III Fleisch fur den Proviantmeister
Zwanzig Tage, nachdem die
Anker gelichtet hatte, kreuzte die Fregatte den drei?igsten Breitengrad und krangte abscheulich in einem tobenden Nordweststurm. Falmouth lag dreitausend Meilen zuruck, aber der Nordwest hielt das Schiff mit seinen Uberraschungen und Grausamkeiten noch immer in seinen Klauen.
Als es vom Vordeck ein Glasen schlug und die stumpfe, kupferfarbene Sonne den Horizont erreichte, pflugte die Fregatte durch endlose, mit wei?em Schaum gekronte Wogen, ohne Sorge oder Wissen um die Manner, die ihr Stunde um Stunde, Tag fur Tag dienten. Eine Wache war kaum nach unten entlassen, als die Maaten auch schon von Niedergang zu Niedergang rannten. Ihre Pfeifen schrillten, und ihre Stimmen uberschrien heiser das Donnern der Segel und das unaufhorliche Rauschen des Spritzwassers.
«Alle Mann an Deck! Alle Mann an Deck zum Segelreffen!»
Spater, steif und benommen von dem Hantieren in schwindelnder Hohe, krochen die Manner wieder herab. Der Korper war ein einziger Schmerz, die Finger waren steif und bluteten von dem Kampf mit der widerspenstigen Leinwand.
Die Freiwache duckte sich im Halbdunkel des Logis, klammerte sich an, wo es nur ging, und lauschte auf den Anprall der Wogen, wahrend sie versuchte, ihr Abendessen zu verzehren. Die an den Decksbalken pendelnden Laternen warfen sonderbare Schatten uber die gebeugten Kopfe, und Lichtflecke hoben einzelne Gesichter oder Gesten heraus.
Die Luken waren dicht, und die Luft war dick und mit Geruchen gesattigt. Der Geruch des Bilgewassers vermischte sich mit dem sauerlichen Gestank von Schwei? und Erbrochenem. Alles vibrierte und drohnte, wahrend das Schiff seinen Kampf mit dem Atlantik ausfocht. Der standige Anprall der Wellen, das triumphierende Gurgeln der Sturzseen, das unaufhorliche Knarren der Spanten und das Summen der straffen Stagen lie? die Manner kaum einen Augenblick Ruhe oder Schlaf finden.
John Allday sa? rittlings auf einer der langen, geschrubbten Banke und nagte an einem zahen Stuck Salzfleisch. Seinen kraftigen Zahnen kam es wie Leder vor, aber er zwang sich, es zu essen und nicht an das stinkende Fa? zu denken, aus dem es stammte. Wo ihn Brocks Stock gezeichnet hatte, zog sich jetzt eine ha?liche Narbe uber die Wange. Als er auf dem Fleisch herumkaute, spannte sich die Haut, und die Narbenrander, die Salzwasser und eisiger Wind wie mit groben Stichen zusammengezogen hatten, schmerzten.
Ohne zu blinzeln, beobachtete ihn uber den Tisch hinweg ein riesiger Seemann mit gewaltigen Schultern: Pochin. Er brach das Schweigen und sagte:»Du hast dich ganz gut eingewohnt, mein Junge. «Er lachelte freudlos.»Das ganze Spektakel, das du bei der Aushebung angestellt hast, war fur die Katz.»
Allday warf einen Knochen auf seinen Zinnteller und wischte sich die Finger mit einem Stuck Hanf ab. Er musterte den anderen mehrere Sekunden lang fest, ehe er antwortete:»Ich kann warten.»
Pochin starrte ins Dammerlicht. Mit erhobenem Kopf lauschte er auf das Wurgen einiger Manner.»Wie ein Haufen Weiber. «Er sah Allday an.»Ich hab' vergessen, da? du den Rummel von fruher kennst.»
Allday zuckte mit den Schultern und sah auf seine Handflachen.»Den Teer wird man nie los, nicht?«Er lehnte sich an die Spanten und seufzte.»Zuletzt war ich auf der
Ein alter, grauhaariger Mann mit verbla?ten blauen Augen sagte heiser:»Bist du wirklich Schafer gewesen?»
Allday nickte.»Das und anderes. Ich mu?te im Freien sein, weg von den Stadten. Unter einem Dach war' ich erstickt. «Er lachelte ein wenig.»Bin hin und wieder nach Falmouth rein, das war lange genug fur eine Frau und ein Glas oder zwei.»
Strachan, der alte Seemann, schob die Lippen vor und flog gegen den Tisch, als sich das Schiffjah uberlegte und die Teller durch das Logis trudelten.»Hort sich nach 'nem schonen Leben an, Junge. «Es klang weder sehnsuchtig noch neidisch, war nur eine Feststellung. Old Ben Strachan diente seit langem bei der Marine. Vor vierzig Jahren war er zum erstenmal als Pulver-affchen uber das Deck getrottet. Das Leben an Land war ihm ein Geheimnis, und im Vergleich zu seiner reglementierten Welt kam es ihm noch harter vor als die Entbehrungen an Bord.
Eine verkrummte Gestalt schob sich hinter dem Tisch hoch und schlug, die Arme zuerst, quer uber die Platte, mitten zwischen die Essensreste. Allday blickte sich um. Es war Bryan Ferguson. Seit Vibart ihn auf der Kustenstra?e rekrutiert hatte, schuttelten ihn Furcht und Seekrankheit. Er hatte als Angestellter auf einer Werft in Falmouth gearbeitet. Korperlich war er nicht gerade kraftig, und in dem durftigen Licht der Laterne sah sein Gesicht grau wie der Tod aus. Er war mager, und sein Korper wies an vielen Stellen blaue Flecke auf: dort, wo er gegen ungewohnte Ecken gerannt war oder wo ihn die Stocke der Bootsleute und Maaten getroffen hatten, die die Neuen in die Geheimnisse der Seefahrt einweihten und ihnen den Segeldrill beibrachten.
Tag fur Tag ging das so. Ohne Gnade oder Unterla? wurden sie von einem Teil des Schiffes zum anderen gehetzt. Zitternd vor Angst zog sich Ferguson die steilen Wanten hinauf und kletterte auf die Rahen hinaus, bis er das schaumende Wasser unter sich sah, das nach seinen Fu?en zu gieren schien. Das erstemal hatte er sich schluchzend an den Mast geklammert, weder fahig, hinaus auf die Rahe zu klettern, noch hinunter zur Sicherheit des Decks. Josling, ein Bootsmannsmaat, hatte gebrullt:»Los, raus auf die Rah, du Schlappschwanz, oder ich zieh dir das Fell uber die Ohren.»
In diesem Augenblick hatte Ferguson beinahe den Verstand verloren. Jedesmal, wenn der Steven der Fregatte durch eine Woge brach, blieb sein Heim weiter achter aus zuruck. Und damit seine Frau, deren Bild mit jeder Meile tiefer in der aufgewuhlten See versank.
Wieder und wieder rief er sich ihr bleiches, besorgtes Gesicht in Erinnerung, so wie er es zuletzt gesehen hatte. Als die Einwohner der Stadt merkten, da? die
auf Falmouth Bay zuhielt, waren die meisten jungen Stadter in die Hugel geflohen. Fergusons Frau lag seit drei Jahren krank darnieder. Sie war immer schwacher und durchsichtiger geworden. Er wollte bei ihr bleiben, doch sie gab nicht nach.
«Schlie? dich den anderen an, Bryan. Mir passiert schon nichts. Oder sollen sie dich hier fangen?»
Der Alptraum wurde unertraglich, wenn er daran dachte, wie alles gekommen war. Ware er bei ihr geblieben, sa?e er noch immer sicher daheim und konnte ihr helfen.
«Da, nimm was«, sagte Allday und schob Ferguson einen Teller mit Fleisch hinuber.»Du hast seit Tagen nichts gegessen, Mann.»
Ferguson hob den Kopf von den Unterarmen und starrte blicklos auf den Seemann. Allday hatte nicht ahnen konnen, da? Ferguson beinahe von der schwankenden Gro?rah gesprungen ware. Lieber das, als noch eine Stunde solcher Marter. Aber Allday war mit nach au?en gekehrten Fu?en uber die Rah heranbalanciert und hatte dem keuchenden Ferguson die Hand entgegengestreckt.»Los, Mann. Komm mir nach und schau nicht hinunter. «In seiner Stimme hatte Kraft gelegen wie in der eines Mannes, der erwartet, da? man ihm gehorcht. Im gleichen Ton hatte er barsch hinzugefugt:»Gib diesem schuftigen Josling keine Chance, dich zu schlagen. Dem Bastard macht's Freude, dich springen zu lassen.»
Ferguson starrte jetzt in das dunkle Gesicht, auf die Narbe, die die Wange uberzog, in die ruhigen, ehrlichen Augen. Allday war von der Stammbesatzung der Fregatte sofort akzeptiert worden, wahrend die anderen Neuankommlinge noch immer auf Abstand gehalten wurden, als waren sie auf Probe, bis ihre Vorzuge oder Mangel klar zu Tage lagen. Vielleicht lag es daran, da? Allday das Leben auf See kannte und bereits abgehartet war. Oder vielleicht daran, da? er keine Verbitterung uber die Zwangsrekrutierung zeigte und nicht wie andere mit dem Leben prahlte, das er an Land gefuhrt hatte.
Ferguson schluckte schwer, um die aufsteigende Ubelkeit zu unterdrucken.»Ich kann das nicht essen. «Angeekelt stierte er das Fleisch an.»Es ist Schweinefra?.»
Allday griente.»Wirst dich dran gewohnen.»
«Du machst mich krank. Vermutlich bist du doch mit deiner Frau immer auf die Mole hinausgegangen und hast beim Anblick eines Kriegsschiffs feuchte Augen bekommen«, hohnte Pochin.»Ich wette, du hast wer wei? was fur'n heiligen Stolz empfunden, wenn es in sicherer Entfernung vorbeisegelte.»
Wie hypnotisiert von dem Ha?, der aus Pochins Worten sprach, starrte Ferguson in das wutende Gesicht.
Pochins Blicke glitten durch das schragliegende Logis. Die zusammengedrangten Manner schwiegen seit seinem Ausbruch.»Aber an die armen Schweine, die so ein Schiff bemannen, habt ihr nie gedacht. Auch nicht an ihre Muhen. «Er wandte sich wieder Ferguson zu.»Na, dein liebes Weib steht jetzt mit 'nem anderen auf der Mole. Sollte mich nicht wundern. «Er machte eine obszone Geste.»Hoffen wir, da? sie Zeit findet, auf dich stolz zu sein.»
Ferguson taumelte hoch, Wahnsinn funkelte in den weitaufgerissenen Augen.»Dafur bringe ich dich um!»
Er holte aus, doch Allday packte die erhobene Faust.»La? das«, sagte er. Und zu dem grinsenden Pochin:»Seine Frau ist krank. La? ihn in Ruhe.»
«Ich hatte auch mal 'ne Frau«, sagte Old Ben Strachan unbestimmt und kratzte sich den grauen Kopf.»Liebe Gute, jetzt wei? ich nicht mal mehr, wie sie hie?.»
Einige lachten, doch Allday zischte zornig:»Nimm dich zusammen, Bryan! Gegen Manner wie Pochin kommst du nicht auf. Er beneidet dich, das ist alles.»
Ferguson begriff die freundliche Warnung nicht. Pochins aufreizender Ton hatte ihm sein ganzes Elend mit neuer Macht zu Bewu?tsein gebracht. Er sah seine Frau geradezu vor sich, im Bett am Fenster in die Kissen gelehnt, so deutlich, als ware er eben ins Zimmer getreten. An dem Tag, als das Pre?kommando ihn den Hugel hinabtrieb, hatte sie bestimmt so dagesessen und auf seine Heimkehr gewartet. Doch er wurde nie heimkehren, wurde sie nie wiedersehen.
Er torkelte auf die Fu?e und warf den Teller mit dem Fleisch auf den Boden.»Ich kann nicht. «Er kreischte es fast.»Ich will auch nicht!»
Ein pferdegesichtiger Backsgast namens Betts sprang auf, als schrecke er aus tiefem Schlaf hoch.»Verspottet ihn nicht, Leute. «Er stand schwankend unter einer Laterne.»Er hat fur diesmal genug.»
«Lieber Himmel!«knurrte Pochin und verdrehte in gespielter Besorgnis die Augen.
«Bei Gott, was soll er noch durchmachen, ehe du begreifst? Der Mann kommt beinah um vor Angst wegen seiner Frau, und andere haben ahnlichen Kummer. Doch ihr mu?t sie noch verhohnen!»
Allday rutschte auf seinem Sitz hin und her. Fergusons Verzweiflungsausbruch hatte geheime Gemutsbewegungen aufgeruhrt. Wochen, in einigen Fallen Jahre auf See, ohne einmal den Fu? an Land zu setzen, das fing an, grausamen Tribut zu fordern. Aber es machte auch gefahrlich und blind. Er hob die Hand und sagte leise:»Immer mit der Ruhe, Jungs, immer mit der Ruhe!»
Betts schielte ihn aus salzgeroteten Augen an.»Wie kannst du dich einmischen?«fragte er undeutlich.»Wir leben wie die Tiere von einem Fra?, der schon faulig war, ehe er in die Fasser gestopft wurde. «Er zog sein Messer und stie? es in den Tisch.»Aber diese Schweine achtern leben wie die Fursten. «Er spahte Unterstutzung suchend von einem zum anderen.»Na, stimmt's vielleicht nicht? Evans, dieser Bastard, hat sich von dem, was er uns gestohlen hat, vollgefressen wie eine Kirchhofsratte.»
«Ach, habe ich da eben meinen Namen gehort?»
Das Mannschaftslogis erstarrte in Schweigen, als Evans, der Proviantmeister, in den Lichtkreis trat. In dem langen, bis zum Hals zugeknopften Rock, mit dem schmalen Gesicht und dem streng nach hinten gekammten Haar sah er wie ein angreifendes Frettchen aus. Er legte den Kopf schief,»Nun, ich warte.»
Allday betrachtete ihn genau. Der kleine walisische Proviantmeister hatte etwas Boses und Erschreckendes an sich.
Evans bemerkte das Fleisch neben dem Tisch.»Und wer hat das getan?«fragte er bekummert und saugte an den Zahnen.
Niemand antwortete. Das Donnern von See und Wind waren die einzigen Gerausche im Zwischendeck.
Da schaute Ferguson hoch, seine Augen glanzten fiebrig.»Ich habe es getan.»
Evans lehnte sich mit den schmalen Schultern an den massiven Stamm des Fockmastes, der durch beide Decks lief, und sagte:»Ich habe es getan, Sir.»
Ferguson murmelte etwas und setzte dann hinzu:»Entschuldigung, Sir.»
«Es war ein Versehen, Mr. Evans«, sagte Allday kalt.»Ein Versehen.»
«Essen ist Essen. «Evans Arger stieg, und sein Waliser Akzent machte sich starker bemerkbar.»Wie kann ich hoffen, euch bei guter Gesundheit zu halten, wenn ihr so ausgezeichnetes Fleisch vergeudet?»
Die um den Tisch gescharten Manner starrten auf das formlose, stinkende Fleisch, das in einem Lichtfleck schimmerte.
Evans sagte scharf:»Sie, wie Sie auch hei?en, essen Sie es! Los!»
Ferguson stierte auf das Fleisch, der Kopf schwamm ihm vor Ubelkeit. Die Planken waren fleckig und schmutzig von Dingen, die vom Tisch gerutscht waren, wenn das Schiff uberholte. Dazwischen Erbrochenes. Vielleicht das, was er selber erbrochen hatte.
«Ich warte, mein Junge«, sagte Evans sanft.»Noch eine Minute, und ich bringe dich nach achtern. Die Katze wird dir beibringen, das Essen zu schatzen.»
Ferguson kniete sich hin und griff nach dem Fleisch. Als er es an den Mund hob, scho? Betts vor, ri? es ihm aus den Handen und warf es Evans an den Kopf.»Essen Sie es selber, Sie verdammter Teufel! Lassen Sie ihn in Ruhe.»
Einige Sekunden lang verrieten Evans dunkle Augen Furcht. Die Manner hatten sich dicht an ihn herangedrangt. Ihre Korper hoben und senkten sich mit jedem Rollen des Schiffes wie eine Woge aus Menschenleibern. Er spurte die Drohung, empfand plotzlich eisigen Schrecken.
Da schnitt eine andere Stimme durch die Schatten.»Auseinander!«Fahnrich Farquhar mu?te unter den niedrigen Balken gebuckt stehen, aber seine Augen waren fest und klar, als sie sich auf das erstarrte Bild am Ende des Tisches richteten.
Farquhar war heimlich und so leise eingetreten, da? ihn selbst die Manner auf der entgegengesetzten Seite nicht bemerkt hatten.»Ich warte«, fauchte er.»Was geht hier vor?»
Evans stie? die Manner, die am nachsten standen, beiseite und schnellte zu Farquhar herum. Seine Hande zitterten vor Furcht und Wut, als er auf Betts zeigte.»Er hat mich angegriffen.
Der Proviantmeister eilte davon. Farquhar musterte den Kreis der Gesichter mit offener Geringschatzung.»Ihr scheint eure Lektion nie zu lernen, was?«Er wandte sich Betts zu, der noch immer auf das Fleisch blickte und, wie nach einer machtigen Anstrengung, horbar atmete.»Sie sind ein Narr, Betts! Jetzt werden Sie dafur bu?en.»
Allday druckte seine Schultern gegen die kalten und nassen Spanten der Fregatte und schlo? die Augen. Er hatte gewu?t, wie alles kommen wurde. Ihm war ubel, wahrend er Betts' schweres Atmen und Fergusons leises Wimmern horte. Unvermittelt dachte er an die stillen grunen Hugel und die Herden grauer Schafe, an die Weite Cornwalls und ihren Frieden.
Dann bellte Farquhar:»Bringen Sie ihn fort, Mr. Thain.»
Der Schiffsprofo? stie? Betts zum Niedergang und murmelte leise vor sich hin:»Kein einziges Auspeitschen mehr seit Falmouth. Ich wu?te, da? solche Weichheit ein schwerer Fehler war.»
Richard Bolitho stutzte die Hande auf das Fensterbrett eines der Heckfenster und blickte ins schaumende Kielwasser. Die Kajute lag bereits im Halbdunkel, da die
auf die untergehende Sonne zufuhr, doch die See war noch hell. Nur eine Andeutung von Purpur zeigte, da? der Abend nahte.