Bis jetzt wußte ich nicht, ob er der Erwartete sei. Nun aber, als er nahe an der Schmiede hielt, um abzusteigen, erkannte ich deutlich, daß das Pferd ein Falben war. Der Mann trug ein rotes Fez, einen grauen Mantel und hatte einen kleinen hellen Schnurrbart. Und als er jetzt abstieg, erblickte ich die roten türkischen Schuhe. Er war also der rechte Mann.
Er band sein Pferd an die Türe der Schmiede und trat dann in das Haus, in dessen Türöffnung er verschwand.
Ich schlich mich ihm nach. Der Schmied war in die größere Abteilung seines Hauses gegangen, wo seine Frau lag. Da der Fremde ihm dorthin gefolgt war, konnte ich eintreten und versteckt von der aus Weiden geflochtenen Scheidewand alles hören, was gesprochen wurde. Der Fremde stand mit dem Rücken nach mir, der Schmied vor ihm, die Fackel in der Hand. Die Frau schien sich etwas erholt zu haben; sie hatte die Augen geöffnet und den Kopf in die Hand gestemmt und hörte dem Gespräche der beiden zu.
Der Schmied erhielt von dem Andern Vorwürfe, daß er sich so wenig freundlich benommen habe; das erbitterte ihn. Er ließ sich aus Aerger zur Unvorsichtigkeit verleiten und sagte:
»Ich bin nur gegen ehrliche Leute freundlich.«
»Meinst du etwa, daß ich nicht ehrlich bin?«
»Ja, das meine ich.«
»Du bist ein Grobian, wie es gar keinen größeren geben kann! Wie willst du wissen, ob ich ein ehrlicher Mann bin oder nicht? Kennst du mich etwa?«
»Ja, ich kenne dich.«
»Wo hast du mich gesehen?«
»Ich habe dich noch nicht gesehen, aber gehört habe ich von dir.«
»Wo und von wem?«
»Hier, von einem fremden Effendi, welcher ganz genau weiß, daß du ein Spitzbube bist.«
»Wann?«
»Heute, vor ganz kurzer Zeit.«
»Du lügst!«
»Ich lüge nicht, ich sage die Wahrheit. Ich kann es dir beweisen. Ich weiß nämlich ganz genau, was du bei mir erfahren willst.«
»Das kannst du unmöglich wissen!«
»Ich weiß es ganz gewiß!«
»So sage es!«
»Du willst dich nach Manach el Barscha und Barud el Amasat erkundigen.«
Der Andere machte eine Bewegung des Schreckens und fragte:
»Woher weißt du das?«
»Eben von jenem Effendi.«
»Wer ist er?«
»Das brauchst du nicht zu wissen. Wenn er will, so wirst du es erfahren.«
»Wo befindet er sich?«
»Das habe ich dir nicht zu sagen.«
»Meinst du? Wie nun, wenn ich dich zwinge!«
»Ich fürchte mich nicht.«
»Auch vor dem da nicht?«
Er zog ein Dolchmesser hervor und hielt es ihm entgegen.
»Nein, auch vor diesem Messer nicht. Ich bin nicht allein.«
Ich war an die Oeffnung des Weidengeflechtes, welche als Türe diente, getreten. Bei den letzten Worten zeigte der Schmied auf mich. Der Fremde drehte sich um, erblickte mich und rief:
»Das ist des Teufels!«
Er sah höchst erschrocken aus, und auch ich war überrascht, denn ich erkannte in ihm jenen Menschen, der mich so eigentümlich beobachtet hatte, als ich mit dem »Tanzenden« durch die Straßen von Edreneh gekommen war. Er hatte den Ausruf in walachischer Sprache getan. War er ein Walache? In so unbewachten Augenblicken pflegt der Bestürzte sich gewöhnlich seiner Muttersprache zu bedienen.
Ich mußte das, was der Schmied verdorben hatte, wieder gut zu machen suchen. Er hätte gar nicht verraten sollen, was er von ihm wußte. Er mußte dessen Fragen abwarten; dann erst war es Zeit, sich zu äußern.
»Das ist nur zu wahr,« antwortete ich auch rumänisch. »Du bist des Teufels!«
Er faßte sich, steckte das Messer, mit welchem er dem Schmiede gedroht hatte, wieder zu sich und sagte:
»Was willst du? Ich kenne dich nicht!«
»Das ist auch nicht notwendig. Die Hauptsache ist, daß ich dich kenne, mein Bursche!«
Er machte ein ganz erstauntes Gesicht, schüttelte den Kopf und meinte im Tone aufrichtigster Beteuerung:
»Ich kenne dich nicht! Gott ist mein Zeuge!«
»Lästere Gott nicht! Er ist Zeuge, daß du mich gesehen hast!«
»Wo denn?«
»In Edreneh.«
»Wann?«
»Pah! Kannst du türkisch sprechen?«
»Ja.«
»So laß dein Rumänisch jetzt. Dieser brave Schmied soll auch hören und verstehen, was wir reden. Du gestehst doch zu, daß du anwesend warst, als Barud el Amasat in Edreneh verurteilt wurde, weil er gegen das Gesetz gesündigt hatte?«
»Ich war nicht dabei, und ich weiß von nichts.«
Ich hatte ihn allerdings nicht unter den Zuschauern gesehen. Darum mußte ich seine Versicherung ohne Entgegnung hinnehmen. Doch fragte ich weiter:
»Du kennst aber Barud el Amasat?«
»Nein.«
»Auch nicht seinen Sohn Ali Manach?«
»Nein.«
»Warum erschrakst du so sehr, als du ihn als meinen Gefangenen erblicktest?«
»Ich habe weder dich, noch ihn gesehen.«
»Ah so! Du kennst wohl auch nicht den Handschia Doxati in Edreneh?«
»Nein.«
»Und bist auch nicht sofort, nachdem du mich und Ali Manach gesehen hattest, fortgeeilt, um deine und seine Verbündeten zu warnen?«
»Ich begreife nicht, wie du mir solche Fragen vorlegen kannst. Ich sage dir, daß ich von dem allem nicht das Geringste weiß!«
»Und ich sage dir, daß du von der Flucht des Gefangenen weißt, daß du schuld bist an dem Tode Ali Manachs, daß du aber nicht dafür kannst, daß die andere Kugel den Kawassen traf anstatt mich, und daß du dich jetzt auf dem Wege befindest, Manach el Barscha und Barud el Amasat zu warnen. Das alles weiß ich ganz genau.«
»Und dennoch irrst du dich. Du verkennst mich. Wo soll denn das, was du sprichst, geschehen sein? Wie ich aus deinen Reden vermute, in Edreneh?«
»Ja.«
»Und zwar vor kurzem? So wisse, daß ich seit mehr als einem Jahre nicht in Edreneh gewesen bin.«
»Du bist ein großer Lügner! Wo warst du in den letzten Tagen?«
»In Mandra.«
»Woher kommst du heute?«
»Aus Boldschibak, wo ich schon seit gestern früh gewesen bin.«
»In Mandra an der Maritza warst du? Hm, ja, an der Maritza bist du gewesen, aber eine bedeutende Strecke oberhalb Mandra, nämlich in Edreneh.«
»Soll ich schwören, daß du dich irrst?«
»Dein Schwur würde ein Meineid sein. Liegt Bu-kiöj etwa auf dem Wege von Mandra über Boldschibak nach hier?«
»Bu-kiöj? Das kenne ich nicht.«
»Du warst nicht dort?«
»Nein.«
»Du hast keinen der dortigen Einwohner nach drei Reitern gefragt, welche zwei Schimmel und einen Braunen ritten?«
»Nein.«
»Dieser Mann hat dich nicht zum Wächter gewiesen, der dich dann zum Kiaja führte?«
»Nein.«
»Wunderbar! Wir alle irren uns, nur du irrst dich nicht. Du mußt doch bedeutend klüger sein, als wir. Willst du mir vielleicht sagen, was du bist?«
»Ich bin Agent.«
»In welchem Fache?«
»Für alles.«
»Und wie heißt du?«
»Mein Name ist Pimosa.«
»Ein eigentümlicher Name. Ich habe ihn noch in keiner Sprache gefunden. Hast du ihn dir vielleicht ausgesonnen?«
Da zogen sich seine Brauen drohend zusammen.
»Herr,« fragte er, »wer gibt dir das Recht, in dieser Weise mit mir zu sprechen?«
»Ich gebe es mir!«
Und der Schmied fügte hinzu:
»Das ist nämlich der Effendi, von dem ich vorhin gesprochen habe.«
»Ich merke es,« antwortete er. »Aber er mag ein Effendi aller Effendis sein, so erlaube ich ihm doch nicht, mich unhöflich zu behandeln! Ich kenne die Art und Weise, wie man Leute seines Schlages höflich macht, sehr genau.«
»Nun, wie fängt man das an?« fragte ich.
»So!«
Er legte die Hand an den Gürtel, in welchem seine Waffen steckten, und zog die Pistole halb heraus.
»Gut, das ist eine Sprache, vor deren Deutlichkeit ich allen Respekt habe. Ich werde also höflicher sein. Wirst du vielleicht die Freundlichkeit haben, mir zu sagen, wo du geboren bist?«
»So!«
Er legte die Hand an den Gürtel, in welchem seine Waffen steckten, und zog die Pistole halb heraus.
»Gut, das ist eine Sprache, vor deren Deutlichkeit ich allen Respekt habe. Ich werde also höflicher sein. Wirst du vielleicht die Freundlichkeit haben, mir zu sagen, wo du geboren bist?«
»Ich bin ein Serbe, aus Lopaticza am Ibar gebürtig.«
»Ich will so höflich sein, zu tun, als ob ich es glaube, halte dich aber im stillen für einen Walachen oder Rumänier, was ganz dasselbe ist. Wo willst du hin?«
»Nach Ismilan.«
»Wunderbar! Du bist ein so kluger Mann und machst einen so bedeutenden Umweg? Wie kommst du nach Koschikawak, wenn es deine Absicht war, von Mandra nach Ismilan zu reiten? Dein Weg hätte dich viel weiter südlich geführt.«
»Ich hatte eben an den Orten, die ich berührte, zu tun. Aber nun verbitte ich mir alles weitere. Bist du etwa ein Beamter der Polizei, daß du mich wie einen Verbrecher ausfragst?«
»Gut, ich will dir auch hierin deinen Willen tun. Sage mir nur noch, warum du hier abgestiegen bist!«
»Wollte ich etwa absteigen? Dieser Schmied hat mich dazu gezwungen, da er im Freien nicht antworten wollte.«
»Hast du ihm nun deine Fragen vorgelegt?«
»Nein.«
»So tue es jetzt, damit du erfährst, was du erfahren wolltest!«
Er wurde verlegen, aber nur ein wenig; er faßte sich schnell und antwortete:
»Dazu ist mir nun die Lust vergangen. Wenn man in dieser Weise behandelt wird, so wirft man sein Ungeziefer ab und geht.«
Er machte dabei die Pantomime des Auskämmens und schickte sich zum Gehen an.
»Nennst du etwa dies eine Höflichkeit?« lachte ich.
»Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil!«
Das war wieder walachisch. Er schien mir denn doch kein Serbe zu sein.
»Du scheinst die Anwendung von Sprichwörtern zu lieben,« bemerkte ich, indem ich mich ihm durch eine Wendung in den Weg stellte. »Das deinige enthält nicht viel Lebensklugheit. Besser klingt es: Mit dem Hute in der Hand kommt man durchs ganze Land. Ich habe mir vorgenommen, höflich gegen dich zu sein, und bitte dich also, noch ein wenig bei mir zu bleiben.«
»Bei dir? Wo ist das bei dir? Wo wohnst du?«
»Hier.«
»Dieses Haus gehört dem Schmied. Er selbst hat dich ja einen fremden Effendi genannt.«
»Er hat gar nichts dagegen, wenn ich dich zum Bleiben einlade.«
»Was soll ich hier? Ich habe keine Zeit, ich muß fort.«
»Du sollst die andern Gäste erwarten, welche noch kommen werden. Sie wollen dich hier treffen.«
»Wer sind diese Leute?«
»Kawassen aus Edreneh.«
»Geh zum Teufel!«
»Fällt mir nicht ein! Ich bleibe bei dir. Dort ist Platz. Habe die Güte, dich niederzusetzen.«
»Bist du etwa verrückt? Packe dich auf die Seite!«
Er wollte an mir vorüber; ich aber ergriff ihn beim Arme und hielt ihn fest, doch ohne ihm wehe zu tun.
»Ich muß dich wirklich bitten, bei uns zu bleiben,« sagte ich dabei. »Die Kawassen, von denen ich vorhin sprach, möchten sehr gern mit dir reden.«
»Was habe ich mit ihnen zu schaffen?«
»Du mit ihnen allerdings nichts, aber sie mit dir.«
Da blitzte es zornig in seinen Augen.
»Tue die Hand von mir!« gebot er.
»Pah! Man wird dafür sorgen, daß du Manach el Barscha nicht mehr erreichst!«
Jetzt stand ich vor ihm und der Schmied, welcher den brennenden Span in das dazu bestimmte Loch gesteckt hatte, hinter ihm. Er merkte dieses letztere nicht. Er sah ein, daß er durchschaut sei; er erkannte aber auch die Notwendigkeit, seinen Weg fortzusetzen, und ich war überzeugt, daß er dies selbst mit Anwendung von Gewalt zu erzwingen suchen werde. Obgleich ich eine sehr gleichgültige Miene zeigte, behielt ich doch seine beiden Hände scharf im Auge. Er rief zornig:
»Ich kenne diesen Menschen nicht; aber ich will fort, und ich muß fort. Mache also Platz!«
Er machte eine Bewegung, um an mir vorbeizukommen; aber ich kam ihm zuvor. Ich blieb zwischen ihm und dem Ausgange.
»Verdammung euch!«
Er trat bei diesen Worten einen Schritt zurück. Das Messer blitzte in seiner Hand; er wollte auf mich stoßen, aber der Schmied hatte seinen Arm sehr schnell von hinten ergriffen.
»Hund!« brüllte er, sich jetzt zu diesem wendend.
Dadurch bekam er mich in den Rücken. Ich legte ihm rasch beide Arme um die seinigen und preßte sie so fest an seinen Leib, daß er sie nicht zu rühren vermochte.
»Einen Strick, Riemen oder eine Schnur!« rief ich dem Schmiede zu.
»Das soll euch nicht gelingen!« knirschte der sogenannte Agent.
Er strengte alle seine Kräfte an, loszukommen; vergebens. Er schlug mit den Füßen hinten aus, doch dauerte das gar nicht lange, da der Schmied sich beeilte, meinem Gebot nachzukommen, und rasch das Verlangte herbeibrachte. Nach wenigen Augenblicken lag der Mann gefesselt an der Erde.
»So!« sagte Schimin im Tone der innigsten Befriedigung. »So soll es auch deinen Verbündeten gehen, welche mich und mein Weib ebenso gefesselt hatten.«
»Ich habe keine Verbündeten!« schnaufte der Gefangene.
»Das wissen wir besser!«
»Ich verlange, sofort freigelassen zu werden!«
»Das eilt nicht!«
»Ihr verkennt mich! Ich bin ein ehrlicher Mann!«
»Beweise es!«
»So erkundigt euch!«
»Wo könnte man das tun?«
»Geht nach Dschnibaschlü.«
»Ah, das wäre ja gar nicht weit! Aber zu wem?«
»Zum Färber Boschak.«
»Den kenne ich allerdings.«
»Und er kennt mich. Er wird euch sagen, daß ich nicht derjenige bin, für den ihr mich haltet.«
Der Schmied sah mich fragend an. Ich antwortete:
»So eilig haben wir es nicht. Zunächst wollen wir einmal sehen, was sich in seinen Taschen befindet.«
Wir suchten nach, wobei es allerdings ohne grimmige Reden von seiten des Gefesselten nicht abging. Wir fanden eine nicht unbeträchtliche Geldsumme und mehrere Kleinigkeiten, wie man sie bei sich zu tragen pflegt, und steckten dies wieder in die Taschen. Der Schmied, der ein weiches Gemüt besaß, fragte:
»Solltest du dich nicht geirrt haben, Effendi?«
»Nein; ich bin meiner Sache gewiß. Auch wenn wir nichts finden, halten wir ihn fest. Zunächst werden wir auch sein Pferd untersuchen.«
Die Frau hatte sich bisher ruhig verhalten. Jetzt, als sie sah, daß wir hinausgehen wollten, fragte sie:
»Soll ich ihn bewachen?«
»Ja,« antwortete ihr Mann.
Da erhob sie sich von ihrem Lager, zündete einige Späne an und sagte:
»Geht getrost hinaus! Wenn er nur versucht, sich zu rühren, dann brenne ich ihn an. Ich will nicht umsonst da unten in dem Loch gesteckt haben!«
»Ein tapferes Weibchen!« schmunzelte der Schmied. »Nicht wahr, Effendi?«
Das Pferd stand noch angebunden an der Türe der Schmiede. Die Satteltaschen enthielten einen kleinen Mundvorrat, sonst aber fanden wir nichts.
»Was wirst du nun befehlen?« erkundigte sich Schimin.
»Zunächst bringen wir das Pferd dahin, wo sich auch das meinige befindet.«
»Und dann?«
»Dann stecken wir den Gefangenen in dasselbe Loch, in welchem du mit deiner Frau gesteckt hast.«
»Und dann?«
»Nun, dann warten wir, bis meine Leute kommen.«
»Was wird hierauf mit dem Gefangenen geschehen?«
»Ich lasse ihn nach Edreneh zurückschaffen.«
Als wir das Pferd versorgt hatten und dann die Frau des Schmiedes erfuhr, was mit dem Agenten geschehen sollte, zeigte sie sich sehr befriedigt darüber. Sie half sogar mit, und so wurde der Gefangene trotz seiner Gegenwehr, welche allerdings meist nur in Schimpfreden und Drohungen bestand, in Sicherheit gebracht. Dann ließ die gute Frau es sich nicht nehmen, trotz der späten Stunde noch fortzugehen, um ein frugales Abendbrot zu stande zu bringen.