbst der sonst so sture Rowhurst schien aus seiner Lethargie erwacht zu sein. Er sprang um den Neunpfunder herum und beobachtete zugleich, wie der zweite Kutter Gro?segel und Kluver setzte. Die langen Riemen waren fallen gelassen worden und trieben mit dem Tarnmaterial in der Stromung, als der Wind jetzt die Segel blahte.
Rowhurst fluchte, weil einer seiner Leute mit einer Stirnwunde zur Seite rollte. Er schrie:»Fertig, Sir!«Dann wartete er, bis die
Doppelt geladen, den Rest des Rohres bis zur Mundung mit Blei-und Eisenschrott gefullt, fuhr das Geschutz auf seiner Behelfslafette zuruck wie ein wutendes Tier, dann krachte die Detonation uber die See, der aufsteigende Rauch verstarkte noch die Schreckensszene. Der Mast des Kutters sturzte, ein Gewirr von Takelage und zerfetzten Segeln mit sich rei?end.
«Nachladen! Feuer!»
Der Schock nach Sparkes Pistolenschu? war bei allen wilder Erregung gewichen. Dies war etwas, das sie verstanden, wofur sie ausgebildet worden waren, Tag fur Tag, in ermudendem, sich immer wiederholendem Drill.
Wahrend die Drehbassen und die Sechspfunder ihr morderisches Bombardement des ersten Kutters fortsetzten, feuerte Rowhursts Crew Schu? auf Schu? in den anderen, der — inzwischen entmastet — auf eine Sandbank getrieben war. Plotzlich scho? eine gewaltige Feuersaule aus seinem Heck und breitete sich rasch im Wind aus. Das regennasse Holz qualmte, bis es schlie?lich Feuer fing und der Kutter vom Bug bis zum Heck in Flammen stand.
Durch den Kampfeslarm horte Bolitho D'Esterre rufen:»Los, Feldwebel Shears, lebhaft, sonst gibt es fur uns nichts mehr zu tun!«D'Esterre blinzelte in den dicken Qualm, den der brennende
Kutter und Rowhursts Neunpfunder verursachten, und sagte:»Verdammt, der kommt ja gleich langsseits!»
Bolitho sah nun ebenfalls, da? der erste Kutter wie betrunken auf den Bug der
«Seesoldaten, vorwarts!»
Wie Marionetten marschierten sie zur Reling, die langen Musketen im Anschlag.
«Legt an!«Shears wartete und ignorierte die Kugeln, die an ihnen vorbeipfiffen oder klatschend ins Holz schlugen.
Sparke schrie:»Sto?t zu, verdammt!»
Feldwebel Shears kommandierte:»Bajonett, pflanzt auf!«Dann beobachtete er d'Esterres hocherhobenen Sabel.»Soldaten, vorwarts!»
Die Marineinfanteristen ruckten gleichma?ig vor, Schulter an Schulter, eine lebende rote Mauer; sie schnitten die Enterer von den Geschutzmannschaften ab, von ihrem eigenen Schiff und von jeglicher Hoffnung.
Plotzlich sah Bolitho jemanden sich geschickt unter den Bajonetten ducken und blitzschnell nach achtern laufen, ein Messer vor sich haltend wie einen Schild.
Bolitho hob seinen Degen. Als er jedoch erkannte, da? es sich um einen Knaben handelte, rief er:»Ergib dich!»
Aber der Junge lief weiter auf ihn zu, heulte dann auf vor Schmerz und Enttauschung, als Bolitho ihm mit einem flachen
Hieb das Messer aus der Hand schlug, das in hohem Bogen an Deck fiel. Selbst dann noch versuchte er, Bolitho mit blo?en Handen anzugreifen, schluchzend und geblendet von Wut und Tranen.
Stockdale schlug ihn schlie?lich mit dem flachen Entermesser auf den Kopf, worauf er bewu?tlos zusammenbrach.
Sparke kommandierte:»Feuer einstellen!«Dann ging er an d'Esterre vorbei und musterte die ubriggebliebenen Angreifer mit kalten Blicken. Es waren nicht mehr viele. Der Rest, getotet oder verwundet von der geschlossenen Reihe der Bajonette, lag herum wie erschopfte Statisten.
Bolitho steckte den Degen in die Scheide. Ihm war ubel, und seine Narbe schmerzte.