Die Rahen kamen von neuem herum. Segel donnerten, Brassen kreischten durch die Blocke. Die Manner rannten wie die Wiesel, um den unaufhorlichen Kommandos vom Achterdeck nachzukommen.
Den Leuten kam alles unwahrscheinlich vor. Eben noch uberrascht und bedroht, griffen sie jetzt nicht nur an, sondern versetzten dem Feind einen Schlag nach dem anderen.
Bolitho mu?te sich alles ausgerechnet haben. Er mu?te es geplant und entworfen haben, wahrend er auf dem nachtdunklen Deck einsam hin und her gegangen war.
Herrick blickte zu ihm hinuber. Gelassen und aufgerichtet stand der Kapitan an der Reling. Die Hande auf dem Rucken, beobachtete er das andere Schiff. Wahrend des Abwartens hatte Herrick bemerkt, wie Bolitho sich mit der Hand uber die Stirn fuhr und dabei einen Moment die dunkle Locke beiseite schob, so da? die tiefe, furchtbare Narbe sichtbar wurde. Bolitho hatte gespurt, da? Herrick ihn beobachtete, und zornig seinen Hut in die Stirn gezogen.
Herrick lie? den Blick uber die Kanonen gleiten. Die Leute waren erschopft. Sie schenkten dem Feind keine Beachtung, als die
herum kam, um den Abstand zu verringern. Er hatte Pochins bittere Bemerkung gehort und gesehen, wie Allday sich ins Zeug gelegt hatte, um den neuen Leuten zu helfen. Es war merkwurdig, wie sie angesichts wirklicher Gefahr alle eigenen Sorgen und Fehden verga?en.
Es stimmte, unter Bolitho war das Schiff anders. Und die Veranderung ging tiefer, sie war nicht nur durch die Uniformen gekennzeichnet, die auf Bolithos Befehl die fleckigen Lumpen ersetzt hatten, die zu Pomfrets Zeit ublich gewesen waren. Statt der verdrossenen Hinnahme herrschte nun diese heftige Unruhe, die den Eindruck erweckte, als wollten die Manner zusammenstehen, um mit dem Enthusiasmus ihres jungen Kapitans Schritt zu halten, aber noch nicht wu?ten, was sie dazu tun mu?ten.
«Sie hat wieder Ruderdruck«, sagte Okes scharf.»Sie kommt herum.»
Die Segel der
Herrick atmete scharf aus.»Er will hinter ihr Heck kommen. Das schafft er nie. In ein paar Minuten liegen wir uns Breitseite zu Breitseite gegenuber.»
Das unbegrenzte Vertrauen, das ihm die erfolgreiche Attacke geschenkt hatte, wich frostelnder Unsicherheit, als die
Fahrt aufnahm und ihre Masten und Spieren unter dem Druck der Segel bebten. Er fa?te seinen Degen fester, als die Bramsegel der
Andiron
Diesmal sa?en die Schusse.
Herrick spurte, wie der Rumpf unter seinen Fu?en erbebte, und taumelte gegen den Vormast. Rauch vernebelte das Deck, und zersplittertes Holz und zerfetzte Teile der Takelage regneten herab. Die Luft zitterte vom Krachen der Abschusse und vom Kreischen der Kugeln, die wie Boten der Holle durch den Rauch peitschten.
In das Heulen der Kugeln mischten sich nahere, schauerlichere Gerausche, als Splitter in die dicht gedrangten Kanoniere flog. Blut stromte uber die glatten Decks. Herrick mu?te sich auf die Lippen bei?en, um nicht die Selbstkontrolle zu verlieren. Er hatte schon fruher Leute bluten sehen, bei einem gelegentlichen Scharmutzel und unter der neunschwanzigen Katze, nach einem Sturz oder bei einem Unfall. Doch dies war anders. Das Blut war uberall, als hatte ein Verruckter das Schiff angemalt. Herrick bemerkte Blutflecken auf seinen wei?en Hosen. Er blickte zu der benachbarten Kanone hinuber. Sie stand hochkam, und einer der Kanoniere war zu einer roten Masse zerquetscht worden. Ein Mann, der noch immer eine Handspake umkrampfte, lag ohne Beine da, und zwei seiner Kameraden klammerten sich schreiend aneinander.
Die feindliche Fregatte mu?te sofort nachgeladen haben, denn eine neue, unregelma?ige Salve donnerte krachend in die Bordwand der
Manner schrien und brullten, fluchten und tappten blind durch den erstickenden Qualm, wahrend herabsturzendes Tauwerk und geborstene Holzer in die wie verruckt zuckenden Netze prasselten.
Ein Pulveraffchen rannte weinend zum Magazin, nur um von einem Seesoldaten fortgesto?en zu werden. Der Junge hatte seinen Kartuschenkorb fortgeworfen und wollte nach unten in die Sicherheit der Dunkelheit fluchten. Doch die Wache brullte ihn an und schlug mit dem Gewehr nach ihm. Der Junge taumelte zuruck und kam wieder zu sich. Wimmernd hob er seinen Korb auf und hastete zur nachstgelegenen Kanone.
Ein Gescho? heulte heran. Herrick hatte Muhe, sich nicht zu ubergeben, als die Kanonenkugel den Jungen in zwei Halften zerri?. Kopf und Oberkorper hielten sich einige Sekunden aufrecht auf den Planken. Ehe Herrick sich abwandte, sah er noch, da? der Junge aus aufgerissenen Augen starrte.
Herrick stolperte gegen Okes, der noch immer mit erhobenem Degen dastand und mit glasigen Augen auf die Reste seiner Batterie stierte.
Herrick brullte:»Feuer, Matthew! Gib endlich den Befehl!»
Okes lie? den Degen nach unten sausen. Da und dort fugte eine Kanone der
ihre Stimme der furchterlichen Symphonie hinzu und rumpelte dann zuruck.
«Wir sind erledigt«, sagte Okes.»Wir mussen die Flagge streichen.»
«Die Flagge streichen?«Herrick starrte Okes an. Unvermittelt war die Wirklichkeit wieder da, grausam und personlich. Tod und Ubergabe waren bisher nur Worte gewesen, eine mogliche, aber unwahrscheinliche Alternative zum Sieg. Er sah Bolitho auf dem Achterdeck, dahinter die Seesoldaten. Sie feuerten schon seit einiger Zeit aus ihren Gewehren, ohne da? Herrick es bemerkt hatte. Er sah, wie Sergeant Garwood seinen Leuten Befehle zurief. Sie luden nach und feuerten eine Salve in den Rauch. Hauptmann Rennie stand mit dem Rucken zum Feind und starrte uber die andere Reling, als sahe er das Meer zum erstenmal.
Pryce, der Stuckmeister, schrie auf und sackte zusammen. Ein langer Splitter, aus dem Deck gefetzt, hatte sich ihm in die Schulter gebohrt. Wie ein Zahn ragte der dicke, gezackte Holzstumpf heraus. Herrick sah es und wu?te, da? das andere Ende tief im Fleisch steckte. Die Splitter waren das Gefahrlichste und mu?ten in einem Stuck herausgeschnitten werden.
Herrick winkte den Mannern am Hauptniedergang.»Bringt ihn nach unten zum Arzt. «Sie hatten auf einen zerfetzten Leib neben der Luke gestarrt. Herricks rauher Ton gab ihnen Kraft, den Bann abzuschutteln.
Pryce begann zu schreien.»Nein! La?t mich hier beim Geschutz. Bringt mich nicht hinunter!»
«Tapferer Kerl«, flusterte einer der Manner.»Er will auf seiner Station bleiben.»
Pochin spuckte auf die Kanone. Sein Speichel zischte auf dem hei?en Eisen.»Quatsch! Er will lieber hier oben sterben als unten unter das Messer kommen.»
In der Takelage splitterte etwas mit lautem Krachen. Herrick schielte durch den treibenden Pulverqualm. Die Bramstenge des Gro?mastes wankte, und als der Wind an der befreiten Leinwand zerrte, neigte sie sich nach vorn.
Herrick formte die Hande zum Sprachrohr.»Schnell, Leute. Nach oben. Kappt die Wanten. Sonst geht auch der Vormast zum Teufel!»
Er verfolgte, wie Quintal und ein paar andere hinaufkletterten, und fuhr zuruck, als eine Kanonenkugel vor ihm uber das Deck pflugte und neben dem Schanzkleid in zwei verwundete Kanoniere schmetterte. Er blickte weg, weil sich ihm der Magen umdrehte, und horte Vibart rufen:»Deckung! Die Stenge kommt runter!»
Unter mi?tonendem Krachen sturzte die lange Stenge quer uber das Schanzkleid, wo sie sich in einem Gewirr zerfetzter Stagen und Pardunen verfing. Das zerrissene Segel blahte sich neben dem Schiffsrumpf im Wasser und hemmte die Fregatte wie ein Treibanker.
Ein anderer Anblick setzte dem Schrecken die Krone auf: Betts, der Mann, der die feindliche Fregatte gesichtet hatte, strampelte in der verhedderten, nachschleppenden Takelage wie ein Insekt in einem Spinnennetz.
«Mit der Axt ran!«brullte Vibart.»Klariert das Zeug!»
Betts starrte aus glasigen Augen zur Fregatte hinauf.»Helft mir, Jungs! La?t mich nicht ersaufen!»
Aber die Axte waren bereits am Werk. Die Manner, halb au?er sich durch den Wirrwarr, waren zu betaubt, um sich um das Leiden eines einzelnen zu kummern.
Okes packte Herrick beim Arm.»Warum streicht er nicht die Flagge? Um Jesu willen, sieh, was er uns antut!»
Herrick konnte kaum noch klar denken. Aber er sah, was Okes ihm zeigen wollte. Die Manner hatten den Mut sinken lassen. Sie duckten sich wimmernd, als die feindlichen Kugeln ihnen um die Ohren pfiffen. Nur gelegentlich erwiderte ein vereinzeltes Geschutz das Feuer: das Werk einer Handvoll Manner, gefuhrt von einem erfahrenen, hingebungsvollen Geschutzfuhrer, der ein einseitiges Duell mit dem Feind aufrechthielt.
Herrick schlo? sich gegen das Schreien der Verwundeten ab, die unter Deck geschleppt wurden. Er wollte nichts sehen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich nur auf jenen Fleck des Achterdecks, wo Bolitho allein an der Reling stand. Der Kapitan trug keinen Hut mehr, und sein Rock war mit Pulver-und Spritzwasserflecken ubersat. Ein Laufer, der auf ihn zueilte, sank im Musketenfeuer zusammen. Musketenkugeln hammerten gegen die Backskisten und pfiffen uber das Deck, doch Bolitho ruhrte sich nicht von der Stelle, und sein Gesicht zeigte nach wie vor den Ausdruck ruhiger Entschlossenheit. Nur ein einziges Mal blickte er auf, und zwar um nach der gro?en, scharlachroten Flagge zu spahen, die an der Gaffel flatterte. Wollte er sich vergewissern, da? sie noch wehte?
Herrick schuttelte den Kopf.»Er streicht die Flagge nie. Eher la?t er uns mit Mann und Maus untergehen.»
V Rum und hei?e Kopfe
Das Deck krangte stark, als die
wie blind auf einen neuen Kurs ging. Bolitho wu?te nicht mehr, wie oft das Schiff die Richtung gewechselt hatte, ebensowenig, wie lange das Gefecht schon dauerte. Nur eins wu?te er genau: da? die
vermengte. Der Qualm wirbelte vielfarbig durcheinander, als der amerikanische Freibeuter den Angriff fortsetzte.
Einmal, als ein launischer Windsto? den Vorhang aus Pulverqualm zerri?, hatte Bolitho das Mundungsfeuer der
Die
zu entmasten. Vielleicht hegte der Kapitan den Plan, sie als Prise unter eigenem Kommando zu segeln, wie schon die
Auf dem Hauptdeck sah es anders aus. Bolithos Augen wanderten uber das Chaos aus aufgerissenen Planken und menschlichen Korperteilen. Die Batterien feuerten noch, aber in gro?eren Abstanden und weniger treffsicher.
Bolitho hatte uber den Erfolg der ersten Breitseite gestaunt. Ihm war klar, da? sich der Mangel an Ausbildung spater hemmend auswirken mu?te, doch auf einen so guten Auftakt hatte er nicht zu hoffen gewagt. Die doppelt geladenen Kanonen hatten fast gleichzeitig gefeuert. Er hatte gesehen, wie das Schanzkleid der anderen Fregatte zersplitterte, und beobachtet, wie die Kugeln in den Rumpf schlugen oder durch die dicht gedrangten Kanoniere fetzten. Einen Augenblick hatte es den
Eindruck erweckt, da? sie das Gefecht erfolgreich durchstehen konnten.
Durch den wabernden Pulverdampf sah er, da? Herrick langsam von einem Steuerbordgeschutz zum anderen ging, mit den Kanonieren sprach und jedes Geschutz selber richtete, ehe er dem Geschutzfuhrer erlaubte, die Abzugsleine zu ziehen. Auf der Steuerbordseite ware das eigentlich die Aufgabe von Okes gewesen, aber vielleicht war Okes, wie so viele andere, schon gefallen. Bolitho musterte jede Einzelheit des qualenden Bildes, das die
jetzt bot. Er fuhlte sich benommen, aber Auge und Verstand funktionierten in kalter Ubereinstimmung, wodurch Qualen und Leiden nur um so deutlicher hervortraten.
Aus dem Ganzen hoben sich kleine Bilder heraus, und wo Bolitho auch hinschaute, alles gemahnte schmerzlich an den noch zu zahlenden Preis. Viele waren tot. Wieviele, wu?te er nicht. Manche waren tapfer gestorben, bei der Bedienung ihrer Geschutze, bis zuletzt Rufe der Ermutigung oder Fluche auf den Lippen. Manche starben langsam und schrecklich. Ihre zerrissenen Leiber lagen verkrummt in den Blutlachen, die das Deck uberzogen.
Andere waren weniger tapfer. Mehr als einmal hatte er sehen mussen, wie sich Manner totstellten und sich zwischen den beiseitegeschobenen Leichen verbargen, bis die Maate sie mit Sto?en und Schlagen zuruck an ihre Stationen trieben.
Trotz Rennies Wachen waren einige unter Deck geflohen, wo sie sich jetzt wahrscheinlich wimmernd die Ohren zuhielten und in der Bilge lieber dem Tod durch Ertrinken entgegensahen, als auf Deck dem Tod durch die Geschutze der
Augenblick hatte er Betts heraufstarren sehen. Den Mund weit aufgerissen, ein schwarzes Loch, hatte der Mann die Faust geschuttelt. Eine nutzlose Geste, doch sie kam Bolitho wie der Fluch der ganzen Welt vor. Danach hatte sich die Stenge um sich selber gedreht, und bevor sie achtern zuruckblieb, hatte Bolitho noch gesehen, wie Betts Fu?e aus dem Wasser ragten und einen sinnlosen Tanz vollfuhrten.
Wieder klatschten Kugeln durch das Gro?segel und heulten uber das Wasser. Bolitho ri? die Augen von dem Blutbad. Es konnte nicht mehr lange dauern. Die
durch langsame, sorgfaltig gezielte Schusse zur Aufgabe zu zwingen.