Eine verborgene Batterie war so aufgestellt und ausgerichtet, da? die Geschutze den gesamten Bereich unter dem Vorgebirge bestrichen. Und obwohl es nach au?en hin so aussah, als lage die
Andiron
Auf dem Achterdeck waren Leuchtraketen angebracht. Sobald man mit den Angreifern im Kampf stand, sollten sie abgebrannt werden. Das Signal wurde von einem entfernteren Posten an eine franzosische Fregatte weitergegeben werden, und mit deren Eingreifen ware dann das Gefecht voruber. Wenn die
ohne den besten Teil ihrer Mannschaft uberrascht wurde, hatte sie keine Chance. Und wenn sie naher unter Land kam, um das Enterkommando zu unterstutzen, wurden die Landbatterien sie zerschmettern, ehe sie den Fehler bemerkte.
Ein anderer Gedanke qualte Bolitho. Wenn die
der Angreifer war, wurde Vibart das Kommando fuhren. Er konnte sich nur schwer vorstellen, da? Vibarts Verstand schnell genug arbeitete, um mit einer solchen Situation fertigzuwerden. Bolitho knirschte mit den Zahnen und ging langsam zur Landseite hinuber. Die Insel lag friedlich da. Die Verteidiger hatten ihre Vorbereitungen abgeschlossen und warteten jetzt genau wie er. Nur da? er, wenn es soweit war, unter Deck eingesperrt und hilflos und elend Zeuge des Untergangs seines eigenen Schiffes sein wurde. Oder, schlimmer noch, der Eroberung.
Der Gedanke peinigte ihn zum hundertsten Male. Und es gab ihm einen neuen Stich, als er einen Kutter der
Stockdale schaute, in der Sonne blinzelnd, hoch. Dann gru?te er spottisch, und einige der Leute lachten. Der wachhabende amerikanische Offizier sagte trocken:»Manchmal glaube ich, da? es so etwas wie Treue uberhaupt nicht gibt, Kapitan. Alles blo? eine Frage des Preises.»
Bolitho zuckte mit den Schultern.»Vielleicht.»
Der Offizier ergriff die Chance, Bolithos brutendes Schweigen zu brechen.»Ich komme nicht daruber hinweg, da? Sie mit unserem Kapitan verwandt sind. Der Gedanke macht einem zu schaffen. Ihnen vermutlich auch.»
Bolitho sah den gebraunten Offizier fluchtig an. Ein freundliches Gesicht. Das eines einsamen Mannes, der den Krieg satt hatte.»Fahren Sie schon lange unter ihm?«fragte er.
«Ein Jahr ungefahr. «Der Mann runzelte die Stirn.»Aber es kommt mir viel langer vor. Er kam als Erster Leutnant an Bord, erhielt aber das Kommando, nachdem der Kapitan bei einem Gefecht mit einem Ihrer Schiffe vor Cape Cod fiel. «Er grinste.»Hoffentlich kann ich bald nach Hause. Meine Frau und meine zwei Jungen warten auf mich. Ich sollte mich um meine Farm kummern, nicht gegen Konig Georg kampfen.»
Bolitho erinnerte sich der Bemerkung seines Bruders, da? er nach Cornwall kommen wurde, um das ihm rechtma?ig zustehende Erbe zu fordern, und verspurte wieder die gleiche heftige Bitterkeit. Er unterdruckte die aufsteigende Regung und fragte ruhig:»Halten Sie das wirklich fur so einfach?»
Der Offizier starrte ihn an.»Was kann denn noch passieren? Ich mochte Sie nicht beleidigen, Kapitan, aber meiner Meinung nach haben die Briten kaum noch eine Chance, Amerika zuruckzugewinnen.»
Bolitho lachelte.»Ich dachte mehr an die Franzosen. Wenn, wie Sie sagen, die amerikanische Unabhangigkeit von allen Beteiligten bestatigt wird, bilden Sie sich dann wirklich ein, da? die Franzosen einfach absegeln? Immerhin haben sie die Hauptlast der Kampfe getragen, vergessen Sie das nicht. Meinen Sie, da? Sie ohne ihre Flotte und ihre Lieferungen so weit gekommen waren?»
Der Amerikaner kratzte sich den Kopf.»Krieg bringt einem sonderbare Verbundete, Kapitan.»
«Ich wei?. Ich habe einige kennengelernt. «Bolitho blickte beiseite.»Meines Erachtens mochten sich die Franzosen hier drau?en ebenso festsetzen wie in Kanada. «Er schuttelte den Kopf.»Sie konnen leicht vom Regen in die Traufe kommen.»
Der Offizier gahnte und sagte mude:»Nun, ich habe das nicht zu entscheiden, Gott sei Dank. «Er hob die Hand an die Augen und spahte in den dunklen Schatten unter Saddle Hill. Ein wei?blauer Punkt eilte den unebenen Pfad in einer Staubwolke hinunter.
Der Offizier sah Bolitho bedeutungsvoll an und sagte knapp:»Ein Reiter! Das bedeutet, der Koder hat gewirkt, Kapitan. Heute nacht also — oder nie.»
Auf der Back ertonte ein Ruf, als am oden Ufer ein greller Lichtpfeil aufblendete. Jemand benutzte einen Heliographen, und Bolitho horte tiefer landeinwarts lebhaften Trommelschlag.
«Woher wei? man es?«fragte er.
Der Offizier kniff die Lippen zusammen, sagte dann jedoch nicht unfreundlich:»Drau?en liegt eine Flotte von Fischerbooten, Kapitan. Sie geben die Sichtmeldung von Boot zu Boot weiter. Eins liegt dicht unter dem Ausguck auf dem Berg. «Er wirkte verlegen.»Warum beschaftigen Sie sich noch damit? Sie konnen doch nichts mehr dagegen tun. Genausowenig wie ich etwas tun konnte, ware die Situation umgekehrt.»
Bolitho sah ihn nachdenklich an.»Danke, ich will versuchen, mich daran zu erinnern. «Damit nahm er seinen Gang uber das Deck wieder auf. Der Offizier zuckte mit den Schultern und kehrte auf die andere Seite des Hecks zuruck.
Die kurze Waffenruhe war voruber. Das Signal des Heliographen hatte sie aus plaudernden Seeleuten wieder zu Feinden gemacht.
«Sonnenuntergang in einer Stunde. «Daniel Proby, Steuermann der
kritzelte langsam auf seiner Schiefertafel und ging dann gemachlich zu Herrick hinuber, der an der Luvreling stand.»So habe ich die Sonne mein ganzes Leben lang noch nicht gesehen.»
Herrick ri? sich in die Gegenwart zuruck und folgte Probys bekummertem Blick uber die glitzernde Weite der offenen See. Fast den ganzen Nachmittag und den fruhen Abend uber war die Fregatte stetig nach Nordost gelaufen, und wahrend sie jetzt hart am Wind uber Backbordbug segelte, leuchteten Masten, Spieren und jeder Zoll der steifen Leinwand wie poliertes Kupfer. Der Himmel, seit Tagen hellblau und leer, war jetzt von langen, sich kreuzenden Wolkenstreifen durchzogen, die wie gluhende Rauchfahnen auf den fernen Horizont zutrieben. Es war ein zorniger Himmel, und die See reagierte auf den Wechsel auf ihre Weise. Die Oberflache zeigte nicht mehr die kurzen, abgehackten wei?en Kamme, sondern herandrangende Linien hochtreibender Wogen, eine hinter der anderen in sauberlich abgezirkelten Reihen. Das Schiff hob sich und achzte, als die Galionsfigur sich dem Himmel zukehrte und dann in langem Bogen in das Wellental tauchte.
«Vielleicht nahert sich ein Sturm vom Atlantik?«fragte Herrick.
Der Steuermann schuttelte den Kopf.»Zu dieser Jahreszeit gibt es kaum Sturme. «Er blickte nach oben, als die Segel, wie um seine Worte zu verhohnen, donnerten.»Wie dem auch sei, wir werden ein Reff einbinden mussen, wenn es sich nicht bessert.»
Trotz seiner dusteren Gedanken mu?te Herrick lacheln. Vibart wurde nicht gerade glucklich daruber sein. Seit er vor zwei Tagen seine neuen Befehle erhalten hatte, trieb er die Besatzung wie ein Verruckter an. Herrick dachte an den Augenblick, als ein Ausguck das ferne Segel gesichtet hatte. Einen Moment dachten sie, es sei eine patrouillierende Fregatte oder die Cassius selbst. Aber es war eine schnell segelnde Brigg. Uber ihren niedrigen Rumpf spruhte Schaum, als sie uber
Stag ging und auf die
zulief.
Herrick nahm ihr Erscheinen als unerwartete, aber willkommene Abwechslung, denn die Stimmung an Bord der Fregatte hatte sich spurbar verschlechtert. Innerhalb weniger Tage hatte es sieben Auspeitschungen gegeben. Sie hatten die Mannschaft jedoch nicht in stumpfe Gefugigkeit versetzt, sondern dazu beigetragen, die Kluft zwischen Back und Achterdeck noch zu vertiefen. Im Zwi schendeck wurde kaum noch geplaudert oder gelacht. Kam ein Offizier an einer Gruppe Matrosen voruber, schwiegen die Manner verdrossen und wandten sich ab.
Fahnrich Maynard hatte gemeldet:»Die Brigg ist die
«Diese Befehle kommen vom Admiral, Sir. Ich habe nichts hinzuzufugen. »
Die Antwort war zu knapp, beinahe schon beleidigend, und Herrick nahm an, da? der junge Leutnant auf der Liste der Admiralsgunstlinge hoch genug stand, um sich solchen Ton erlauben zu konnen.
Vibart hatte dem Offizier der Brigg vom Angriff auf die Insel Mola erzahlen wollen, doch dann den Mund fest zusammengepre?t, sich umgedreht und befohlen:»Lassen Sie das Schiff wieder Fahrt aufnehmen, Mr. Herrick. Ich habe zu tun.»
So war es bis heute geblieben, uberlegte Herrick. Ein Schwanken zwischen hochtrabender Selbstgefalligkeit und Anfallen blinder Wut. Vibarts Reaktionen lie?en sich nie vorhersagen, ein doppeltes Ubel, da er beinahe allgegenwartig war. In einem fort beobachtete er, kritisierte alles und bellte Befehle, die die der anderen Offiziere ruckgangig machten.
Herrick hatte den Leutnant am Fallreep angehalten, um noch mehr zu erfahren. Der Offizier sah ihn nachdenklich an.
«St. Kitts ist gefallen. Die Flotte hat sich zuruckgezogen, um sich neu zu formieren. Ich segle jetzt nach Antigua. «Er blickte zu seinem Schiff hinuber.»Aber dem Vernehmen nach kommt Rodney aus England mit zwolf Linienschiffen zu uns. Ich hoffe zu Gott, da? er noch rechtzeitig eintrifft. «Und dann, hastig:»Wo ist Ihr Kapitan?»
«Gefallen. «Herrick brachte das Wort kaum uber die Lippen.»Auf Mola.»
«Nun, mir liegt Ihr neuer Kommandant nicht, mein Freund. «Der Leutnant hielt kurz inne.»Wir haben zwei Tage nach der
gesucht. Der Admiral durfte kaum erfreut sein, da? Sie Ihre Position verlassen haben, Mola oder nicht. «Er kniff die Augen zusammen.»Im Befolgen von Befehlen ist Sir Robert ein Pedant.»
Herrick beschaftigte sich nun mit jenem Teil der Ereignisse, aufgrund derer die
jetzt auf die Inseln zuhielt. Vibart hatte alle Offiziere und Unteroffiziere zu einer Besprechung in die Kajute gerufen. Irgendwie war es typisch fur ihn, da? er bequem auf seinem Stuhl sa? und alle anderen stehen lie?.
«Sir Robert Napier hat Nachricht erhalten, da? die
Phalarope,
Herrick hatte Vibart wahrend der Ankundigung beobachtet. Sein offensichtlicher Eifer uberraschte ihn. Es konnte eine falsche Nachricht sein. Stimmte sie jedoch, wurde es nicht leicht sein, ein Schiff au?er Gefecht zu setzen, das dicht unter einer feindlichen Insel lag. Indes Vibart sich drohnend uber Details und den Zeitpunkt auslie?, wurde ihm klar, da? Vibarts Verhalten auf Unsicherheit schlie?en lie?. Obwohl Vibart seit Bolithos Verschwinden das Kommando fuhrte, war Okes in der besseren Position, weil man womoglich ihm die zuruckliegenden Erfolge gegen den Feind gutschreiben wurde. Vibart mu?te sich noch beweisen, und dafur bot die neue
Operation eine Gelegenheit.
Merkwurdigerweise hatte er keine Meldungen zur
Phalarope
Andiron
auf Nevis zulief, wuchs seine Nervositat und Gereiztheit, und mehr als einmal gewann seine Ungeduld die Oberhand. Erst vormittags hatte er einen Mann auspeitschen lassen, dem ein Marlspieker von der Gro?rah fiel. Er war dicht neben Packwood, einem Maat, in den Decksplanken steckengeblieben. Vibart brutete gerade auf dem Achterdeck vor sich hin und verfolgte, wie die Boote uberpruft wurden. Packwoods erschreckter Aufschrei hatte ihm von neuem Gelegenheit gegeben, seiner nie vorhersehbaren Laune freien Lauf zu lassen.
«Schafft den Kerl her. «Seine Stimme lie? jeden Handgriff auf dem Hauptdeck stocken.»Ich habe es genau gesehen. Der Marlspieker sollte Packwood treffen.»
Selbst der Bootsmannsmaat hatte widersprochen.»Es ist heute bewegt da oben, Sir. Das war keine Absicht.»
Vibart war scharlachrot angelaufen.»Maul halten! Oder ich sehe mir auch Ihre Ruckenknochen an.»
Wieder das gefurchtete Trillern:»Alle Mann als Zeugen einer Bestrafung nach achtern!»
Wieder das qualvolle Hinschleichen der Zeit, bis die Grating klar war und die Seesoldaten auf dem Achterdeck eine rechteckige Formation bildeten.
Der Seemann, den es diesmal traf, hie? Kirk. Ein magerer, hohlaugiger Matrose, der seit dem Gefecht mit der
Vibart hatte den Hut aufgesetzt und kurz genickt.»Anfangen.»
Herrick hatte viele Auspeitschungen gesehen. Sie schienen Teil des Seemannslebens, und er hatte sich gegen den Anblick gestahlt. Doch diesmal lagen die Dinge anders. Die Bestrafung war ungerecht, weil Vibart zu versessen darauf war.
Die Trommel wurde geruhrt, und Packwoods muskuloser Arm holte aus:»Eins. «Die Peitsche zischte durch die Luft. Wie ublich wartete Herrick angewidert und fasziniert zugleich auf die Wirkung des Schlages. Einige Sekunden lang zeigte sich auf dem blo?en Rucken des Mannes nichts, doch schon wahrend die Peitsche zum zweiten Schlag gehoben wurde, sprang die straffe Ruckenhaut von der Schulter bis zur Hufte in vielen feinen Rissen auf.