Elf Minuten - Coelho Paulo 12 стр.


Unter den Kolleginnen gab es Kameradschaft, aber keine Freundschaft; niemand erzählte viel von sich, und wenn die eine oder andere doch einmal mehr aus sich herausging, konnte Maria ihren Äußerungen weder Bitterkeit noch Schuldgefühle oder Traurigkeit entnehmen – höchstens Resignation. Doch gleichzeitig hatten sie alle diesen seltsam herausfordernden, stolzen und zuversichtlichen Blick, als wollten sie es mit der ganzen Welt aufnehmen. Bereits nach einer Woche galt man als »Professionelle« und hatte sich an die Standesregeln zu halten: niemals eine Ehe in Gefahr bringen (eine Prostituierte darf keine Bedrohung für die Stabilität einer Ehe sein), niemals Einladungen zu Treffen außerhalb der Arbeitszeit annehmen, den Kunden zuhören, ohne eine eigene Meinung zu äußern, wenn der Orgasmus dran war, zu stöhnen, die Polizisten auf der Straße zu grüßen, die Arbeits-und Gesundheitspapiere immer auf dem neuesten Stand zu halten und last not least die eigene Tätigkeit nicht allzu sehr zu hinterfragen – sie waren, was sie waren, Punktum.

Maria galt bald als die Intellektuelle der Gruppe, weil sie sich abends, bevor der Betrieb losging, die Zeit mit Lesen vertrieb. Anfangs hatten ihr die Kolleginnen neugierig über die Schulter gesehen, in der Hoffnung auf eine süffige Liebesgeschichte, aber als sie merkten, um was für trockene und uninteressante Themen wie Wirtschaft, Psychologie und (seit kurzem) Führung landwirtschaftlicher Betriebe es sich handelte, ließen sie Maria bald in Ruhe, und diese konnte ungestört lesen und sich Notizen machen.

Bald hatte sie auch Milans Vertrauen gewonnen, denn sie erfreute sich eines großen, festen Kundenstamms und hatte immer Arbeit, selbst wenn einmal nicht viel los war. Dies trug ihr hinwiederum ein gewisses Ressentiment seitens ihrer Kolleginnen ein, welche die Brasilianerin ehrgeizig, arrogant und geldgierig fanden. Letzteres stritt sie auch nicht ab, doch verhielt es sich mit den anderen nicht genauso?

Abfällige Bemerkungen bringen einen nicht um, sie gehören zum Leben eines erfolgreichen Menschen nun mal dazu, und man gewöhnt sich lieber gleich daran. Maria hielt jedenfalls unbeirrt an ihren zwei Zielen fest: zum vorgesehenen Termin nach Brasilien zurückzukehren und eine Farm zu kaufen.

Sie war jetzt tage in, tagaus mit ihren Gedanken bei Ralf. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie glücklich, obwohl ihr Geliebter nicht bei ihr war und obwohl sie insgeheim bereute, ihm ihre Liebe gestanden und damit alles aufs Spiel gesetzt zu haben. Andererseits: Was riskierte sie schon, wenn sie keine Gegenleistung erwartete? Sie erinnerte sich, wie ihr Herz schneller geschlagen hatte, als Milan erwähnte, daß er ein spezieller Freier sei – oder gewesen sei. Was bedeutete das? Sie war eifersüchtig, fühlte sich hintergangen.

Eifersucht war normal, obwohl das Leben sie gelehrt hatte, daß es unsinnig ist, zu glauben, man könne jemand anderen besitzen – wer das glaubte, machte sich etwas vor. Dennoch sollte die Eifersucht weder unterdrückt noch überbewertet oder als Zeichen von Schwäche verurteilt werden.

Der liebt stärker, der seine Schwäche zeigen kann. Wenn meine Liebe wahrhaftig ist (und ich sie mir nicht nur einbilde), wird die Freiheit die Eifersucht besiegen und auch den damit verbundenen Schmerz – denn auch dieser Schmerz, ist ganz natürlich. Sportler wissen: Wer sein Ziel erreichen will, muß bereit sein, seine tägliche Dosis Schmerz oder Unbehagen zu ertragen. So unangenehm und demotivierend es anfangs sein mag, mit der Zeit begreift man es als Teil eines Prozesses, und wenn die Schmerzen eines Tages ausbleiben, haben wir Angst, daß das Training nicht mehr wirkt.

Die Gefahr liegt darin, den Schmerz zu fokussieren, ihm gar einen Namen zu geben, ihn nicht vergessen zu können; doch über dieses Stadium war Maria Gott sei Dank hinaus.

Dennoch überraschte sie sich dabei, wie sie überlegte, wo Ralf wohl steckte, warum er sie nicht besuchte, ob er diese Geschichte mit dem Bahnhof und dem unterdrückten Begehren dumm gefunden, ob sie ihn mit ihrer Liebeserklärung in die Flucht geschla gen hatte. Um zu verhindern, daß sich ihre schönen Gefühle ins Gegenteil verkehrten, entwickelte sie eine Methode:

Wann immer ihr etwas Positives in Zusammenhang mit Ralf Hart einfiel – das konnte das Kaminfeuer sein oder der Wein oder etwas, was sie gern mit ihm besprochen hätte, oder auch nur die angenehme Bangigkeit, nicht zu wissen, wann sie ihn wiedersehen würde –, hielt Maria mitten in ihrer Tätigkeit inne, lächelte und dankte dem Himmel dafür, daß sie am Leben war und keine Erwartungen an den Mann stellte, den sie liebte.

Wenn aber ihr Herz sich über seine Abwesenheit grämte oder darüber, was sie bei ihrem letzten Treffen Unsinniges gesagt haben mochte, dann redete sie sich gut zu.

›Na gut‹, sagte sie zu ihrem Herzen, ›denk, was du willst, während ich mich wichtigeren Dingen widme.‹

Dann versenkte sie sich wieder in ihre Bücher oder achtete besonders genau auf ihre Umgebung – auf Farben, Menschen, Geräusche (vor allem auf das Geräusch ihrer eigenen Schritte), auf den Autolärm, auf das Rascheln beim Umblättern der Buchseiten, auf Gesprächsfetzen und dann verschwanden die negativen Gedanken wieder. Sie wiederholte den Trick so lange, bis die ›negativen Gedanken‹ – weil Maria sie annahm und zugleich freundlich in die Schranken verwies – länger fernblieben.

Einer dieser negativen Gedanken war, daß sie Ralf womöglich nie wiedersehen würde. Mit ein wenig Übung und viel Geduld gelang es ihr, den negativen in einen positiven Gedanken zu verwandeln: Selbst wenn sie einmal nicht mehr hier lebte, würde Genf für immer mit dem Gesicht eines Mannes mit langem, altmodisch geschnittenem Haar, kindlichem Lächeln und tiefer Stimme verbunden bleiben. Und wenn dann jemand sie fragen würde, wie ihr die Stadt vorgekommen sei, die sie als junge Frau kennengelernt hatte, könnte sie sagen:

›Schön, imstande zu lieben und geliebt zu werden.‹

Aus Marias Tagebuch, an einem Tag, an dem sie erst später ins ›Copacabana‹ mußte:

Sex ist wie eine Droge, das merke ich immer deutlicher, und hat für die meisten Leute, mit denen ich hier zusammentreffe, eine ähnliche Funktion: Der Sex soll ihnen helfen, der Realität zu entfliehen, ihre Probleme zu vergessen, sich zu entspannen. Er ist auch genauso schädlich wie eine Droge.

Wenn jemand sich berauschen will, egal ob mit Sex oder etwas anderem, dann ist das seine Sache; mit guten oder weniger guten Konsequenzen, je nachdem. Aber wenn wir im Leben weiterkommen wollen, müssen wir lernen, zwischen gut und wirklich gut zu unterscheiden.

Anders als meine Kunden glauben, kann man Sex nicht zu beliebigen Zeiten praktizieren. Jeder hat dafür eine innere Uhr, deren Zeiger auf die innere Uhr seines Partners abgestimmt sein müssen. Das klappt nicht immer. Wer liebt, braucht den Sex nicht, um sich gut zu fühlen. Zwei Menschen, die sich liebhaben, müssen ihre Zeiger geduldig und beharrlich in vielfältigen Rollenspielen aufeinander abstimmen, bis sie begreifen, daß Liebe sehr viel mehr ist als eine Begegnung zweier Körper; es ist eine »Umarmung« von Körper und Seele zugleich.

Alles ist wichtig. Ein Mensch, der sein Leben intensiv lebt, genießt die ganze Zeit, auch ohne Sex. Und wenn er Sex hat, dann geschieht das aus dem Überfluß heraus. Wie bei einem Glas Wein, das so lange gefüllt wird, bis es irgendwann zwangsläufig überläuft. Genauso unausweichlich ist die körperliche Vereinigung, weil der Mensch in diesem Augenblick den Ruf des Lebens annimmt, weil er dann – und nur dann fähig ist, loszulassen, die Kontrolle aufzugeben.

PS: Habe gerade gelesen, was ich da geschrieben habe. Himmel, klingt das intellektuell!

Kurz nachdem sie dies geschrieben hatte und sich auf eine weitere Nacht als ›zärtliche Mutter‹ oder ›naive Unschuld‹ vorbereitete, ging die Tür des ›Copacabana‹ auf, und Terence kam herein.

Milan hinter der Bar wirkte zufrieden: das Mädchen hatte seine Erwartungen nicht enttäuscht. Maria mußte sofort an Terence' Worte denken, die so rätselhaft auf sie gewirkt hatten: »Schmerz, Leid und viel Lust.«

»Ich bin extra aus London herübergeflogen, um dich zu sehen. Ich habe viel an dich gedacht.«

Sie lächelte, versucht e dabei, ihr Lächeln nicht ermutigend wirken zu lassen. Wieder hielt er sich nicht an das Ritual, lud sie weder zu einem Drink noch zum Tanzen ein, setzte sich einfach nur an ihren Tisch.

»Wenn ein Lehrer seiner Schülerin etwas Neues zeigt, entdeckt der Lehrer dabei auch etwas Neues.«

»Ich weiß, wovon du redest«, entgegnete Maria, die an Ralf Hart denken mußte und die bedauerte, daß nicht Ralf, sondern Terence dasaß und sie seine Wünsche respektieren und alles tun mußte, um ihn zufriedenzustellen.

»Willst du weitermachen?«

Tausend Franken. Ein verborgenes Universum. Ein Chef, der sie ansah. Die Gewißheit, daß sie aufhören könnte, wann sie wollte. Das festgelegte Datum ihrer Rückkehr nach Brasilien.

Ein anderer Mann, auf dessen Besuch sie vergebens wartete.

»Hast du's eilig?« fragte Maria.

Er verneinte. Was sie wolle?

»Ich möchte meinen Drink, meinen Tanz, Respekt.«

Er zögerte minutenlang, aber das gehörte zum Rollenspiel, zum Beherrschen und zum Beherrschtwerden. Er spendierte ihr einen Drink, tanzte mit ihr, ließ ein Taxi kommen, gab ihr unterwegs das Geld. Sie hielten vor demselben Hotel. Sie traten ein, er grüßte den italienischen Portier genauso wie in der Nacht, als sie sich kennengelernt hatten. Terence bewohnte auch wieder dieselbe Suite mit Blick auf den Fluß wie beim ersten Mal.

Terence nahm ein Feuerzeug, und erst da bemerkte Maria, daß Dutzende von Kerzen im Raum verteilt waren. Er begann sie anzuzünden.

»Was willst du wissen? Warum ich so bin? Warum du die Nacht offenbar großartig gefunden hast, die wir zusammen verbracht haben? Willst du wissen, ob du auch so bist?«

»Ein brasilianischer Aberglaube besagt, daß man nie mehr als drei Kerzen mit demselben Streichholz anzünden darf. Du hast dagegen verstoßen.«

Er überhörte die Bemerkung.

»Du bist wie ich. Du bist nicht wegen der tausend Franken hier, sondern aus einem Gefühl von Schuld, Abhängigkeit, mangelnder Selbstsicherheit heraus und wegen deiner Komplexe. Es ist weder gut noch schlecht, es liegt in der Natur des Menschen.«

Er nahm die Fernbedienung des Fernsehers, wechselte mehrmals den Kanal, bis er bei einer Nachrichtensendung stehenblieb, in der Flüchtlinge versuchten, einem Krieg zu entkommen.

»Siehst du das? Oder hast du auch schon diese anderen Programme gesehen, in denen Menschen ihre persönlichen Probleme vor aller Welt ausbreiten? Bist du schon mal zum Kiosk gegangen und hast die Schlagzeilen gelesen? Die Welt weidet sich am Leid und am Schmerz. Sadismus des Zuschauers und zugleich Masochismus, weil wir, obwohl wir nicht müssen, uns mit dem Leid der anderen konfrontieren und identifizieren.«

Er goß zwei Gläser Champagner ein, stellte den Fernseher ab und zündete, unbekümmert von Marias Aberglauben, noch mehr Kerzen an.

»Ich sage es noch einmal: Es liegt in der Natur des Menschen. Seit wir aus dem Paradies vertrieben worden sind, erfahren wir Leid oder sehen zu, wie andere leiden. Das läßt sich nun mal nicht ändern.«

Draußen donnerte es, ein heftiges Gewitter zog herauf.

»Ich bringe es einfach nicht fertig, mir vorzustellen, daß du mein Meister bist und ich deine Sklavin. Es kommt mir so lächerlich vor. Wir haben diese Rollenspiele nicht nötig, das Leben fügt uns schon genug Leid zu«, sagte Maria.

Terence hatte inzwischen alle Kerzen angezündet, nahm eine, stellte sie mitten auf den Tisch, brachte Kaviar, schenkte Champagner nach. Maria trank hastig, dachte an die tausend Franken, die schon in ihrer Tasche steckten, an das Unbekannte, das sie faszinierte und ihr gleichzeitig angst machte, überlegte, wie sie ihre Angst in den Griff bekommen könnte. Sie wußte, daß mit diesem Mann keine Nacht wie die andere sein würde, fürchtete sich aber nicht.

»Setz dich!«

Die Stimme war bald sanft, bald fordernd und herrisch. Maria gehorchte, und es überlief sie heiß; dieser Befehl war ihr vertraut, sie fühlte sich sicherer.

›Rollenspiel. Ich muß in die Rolle schlüpfen.‹

Es tat gut, Befehle zu erhalten. Sie brauchte nicht nachzudenken, nur zu gehorchen. Sie bat um mehr Champagner, er brachte ihr Wodka; der stieg schneller zu Kopf, enthemmte rascher.

Er öffnete die Flasche, Maria trank praktisch allein, während es draußen blitzte und donnerte, als wollte auch der Himmel seine gewalttätige Seite zeigen.

Irgendwann holte Terence einen kleinen Koffer aus dem Schrank und stellte ihn aufs Bett.

»Beweg dich nicht!«

Maria rührte sich nicht. Er öffnete den Koffer und holte Lederriemen und ein Paar Handschellen aus verchromtem Metall heraus.

»Mach die Beine breit!«

Sie gehorchte. Wehrlos, unterwürfig, weil sie es so wollte. Sie merkte, daß er ihr zwischen die Beine schaute, ihren schwarzen Slip sehen konnte, den Strumpfhalter, die Strümpfe, die Schenkel, daß er sich ihre Scham, ihr Geschlecht vorstellte.

»Steh auf!«

Sie sprang auf. Es fiel ihr schwer, das Gleichgewicht zu halten, sie merkte, daß sie betrunkener war, als sie erwartet hatte.

»Schau mich nicht an! Senk den Kopf, verneige dich vor deinem Meister!«

Noch bevor sie den Kopf senken konnte, nahm sie wahr, wie eine feine Peitsche aus dem Koffer geholt wurde und in der Luft knallte – als hätte sie ein Eigenleben.

»Trink. Halte den Kopf gesenkt, aber trink!«

Sie trank noch mehr Wodka. Das war kein Spiel, kein Theater mehr, sondern Realität: sie hatte nichts mehr im Griff. Sie fühlte sich als Objekt, als Werkzeug, und paradoxerweise gab ihr diese Unterwerfung ein Gefühl vollkommener Freiheit. Sie war nicht mehr die Meisterin, diejenige, die lehrt, tröstet, Bekenntnisse anhört, die Begehren erweckt; sie war nur noch das Mädchen aus der brasilianischen Provinz, das sich vor dem übermächtigen Mann verneigte.

»Zieh dich aus!«

Ein knapper Befehl, der kein Begehren ausdrückte und gerade deshalb erotisch wirkte. Den Kopf ehrerbietig auf die Brust gesenkt, knöpfte Maria ihr Kleid auf und ließ es zu Boden gleiten.

»Du machst alles verkehrt, hörst du?«

Wieder knallte die Peitsche in der Luft.

»Du mußt bestraft werden. Ein großes Mädchen wie du, wie kannst du es wagen, mir zu widersprechen? Du solltest vor mir knien!«

Maria schickte sich an niederzuknien, aber die Peitsche unterbrach sie mitten in der Bewegung; zum ersten Mal berührte die Schnur ihr Fleisch – Gesäß. Es brannte, schien aber keine Spuren zu hinterlassen.

»Habe ich nicht gesagt, du sollst niederknien?«

»Nein.«

Wieder berührte die Peitsche ihr Gesäß.

»Sag ›Nein, Meister!‹«

Und noch ein Peitschenhieb. Diesmal brannte es heftiger. Sie konnte jederzeit aufhören; oder sich entscheiden, bis zum Ende zu gehen, nicht wegen des Geldes, sondern weil – wie Terence bei ihrer ersten Begegnung gesagt hatte – ein Mensch sich nur dann wirklich kennt, wenn er bis an seine Grenzen vorstößt.

Und dies hier war neu; das war ein Abenteuer; ob sie weitermachen wollte oder nicht, konnte sie immer noch entscheiden; in diesem Augenblick hörte sie auf, das Mädchen mit den drei Zielen im Leben zu sein, das Geld mit seinem Körper verdiente, das einen Mann kennengelernt und interessante Geschichten von ihm zu hören bekommen hatte. Hier war sie niemand – und da sie niemand war, war sie alles, was sie träumte.

»Zieh dich nackt aus! Und geh dazu auf und ab, damit ich dich sehen kann!«

Wieder gehorchte sie, hielt den Kopf gesenkt, schwieg. Der Mann, der sie ungerührt beobachtete, war vollständig bekleidet. Er war nicht mehr derselbe wie der, der sie im Nachtclub angesprochen hatte. Dieser Mann war ein Odysseus aus London, ein Theseus, der vom Himmel heruntergestiegen, ein Entführer, der in die sicherste Stadt der Welt und das verschlossenste Herz der Welt eingedrungen war. Sie zog Slip und BH aus, fühlte sich zugleich wehrlos und geborgen. Die Peitsche knallte wieder durch die Luft, berührte aber diesmal ihren Körper nicht.

»Halt den Kopf gesenkt! Du bist hier, um gedemütigt zu werden, um dich allem zu unterwerfen, was ich wünsche, verstanden?«

»Ja, Meister.«

Er packte ihre Arme, fesselte ihre Handgelenke. »Ich werde dich so lange züchtigen, bis du gelernt hast, dich zu benehmen.«

Er schlug sie auf die Hinterbacken, mit der Hand. Maria schrie auf. Diesmal hatte es weh getan.

»Ach, du beklagst dich, was? Na, du wirst schon noch erleben, was guttut.«

Noch bevor sie reagieren konnte, steckte ein lederner Knebel in ihrem Mund. Sie hätte noch reden, hätte noch ›gelb‹ oder ›rot‹ sagen können, aber sie spürte, daß sie diesen Mann alles mit ihr machen lassen und daß sie nicht heil davonkommen würde. Sie war nackt, geknebelt, trug Handschellen an den Handgelenken, und statt Blut floß Wodka in ihren Adern.

Noch ein Klaps auf die Hinterbacken. »Geh auf und ab!«

Maria setzte sich in Bewegung, gehorchte den Kommandos »halt«, »dreh dich nach rechts«, »setz dich«, »mach die Beine breit«. Hin und wieder erhielt sie unvermittelt einen K laps. Sie spürte den Schmerz, fühlte die Erniedrigung, die mächtiger und stärker war als der Schmerz, und wähnte sich in einer anderen Welt, in der nichts weiter existierte als Schmerz und Erniedrigung; und diese vollkommene Selbstaufgabe, der blinde Gehorsam, die Vorstellung, das Ich zu verlieren, keine Wünsche, keinen eigenen Willen mehr zu haben, mündeten in einem geradezu religiösen Gefühl. Sie war vollkommen naß, erregt, und verstand nicht, wieso. »Knie dich wieder hin!« Da sie zum Zeichen ihres Gehorsams und ihrer Demütigung den Kopf immer gesenkt hielt, konnte Maria nicht sehen, was um sie herum geschah. Doch sie hörte den Mann heftig atmen, als wäre er es müde, mit der Peitsche zu knallen und mit der Hand auf ihr Gesäß zu schlagen, während sie selbst sich immer kräftiger und voller Energie fühlte. Sie hatte jetzt jegliches Schamgefühl verloren. Es machte ihr nichts aus, zu zeigen, daß sie Gefallen daran fand. Sie begann zu stöhnen, wollte, daß er ihr Geschlecht berührte, aber der Mann packte sie statt dessen und warf sie aufs Bett.

Gewaltsam – aber mit einer Gewalt, von der sie wußte, daß sie ihr nichts anhaben konnte – schob er ihre Beine auseinander und band sie an den Bettpfosten fest. Sie lag da, geknebelt, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, mit gespreizten Beinen.

Wann würde er in sie eindringen? Sah er nicht, daß sie bereit war, daß sie ihm dienen wollte, seine Sklavin, sein Tier, sein Objekt war, daß sie alles tun würde, was er verlangte?

»Soll ich dich fertigmachen?«

Sie spürte, wie er mit dem Griff der Peitsche ihr Geschlecht berührte. Er rieb damit von oben nach unten, und in dem Augenblick, als er ihre Klitoris berührte, verlor sie die Kontrolle. Plötzlich kam der Orgasmus, ein Orgasmus, wie ihn Dutzende, Hunderte von Männern in all den Monaten nicht hatten wecken können. Ein Licht explodierte, sie spürte, wie sie in eine Art schwarzes Loch in ihrer Seele fiel. Dort vermischte sich intensiver Schmerz mit intensiver Angst zu totaler Lust und trug sie über Grenzen hinaus, die sie nicht kannte. Maria stöhnte, schrie mit vom Knebel erstickter Stimme, wälzte sich auf dem Bett hin und her, spürte, wie die Handschellen in ihre Gelenke schnitten und die Lederriemen in ihre Fußgelenke, und gerade weil sie sich nicht bewegen konnte, bewegte sie sich wie nie zuvor. Weil sie einen Knebel im Mund hatte und niemand sie würde hören können, schrie sie, wie sie noch nie zuvor geschrien hatte. Da waren Schmerz und Lust, der Peitschengriff, der immer stärker auf ihre Klitoris drückte. Und der Orgasmus drang aus ihrem Mund, aus dem Geschlecht, den Augen, aus allen Poren.

Sie verfiel in eine Art Trance, kam dann allmählich wieder zu sich: Es gab keine Peitsche mehr zwischen ihren Beinen, nur die vom reichlichen Schweiß nasse Scham, und zärtliche Hände nahmen ihr die Handschellen ab und lösten die Lederriemen von ihren Füßen.

Sie blieb liegen, verwirrt, außerstande, den Mann anzusehen, weil sie sich schämte, sich ihrer Schreie, ihres Orgasmus schämte. Terence strich ihr übers Haar und atmete ebenfalls schwer – aber die Lust war ganz allein ihr vorbehalten gewesen; er hatte keinerlei Ekstase erlebt.

Sie schmiegte sich an den vollkommen angekleideten Mann, der vom vielen Befehlen, Schreien, Kontrollieren ganz erschöpft war. Ihr fiel nichts ein, was sie sagen könnte, was sie jetzt machen sollte, aber sie fühlte sich sicher, geborgen: er hatte sie zu einem Teil ihrer selbst geführt, den sie nicht kannte, er war ihr Beschützer und ihr Meister.

Sie begann zu weinen, und er wartete geduldig, bis sie sich wieder beruhigt hatte.

»Was hast du mit mir gemacht?« fragte sie unter Tränen.

»Das, was du wolltest.«

Sie schaute ihn an und spürte, daß sie ihn verzweifelt brauchte.

»Ich habe dir keine Gewalt angetan, habe dich nicht gezwungen und habe dich nicht ›gelb‹ sagen hören; meine Macht war nur die, die du mir gegeben hast. Es gab keinen Zwang, keine Erpressung, nur deinen Willen; obwohl du die Sklavin warst und ich der Meister, bestand meine Macht nur darin, dich in deine eigene Freiheit zu stoßen.«

Handschellen. Lederriemen an den Füßen. Knebel. Demütigung, die stärker und intensiver gewesen war als der Schmerz. Dennoch – und da hatte er recht – war sie vom Gefühl vollkommener Freiheit erfüllt gewesen. Maria fühlte sich voller Energie, Lebenskraft und war überrascht, daß der Mann so erschöpft war.

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