Am Stillen Ozean - Karl May 13 стр.


»Wird ein Diener des Fo oder Buddha einen Kiao-yu[44] zum Sohne nehmen?«

»Ja. Warum sollte er nicht können oder nicht wollen? Euer Gott sagt: »ich bin nur der Eurige,« unser Tien-wen[45] aber lehrt uns, daß es einen Vater giebt, und wir alle sind seine Kinder. Es giebt drei große Religionen: die unsrige, die eurige und diejenige der Hoeï-hoeï[46]. Sie haben Li-pai-sse[47] und sagen: »unsere Religion ist die beste«; ihr habt Ting-sin-lo[48] und sagt: »unser Gott ist der einzige,« und wir haben Pagoden und Tempel und sagen: San-kiao-y-kiao, die drei Religionen sind nur eine. Warum solltest du also nicht der Sohn eines Mannes werden, der deinen Glauben ebenso sehr schätzt, wie du den seinigen?«

Es hätte keinen Zweck gehabt, mich in diesem Augenblicke mit ihm in einen religiösen Disput einzulassen. Seine Worte klangen außerordentlich tolerant und bestechlich, aber sie zeigten mir das Haupthindernis, welches in China der christlichen Mission entgegengebracht wird die Gleichgültigkeit. Den Worten »San-kiao-y-kiao« begegnet man allüberall im großen Reiche der Mitte, aber dieser Ausspruch: »die drei Religionen sind nur eine«, ist nicht etwa das Ergebnis eines eingehenden Studiums oder einer sorgfältigen Vergleichung der betreffenden Dogmen, sondern das Produkt einer religiösen Gleichgültigkeit, wie man sie kaum sonst irgendwo zu finden vermag. Die christliche Propaganda hat ihren Weg rund um die Erde beinahe vollendet; das islamitische »Allah il allah, Muhammed rahsul allah« wurde den Horden wilder asiatischer Eroberer vorangetragen; das berühmte »Omm, mani padme hum!« aber kennt nicht die Aufgabe unseres gewaltigen »Gehet hin in alle Welt!«. Nicht aus Rücksichten der Religion, sondern aus politischen Gründen wurde China den andern Nationen verschlossen; die Religion läßt den Chinesen vollständig kalt, und wenn man ihm einen noch so langen und eindringlichen Vortrag über die Herrlichkeit der christlichen Lehre hält, so hört er geduldig und scheinbar höchst aufmerksam zu, wie es ja die bekannte chinesische Höflichkeit erfordert, und meint dann sehr freundlich: »Das ist gut, das ist schön, und ich lobe dich, daß du das alles glaubst; warum sollte ich mich also mit dir streiten? Deine Religion ist gut, die Religion der Hoei-hoei ist gut, und die meinige ist auch gut; San-kiao-y-kiao, die drei Religionen sind ja eine, und wir alle sind Brüder!« Nach diesen Worten würde es eine große Verletzung des Anstandes sein, wenn man den Gegenstand noch einmal aufnehmen wollte, und thut man es dennoch, so lächelt er überlegen und entgegnet: »Du hast wohl noch nie das Li-king gelesen, »das Buch der Anweisung zum Benehmen für alle Klassen, an allen Orten und bei allen Gelegenheiten und in allen Erfahrungen des Lebens«? Komm zu mir, und hole es dir! Oder soll ich es dir lieber schicken?«

Diese Passivität ist schwerer zu besiegen, als selbst ein aktiver Widerstand, wie jeder erfahrene chinesische Missionär bestätigen wird. Ich war nicht als ein solcher nach Hongkong gekommen und daher durfte ich mir wohl erlauben, von einem religiösen Streite mit Kong-ni abzusehen. Ich antwortete deshalb.-

»Und dieser Mann ist ein Fu-yuen?«

»Ein Fu-yuen,« nickte er.

»Also einer der höchsten Beamten des Landes!«

»Er ist ein Kuang-fu (Mandarin) mit dem roten Knopfe. Er ist sehr mächtig, aber bereits sehr alt. Der Hoang-schan[49] hat ihm die Erlaubnis gegeben, zwei Pfauenfedern zu tragen und von seinem Amte auszuruhen.«

Also ein pensionierter Beamter! Einflußreich aber mußte er sein, da er ein Mandarin des ersten Ranges war und zwei Pfauenfedern tragen durfte, während nur die vornehmsten Ko-lao[50] deren drei, die Ta-hia-su[51] deren gewöhnlich aber nur eine tragen dürfen.

»Hat er keinen Sohn?« erkundigte ich mich weiter.

»Er hat einen.«

»Aber darf er denn nach eurem Gesetze einen zweiten nehmen?«

»Das Gesetz erlaubt es nicht, aber der Kaiser erlaubt es.«

»Ist dieser Sohn bei ihm?«

»Nein; er ist bei dir.«

Ich blickte überrascht auf.

»So sprichst du von deinem Vater und bist der Sohn eines Unterstatthalters?«

»Ja. Willst du mein Bruder werden?«

Das war nun allerdings beinahe abenteuerlich. Wollte er mich durch dieses Angebot dafür belohnen, daß ich ihm das Leben gerettet hatte? Ich war nicht gewillt, einen solchen Vorteil zurückzuweisen.

»Ja,« antwortete ich daher.

»Du sprichst unsere Sprache. Kannst du sie auch schreiben?«

»Nur die Siang-hing[52], und das ist wenig genug.«

»So wirst du mir diktieren, und ich werde schreiben.«

»Was?«

»Du wirst eine Schrift verfassen, welche wir dem Ly-pu[53] einsenden. Der Sohn eines Fu-yuen muß ein Gelehrter sein, um Nan, Phy, Hèu oder Kung[54] werden zu können.«

Das war frappant! Fast kam es mir vor, als ob dieser Chinese Komödie mit mir spiele. Ein deutscher »Weltläufer« sollte sich in China um einen akademischen Grad bewerben! Ich ging auf den Spaß sofort ein:

»Was soll ich werden? Ein Sieu-tsai, Keu-jin oder vielleicht gar ein Tsin-sse?«

»Du bist sehr weise und kannst ein Tsin-sse werden. Um das gleich zu können, wirst du drei Schriften verfassen, für jeden Grad eine. Diese werden dem Ly-pu übergeben, und du kannst dann gleich durch eine einzige Prüfung den höchsten Rang erwerben.«

»Ich werde es thun. Wann kannst du schreiben?«

»Wann es dir gefällt.«

»So werden wir sofort das Schiff verlassen, um Papier, Tusche und Pinsel zu bekommen.«

»Willst du mir eine Bitte erfüllen?«

»Welche?«

»Laß mich allein aussteigen; ich werde dir schnell bringen, was du brauchst!«

»Ist mir auch recht,« lächelte ich, denn ich bekam den guten Kong-ni in Verdacht, daß er mir so fulminante Anträge gemacht habe, um mir mit seinem Danke nur auf gute Weise durchbrennen zu können. »Wie heißt dein Vater?«

»Phy-ming-tsu.«

Also nach unsern europäischen Begriffen ungefähr ein Graf!

»Wo wohnt er?«

»Das wirst du bald erfahren!«

Ich wollte mich weiter erkundigen, wurde aber von meinem alten Frick Turnerstick durch einen Ruf unterbrochen, der so eigentümlich war, daß ich mich sofort umwandte.

Wir waren während meines Gespräches mit Kong-ni zwischen einem Engländer und einem Holländer vor Anker gegangen und wurden von zahlreichen Booten umschwärmt, deren Insassen der Bemannung unsers Schiffes alles mögliche zum Verkaufe anbieten wollten. Ein Fruchthändler hatte sich bereits an das hinabgeworfene Tau gelegt, und er war es, dem der possierliche Zuruf des Kapitäns galt:

»Guteng Taging! Was hasteng dung zung verkaufang?«

Der Chinese hatte ihn natürlich nicht verstanden, ahnte aber, was er meinte.

»Li-chy, Li-chy!« rief er herauf, indem er seinen Fächer als Schallbrecher an den Mund hielt. »Li-chy[55], Li-chy! Si-kua,[56] Si-kua!«

Der Kapitän winkte mir.

»Charley, kommt doch einmal her! Was brüllt denn eigentlich der Kerl herauf? Was ist Li-chy?«

»Er meint die Nüsse, welche im Boote liegen. Sie sind sehr gut und schmecken fast wie Melonen.«

»Und dieses Si-kua?«

»Wassermelonen.«

»Alle Wetter, kann er das nicht gleich sagen!«

Er bog sich über die Regeling und winkte hinab.

»Wir werding kaufang! Kommung zumong Fallreeping heraufeng!«

Er gab Befehl, das Fallreep niederzulassen, und der Chinese brachte an einem über die Achsel gelegten Bambusstabe eine ziemliche Menge seiner in Matten gewickelten Früchte herauf.

»Seht, Charley, der Mann hat mich verstanden! Freilich, es ist etwas außerordentlich Erhebendes, zu wissen, daß man die Sprache fremder Nationen spricht. Das habe ich Euch zu verdanken, Charley, Euch und meinem ungemeinen Talente für fremde Sprachen, an dem ich bisher unbegreiflicherweise so sehr gezweifelt habe. Ich werde dem Kerl den ganzen Kram abkaufen!«

Der Händler hatte seine Matten ausgebreitet. Turnerstick trat zu ihm, zeigte auf die Li-chy und klopfte ihm sehr herablassend auf die Achsel.

»Was kosteng die Nüssang?«

Der Gefragte hob, da er die Pantomime wohl verstanden hatte, eine Handvoll der Li-chy empor und antwortete:

»Y tsien!«

»Seht Ihrs, Charley, daß er mich schon wieder verstanden hat? Aber er scheint das Chinesische schwerer zu sprechen, als er es versteht! Was meint er mit seinem Y tsien?«

»Das heißt: ein Tsien.« »Was ist ein Tsien?«

»Die kleine Münze, welche Ihr hier an seinem Halse an die Schnur gefädelt seht. In Europa nennt man sie Sapeke, der Mongole sagt Dehos und die englisch sprechenden Völker heißen sie Cash. Sie unterliegt einem nicht ganz unbedeutenden Kurs, und es gehen zweihundertfünfzig bis dreihundert auf eine deutsche Mark.«

»So bekomme ich also eine Handvoll Nüsse für einen Drittelpfennig?«

»Allerdings. Es ist hier alles ungeheuer billig.«

»Well; so werde ich weiter fragen!«

»Thut es, Sir!« antwortete ich in lustiger Neugierde auf sein weiteres Chinesisch.

Er zeigte auf die Melonen.

»Der Preising von diesong Meloneng?«

Der Chinese hob zwei der schönsten hervor.

»San tsien!«

»San tsien?« meinte Turnerstick. »Der Kerl spricht ein schauderhaftes Chinesisch. Was meint er, Charley?«

»Drei Sapeken.«

»Zwei solche riesige Melonen für drei Sapeken, also für einen Pfennig? Der Mensch muß seine Ware gestohlen haben! Ich werde alles behalten!«

Er machte eine Armbewegung um den ganzen Vorrat herum.

»Ich behaltong die ganzung Nussang und Meloneng!«

Der Händler zählte ab und schob alles zusammen.

»Was habing zu bezahleng?«

»Y tschun!«

»Was meint er, Charley?«

»Einen Tschun oder Tsian; das sind hundert Sapeken, also höchstens dreißig bis fünfunddreißig Pfennige. Ich weiß noch nicht, wie der Kurs heute ist.«

»Für einen solchen Haufen Früchte? Warte, er hat noch welche im Boote; ich nehme sie alle, weil dieser Mann mich so prächtig versteht!«

Er zeigte hinunter auf das Boot.

»Heraufing mit dem ganzeng Kramong. Ich werdeng ihn kaufing!«

Der Chinese machte ein höchst vergnügtes Gesicht und holte alles herbei.

»Nun, was kosting das alles zusammong?«

»Sse tschun!«

»Schauderhaftes Chinesisch! Was meint er, Charley?«

»Vier Tschun oder vierhundert Sapeken.«

»Schrecklich billig! Aber wo nehme ich Sapeken her?«

»Ich habe auch keine. Gebt ihm englisches oder amerikanisches Kleingeld; er wird es schon kennen.«

Er gab einen ganzen Dollar hin und bekam beinahe die ganze Sapekenschnur, welche der Chinese um den Hals hangen hatte, als Rückgeld ausgezahlt. Diese Tsien sind die einzige in China kursierende Münze; Gold und Silber gelten nur als Ware und werden in Barrenform nach dem Gewichte als Zahlung angenommen. Die Sapeken sind von Kupfer und rund; sie haben in der Mitte ein viereckiges Loch, damit man sie auf Schnüren reihen kann. Für fünf Dollars Sapeken zu tragen, ist schon eine Last, zu der man Kräfte besitzen muß.

Jetzt kamen auch Mietgondeln herbei, und Kong-ni machte sich bereit, in eine derselben zu steigen. Er war natürlich von allen Mitteln entblößt, und ich bot ihm meine Hilfe an.

»Du bist gut; aber ich brauche nichts,« war seine Antwort.

Er stieg nun in die Gondel und fuhr davon. Ich erwartete nicht, ihn jemals wieder zu sehen, und wandte mich beobachtend dem Leben zu, welches infolge der Ankunft der Hafenbeamten und anderer Leute auf unserm Verdecke sich entwickelte. Da wurde ich einen Kahn gewahr, welcher, von zwei Ruderern getrieben, sich uns näherte. In demselben saß ein Mandarin fünfter Klasse mit dem krystallenen Knopfe.

Der Kahn legte an, und der Mandarin kam an Bord; es war Kong-ni.

Ich erstaunte, weniger über die Umwandlung, welche in so kurzer Zeit mit ihm vorgegangen war, als vielmehr über den Umstand, daß er die Abzeichen eines Kuang-fu trug, ohne das dazu nötige gesetzliche Alter erreicht zu haben. Er kam auf mich zu und begrüßte mich lächelnd.

»Jetzt wirst du wissen, wer Kong-ni ist. Hast du Zeit, mir zu diktieren?«

»Ja. Komm herab in die Kajüte!«

Er folgte mir und zog unten aus den weiten Aermeln seines Kaftans die erforderlichen Schreibutensilien. Dann setzte er sich und fragte:

»Worüber willst du schreiben, um ein Sieu-tseu zu werden?«

Ich besann mich ein wenig und wählte ein geographisches Thema, weil ich durch dasselbe mein »blühendes Talent«, wie ja Sieu-tseu zu deutsch lautet, am besten in das Licht zu stellen hoffte.

»Ich wähle den Titel »Nian-yan-kui-dse«[57]. Bist du einverstanden?«

»Ja, denn das ist ein Stoff, der dich sehr berühmt machen wird.«

Die Arbeit begann. Ich diktierte, und er schrieb. Trotz der Schwierigkeit der chinesischen Schriftzeichen ging es ihm so schnell von der Hand, als ob er stenographiere. Natürlich langten meine Sprachkenntnisse bei weitem nicht zu; er mußte daher gehörig nachhelfen, und nach zwei Stunden hatte ich meine kurze Abhandlung zum Abschluß gebracht. Den beiden folgenden Arbeiten gab ich den Titel »Pen-tsaoy-jin«[58] und »Hio thian-ti«[59]. Sie waren beendet, noch ehe der Abend hereinbrach, und sogar der brave Kong-ni staunte über die »außerordentlich unbeschreiblichen Kenntnisse«, die ich nach seiner Meinung in ihnen niedergelegt hatte. Ich aber will offen und ehrlich gestehen, daß ich mich bemüht hatte, mir die ungereimtesten Dinge zu ersinnen und sie in ein Gewand zu kleiden, welches gar nicht bombastischer gedacht werden konnte. Ein Europäer hätte ganz sicher schon beim zwanzigsten Worte erkannt, daß es sich entweder hier um eine ungeheure Aufschneiderei handele oder daß der Autor zu den unheilbar Wahnsinnigen gehöre.

Wir waren eben damit beschäftigt, die Blätter, welche nach chinesischer Weise nur auf einer Seite beschrieben waren, zusammenzulegen, als der Kapitän eintrat.

»Charley, Ihr habt mich gebeten, Euch nicht zu stören, aber ich muß dennoch kommen, denn der Kerl macht es mir zu heiß.«

»Welcher Kerl?«

»Da legt vor einer Stunde ein Kahn mit verschiedenen Paketen bei uns an, und ein Mensch steigt an Deck, der mir wahrhaftig ganz heiß gemacht hat. Sein Chinesisch ist noch viel schlechter, als es da oben bei den Finnen und Lappen gesprochen würde, und ich bringe nichts weiter heraus, als »krank pfui« und »komm ja!«. Jedenfalls ist einer krank, der den schönen Namen Pfui hat, und man denkt, daß ich einen Arzt an Bord habe, der ja kommen soll.«

»Werde einmal sehen!« ich vermutete wieder einen sprachlichen Geniestreich des Master Frick Turnerstick und hatte mich auch nicht geirrt. Als wir an Deck kamen, lauerte der Mann an der Kajütentreppe auf uns.

»Paßt einmal auf,« meinte der Kapitän. »Ich werde ihn noch einmal ganz langsam und deutlich fragen, und Ihr werdet nichts als sein »krank pfui« und »komm ja« zu hören bekommen.«

Er hob mit bedächtiger Miene den Zeigefinger der rechten Hand empor, wie man es zu thun pflegt, wenn man jemand pantomimisch zur Aufmerksamkeit ermuntern will, und fragte:

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