Die Juweleninsel - Karl May 5 стр.


»Ja, zum Teufel, warum eigentlich?«

»Na, wenn Sie es nicht wissen, da muß ich es erzählen, denn in wie so denn, weil Sie sonst denken, ich will Ihnen nicht gehorchen.«

»Nun !«

»Das war also damals, und ich stand als Knappe in der Sonntagsmühle. Da kommt eines schönen Tages ein Roßkamm und bietet uns ein Pferd an, einen Apfelschimmel, der aber keine Apfeln mehr hatte, denn in wie so denn, er hatte sie vor Alter längst wieder verloren. Das Thier war nicht zu hoch, aber kräftig gebaut und recht gut erhalten. Es trug das Militärzeichen und hatte bei den Husaren gedient. Dann hatte es ein Pferdeverleiher gekauft, und weil es gar so ein frommes Pferd gewesen war und einen Trompeter getragen hatte, kam es sogar zuweilen in das Theater, denn in wie so denn und in wie fern denn, es gibt doch Stücke, in denen ein Schauspieler zuweilen auf einem wirklichen lebendigen Pferde erscheinen muß. Dann wird die hintere Theatertreppe so vorgerichtet, daß das Pferd leicht hinauf kann und gleich auf die Bühne kommt. Nachher war es älter geworden, und der Pferdeverleiher hatte es an den Roßkamm verhandelt, von dem wir es auch wirklich kauften.«

»War es denn wirklich noch brauchbar?«

»Ja. Ein Bischen maulfaul war es, denn in wie so denn, es geht den Pferden wie den Menschen; je älter man wird, desto mehr hört das zarte Gefühl im Maule auf, und wenn es einmal den Rappel bekam, so mußte man es gehen lassen, weil es dann nicht zu lenken war.«

»Hast Du es denn auch geritten?«

»Allerdings; ich hatte ja damals noch kein Gelübde gethan. Eines schönen Nachmittages nun mußte ich in die Stadt. Ich setzte mich auf den Schimmel, ritt fort und kam auch wohlbehalten an. Weil ich aber sehr viel zu besorgen hatte, konnte ich erst spät an die Rückkehr denken. Ich mußte über den Theaterplatz, den mein Schimmel sehr gut kannte. Unglücklicherweise wurde ein Stück gegeben, welches ich damals noch gar nicht kannte, das ich mir aber nachher mit angesehen und genau gemerkt habe, denn in wie fern und in wie so, es hat mich ins Malheur gebracht und ist schuld an dem Gelübde, welches ich gethan habe.«

»Wie heißt das Stück?«

»Es heißt »die Stumme von Portici,« und es kommt ein Kerl darin vor, ein gewisser Masaniello, ein Fischer, der Rebellion macht und auf einem lebendigen Pferde auf die Bühne geritten kommt. Dazu nun war früher mein Schimmel gebraucht worden, und er kannte nicht nur das Stück und die Musik, sondern auch den Weg von der Straße bis hinauf hinter die Koulissen ganz genau.«

»Aha!«

»Ja, nun kommt es, das Unglück! Also ich reite über den Theaterplatz; da fangen auf einmal drinnen die Pauken, Trommeln und Trompeten an, und es beginnt eine Musik, die meinem Schimmel bekannt vorkommen muß, denn in wie fern denn und in wie so denn, er spitzt die Ohren, fängt an zu schnauben, steigt in die Höhe und schüttelt ganz bedenklich mit dem Kopfe. Wieder wirbelt, klingt und donnert es drinnen los, und das Volk von Neapel singt die Worte, die ich nachher auswendig gelernt habe, weil sie schuld an meinem ganzen Peche sind:

»Geehrt, gepriesen
Sei der Held, den Ruhm bekränzt!
Frieden gab uns der Sieger,
Von Edelmuth umglänzt!«

Es war gerade, als ob der Schimmel diese Worte auch auswendig gelernt hätte. Er hatte oft da oben gestanden, als »Held und Sieger,« von »Edelmuth und Ruhm bekränzt,« und nun gab es kein Halten mehr. Ich konnte schreien, rufen, ziehen, zerren, schimpfen und fluchen, mit Händen und Füßen stampfen und strampeln, wie ich wollte, es half nichts, denn in wie so und in wie fern, wenn so eine Kreatur infam werden will, so wird sie infam.«

»Also er ging durch?

»Natürlich! In drei Ellen langen Sätzen flog er auf das Theater zu. Ich stand noch im letzten Lehrjungenjahr und hatte mir, um groß zu thun, dem alten Müller seine Meerschaumpfeife wegstibitzt und seine großen Kanonenstiefeln dazu, die mir um die Beine schlotterten, wie ein Paar alte blecherne Ofenrohre um eine Bohnenstange, wenn man die Sperlinge vertreiben will. Eine weiße Mehlhose, eine weiße Mehljacke und eine weiße Zipfelmütze, so saß ich auf dem weißen Gaule. Dieser kannte seinen Weg sehr genau. Wie ein Affe kletterte er an der Treppe empor, die jetzt beinahe wie eine Brücke aussah. Dann ging es einen engen Gang hinter, auf dem nur eine einzige Lampe brannte und wo ich mich auf allen Seiten stieß und quetschte. Nachher wurde es lichter; ich sah die Koulissen und die strahlende Bühne. Dort war ein ganzer Haufe Volks versammelt; Masaniello wurde auf seinem neuen Schimmel vorgeführt, und der Triumphzug sollte beginnen. O weh!«

»Du bist doch nicht etwa hinaus auf die Bühne?«

»Wohin denn sonst? Der Schimmel war ja hartmäulig! Mit der Linken mußte ich die Meerschaumpfeife festhalten, und mit der Rechten hatte ich mich an das Viehzeug geklammert, daß es nicht parterre mit mir gehen sollte. Da fängt drin das Chor der Rache nach derselben Melodie von vorhin zu singen an:

»Noch heute soll der Stolze büßen,
ich schwörs, obgleich ihn Ruhm bekränzt!
Der feindliche Stahl trifft den Sieger,
Wenn auch Hoheit ihn jetzt umglänzt!«

Da macht mein Schimmel einen Riesensprung, den man eine Lanade nennt, und im nächsten Augenblicke fliege ich mit ihm mitten in das Volk von Neapel hinein; meine Meerschaumpfeife fliegt dem Rebellen Masaniello ins Gesicht, mein rechter Stiefel wirbelt links und der linke wirbelt rechts vom Beine herunter, der eine in die Musikanten und der andere gar in die Zuschauer hinein, denn in wie fern denn und in wie so denn, sie waren mir ja viel zu groß und weit; der richtige Schimmel beißt nach dem falschen, und der falsche schlägt nach dem richtigen; es wird ein Heidenskandal, Mordspektakel; das ganze Volk von Neapel mit dem ganzen Chor der Rache stürzt auf mich herein und reißt mich vom Pferde; der Vorhang fällt dem geehrten Publikum vor der Nase zu; das »Ehrikum« sitzt draußen und brüllt vor Lachen; ich aber werde von sechzig Fäusten »durchgepubelt,« daß mir die Schwarte knackt, und als ich wieder zur Besinnung komme, liege ich zerschunden und zerschlagen draußen vor dem Theater, die Kanonenstiefeln krümmen sich vor mir, als ob sie Kolik und Leibschmerzen hätten, die Meerschaumpfeife hatten sie mir in die Zipfelmütze gewickelt, aber der Stiefel, der Kopf und die Spitze waren nicht aufzufinden gewesen, rechts vor mir steht der Schimmel und macht ein Gesicht, als ob er das Chor der Rache verschlungen habe und nicht wieder von sich bringen könne, und links steht ein Polizeidiener, der nur darauf gewartet hat, daß ich wieder zu Athem kommen soll, um mich nachher zu arretiren.«

»Hat er Dich denn wirklich mitgenommen?«

»Natürlich; mich sammt dem ganzen Schimmel! Ich mußte auf die Polizeiwache, bekam einen fürchterlichen Verweis, aus dem sich der Schimmel gar nichts, ich mir aber sehr viel machte, und dann trollte ich mich von dannen. Draußen aber vor der Stadt ließ ich den Schimmel halten, reckte alle zehn Finger und auch die Kanonenstiefel zu den Sternen empor und that den grimmigen Schwur, in meinem ganzen Leben niemals wieder eine solche Bestie zu besteigen, denn in wie fern denn und in wie so denn, ich hatte mit diesem einen Male mehr als genug!«

»Aber wie war es nachher beim Militär?«

»Ich wurde für die Reiterei ausgehoben und kam zu den Husaren, wurde aber später zur Infanterie versetzt. Das war eine böse Zeit, die ich niemals vergessen werde.«

»Warum versetzt?«

»Weil ich nicht auf das Pferd zu bringen war. Und schafften sie mich ja einmal links hinauf, so machte ich sofort, daß ich schleunigst rechts wieder herunter kam. Dem Pferde ging es dabei gut, mir aber desto schlechter, denn in wie fern denn und in wie so denn, mein Rücken sah stets himmelblau und im Arrestlokal hatte ich mein immerwährendes Standquartier.«

»Und wie ging es bei der Infanterie?«

»Besser, nämlich bis der Krieg kam. Ich bin stets ein alter seelenguter Kerl gewesen und kann nicht dazu kommen, einen Menschen zu erschießen oder das Bajonnet durch den Leib zu rennen. Als daher die Kanonen anfingen zu brummen und ich auch mit todtschlagen sollte, da that ich, als hätte mich eine Kugel getroffen und legte mich in einen Graben. Aber da kam die Kavallerie herangesaust; es waren Kürassiere, und das Pferd eines Wachtmeisters trat mir auf das Knie, hols der Teufel! Die Unsrigen wurden zurückgeworfen, und als ich mich davon machen wollte, fielen ein paar feindliche Hallunken über mich her. Ich sollte mit und wollte nicht. Der Eine holte mit dem Säbel aus, und weil ich mich in diesem Augenblicke umdrehte, so traf die Klinge nicht meinen Rücken, sondern sie fuhr mir an dem Gesichte vorbei und nahm mir die Nase weg. Ich habe sie gar nicht wieder gefunden, und an dem ganzen Unglück ist hier der lange Klaus schuld, denn er ist der Wachtmeister gewesen, dessen Pferd mich getreten hat, so daß ich nicht ausreißen konnte. Und nachher wurde mir auch das Bein abgeschnitten, weil der Brand dazugekommen war.«

»Laß es gut sein, Alter,« meinte der andere Knappe. »Ich konnte ja nicht dafür, denn ich hatte Dir ja nicht geheißen, Dich in den Graben zu legen. Und da wir uns einmal zusammengefunden haben, werde ich Dich auch nie wieder verlassen.«

Er reichte ihm die Hand, welche Brendel mit sichtbarer Rührung drückte. Der alte Wachtmeister hatte nun bereits seit langen Jahren treu zu ihm gehalten und stets so an ihm gehandelt, daß es ihm leichter wurde, den Verlust seines Beines und seiner Nase zu ertragen.

Das Essen war beendet und die Leute erhoben sich, um wieder an ihre Arbeit zu gehen. Anna, die Tochter, war noch mit Abräumen beschäftigt, als ein Reiter durch die Schlucht kam, bei dem Anblicke des hübschen Mädchens stutzte und dann sein Pferd in schnelleren Gang versetzte. Vor dem Tische hielt er an und stieg ab. Sie sah, daß es ein vornehmer Herr sein müsse.

»Guten Tag, mein schönes Kind!« grüßte er. »Darf ich fragen, wer Du bist?«

»Ich bin die Tochter des Müllers,« antwortete sie.

»Das ist nicht wahr. Der Müller hat gar keine Tochter!«

»Ja, der vorige!«

»Ach so!« meinte er, sich besinnend. »Es ist ja ein neuer Müller hier. Wo ist er her?«

»Von drüben herüber, aus Norland.«

»Ah! Wie heißt er?«

»Uhlig.«

»Und Du?«

»Anna.«

»Ein hübscher Name, mein Kind! Kann man bei Euch ein Glas Milch bekommen?«

»So viel Sie wollen.«

»So bringe es mir dort in jene Laube!«

Er band sein Pferd an den nächsten Baum und schritt der Laube zu. Nach einiger Zeit brachte Anna das verlangte Getränk. Er musterte das Mädchen mit einem Blicke, der sie hoch erröthen machte, und ergriff ihre Hand.

»Sage einmal, hast Du bereits einen Schatz?«

»Sind solche Fragen hier in der Sitte?« antwortete sie.

»Nicht nur hier, sondern überall. Ich muß wissen, ob Du einen Geliebten hast.«

»Warum?«

»Du bist ein reizendes Wesen, und wenn Du noch frei bist, so mußt Du mein werden.«

»Danke sehr! Dann will ich ihnen lieber gleich sagen, daß ich bereits versehen bin.«

»Ah! An wen?«

»Meine Sache!«

»Auch gut! Aber einen Kuß hast Du doch wohl auch an einen Andern übrig?«

»Nein.«

Er versuchte sie an sich zu ziehen; es gelang ihm nicht; ebensowenig aber konnte sie ihre Hand, die er fest gefaßt hielt, aus der seinigen bringen.

»Nicht? So nehme ich ihn mir!«

»Das werden Sie nicht thun!«

»Warum?«

»Weil ich es nicht leide.«

»Wollen sehen!«

Er faßte sie nun auch mit der Linken; sie aber schob ihn sehr kräftig zurück.

»Lassen Sie mich gehen. Ich habe mehr zu thun, als mich mit Fremden herumzubalgen!«

»Ich aber balge mich gern, zumal mit einem so hübschen Mädchen wie Du bist.«

»Sie scheinen aber nicht immer gut dabei zu fahren!«

»Wie so?«

»Man sieht es ja Ihrem Gesichte an, in dem die Schwielen und Narben noch zu sehen sind. Lassen Sie mich endlich sonst weiß ich mich zu wehren!«

»Pah, einen Kuß!«

Er umfing sie wirklich und spitzte bereits die Lippen; da aber holte sie aus und gab ihm eine solche Ohrfeige, daß er sie fahren ließ. Sie sprang zur Laube hinaus.

»Donnerwetter!« rief er. »Das sollst Du mir büßen!«

Er eilte ihr nach, und es gelang ihm, sie wieder zu ergreifen.

»Lassen Sie mich, Sie Unverschämter, sonst rufe ich um Hilfe!« drohte sie.

»Rufe doch!« antwortete er, sie fest an sich drückend.

»Hilfe!«

Es hätte dieses Rufes nicht bedurft, denn bereits war der Müller aus der Thür getreten und kam herbeigesprungen.

»Herr, was wollen Sie? Lassen Sie los!«

»Nicht eher, als bis ich meinen Kuß erhalten habe!«

»Da kannst Du warten, Bürschchen!«

Mit diesen Worten faßte der Müller zu, und zwar so kräftig, daß der Fremde das Mädchen augenblicklich freigab.

»Hund, Du wagst es, Dich an mir zu vergreifen!«

»Kerl, rede anständig mit mir, sonst zeige ich Dir, wie man mit ehrlichen Leuten zu verkehren hat! Du stehst hier auf meinem Grund und Boden.«

»Oder auf dem meinigen! Weißt Du, wer ich bin? Kennst Du mich?«

»Nein, habe aber auch gar kein Verlangen darnach. Trolle Dich von dannen!«

»Ganz, wie es mir beliebt! So höre: ich bin Prinz Hugo, dem das Schloß dort gehört!«

Der Müller erschrak doch ein wenig, faßte sich aber sofort wieder.

»Das glaube, wer da will, ich aber nicht. Ein königlicher Prinz stellt keinem braven bürgerlichen Mädchen nach!«

»Zuweilen doch, wenn es ihm Vergnügen macht. Ich verlange meinen Kuß. Erhalte ich ihn, so bin ich bereit, Dir zu vergeben.«

»Meine Tochter küßt keinen Andern als Den, der ein Recht auf ihre Liebe hat. Und zu vergeben haben Sie mir nicht das Mindeste. Sind Sie wirklich Prinz Hugo, so zolle ich Ihnen gern die Ehrerbietung, welche ich Ihnen schuldig bin, kann aber nicht dafür, wenn Sie sich so verhalten, daß diese Ehrerbietung unmöglich ist.«

»Oho! Ich bin Dein Herr, und werde Dir zeigen, wie Du Dich zu verhalten hast!«

»Das weiß ich auch ohnedies. Ich fürchte Gott, thue recht und zahle meine Steuern; mehr kann Niemand verlangen, und mein Kind lasse ich mir nicht beleidigen und schimpfiren.«

»Beleidigen? Schimpfiren? Mensch, kann es eine größere Ehre für Dich und Deine Tochter geben, als wenn sie mir gefällt?«

»Danke für diese Ehre! Königliche Hoheit, trinken Sie Ihre Milch, wie es sich gehört, und Sie werden mir stets willkommen sein; sonst aber muß ich mir Ihre Gegenwart verbitten.«

»Ganz wie Du willst; aber Du sollst an mich denken!«

Er bestieg sein Pferd und ritt davon. Sein Weg führte ihn die Burgstraße empor, welche in zahlreichen Krümmungen und Windungen zur Höhe stieg und zuerst an dem Nonnen- und dann am Mönchskloster vorüberführte. Einige hundert Schritte noch über dem letzteren lag ein kleines Kapellchen. Es enthielt ein Marienbild, welches wegen seiner Wunderthätigkeit weithin berühmt war und jährlich zweimal den Zielpunkt außerordentlicher Wallfahrten bildete. Dann herrschte ein sehr reges Leben auf dem Berge, welcher sich in einen ungeheuren Meß- und Belustigungsplatz verwandelte. Die Herren Patres gaben der heiligen Mutter Gottes ihre Erlaubniß, irgend ein in die Augen fallendes Wunder zu verrichten, verkauften Rosenkränze und Heiligenbilder und vertauschten ihren Segen gegen klingendes Metall, welches reichlich einzufließen pflegte.

Jetzt war die Straße und das Kapellchen leer, und nur hinter dem letzteren ertönte eine Stimme, welche Befehle zu ertheilen schien. Der Prinz lenkte sein Pferd um das kleine Gebäude herum und erblickte einen ungefähr sechzehnjährigen Knaben, welcher einen vor ihm sitzenden Hund Kunststücke zu lehren schien. Dabei aber war er noch bei einer zweiten Beschäftigung, welche allerdings sehr eigenthümlich genannt werden mußte.

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