Die Juweleninsel - Karl May 6 стр.


Jetzt war die Straße und das Kapellchen leer, und nur hinter dem letzteren ertönte eine Stimme, welche Befehle zu ertheilen schien. Der Prinz lenkte sein Pferd um das kleine Gebäude herum und erblickte einen ungefähr sechzehnjährigen Knaben, welcher einen vor ihm sitzenden Hund Kunststücke zu lehren schien. Dabei aber war er noch bei einer zweiten Beschäftigung, welche allerdings sehr eigenthümlich genannt werden mußte.

Der Hund hatte den Prinzen bemerkt und knurrte. Der Knabe wandte sich um und erblickte den Reiter, ließ sich aber in seiner Arbeit nicht im mindesten stören. Es schien nicht diese Arbeit allein, sondern noch etwas Anderes zu sein, was den Prinzen frappirte. Er lenkte sein Pferd hart an den Knaben heran und frug mit barscher Stimme:

»Kerl, was thust Du hier?«

Der Gefragte hielt es nicht der Mühe werth sich zu erheben; er blickte sehr unbesorgt empor und antwortete in einem sehr renitenten Tone:

»Das sehen Sie ja. Ich schmiere meine Stiefel!«

»Aber womit!«

»Mit Oel.«

»Aber dies ist ja die ewige Lampe hier aus der Kapelle!«

»Ja; aber das Oel ist ganz gut für die Stiefel.«

»Wie kommst Du von Fallum hierher, Bürschchen?«

»Von Fallum! Wo ist das?«

Jetzt stutzte der Prinz. Er fand hier eine höchst seltene und auffällige Aehnlichkeit, die er bewundern mußte. Nach einer schärferen Musterung des Knaben frug er:

»Heißt Du nicht Schubert?«

»Nein.«

»Und bist nicht der Stiefsohn eines Fischers im Seebad Fallum?«

»»Sie hören ja, daß ich gar nicht weiß wo Fallum liegt!«

»Wie ist Dein Name?«

»Franz Geißler.«

»Geißler? So heißt der Schloßvogt.«

»Das ist mein Oheim, bei dem ich jetzt bin.«

»Auf Besuch?«

»Für immer. Mein Vater, der sein Bruder war, ist gestorben, und da hat er mich zu sich genommen.«

Diese Worte wurden in einem Tone gesprochen, welchem anzuhören war, daß dem Knaben der Tod seines Vaters eine höchst gleichgiltige Sache sei.

»Was treibst Du denn bei ihm?«

»Ich? Nichts!«

»Du mußt doch etwas thun und etwas lernen!«

»Ist nicht nothwendig. Ich werde Diener oder Reitknecht beim tollen Prinzen.«

»Ah! Wer sagt das?«

»Mein Oheim. Wenn der Prinz kommt wird es abgemacht.«

»Dann bekommt er einen Diener, über den er sich freuen kann, einen, der seine Stiefel aus der ewigen Lampe schmiert. Das dürften die frommen Väter sehen!«

»Fromm? Sie sollten nur wagen mich auszuzanken! Komm, Tiras, ich bin fertig!«

Er erhob sich, trug die Lampe in das Kapellchen und verschwand dann mit seinem Hunde hinter den Bäumen, welche die Straße zu beiden Seiten einfaßten.

»Hm,« machte der Prinz, »ein kostbarer unverfrorener Bengel. Solche Subjekte sind sehr oft die brauchbarsten, welche man finden kann. Aber eine solche Aehnlichkeit ist mir noch nicht vorgekommen. Ich hielt ihn wahrhaftig für diesen Fallumer Schifferjungen, der an mich gedenken soll. Wer weiß, wie diese Aehnlichkeit noch einmal benützt werden kann.«

Er verfolgte seinen Weg weiter und gelangte zur Burg, deren Thor weit geöffnet war, da man seine Ankunft bemerkt hatte. Geißler, der Vogt, stand zum Empfange bereit, und hinter ihm diejenigen Bewohner des Schlosses, welche er in der Eile hatte zusammenraffen können.

»Königliche Hoheit, welch eine Ueberraschung! Hätte ich ahnen können, daß uns das Glück Ihrer Gegenwart bevorstehe, so wären sicher »

»Schon gut! Sie wissen, daß ich Privatmann sein will, wenn ich Burg Himmelstein aufsuche. Meine Zimmer sind in Ordnung?«

»Stets, gnädiger Herr!«

»Dann vorwärts!«

Er stieg ab, warf die Zügel seines Pferdes einem Knechte und schritt über den Burghof hinweg gegen eine Treppe, welche ihn in diejenigen Räume führte, die er hier zu bewohnen pflegte. Das waren noch dieselben Gemächer, in denen die alten Himmelsteiner gehaust hatten, aber die alten Eichenmöbel waren verschwunden, um einer Einrichtung nach dem neuesten Stile Platz zu machen, und an Stelle der klein- und rundscheibigen Fenster waren große geschliffene Tafeln getreten, welche beim Untergange der Sonne wie glühendes Gold über das weite Land zu schimmern pflegten. Von hier aus hatten die alten Ritter dem edlen Handwerke des Wegelagerns obgelegen, und von hier aus setzte der Prinz dieses edle, ächt aristokratische Vergnügen fort, nur auch in einer Weise, welche den gegenwärtigen Zuständen angemessener war.

In seinem gewöhnlichen Wohnzimmer eingetreten, nahm er auf einem Sopha Platz.

»Etwas vorgefallen?«

»Nichts von Bedeutung, Hoheit.«

»Ihre Familie hat sich vergrößert?«

»Durch einen Neffen, dessen ich mich annehmen mußte, als sein Vater starb.«

»Bin ihm begegnet. Scheint ein sehr wohlerzogener Bursche zu sein.«

Das Gesicht des Vogtes verfinsterte sich.

»Der Bube ist mit dem Hunde fort. Ich hoffe nicht, daß er sich durch irgend eine Ungehörigkeit das Mißfallen des gnädigen Herrn zugezogen hat!«

»Nicht im Geringsten. Im Gegentheile, ich habe mich sehr über ihn amusirt. Er saß mit dem Hunde hinter der Kapelle, hatte sich die ewige Lampe aus derselben geholt und schmierte mit dem Oele seine Stiefel ein. Ich wäre neugierig das Gesicht zu sehen, welches ihm beim Atrappiren von den frommen Patres gemacht worden wäre.«

»Verzeihen Hoheit ihm diesen Knabenstreich! Der Junge hat wirklich keinen Begriff von der schweren Sünde, welche er begangen hat.«

»Pah; das hat er mit der heiligen Mutter Gottes abzumachen! Man soll der Jugend die Scheriagen nicht allzu sehr verkürzen, sonst zieht man sich Schwächlinge oder Duckmäuser heran. Uebrigens frappirte mich seine außerordentliche Aehnlichkeit mit einem Burschen, für den ich ihn wirklich ganz und gar gehalten habe. Sie lesen die Zeitungen?«

»Ein wenig.«

»Haben Sie mein Fallumer Abenteuer mit dem General von Helbig gefunden?«

»Allerdings. Ich begreife die geradezu riesenhafte Rücksichtslosigkeit nicht, mit welcher die dortigen Behörden diesen schauderhaften Fall behandelten. Ein Prinz von Süderland gegen einen schmutzigen Fischerjungen, öffentlich verhandelt und endlich gar in Strafe genommen. Solche Richter verdienen durchgepeitscht zu werden!«

»Eigenthümlich genug war es. Ich zeigte den Jungen an, und mich zeigte der General an; ich wurde zu einer mehrmonatlichen Gefängnißstrafe verurtheilt, von welcher ich mich nur auf dem Gnadenwege zu befreien vermochte, und den jungen sprach man frei, so daß ich noch die Untersuchungskosten zu tragen hatte. Das sind norländische Zustände, hahaha! Seit dort ein Schmiedesohn Kronprinz und ein Zigeunerbankert Herzog von Raumburg geworden ist, gilt königliches Geblüt noch weniger als Vagabundensaft. Und solchem obskuriösen Volke gibt man meine Schwester Asta zum Weibe!«

»Ist es wahr, daß General Helbig diesen Fischerbuben adoptirt hat?«

»Adoptirt nicht, doch beinahe so. Er hat ihn und seine Mutter zu sich genommen, um für seine Erziehung zu sorgen. Es wird eines schönen Tages die Zeit kommen, in welcher ich mit diesem Volke Abrechnung halte! Doch wie steht es mit der Komtesse?«

»Gesund ist sie, ob aber gefüger geworden kann ich nicht sagen.«

»Wo ist sie?«

»Im Gärtchen jetzt.«

»Wer verkehrt mit ihr?«

»Nur ich und meine Frau, wie Ew. Hoheit streng befohlen haben.«

»Ich werde sie aufsuchen. Doch, apropos, da fällt mir ein: in der Höllenmühle ist ein neuer Besitzer?«

»Ja, ein Norländer Namens Uhlig.«

»Was sind es für Leute?«

»Sie sind, was man so stille und arbeitssame Menschen zu nennen pflegt. Er versteht sein Handwerk aus dem Fundamente und ist ein ausgezeichneter Landwirth, wie es den Anschein hat. Besseres Brod und Mehl als bei ihm hat es noch nicht gegeben.«

»So kaufen Sie auch jetzt noch in der Hölle?«

»Ja.«

»Auch die Patres?«

»Nein. Der Müller ist Protestant, daher mag der Bruder Proviantmeister nichts mit ihm zu thun haben.«

»Hat Uhlig Kinder?«

»Eines, eine Tochter.«

»Ledig?«

»Verlobt.«

»Mit wem?«

»Habe es zufällig gehört. Mit einem Hauslehrer drüben in ihrer Heimath. Er wird nächstens auf Besuch kommen.«

»Aber ob er sie finden wird!«

Diese Worte waren in einem so eigenthümlichen Tone gesprochen, daß der Schloßvogt ihn anblickte, doch zeigte seine Miene keineswegs eine Ueberraschung.

»Ah, der gnädige Herr haben das Mädchen bereits gesehen?«

»Ja, vorhin.«

»Ich kenne den Geschmack Ew. Hoheit und hatte mir vorgenommen, Sie auf diese schöne Müllerstochter aufmerksam zu machen.«

»Ist noch Platz?«

»Hm, Zwei ist gefährlich und könnte die Sache verrathen!«

»Sie unbemerkt heraufzubekommen kann doch unmöglich schwierig sein!«

»Das nicht; aber sie würde mit der Komtesse zusammen kommen, was gar nicht zu vermeiden ist, und das mindert die Sicherheit. Hoheit müßten sich entschließen, sie in einem der alten Verließe unterzubringen, im Falle sie sich obstinat zeigt.«

»Das wird sie allerdings thun, wie ich es aus Erfahrung weiß.«

»Sollten der gnädige Herr bereits mit ihr gesprochen haben?«

»Mit ihr und ihrem Vater. Ich forderte einen Kuß von ihr, wurde aber zu einem sehr schmählichen Rückzuge getrieben. Wäre ich länger geblieben, so glaube ich, man hätte mich fortgeprügelt.«

»Auf diese Weise ist man Ihnen begegnet? Hoheit, ich stehe zu Diensten!«

»Das versteht sich ganz von selbst. Ehe ich mich aber zu irgend einem Schritte entschließe, werde ich mit der Komtesse sprechen. Vor allen Dingen merken Sie sich, daß von meiner Anwesenheit hier so wenig wie möglich verlautet. Ich will ungestört sein.«

Da, wo der Basaltfelsen von dem Schloßplateau jäh und senkrecht zur Tiefe fiel, lag hinter der hohen Umfassungsmauer der Burg ein kleines Gärtchen, in welchem die Edelfrauen früherer Jahrhunderte wohl einige der ihnen nothwendigsten Küchengewächse gebaut hatten. Der Prinz hatte diesen Platz in einen allerliebsten Blumengarten umwandeln lassen. Zwar war er rings von hohen starken Mauern umgeben, aber in das äußere Gemäuer, welches sich auf die scharfe Kante des Felsens stützte, hatte man einige Schießscharten ähnliche Oeffnungen angebracht, durch welche ein Ausguck weit in das Land hinein ermöglicht wurde.

Vor einer dieser Oeffnungen stand eine mit weichem Moose bedeckte Bank, welche von einem dichten, Schatten spendenden Epheu laubenartig überwölbt wurde. Auf dieser Bank saß eine junge Dame, welche vielleicht zweiundzwanzig Jahre zählen mochte. Sie trug ein einfaches weißes Negligékleid, welches sich schlafrockähnlich um die üppig vollen Formen legte und nur mit einem schmalen blauseidenen Gürtel um die Taille befestigt war. Ein reiches lichtblondes Haar fiel in reizender Unordnung von dem schönen Köpfchen auf die weichen Schultern nieder, deren reines Weiß verführerisch durch den transparenten Stoff schimmerte; Nacken und Hals waren unbedeckt und auch die Aermel waren bis weit hinauf aufgeschlitzt, so daß die herrlich geformten Arme bis beinahe herauf an die Schultern frei zu liegen kamen. Der dünne Stoff legte sich verrätherisch eng an die Hüften und Beine, und die kleinen niedlichen Füßchen waren nur mit türkischen Pantoffeln bekleidet, so daß es ganz den Anschein hatte, als sei diese Dame eine jener Phrynen, welche es verstehen, durch eine raffinirte Toilette ihre Reize zu verdoppeln und ihr Opfer unwiderstehlich zu fesseln, wie die Schlange, welche mit ihrem Blicke den unschuldigen Vogel bezaubert, daß er ihr nicht zu entfliehen vermag.

Blickte man aber in dieses schöne reine Angesicht, in diese kindlich treuen vertrauensvollen Augen, so war es geradezu unmöglich zu glauben, daß dieses süße Wesen einer solchen Berechnung fähig sei. Man hätte vielmehr annehmen mögen, daß die Dame ein solches Gewand ä la Kleopatra nicht aus eigenem und freiem Antriebe gewählt habe, sondern durch irgend welche Umstände gezwungen worden sei es anzulegen. Auf ihrer reinen klaren Stirn schien eine Falte des Trübsinns sich gewaltig Bahn brechen zu wollen; die Winkel des kleinen Mundes waren mit einer gewissen Strenge nach unten gezogen, und der Blick suchte in dieser Schwermuth durch die Mauerspalte die Ferne, in welcher sich der Aether zu einem immer dunkleren Blau verdichtet. Dieses Blau, dieses tiefe, feuchte, thränenschwangere Blau hatten auch die Augen, aus denen eine Sehnsucht sprach, welche vielleicht ohne Hoffnung war.

Da wurden Schritte hörbar. Sie wandte sich um und erblickte den Prinzen. Im Nu verbreitete sich heller Sonnenschein über ihr Angesicht; sie sprang empor, öffnete die Arme und eilte ihm einige Schritte mit sichtlichem Entzücken entgegen.

»Hugo, mein Hugo, endlich, endlich!«

Er umfing sie und drückte sie heiß an sich. Sie lag an seinem Herzen und litt die glühenden Küsse, unter welchen seine Lippen ihren Mund und ihre Wangen berührten.

»Toska, meine süße herrliche Toska; endlich ist es mir vergönnt, wieder bei Dir zu sein!«

Er zog sie auf die Bank zu sich nieder und schlang die Arme noch inniger um sie als vorher. Auch sie legte ihren Arm um seinen Nacken. Da aber fiel ihr Auge auf diesen unverhüllten Körpertheil, und mit einem Male kam sie wieder zum Bewußtsein dessen, was ihr Gefühl bereits seit Monaten empört hatte. liefe Gluth legte sich über ihr Gesicht von der Stirn bis zum Nacken herab; sie riß sich ungestüm los, trat zurück und hüllte sich so tief wie möglich in das Gewand, welches ihr doch keine genügende Hülle bot.

»Was ists? Was hast Du so plötzlich?« frug er »Hugo, wo sind meine Kleider, welche ich mit hierher brachte? Man verweigert sie mir und zwingt mich, Gewänder anzulegen, die mich noch tödten werden.«

»Ich kenne nur ein Gewand, welches getödtet hat, nämlich dasjenige des Herkules, und dieses war vergiftet.«

»O, auch diese Kleider enthalten ein Gift, ein fürchterliches Gift. Gieb Befehl, daß ich die meinigen wieder erhalte, sonst fürchte ich mich vor mir selbst!«

»Du wirst sie erhalten, vorausgesetzt, daß Du mir folgsam bist.«

»Wie wünschest Du daß ich sein soll?«

»Liebevoll.«

»Bin ich dies nicht stets gewesen, bin ich dies nicht auch heute wieder?«

»Ich meine diejenige Liebe, welche die Frau zum Manne hat.«

»Die sollst Du nicht vergebens suchen, doch zuvor muß ich erst Dein Weib sein. Ich habe meine Ehre auf das Spiel gesetzt; ich habe Dir meine Freiheit und alle meine Vergnügungen geopfert, weil Du es so wolltest. Ich sollte scheinbar verreisen, sollte mich auf einige Zeit zurückziehen, um die Augen irre zu leiten, welche unsere Liebe zu erforschen suchten. Die Zeit, welche Du bestimmtest, ist längst vorüber, und noch immer bin ich gefangen, darf mit keinem Menschen verkehren und habe, wenn Du je kommst um mich zu besuchen, mit Dir und mit einer Liebe zu ringen, welche Deiner und meiner nicht würdig ist. Du liebst mich nicht mehr!«

»Mehr als jemals, ich schwöre es Dir; aber warum ringst Du mit meiner Liebe?«

»Ich verstehe sie nicht.«

»Dann liebst Du nicht! Du denkst an die Krone, welche ich vielleicht einst tragen werde, aber nicht an das Glück, welches ich bei Dir suche und doch nicht finde.«

»Warum muß ich mich noch immer verbergen? Warum nimmt man mir meine Garderobe und legt mir Kleider hin, deren sich nur eine Tänzerin nicht schämt?«

»Weil die Liebe nur im Verborgenen ihre schönsten und süßesten Triumphe feiert, und weil ich wünsche, Dich so reizend und entzückend wie möglich zu sehen, wenn mein Verlangen mich zu Dir treibt. Komm, setze Dich auf meinen Schooß und laß uns kosen!«

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