Die Bucht selbst mieden alle au?er den verwegensten britischen Seefahrern. Hier waren einige der fahigsten Kaperkapitane beheimatet, und Bolitho uberlegte nicht zum ersten Male, ob man wohl den machtigen Zweidecker bereits belauerte.
Cairns, der einen Wollschal um den Hals geschlungen hatte, fragte:»Was haltst du vom Wetter, Dick?»
Bolitho sah zu, wie die Leute auf ihrem Weg zur Kombuse aus den Niedergangen und dann wieder zuruck in ihre uberfullten Mannschaftsraume stromten.
Er ging die Wache selbst, da Bunce streng darauf achtete, da? die Mittagsbreite genommen wurde, was bei dieser schwachen Sicht mehr ein routinema?iges Ritual war. Die Fahnriche standen bereits mit ihren Sextanten in der Hand in einer Linie da, und die Steuermannsmaaten uberwachten ihre Fortschritte beziehungsweise den Mangel daran.
Bolitho sagte ruhig:»Wir bekommen Nebel.»
Cairns starrte ihn verblufft an.»Ist das eine deiner keltischen Halluzinationen, Dick?»
Bolitho lachelte.»Der Master sagt Nebel.»
Der Erste Offizier seufzte.»Dann gibt es auch Nebel. Obgleich ich bei diesem halben Sturm keine Chance dafur sehe.»
«An Deck!»
Sie blickten hoch, ein wenig achtlos geworden nach ihrer tagelangen Einsamkeit. Bolitho sah die verkleinerte Gestalt des Ausgucks im Gro?topp, eine winzige Figur vor den tiefhangenden Wolken. Schon das Hinaufschauen machte ihn schwindlig.
«Segel in Luv querab, Sir!»
Die beiden Offiziere ergriffen ihre Fernrohre und kletterten in die Wanten. Aber es gab nichts zu sehen als Wellenkamme — steiler, drohender in der Vergro?erung — dazu das intensive, grellwei?e Licht.
«Soll ich den Kommandanten informieren, Sir?»
Bolitho beobachtete Cairns Gesicht, als er wieder an Deck sprang. Er konnte beinahe seinen Verstand arbeiten sehen. Ein Segel! Was bedeutete es? Kaum anzunehmen, da? es befreundet war. Selbst ein verirrter und verwirrter Handelsschiffskapitan mu?te die Gefahren hier drau?en kennen.
«Noch nicht. «Cairns blickte vielsagend nach achtern.»Er wird die Meldung ohnehin gehort haben und erst darauf reagieren, wenn wir dazu bereit sind.»
Bolitho dachte daruber nach. Ein weiterer Aspekt von Kapitan Pears, den er noch nicht in Betracht gezogen hatte. Aber es stimmte: Er rannte niemals gleich an Deck wie manche Kapitane, voller Angst um ihr Schiff, ungeduldig auf Antworten wartend, die noch nicht zu geben waren.
Er betrachtete nochmals Cairns ruhiges Gesicht. Es stimmte naturlich auch, da? Cairns solches Vertrauen rechtfertigte.
Bolitho fragte:»Soll ich nach oben und selbst nachsehen?»
Cairns schuttelte den Kopf.»Nein, ich gehe. Der Kommandant will zweifellos einen vollstandigen Bericht.»
Bolitho sah zu, wie der Erste Offizier aufenterte, das Teleskop wie ein Gewehr uber die Schulter geschlungen; hinauf und immer hoher kletterte er hinauf, uber die Marsputtings, vorbei an dem bezogenen Schwenkgeschutz auf dem Mars zur Bramstenge und weiter zur Bramsaling, wo der Ausguck so ruhig sa? wie auf einer bequemen Dorfbank.
Er wandte den Blick von Cairns ab. Das war etwas, woran er sich nie gewohnen, was er nie uberwinden konnte: sein Schauder vor der Hohe. Jedesmal, wenn er nach oben mu?te, was glucklicherweise selten der Fall war, uberkam ihn dieselbe Ubelkeit, furchtete er abzusturzen.
Er sah eine vertraute Figur auf dem Batteriedeck unter der Schanzreling und fuhlte etwas wie Zuneigung zu dem gro?en plumpen Mann in kariertem Hemd und flatternder wei?er Hose. Ein weiteres Verbindungsglied zu der kleinen
Stockdale war der geborene Seemann. So stark wie funf Manner, hatte er niemals diese Kraft mi?braucht und war gutmutiger als alle anderen an Bord. Der wutende Schausteller hatte ihn mit einer Kette geprugelt, weil er den Kampf gegen einen Mann Bolithos verloren hatte. Der Betreffende mu?te wohl irgendwie gemogelt haben, denn Bolitho hatte danach niemals mehr eine Niederlage Stockdales erlebt.
Er sprach sehr wenig, und wenn, dann nur mit Anstrengung, da seine Stimmbander in zahllosen Faustkampfen auf fast allen Jahrmarkten des Landes grausam zugerichtet worden waren.
Als er ihn damals gesehen hatte, entblo?t bis zum Gurtel, mit tiefen Platzwunden auf dem Rucken, war es zuviel gewesen fur Bo-litho. Er fragte Stockdale, ob er sich anwerben lie?e, und dieser hatte nur genickt, seine Sachen genommen und war ihm auf das
Schiff gefolgt.
Wenn Bolitho jemals Hilfe brauchte oder in Not geriet, dann war Stockdale immer zur Stelle. Wie beispielsweise, als Bolitho den schreienden Wilden mit einem Entermesser auf sich lossturzen sah, das er einem sterbenden Seemann entrissen hatte. Spater hatte man ihm erzahlt, wie Stockdale die sich zuruckziehenden Seeleute gesammelt, ihn selbst aufgehoben und wie ein Kind in Sicherheit gebracht hatte.
Nach Bolithos Versetzung auf die
Bolitho lachelte jetzt zu ihm hinunter. Stockdale konnte beinahe alles, splei?en, reffen und auch steuern, aber hauptamtlich war er Geschutzfuhrer an einem von den drei?ig Achtzehnpfundern in der oberen Batterie. Und naturlich in Bolithos Abteilung.
«Was halten Sie davon, Stockdale?»
Des Mannes zerschlagenes Gesicht zeigte ein breites Grinsen.»Die beobachten uns, Mr. Bolitho.»
Er sah die muhsamen, krampfhaften Bewegungen des Kehlkopfes. Die scharfe Seeluft machte es fur Stockdale besonders schwer.
«Meinen Sie?»
«Aye. «Es klang sehr bestimmt.»Die wissen, was wir vorhaben und wo wir hin wollen. Ich mochte sogar wetten, da? da noch ein zweites Fahrzeug ist, au?er Sichtweite fur uns.»
Cairns Fu?e prallten aufs Deck, als er mit der Leichtigkeit eines Fahnrichs eine Pardune heruntergerutscht kam.
Er sagte:»Ein Schoner, nach Art der Takelung zu schlie?en. Ich kann ihn kaum ausmachen, es ist so verdammt diesig. «Dann, als er das Lacheln sah, mit dem Bolitho auf Stockdales Au?erung reagiert hatte, fragte er:»Kann auch ich den Witz horen?»
«Stockdale meinte, da? wir von dem anderen Schiff beobachtet werden, Sir. Es halt sich wohlweislich in Luv.»
Cairns offnete den Mund, um zu widersprechen, sagte dann aber:»Ich furchte, er hat recht. Statt einer Demonstration der Starke" fuhrt die
Cairns blickte nach achtern, hinweg uber die beiden Ruderganger, die breitbeinig an dem gro?en Doppelrad standen, ihre Augen bald auf dem Kompa?, bald auf den Segeln.
«Es ist nicht viel, was wir dem Kommandanten erzahlen konnen, Dick. Er hat seine Befehle. Die
Bolitho sagte ruhig:»Denken Sie daran, was der Weise gesagt hat: Nebel. «Er beobachtete, wie das Wort bei Cairns einschlug.»Wenn wir beidrehen mussen, nutzen wir niemandem etwas.»
Cairns betrachtete ihn nachdenklich.»Das hatte ich voraussehen mussen. Diese Kaperkapitane wissen mehr uber die ortlichen Verhaltnisse als irgendeiner von uns. «Er lachelte etwas schief:»Au?er dem Weisen, naturlich.»
Leutnant Quinn kam an Deck und tippte gru?end an seinen Hut.»Ich soll Sie ablosen, Sir.»
Er blickte von Bolitho zu der prallen Masse der Segel auf. Bo-litho beabsichtigte, nur rasch zum Essen hinunterzugehen, besonders da er auf Pears Reaktion gespannt war. Fur den Sechsten Offizier jedoch — achtzehn Jahre alt — bedeutete dies eine endlose Zeit furchteinflo?ender Verantwortung, denn er hatte das Geschick der
Er folgte Cairns zum Niedergang, wahrend Quinn sich mit dem Uberprufen des Logbuchs und beim Kontrollieren des Kompasses wichtig tat.
Cairns sagte leise:»Er wird spater ganz in Ordnung sein, braucht halt noch Zeit.»
Bolitho sa? an der Messetafel, wahrend Mackenzie und Logan sich bemuhten, das Mahl einigerma?en ansehnlich erscheinen zu lassen: Salzfleisch, zusammengekocht mit Haferbrei, dazu Schiffszwieback mit schwarzem Sirup und so viel Kase, wie jeder vertragen konnte. Au?erdem gab es eine gro?zugige Zuteilung von Rotwein, der mit dem letzten Konvoi in New York angekommen war. Nach Probyns gerotetem Gesicht zu urteilen, hatte er ihm flei?ig zugesprochen.
Jetzt starrte er hinuber zu Bolitho und fragte heiser:»Was war das fur ein Gequatsche uber Segel? Da ist wohl jemand nervos geworden und hat Gespenster gesehen, was?«Er lehnte sich vor und sah sich beifallheischend um.»Mein Gott, wie hat sich die Flotte verandert!»
Bunce sa? am Kopf der Tafel und sprach mit tiefer Stimme, ohne aufzublicken:»Es ist nicht Sein Werk, Mr. Probyn. Er hat keine Zeit fur die Gottlosen.»
Sparke sagte unbeteiligt:»Dieser verdammte Fra? ist Schweinefutter. Ich werde einen neuen Koch auftreiben, bei erster Gelegenheit. Dieser Schurke mu?te am Strick baumeln, anstatt uns zu vergiften.»
Das Schiff holte stark uber, und alle hielten Teller und Glaser fest, bis es sich wieder aufrichtete.
Bunce zog seine Uhr aus der Tasche und sah nach, wie spat es war. Bolitho fragte ruhig:»Der Nebel, Mr. Bunce — wird er kommen?»
Thorndike, der Schiffsarzt, horte es und lachte schallend.
«Wirklich, Erasmus! Nebel, bei diesem Wind!»
Bunce ignorierte ihn.»Morgen. Wir mussen beidrehen, hier ist's zu tief zum Ankern. «Er schuttelte sein machtiges Haupt.»Zeit verloren, nicht wieder einzuholen.»
Er hatte genug gesprochen und erhob sich. Als er an Probyns Stuhl vorbeikam, sagte er mit seiner tiefen Stimme:»Dann werden wir Zeit haben und sehen, wer nervos wird.»
Probyn schnippte mit den Fingern nach mehr Wein und rief argerlich:»Er wird auf seine alten Tage wunderlich!«Er lachte laut, aber niemand stimmte ein.
Hauptmann d'Esterre musterte Probyn kalt.»Wenigstens scheint er den Herrn auf seiner Seite zu haben. Was haben Sie vorzuweisen?»
In seinem Salon daruber sa? Kapitan Pears an der gro?en Tafel, eine Serviette in sein Halstuch gesteckt. Er horte den Ausbruch des Gelachters aus der Messe und sagte zu Cairns:»Sie sind frohlicher auf See, nicht?»
Cairns nickte.»Scheint so, Sir. «Er beobachtete Pears gebeugten Kopf und wartete auf dessen Schlu?folgerungen oder Gedanken.
Dieser sagte:»Allein oder im Verband, der Schoner ist eine Bedrohung fur uns. Wenn wir doch wenigstens als Sicherung eine Brigg oder ein Kanonenboot hatten, um uns diese Wolfe vom Hals zu halten. So wie es jetzt ist.«. Er hob die Schultern.
«Darf ich einen Vorschlag machen, Sir?»
Pears schnitt sich ein kleines Stuck Kase ab und betrachtete es zweifelnd.
«Deswegen sind Sie ja wohl zu mir gekommen. «Er lachelte.»Schie?en Sie los.»
Cairns legte die Hande auf den Rucken, seine Augen glanzten sehr hell.
«Sie haben des Masters Meinung uber die Aussicht auf Nebel gehort, Sir?»
Pears nickte.»Ich kenne diese Gewasser auch. Nebel ist hier haufig genug, obwohl ich es nicht wagen wurde, im Augenblick eine so bestimmte Voraussage zu machen. «Er schob den Kase beiseite.»Aber wenn der Master so etwas sagt, trifft es gewohnlich zu.»
«Wir werden also beigedreht liegen mussen, bis es wieder aufklart.»
«Ich habe das schon in Betracht gezogen. Verdammter Mist!»
«Aber genau das wird auch unser Bewacher tun, einmal zu seiner eigenen Sicherheit, dann auch aus Angst, uns zu verlieren. Der Nebel konnte unter Umstanden ein Bundesgenosse fur uns sein. «Er zogerte, um des Kommandanten Reaktion zu ergrunden.»Wenn wir ihn aufspuren und entern…«Er schwieg.
«Was, um Gottes willen, Mr. Cairns, schlagen Sie da vor? Da? ich Boote aussetzen, sie mit ausgebildeten Leuten bemannen und dann in diesen gottverdammten Nebel hinausschicken soll? Nein, Sir, sie wurden in den sicheren Tod fahren!»
«Wahrscheinlich liegt da au?er dem Schoner noch ein weiteres Fahrzeug. «Cairns sprach mit plotzlicher Dickkopfigkeit.»Sie werden also Lichter zeigen. Mit der notigen Vorsicht und mit einem guten Bootskompa? mu?te ein Angriff Aussicht auf Erfolg haben. «Er machte eine Pause, da er Zweifel in Pears Augen sah.»Er brachte uns ein zusatzliches Schiff ein, wahrscheinlich auch Informationen uber die Tatigkeit oder die Absichten der Kaperer.»
Pears lehnte sich zuruck und starrte ihn grimmig an.»Sie sind ein Mann mit Ideen, das mu? ich sagen.»
Cairns entgegnete:»Der Vierte Offizier hat mir diese Idee in den Kopf gesetzt, Sir.»
«Das hatte ich mir denken konnen. «Pears stand auf und trat an eins der Fenster; seine stammige Figur bildete dabei einen Winkel zum Deck, der der Krangung des Schiffes entsprach.»Verdammtes Pack aus Cornwall! Alles Piraten und Strandrauber! Wu?ten Sie das nicht?»
Cairns Gesicht blieb unbewegt.»Meines Wissens war Falmouth, Mr. Bolithos Heimatort, die letzte Stadt, die fur Konig Charles gegen Cromwell und das Parlament kampfte, Sir.»
Pears lachelte grimmig.»Guter Einwand! Aber dieser Plan ist mehr als gefahrlich. Wahrscheinlich finden wir die Boote nie wieder, oder sie konnen den Feind nicht erreichen, geschweige denn ihn kapern.»
Cairns beharrte auf seiner Version.»Der Nebel mu? das andere Schiff lange vor uns erreichen. Ich wurde vorschlagen, da? wir dann so nahe wie moglich auf schlie?en, und zwar mit jedem Fe t-zen Tuch, bevor es ganzlich abflaut.»
«Aber wenn der Wind gegen uns dreht?«Pears hob die Hand.»Stopp, Mr. Cairns. Ich sehe die Enttauschung in Ihrem Gesicht, aber es ist meine Verantwortung. Ich mu? alle Moglichkeiten in Betracht ziehen.»
Auf Deck und vor den Kajutsturen ging das Leben seinen gewohnten Gang. Das Rasseln einer Pumpe, das Scharren von Fu?en uber ihren Kopfen, wenn die Leute der Wache beim Brassen hin und her liefen.
Dann meinte Pears langsam:»Immerhin hat der Plan das Uberraschungsmoment fur sich. «Er uberlegte.»Bitte sagen Sie dem Master, er mochte zu uns in den Kartenraum kommen. «Er lachte leise in sich hinein.»Obwohl er schon dort ist, wie ich ihn kenne.»
Auf dem vom Wind gepeitschten Achterdeck beobachtete Bo-litho mit vom Salzwasser schmerzenden Augen die Leute bei der Arbeit in der Takelage. Bald Zeit zum Reffen, dachte er. Mu? dem Captain Bescheid sagen. Vorhin hatte er Pears und Cairns in den Kartenraum gehen sehen, der neben Bunces Kabine lag.
Einen Augenblick spater trat Cairns wieder in den Spruhregen heraus, zu Bolithos Erstaunen ohne Hut, etwas ganz Ungewohnliches, da er sonst immer peinlich korrekt gekleidet war.
«Weitere Meldungen vom Ausguck?»
«Aye, Sir.»
Bolitho duckte sich, als eine Bo den Gischthagel eines Brechers uber das Schiff peitschte, der sie beide durchna?te. Cairns nahm kaum Notiz davon.
Bolitho berichtete rasch, bevor der nachste Brecher sie erreichte:»Wie vorher. Der Fremde halt sich in Luv von uns, Peilung unverandert.»
«Ich werde dem Kommandanten berichten«, sagte Cairns und fugte dann hinzu:»Nicht notig, da ist er ja.»