Am Stillen Ozean - Karl May 12 стр.


»Den Arm gebrochen? Armer Teufel! Herauf mit ihm, daß Ihr ihn wieder zusammensplissen könnt!«

Wir waren jetzt zu zweien; darum ging es besser und leichter als das vorige Mal. Trotzdem sank er, als wir ihn oben hatten, sofort vollständig zu Boden. Die Kraft eines festen Willens hatte ihn bisher aufrecht erhalten, jetzt aber nahm ihn eine wohlthätige Ohnmacht in ihre Arme.

»Mit dem stehts schlimm, Charley. Er wird uns doch nicht etwa unter den Händen sterben?« meinte der Kapitän.

»Nein. Er hat Schiffbruch gelitten und ist von den Wellen in die Bucht geschleudert worden. Das ist natürlich nicht ohne Stöße und Püffe abgelaufen; der Arm ist entzwei; er hat seit gestern oder vielleicht wohl noch seit länger weder gegessen, noch getrunken, so daß es gar kein Wunder ist, wenn er nach der jetzigen Anstrengung die Besinnung verliert. Aber ich muß diese Ohnmacht benutzen und ihn hinunter in das Thal und an das Wasser schaffen. Was Euch betrifft, so bleibt Ihr doch wohl hier?«

»Ich? Warum?«

»Diese Höhe blickt gar weit in die See hinaus, und ich denke, daß Ihr sie als Leuchtturm schmücken wollt.«

»Ich? Wer hat Euch das weisgemacht?«

»Ihr selbst, Sir. Oder sagtet Ihr vorhin nicht, daß Ihr lieber an tausend Masten hinauf als hier wieder herunter wollt?«

»Redensart, Charley, nichts als Redensart! Wenn einem Menschen die Rakete in den Kopf fährt, so ist er im stande, Dinge zu sagen, an die er selber niemals glaubt.

Aber auf welche Weise werden wir diesen Mann hinunterbringen? Ich habe mit mir selbst grade genug zu schaffen, wenn ich nicht wie eine Bombe nieder in das Thal platzen will.«

»Ich werde Eure Hilfe gar nicht brauchen; nur bitte ich Euch, mein Gewehr zu tragen.«

»Eigentlich wollte ich das unglückselige Ding gar nicht wieder anrühren, aber wenn es nicht anders sein kann, so werde ich Euch den Gefallen thun. Gebt es her!«

Er war mir behilflich, den Ohnmächtigen aufzunehmen; dann stiegen wir die Höhe hinab. Unten angekommen, fragte er:

»Wo legt Ihr ihn nieder?«

»Hier nicht, da es hier kein Wasser giebt. Wir müssen bis zu dem Bache, den wir vorhin passierten.«

»Aber unsere Ziegen?«

»Um diese können wir uns jetzt nicht bekümmern. Wir werden sie morgen holen oder holen lassen!«

»Meinetwegen. Also vorwärts!«

Wir hatten bis zu dem erwähnten Bache gar nicht weit. Ich legte den Chinesen dort nieder und entfernte die Kleidung von dem Arme, um die Geschwulst mit Hilfe des Wassers zu kühlen. Er erwachte dabei und bat:

»Gebt mir zu trinken!«

Dies geschah, und auch von unserm mitgenommenen Proviante aß er mit einer Begier, welche sehr deutlich zeigte, daß er gehungert hatte.

»Sage mir deinen Namen,« bat er dann, »damit ich weiß, wie ich dich nenne, wenn ich dir danken will.«

Ich nannte ihm denselben. Er schüttelte den Kopf.

»Wenn man ein Wort sagt, muß man sich dabei etwas denken können, aber dein Name hat keine Seele. Erlaube mir, daß ich dich in der Sprache rufe, welche im Schin-tan (***** Schin tan wird China von den Buddhisten genannt.) gesprochen wird! Du bist ein Tao-dse; welchen Rang hat dir dein Kaiser gegeben?«

»Ich reise in allen Ländern der Erde und schreibe dann Bücher über das, was ich gesehen habe.«

»So bist du nicht bloß ein Hieu-tsai[31] oder ein Kieu-jin[32] sondern ein Tsin-sse[33] und hast Recht zu den höchsten Ehrenstellen deines Landes. Du bist groß und stark und klug; ich werde dich Kuang-si-ta-sse[34] nennen, denn dein Land liegt im Ti-si[35]. Wirst du es mir erlauben?«

Kein Volk ist so höflich wie die Chinesen, und es ist eine beinahe tödliche Beleidigung, einen Bewohner der Mitte grob zu nennen. Der Name, welcher mir erteilt wurde, war ein sprechender Beweis, daß Kong-ni keine Ausnahme bildete. Dieser Name war zwar beinahe mehr als hochtrabend, aber was konnte es schaden, wenn ich ihn acceptierte? Darum antwortete ich:

»Ich erlaube es dir. Wie hieß die Dschunke, mit welcher du Schiffbruch littest?«

»Fu-schin-hai[36]. Der Teifun hat sie mit allen Leuten getötet, und ich bin ganz allein entkommen.«

»Willst du mit uns nach Kuang-tscheu-fu gehen?«

»Hast du ein Schiff, welches dorthin fährt?«

»Es gehört diesem Manne, welcher mit demselben bereits durch alle Meere gefahren ist.«

Er wandte sich zum Kapitän herüber.

»So bist du ein Ti-tu[37]! Wie ist dein Name?«

Ich antwortete an Stelle des Kapitäns:

»Er spricht noch nicht die Sprache deines Landes, und ich werde also zwischen ihm und dir den Tun-sse[38], machen. Kaptn, dieser Mann heißt Kong-ni und möchte auch Euern Namen wissen!«

»Turnerstick,« antwortete der Angeredete.

»Tu-re-ne-si-ki? Wirst du die Gnade haben, Ti-tu Tu-rene-si-ki Kuon-gan, mich mit nach Kuang-tscheu-fu zu nehmen?« fragte der Chinese.

Ich übersetzte dem »Admiral Tu-re-ne-si-ki, Excellenz« diese höfliche Erkundigung. Er lachte im ganzen Gesichte und fragte mich:

»Was heißt »ja« auf Chinesisch?«

»Das kommt auf die Mundart an; entweder tsche oder ssche.«

Er wandte sich zu Kong-ni und nickte mit dem Kopfe.

»Tsche und meinetwegen auch ssche, alter Junge! Haben wir dich aus der einen Patsche herausgefischt, so werden wir dich doch nicht etwa in eine andere stecken. Wißt Ihr etwas, Charley? Dieser Mann hat sich einigermaßen erholt und wird wohl bis zum Strande laufen können. Es wird abend, und wir wollen machen, daß wir hier fortkommen!«

Das war mir recht. Kong-ni erklärte, daß er genug Kraft besitze, selbst zu gehen. Ich gab ihm mein Taschentuch als Bandage, in welcher sein Arm ruhen konnte, und dann brachen wir auf. Der kurze Weg bis zur Jolle war bald zurückgelegt. Wir schoben sie in das Wasser, stiegen ein und griffen zu den Rudern. Kong-ni hielt sich wacker, und wir brachten ihn, der ohne unsere Jagdexpedition auf dem einsamen Stapleton-Island elend hätte verschmachten müssen, glücklich auf unser Schiff, wo ich seinen Arm sofort in die Behandlung nahm.

Die Reparaturen, deren unser »The wind« bedurfte, stellten sich leider als sehr umfangreich und langwierig` heraus. Der Teifun hatte das ganze Gebäude des Schiffes arg zusammengerüttelt, dessen Fugen durch das Zerbrechen des Fock und Bugmastes arg erschüttert worden waren. Zudem fehlten die beiden Boote, und um nur das Hauptsächliche herzustellen, bedurften wir eines Aufenthaltes von zwei Wochen in Port Lloyd. Dann endlich gingen wir in See nach Canton, wo die Hauptreparaturen bewerkstelligt werden sollten.

Der Arm Kong-nis machte mir keine Sorge, denn die Heilung schien einen ganz guten, regelrechten Verlauf zu nehmen. Ueberhaupt war mir die Anwesenheit des Chinesen sehr vorteilhaft; er sprach den weicheren, wohllautenden südlichen Dialekt, ich aber hatte meine Uebungen im Dialekte von Peking gemacht. Deshalb behielt ich ihn fast während des ganzen Tages bei mir, um, ohne daß er es merkte, sein Schüler zu sein.

Darauf war der Kapitän aufmerksam geworden.

»Charley, sagt einmal, ist denn dieser Chinese gar so ein prachtvoller Mensch, daß Ihr keine Minute von ihm lassen könnt?« fragte er mich. »Ich muß Euch offen sagen, daß ich höchst unzufrieden mit Euch bin, denn Ihr vernachlässigt mich auf eine wahrhaft schauderhafte und unverzeihliche Weise.«

»Ihr habt einigermaßen recht, Kaptn, aber Ihr werdet mir verzeihen, wenn ich Euch gestehe, daß ich mich meist der Sprache wegen zu Kong-ni halte. Ihr glaubt nicht, wie viel man schon in einer einzigen Woche zu lernen vermag, wenn man Gelegenheit hat, seine Studien in dieser praktischen Weise vorzunehmen.«

»Ihr habt einigermaßen recht, Kaptn, aber Ihr werdet mir verzeihen, wenn ich Euch gestehe, daß ich mich meist der Sprache wegen zu Kong-ni halte. Ihr glaubt nicht, wie viel man schon in einer einzigen Woche zu lernen vermag, wenn man Gelegenheit hat, seine Studien in dieser praktischen Weise vorzunehmen.«

»Ah, das ist es also, Ihr Schlaukopf! Ich bin ein wenig weit in der Welt herumgekommen und könnte es sehr gut gebrauchen, wenn ich mir hier und da einiges von anderen Sprachen zusammengelesen hätte; aber einesteils kommt man mit unserm Englischen an jedem Orte durch, andernteils habe ich ein ganz außerordentliches Talent, in fremden Sprachen weniger als nichts zu lernen. Ich habe einst sechs Monate lang Französisch getrieben und weiß nur noch, daß vaisseau Schiff heißt, und auch das werde ich in acht Tagen vergessen haben. Aber eine Schande ist und bleibt es doch, daß ich nach Canton will und kein Wort Chinesisch verstehe. Wollt ihr mir nicht einiges lehren, Charley?«

»Sehr gern, wenn es Euch Spaß macht!«

»Spaß weniger, aber Arbeit wird es mir machen. Jedoch, ich habe mir sagen lassen, daß diese Leute nur einsilbige Wörter haben, und da denke ich, daß die Geschichte nicht gar so schwierig sein wird.«

Diese Ansicht war allerdings belustigend, aber ich begann doch mit dem Unterrichte und muß gestehen, daß er reißende Fortschritte machte im Vergessen. Drei Worte, welche er mir heute fünfzigmal hersagen mußte, hatte er bereits morgen schon wieder vergessen oder gebrauchte sie in einer Weise, welche mir die Lachthränen in die Augen trieb, und als wir Canton erreichten, war er imstande, eine englischchinesische Rede zu halten, von der kein Mensch ein Wort verstehen konnte, weil sie aus Redeteilen bestand, welche er für den Augenblick extemporierte.

Die Granitfelsen der Insel, auf welchen Hong-kong erbaut ist, stiegen vor uns empor; die uns begegnenden Fahrzeuge waren immer zahlreicher geworden, und als wir die Landspitze douplierten, hinter welcher Victoria liegt, wie die Engländer die Stadt benannt haben, sahen wir im wahrsten Sinne des Wortes Tausende von Dschunken um uns her, teils mit Fischerei und teils mit Transport und Küstenhandel beschäftigt. ich stand mit dem Kapitän auf dem Hinterdeck. Er beobachtete mit großem Interesse das uns umflutende Treiben und meinte:

»Wißt Ihr, Charley, daß ich einen sehr außerordentlichen Entschluß gefaßt habe!«

»Welchen?«

»Ich habe Euch bisher nicht begreifen können, daß Ihr in der Welt herumstöbert, bloß um Land und Leute kennen zu lernen; jetzt aber ist mir die Sache einleuchtender geworden. Ich hänge von keinem Menschen ab, muß mein Schiff hier wieder seetüchtig machen, woraus ein längerer Aufenthalt entsteht, und da ich mir unter Eurer vortrefflichen Leitung eine so ganz unerwartete Fertigkeit im Chinesischen angeeignet habe, so bin ich entschlossen, mich Euch hier anzuschließen, um auch einmal in Eurer Weise »Land und Leute kennen zu lernen«. Ihr nehmt mich doch mit, Charley?«

»Mit Vergnügen, denn ich hoffe, daß Ihr mit Eurem Sprachschatze auskommen werdet!«

»Habt keine Sorge, alter Junge! Das Chinesische ist tausendmal leichter, als man glauben sollte. Kan-tong, Nanking, Hon-kong, Pe-king, Gin-seng; habt Ihr aufgepaßt? Alles lautet auf ong, ing, eng, ung und so weiter; das ist doch kinderleicht.«

»Schön! Wie würdet Ihr also zum Beispiel einen Chinesen grüßen?«

»Wollt ihr mich etwa verblüffen? Im Englischen grüße ich »good day«, im Chinesischen also »goodeng daying«. Wer das nicht versteht, ist so dumm, daß ihm kein Doktor helfen kann. Nun, Charley, wollt Ihr mich noch weiter examinieren?«

»Nein, ich habe zur Genüge!« lachte ich. »Laßt Euch ganz aufrichtig sagen, daß ich noch niemals einen so geistesgegenwärtigen Schüler gehabt habe!«

»Ist das ein Wunder? Geistesgegenwart ist ja die erste Erfordernis bei einem tüchtigen Seemanne, und Master Frick Turnerstick ist nicht ein Kapitän, der sich unter die schlechten rechnen läßt. Aber jetzt müßt Ihr mich entschuldigen; ich habe keinen Lootsen und muß mich deshalb selbst um das Einlaufen bekümmern.«

Wir gingen in Parade vor Anker, und die üblichen Salutschüsse wurden gewechselt. Kong-ni stand dabei neben mir.

So bekannt er mir geworden war, in einer Beziehung war er mir doch ein Rätsel geblieben: ich hatte nie erfahren können, welchem Gewerbe oder Berufe er angehöre und in welchen familiären Verhältnissen er sich befinde. Zwar hätte ich sehr leicht eine direkte Frage aussprechen können, da er aber meine Andeutungen nicht verstehen wollte, so hatte ich dies unterlassen.

Der junge Mann hatte nicht jenes nichtssagende und nur schlau blickende Gesicht, welches bei den Chinesen stereotyp zu sein scheint; er besaß vielmehr recht intelligente Züge, und die eingehenden Unterhaltungen, welche wir gepflogen hatten, waren mir oft Beweisführer geworden, daß er eine unter seinen Landsleuten nicht gewöhnliche Bildung besaß.

»Wie lange wirst du in Hong-kong bleiben?« fragte er mich.

»Das ist noch unbestimmt.«

»Willst du bloß nach Kuang-tscheu-fu gehen?«

»Nein. Ich werde weiter gehen.«

»Das werden dir die Kuang-fu[39] nicht erlauben.«

»So werde ich selbst es mir erlauben.«

»Ich habe dich »Kuang-si-ta-sse« genannt und weiß, daß du klug und mutig bist; aber du wirst dennoch nicht weiter als bis Kuang-tscheu-fu kommen. Ihr nennt diese Stadt Canton und dürft sie besuchen; aber wer von euch hat sie schon einmal richtig gesehen? Es ist euch nur erlaubt, die Straßen zu betreten, die nicht zur chinesischen Stadt gehören. Wie willst du noch weiter kommen, wenn du kein Chinese bist?«

»So werde ich einer!«

»Das ist schwer. Du hast mir das Leben gerettet, und ich möchte dir gern dankbar sein. Erlaube mir, dir einen Rat zu geben!«

»Spricht!«

»Willst du der Sohn eines Fu-yuen[40] werden?«

Ich erstaunte bei dieser Frage, welche grad ebenso klang, als wenn mir daheim ein einfacher Bürger angeboten hätte, der Adoptivsohn des Königs von Bayern oder Sachsen zu werden. Kong-ni konnte nicht wagen, einen Scherz mit mir zu treiben, und ich besaß ja kaum irgendwo eine nähere Kenntnis des rätselhaften Landes, welches zu betreten ich im Begriffe stand. Deshalb fragte ich einfach:

»Ist das möglich?«

»Ich mache es möglich, dir zuliebe.«

Diese Antwort wurde in einem Tone gegeben, der wie die vollständige Ueberzeugung klang. Ein Fu-yuen ist der erste Beamte des Tsung-tu, den wir in Europa Vizekönig zu nennen pflegen, und hat die ganze Civilverwaltung einer Provinz in der Hand. Wer war dieser Kong-ni, daß er mir einen solchen Vorschlag machen konnte? Ich hatte hier mit unbekannten Verhältnissen zu rechnen und mußte mich also so passiv wie möglich verhalten.

»Ich habe bereits einen Vater,« antwortete ich.

»Dein Vater ist nicht hier. Du bist kein Diener des Fo und auch nicht des Buddha, sondern ein Tien-tschu-kiao[41]. Verbietet dir dein Glaube, hier einen zweiten Vater zu haben, so lange du in Tai-tsing-kun[42] bist?«

»Nein.«

»So thue, was ich dir vorschlage, denn dann wirst du ein Tschin-dse[43] und kannst gehen und reisen, wohin es dir gefällt!«

Das Anerbieten, welches er mir machte, konnte nicht vorteilhafter sein. Wie mancher, der sein Leben an die Erforschung Chinas gewagt hatte, wäre glücklich gewesen, einen solchen Vorschlag hören zu dürfen; aber er war mir unbegreiflich, ich möchte sogar sagen, ungeheuerlich, so daß ich beinahe Lust hatte, ihn zurückzuweisen. Dennoch meinte ich nach einigem Ueberlegen:

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