Die Juweleninsel - Karl May 14 стр.


»Es ist wahr,« bestätigte die Alte halb scherzend, halb ernsthaft. »Aber er heißt doch wohl nicht Kurt allein, sondern er muß auch noch einen andern Namen besitzen!«

»Kurt Schubert.«

»Schubert? Was ist denn Dein eigentlicher Vater?«

Magda antwortete auch jetzt an des Knaben Statt:

»Ja, das ist etwas, wo Du zeigen könntest, daß Du mehr weißt als andere Leute. Er hat seinen Vater gar niemals gesehen, und das ist eine sehr traurige Geschichte. Sein Vater war Steuermann und ist rnit seinem Schiffe in alle Welt gefahren, aber nicht wiedergekommen. Dann hat seine Mutter einen bösen Stiefvater heirathen müssen, der stets betrunken gewesen ist und jetzt nun gar im Zuchthause steckt.«

»Steuermann war er, und Schubert hieß er?« frug die Zigeunerin nachdenklich. »Balduin Schubert vielleicht?«

»Ja, Balduin!« rief Kurt schnell. »O, Du kennst seinen Namen?«

»Was weißt Du noch von ihm?«

»Nichts, als daß er einen Bruder hat, der Thomas hieß und Geselle in einer Hofschmiede war. Das hat mir meine Mutter erzählt.«

»Ich werde Euch doch beweisen, daß ich mehr weiß als andere Leute. Ich werde Deiner Mutter von Deinem Vater erzählen, den ich kenne, und mit dem ich kürzlich noch gesprochen habe.«

»Ist es möglich? Ist es wahr?«

»Ja, Dein Vater ist jetzt Obersteuermann auf dem berühmten Kriegsschiffe »Tiger«. Ich habe einen Bruder, der auf demselben Schiffe Hochbootsmann ist.«

»O welch ein Glück; wie wird Mutter sich freuen. Komm, wir wollen schneller reiten!«

»Die Zigeuner sind wirklich klüger als wir,« meinte Magda nachdenklich. »Wie heißt Du denn eigentlich? Du mußt doch auch einen Namen haben.«

»Ich heiße Zarba.«

»Zarba?« rief das Mädchen ganz erstaunt. »Papa hat uns sehr viel erzählt von einer Zigeunerkönigin, welche Zarba heißt. Sie ist die Freundin des Königs und des Kronprinzen, den sie erst zum Kronprinzen gemacht hat. Sie ist auch die Freundin des Generals und des Kommodores von Sternburg und sogar die Verwandte der beiden jetzigen Herzoge von Raumburg. Den früheren Herzog hat nur sie allein gestürzt. Sie muß eine ganz außerordentliche Macht besitzen. Bist Du etwa diese Zarba?«

»Ich bin es.«

»Wirklich? O wie gut, daß wir Dich zu uns geladen haben, und wie schade, daß Papa nicht zu Hause ist! Aber Du sollst dennoch gerade so aufgenommen werden, als ob er da wäre. Darauf kannst Du Dich verlassen!«

»Ja, meine Mutter ist nämlich Wirthschafterin auf Helbigsdorf,« meinte Kurt altklug, »und da kannst Du Dir denken, daß Du sehr gut empfangen wirst.«

Nach kurzer Zeit erreichten sie ein größeres Dorf, an dessen Ende sich die stattlichen Gebäude eines Herrensitzes präsentirten. Als sie zwischen den sehr gut aussehenden Häusern dahinritten, sahen ihnen die Bewohner verwundert nach. Die Reiterin kam ihnen gar so sonderbar vor.

Als sie durch das Thor kamen, empfing sie der Verwalter, um ihnen die Pferde abzunehmen. Er warf einen erstaunten mißmuthigen Blick auf die Zigeunerin.

»Was ist denn das für eine Gesellschaft? Eine Zigeunerin! Das sollte der Herr wissen!«

»Warum?« frug Magda.

»Weil dies keine Begleitung für Sie ist, gnädiges Fräulein.«

Die kleine zehnjährige Generalstochter blitzte ihn mit zornigen Augen an.

»Welche Begleitung passend für mich ist, muß ich selbst wissen, Herr Verwalter. Sie haben sich nur um das zu bekümmern, was Ihres Amtes ist!«

»Aber jetzt ist weder Ihr Herr Papa, noch eines der gnädigen Fräuleins, noch der Herr Erzieher da, und da habe ich als Verwalter die Aufsicht über Sie zu übernehmen!«

»Wer hat Ihnen gesagt, daß wir Beide der Aufsicht, und noch dazu der Ihrigen bedürfen? Doch nicht etwa Papa! Wenn ich ihm Ihre Worte erzählte, wäre Ihnen ein Verweis sicher. Aber ich will Ihnen verzeihen. Sie haben die Oekonomie zu leiten, so viel ich aber weiß, gehören wir Beide weder zum Gesinde noch zu den Thieren. Führen Sie die Pferde in den Stall. Komm, Zarba!«

Sie nahm die Zigeunerin bei der Hand und führte sie nach dem Portale des Wohnhauses. Kurt folgte ihnen. Der Verwalter blickte ihnen erschrocken nach.

»Zarba? Alle Wetter, da habe ich einen ganz gewaltigen Bock geschossen! Das also war Zarba, die berühmte Vajdzina[1] aller Zigeuner von Nor- und Süderland! Wer konnte das denken? Sie verkehrt mit Fürsten und Königen und kommt hierher barfuß und in Lumpen. Diesen Fehler muß ich schleunigst wieder gut machen. Und das kleine Fräulein, wie á propos das thut! In der steckt bereits ganz und gar der Alte, dem man auch nicht in die Quere kommen darf, sie kann die Reden setzen wie ein Professor. Wie gut und nobel sie das zum Vorschein brachte, daß sie so gnädig sein und mir verzeihen wolle. Ich werde mir sicher nicht wieder beikommen lassen sie beaufsichtigen zu wollen.«

Während dieses auf dem Herrensitze geschah, kam von der anderen Seite her ein Mann in das Dorf gegangen, welcher im Gasthofe einkehrte und sich ein Glas Bier geben ließ.

»Nicht wahr, dieser Ort hier heißt Helpigsdorf?« frug er den Wirth.

»Ja.«

»Und der Pesitzer des Schlosses da open ist der Herr General von Helpig?«

»Ja.«

»Er ist nicht zu Hause?«

»Nein, er ist verreist.«

»Aper seine drei Damen sind da?«

»Auch nicht. Sie sind auf Besuch in die Nachbarschaft.«

»So. Wer ist denn da anzutreffen?«

»Der Verwalter und die neue Wirthschafterin.«

»Die Wirthschafterin? Was ist denn das für eine Madame? Wie heißt sie?«

»Ihr Name ist Hartig.«

»Hartig? Hin. Sie ist wohl noch nicht längst in Helpigsdorf?«

»Erst seit kurzer Zeit. Der Herr General hat sie mit ihrem Sohne aus dem Seebade mitgebracht, wo er Beide kennen gelernt hat.«

»Aus dem Seepade; das stimmt; ich pin also am richtigen Orte angekommen.«

Er bezahlte sein Bier und ging nach dem Schlosse zu.

Die Sonne hatte sich gesenkt und war im Scheiden begriffen. Sie vergoldete die Giebel, Zinnen und Fenster des Schlosses und hüllte den gegenüberliegenden Waldesrand bereits in halbe Schatten. Dort standen drei Männer, welche die vor ihnen liegende Gegend musterten.

»Dern Wegweiser nach muß dies Helbigsdorf sein, eine Besitzung des Generals von Helbig, wenn ich mich recht erinnere. Im Walde schlafe ich nicht, Helbig kennt mich. Wir müssen also weiter, aber es fragt sich, in welche Richtung wir uns wenden.«

Der Sprecher war der jüngste von den Dreien. Der Zweite, ein sehr dicker Mann, meinte: »ich habe auch keine Lust, im Walde zu schlafen und mir einen Rheumatismus zuzuziehen, aber ebensowenig habe ich Lust weiter zu gehen. Seit wir den Wagen verlassen haben, bin ich ermüdet zum Umfallen.«

»Ich auch,« stimmte der Dritte bei. »diese Waldwege sind verteufelt anstrengend.«

»Hm,« machte der erste Sprecher. »Helbig ist sehr reich und hat viele Besitzungen, warum soll er gerade hier anwesend sein? Könnte ich erfahren, daß er nicht hier ist, so würde ich mich entschließen auf dem Schlosse zu bleiben; ein Gasthof ist mir zu gefährlich.«

»Das können wir ja gleich erfahren. Dort den Hohlweg kommt ein Briefträger herauf. Diese Leute wissen gewöhnlich Alles, und er hat sicher auf dem Schlosse zu thun gehabt.«

»Er kommt nach hier. Treten Sie zurück, daß er Sie nicht bemerkt. Ich werde so thun, als ob ich ihn begegnete, und ihn fragen.«

Die beiden Andern steckten sich in das Strauchwerk, er aber schritt in den Wald hinein und kehrte dann wieder um. Er richtete dies so ein, daß er gerade am Saume des Holzes auf den Briefboten stieß, der ihn höflich grüßte.

»Guten Abend,« antwortete er. »Ist dieses Schloß hier Schloß Helbigsdorf?«

»Ja.«

»Es gehört dem General von Helbig?«

»Guten Abend,« antwortete er. »Ist dieses Schloß hier Schloß Helbigsdorf?«

»Ja.«

»Es gehört dem General von Helbig?«

»Allerdings.«

»Wissen Sie nicht, ob er anwesend ist?«

»Er ist nach der Residenz verreist.«

»Sind seine Schwestern hier?«

»Eigentlich, ja. Aber sie sind auch fort, auf Besuch bis morgen.«

»Wissen Sie dies gewiß?«

»Ich hatte an jede von ihnen einen Brief und erhielt diesen Bescheid.«

»Wer ist denn da zu treffen?«

»Der Verwalter und die Wirthschafterin, wenn man das kleine Fräulein nicht rechnet.«

»Wie alt ist dieses?«

»Zehn Jahre vielleicht.«

»Ich danke Ihnen!«

Der Briefträger verfolgte seinen Weg weiter, der Andere suchte seine Genossen auf.

Diese drei Männer waren die entsprungenen Züchtlinge, deren Aeußeres sich allerdings bedeutend verändert hatte. Sie trugen feine Touristenanzüge, und jeder von ihnen hatte eine grüne Botanisirbüchse über die Achsel gehängt.

»Wir sind sicher,« meinte Raumburg. »Der General ist nicht anwesend und seine Schwestern ebensowenig. Die andern Personen kennen mich nicht. Ich werde mir das Vergnügen machen, hier zu übernachten und dann später dem General zu schreiben, daß ich auf meiner Flucht seine Gastfreundschaft in Anspruch genommen habe. Er wird außer sich gerathen vor Aerger. Kommen Sie, wir umgehen das Dorf. Wir sind Touristen, das heißt Botaniker und Geologen; da kann es nicht auffallen, wenn wir über die Felder kommen.«

»Wird man uns auch behalten?«

»Versteht sich. Lassen Sie dies nur meine Sorge sein, und richten Sie sich ganz nach mir!«

Auch sie schritten dem Schlosse zu, dessen Fenster nun bereits im halben Lichte lagen.

Dort war die Zigeunerin von der Wirthschafterin sehr freundlich aufgenommen worden. Die beiden Kinder konnten das was sie erfahren hatten, nicht einen Augenblick verschweigen.

»Wissen Sie, wen wir Ihnen gebracht haben, meine gute Frau Hartig?« frug Magda.

»Nun?«

»Das ist die berühmte Zarba, von der uns Papa so viel erzählt hat.«

»Wirklich?« rief die Frau mit einem ehrerbietigen Blicke auf die Vajdzina.

»Ja. Sie kann weissagen und ist allwissend. Sie hat auch mir bereits prophezeit.«

»So! Was denn, wenn ich es erfahren darf?«

»Daß Kurt einmal mein Mann wird.«

»Ah!« lächelte die Wirtlischafterin. »Da würde ich doch Deine Schwiegermutter!«

»Allerdings. Und das freut mich sehr, denn eine bessere Schwiegermutter könnte ich im ganzen Leben niemals finden. Aber nun kommt die Hauptsache für Sie: Zarba kennt nämlich Ihren Bräutigam und weiß auch, wo er sich befindet.«

»Meinen Bräutigam? Ich habe ja keinen. Wen meinst Du, mein Kind?«

»Kurts Vater.«

»Ist es möglich? Nein, der ist todt, sonst wäre er gekommen.«

»Im Gegentheile, er lebt; nicht wahr, Zarba?«

»Ja, er lebt, und ich habe mit ihm gesprochen.«

Die Wirthschafterin erbleichte im freudigen Schrecke.

»Mein Gott, wenn dies wirklich wahr wäre! Schnell, schnell, sprechen Sie!«

»Sagen Sie mir erst alles, was Sie von ihm wissen!«

»Er hieß Balduin Schubert und war Steuermann auf einem Kauffahrer, als ich ihn kennen lernte. Verwandte hatte er nicht, als nur einen Bruder, von dem er mir erzählte, daß er bei dem Hofschmied Brandauer in der Residenz gelernt habe und jetzt dort Geselle sei. Dann ging er in See und ließ nichts wieder von sich hören. Oder ist er gekommen und hat mich nicht gefunden, denn ich wurde gezwungen, einen Andern zu heirathen und mußte mit diesem die Heimath verlassen.«

»Haben Sie sich nicht einmal an seinen Bruder gewendet?«

»Ich wollte ihm einmal schreiben, obgleich ich nicht wußte, ob er noch bei Brandauer sei; aber mein Mann kam dazu und las den Brief. Er behandelte mich darauf in der Weise, daß ich es nie wieder wagte, einen Brief zu verfassen. Er mochte meinen, Kurt zu verlieren, der fast ganz allein uns ernähren mußte. Also er lebt wirklich noch?«

»Ja. Er ist jetzt Obersteuermann auf dem »Tiger,« den der Kommodore Arthur von Sternburg befehligt. Dieser ist mehr sein Freund als sein Vorgesetzter, und ich kann versichern, daß es ihm sehr gut geht.«

»Wo haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Droben in den Bergen, während des letzten Krieges.«

»Wie sah er aus? War er gesund?«

»O, man sah ihm keine Krankheit an.«

»Hat er von mir gesprochen?«

»Nein, denn dazu gab es weder Zeit noch Gelegenheit.«

»Er hat mich sicher nicht vergessen, das weiß ich ganz gewiß. Könnte ich ihn doch einmal sehen!«

»Das wird wohl geschehen, jetzt zwar nicht, aber später sicher!« meinte Zarba. »Aber wer kommt denn da über den Hof?«

Sie traten an das Fenster und sahen den Mann, welcher sich im Gasthofe so genau erkundigt hatte. Ueber die Züge der Zigeunerin ging ein leises Lächeln. Sie mußte ihn kennen. Die Wirthschafterin bemerkte es und frug:

»Wer ist es?«

»Sie werden es gleich von ihm selbst erfahren. Ich werde mich einstweilen verbergen.«

Sie trat hinter das Kamin. Kaum war dies geschehen, so ging die Thüre auf. Der Eintretende grüßte und wandte sich an die Wirthschafterin.

»Entschuldigen Sie, Madame! Werden Sie pei dem Namen Hartig gerufen?«

»Ja.«

»So sind Sie die Frau Wirthschafterin des Herrn Generals von Helpig?«

»Allerdings.«

»So sind Sie diejenige Dame, mit der ich zu reden hape. Ich pin nämlich der Gastwirth und Schmiedemeister Schupert aus der Residenz.«

»Schubert? Ah! Wir haben soeben von Ihnen gesprochen. Seien Sie mir herzlich willkommen!«

»Freut mich sehr, daß ich Ihnen willkommen pin! Sie hapen soepen von mir gesprochen? Da muß ich Ihnen doch pereits ein Pischen pekannt sein.«

»O, ich kenne Ihren Namen schon fünfzehn Jahre lang.«

»Mein Pruder Palduin hat Ihnen denselben wohl gesagt?«

»Ja. Aber bitte, setzen Sie sich!«

»Ja, ich will Platz nehmen, denn wir werden wohl viel zu sprechen hapen.«

»Kann ich erfahren, wie Sie zu meiner Adresse gelangt sind?«

»Ich hape sie von Herrn General von Helpig pekommen. Sie müssen nämlich wissen: Der Hofschmied Prandauer, mein früherer Meister, gipt sein Geschäft auf, und der König Seine Majestät will mich zum Hofschmied machen. Die peiden Gesellen, nämlich der Heinrich und der Paldrian, werden da pei mir arpeiten, opgleich ich Ihnen unsere Gastwirthin und Kartoffelhändlerin Parpara Seidenmüller weggefischt hape, die nun meine Frau ist. Alle hohen Herrschaften, welche pei dem Meister arpeiten ließen, kommen nun zu mir, und auch der Herr General von Helpig kam gestern mit dem Kronprinzen Max. Wr hapen von Ihnen und meinem Pruder gesprochen; ich erfuhr, daß der alte Schwede einen Sohn hat, und hape mich sofort aufgemacht, um Sie und ihn aufzusuchen. Kann ich den jungen einmal zu sehen pekommen?«

»Hier ist er!«

»Das? Dieser da? Sapperlot, ist das ein Prachtkerl! Junge, ich pin Dein Onkel und Du pist mein Neffe. Komm an mein Herz und giep mir einen tüchtigen Schmatz!«

»Da ist er!« jubelte Kurt, der ganz glücklich war, so plötzlich einen Oheim zu bekommen.

»So! junge, Du gefällst mir ganz ausgezeichnet. Willst Du Schmied werden? Ich nehme Dich in die Lehre, und Du sollst es pei uns gut hapen!«

»Das geht nicht, Onkel, denn ich soll Marineoffizier werden.«

»Was? Marineoffizier? Das ist verteufelt hoch hinaus. Aperich hape nichts dagegen, opgleich ich Dir sagen muß, daß es nach Offizier nichts Pesseres gipt, als ein tüchtiger Schmied zu sein. Was wird sich meine Parpara freuen, wenn sie erfährt, daß sie einen so schmucken Neffen hat! junge, Du mußt mit mir nach der Residenz, damit sie Dich zu sehen pekommt.«

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