Die heilige Religion Christi wird oft unrechterweise angeklagt. Man sagt: »Die Gesittung hat ihren Barbarismus, das Licht seine Schatten, die Liebe ihren Egoismus, und von dem Orte der ewigen Seligkeit aus kann man, wie das Gleichnis von dem reichen Manne und dem armen Lazarus lehrt, hinunter in die Hölle blicken, um die Qualen der Verdammten zu beobachten. Christi Liebe, Milde und Erbarmung predigende Lehre ist, vom unduldsamen Zelotismus auf die Spitzen der Schwerter gehoben und von einer schlau berechnenden Eroberungslust in das Panier genommen, über den größten Teil des weiten Erdenkreises gegangen; ganze Rassen und Völker sind verschwunden oder liegen noch jetzt in den letzten, wilden Todeszuckungen; die Geschichte hat durch solche Verluste für ihre zukünftige Entwickelung eine ganze Reihe wichtiger kulturhistorischer Kräfte und Momente verloren, und der Seelenhirt, welcher in die wilde Fremde geht, um die sogenannten Heiden zu bekehren, beachtet nicht, daß die letzteren nach ihren Bedürfnissen glücklicher sind, als wir, und daß unter den korrumpierten Schichten der heimatlichen Nationen sein Wirken notwendiger wäre, als unter den Andersgläubigen, die oft in paradiesischen Verhältnissen leben!« Das ist ein gewaltiger Vorwurf, und es wäre allerdings mehr als beklagenswert, wenn er auf Wahrheit beruhte. Aber ist nicht die Rasse, die Nation, das Volk ebenso ein Individuum wie der einzelne Mensch, welcher geboren wird, sich entwickelt und wieder aus dem Leben tritt, wenn er seine Aufgabe gelöst hat? Schon der Neugeborene trägt die Vorbedingungen des einstigen Todes in allen Teilen seiner Konstitution und seines Organismus. Ebenso die gesellschaftliche Gesamtheit, sie mag heißen, wie sie will. Nicht die Bibel ist schuld, daß der Mensch sterben muß, ebensowenig wie der Koran oder die Veddahs der Indier, und ebenso wenig vermag es das Christentum, die Auflösung der Nationen zu verhindern. Die heilige Lehre von der Liebe und Vergebung wurde uns gegeben, den Tod zu überwinden durch die Vorbereitung und die Zuversicht auf eine bessere, höhere und ewige Zukunft, und gerade darum, weil der Tod und die Auflösung aller warten, die auf Erden wohnen, hat diese Lehre die hohe und berechtigte Aufgabe, »hinaus in alle Welt zu gehen« und die ganze Erde zu erlösen von der Furcht vor einem Ende, welchem kein neuer Anfang innewohnt. Nicht die Religion hat sich auf die Spitzen der Schwerter gestellt, sondern die Politik der Eroberer ist es gewesen, welche Blut säte, um stets wieder Blut zu ernten. Die Kirche zählt zu ihren Gläubigen die starken Völker, welche die Vorsehung bestimmt hat, siegreich über den Erdkreis zu schreiten; aber die Kirche veranlaßt sie nicht zu diesem Triumphzuge, sondern sie folgt dem Zuge mit ihren Tröstungen, um den Haß in Liebe, den Schmerz in Freude zu verwandeln und den Fluch, welchen der Besiegte auf den Lippen trägt, in Segen umzukehren.
Es ist in dieser Beziehung viel über die Gesellschaftsinseln gesprochen und geschrieben worden. Als dieser Archipel entdeckt wurde, fand man in seinen Bewohnern ein kindlich naives und beinahe wunschloses Volk, dem eine reiche Natur alle zu einem zufriedenen und sorgenfreien Leben notwendigen Erfordernisse in verschwenderischer Weise verliehen hatte. Die Fremdlinge wurden mit freundlicher Gastlichkeit aufgenommen, fast als Götter verehrt und erhielten alles, was ihr Herz begehrte. Sie brachten die Kunde davon in die Heimat, wo unter den Abenteurern der Wunsch nach gleichen Genüssen rege wurde. Es wurden Schiffe ausgerüstet; die Handelspolitik begann, ihre Pläne zu spinnen die Tahiter erhielten für ihre Gastfreundlichkeit die Laster und Krankheiten des Abendlandes zugeschickt und haben mehr die schlechten als die guten Eigenschaften derer angenommen, welche sich Christen nannten, ohne es ihrer Herzensgesinnung nach zu sein. Dieser letztere Umstand ist außerordentlich beherzigenswert. Allerdings muß die betrübende Thatsache zugestanden werden, daß die Tugenden der Tahiter seit ihrer Bekanntschaft mit den Europäern schwer gelitten haben; aber das Christentum der Schuld daran zu zeihen, heißt eine der schwersten Sünden begehen. Es ist nicht richtig, die heilige Kirche mit denen zu identifizieren, welche sich Christen nennen; die Christenheit zählt ihre größten Feinde in ihrer eigenen Mitte, und es ist tief zu beklagen, daß die Mission neben ihrer eigentlichen Aufgabe noch die traurige Arbeit zu übernehmen hat, dem unmoralischen Erbe entgegen zu wirken, welches in den Spuren der bloßen Namenchristen zurückzubleiben pflegt.
Tahiti, die »Perle der Südsee«, lag unter einem herrlichen, blauen Himmel; die Sonne glühte auf die blitzenden Wogen des Meeres und die bewaldeten Spitzen des Orohenaberges nieder oder funkelte in den Bächen und schmalen Kaskaden, welche von den malerisch aufstrebenden Klippen herabsprangen; aber ihre Glut erreichte nicht die freundlichen Ansiedlungen, welche im Schatten der Palmen und zahllosen Fruchtbäume lagen und von der frischen Seebrise angenehme Kühlung zugefächelt erhielten.
In dem linden, milden Luftzuge rauschten die langen gefiederten Wedel der Kokospalmen und raschelten die breiten, vom Winde ausgerissenen Blätter der Bananen zur Erde nieder; die abgeblühten Blumen der Orangen, deren Zweige aber trotzdem schon mit goldgelben Früchten bedeckt waren, tropften, wonnige Düfte verbreitend, von dem sich wiegenden Geäste herab. Es war einer jener zauberisch schönen, wunderbaren Tage, wie sie in so reicher Pracht und Herrlichkeit nur in den Tropen zu finden sind.
Und während das Land in all seiner paradiesischen Schönheit so jung und frisch, als sei es eben erst aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen, dalag, donnerte draußen an den Korallenriffen die Brandung ihr tiefes, nicht endendes und nicht wechselndes Lied. Die Zeiten sind anders geworden und mit ihnen die Menschen; die unendliche, stets wechselnde und doch sich immer gleich bleibende See ist noch dieselbe und schleudert noch heute, wie vor Jahrtausenden ihre bald krystallenen, bald dunkel drohenden und mit weißem Gischte gekrönten Wogenmassen gegen die scharfen Dämme. Die von blitzenden Reflexen durch und überschossenen Fluten hoben und senkten sich, als blickten Tausende von Najaden hinüber, wo über dem Schaume der Wellen immergrüne, wehende Wipfel sich erheben, unter denen ein dem allmählichen Untergange geweihtes Völkchen die letzten Pulsschläge seines individuellen Lebens zu zählen vermag, ohne die Widerstandskraft zu besitzen, welche die Todeszuckungen der amerikanischen Rasse dem weißem Manne so furchtbar und gefährlich macht.
Dort am Strande lag Papetee, die Hauptstadt Tahitis, und eine bunt bewegte Schar von Menschen wogte in weißen, roten, blauen, gestreiften, karierten oder geblümten langen Gewändern hin und her. Wie prachtvoll hatten sich die jungen, bildhübschen Mädchen das schwarze, lockige und seidenweiche Haar mit Blumen und dem künstlich geflochtenen, schneeweißen wehenden Bast des Arrowroot geschmückt; wie gewandt und stolz waren die Bewegungen der eingeborenen Stutzer, welche den bunten Parau oder die faltige Marra kokett um die Lenden geschlungen und darüber die Tebuta, das Schultertuch, malerisch über die Achsel geworfen hatten und so zwischen den Schönen umherstolzierten! Sie hatten die langen, fettglänzenden Locken mit Streifen ineinander geflochtener weißer Tapa und roten Flanells umwunden, was ihnen zu dem Teint ihrer bronzefarbenen Gesichter gar nicht so übel stand.
Da auf einmal drängte sich alles zum Ufer hin. Der Insel näherte sich ein Kanoe, in dessen weißes Segel sich die Brise voll gelegt hatte, so daß die beiden Darinsitzenden des Ruders nur bedurften, um das Fahrzeug in dem richtigen Kurse zu erhalten.
Das Kanoe war eines der hier gebräuchlichen, einfach aus einem Stamm gehauenen und mit einem runden Boden versehenen Boote. Durch diese Bauart vermag ein solcher Kahn rascher zu segeln, würde aber auch sehr leicht umschlagen, wenn er nicht durch einen sogenannten Outrigger (Ausleger) davor beschützt würde.
Das Kanoe war eines der hier gebräuchlichen, einfach aus einem Stamm gehauenen und mit einem runden Boden versehenen Boote. Durch diese Bauart vermag ein solcher Kahn rascher zu segeln, würde aber auch sehr leicht umschlagen, wenn er nicht durch einen sogenannten Outrigger (Ausleger) davor beschützt würde.
Diese Ausleger bestehen aus zwei quer und fest über das Kanoe befestigten Stangen oder Hölzern, die nach rechts hinaus einen leichten, kufenartig geschnittenen Balken, welcher parallel mit dem Kahne auf den Hölzern liegt, halten. Dieser schwimmt also, etwa vier Fuß von dem Rechtsborde des Kahnes entfernt, auf dem Wasser und ist mit einer Bastbandage fest an die Querhölzer geschnürt. Ein Umschlagen des Fahrzeuges, ja selbst ein Schaukeln wird dadurch zur Unmöglichkeit gemacht, denn dasselbe kann nicht nach links hinüber, weil es dann den ganzen, nahezu zwei Ellen abstehenden Balken aus dem Wasser heben müßte, und nach rechts ebensowenig, da sich der aus leichtem Holz bestehende Balken mit den Stangen und auf diese Entfernung hin nicht unter Wasser drücken läßt. Diese Kanoes fahren daher selbst bei unruhiger See außerordentlich sicher und zuverlässig. Freilich würde man sich ohne die Ausleger nur äußerst vorsichtig darin bewegen müssen, da der runde Boden der geringsten Neigung des Körpers folgt und man bei der kleinsten Schwankung nicht nur Gefahr liefe, umzukentern und ein unfreiwilliges nasses Bad zu erhalten, sondern diesen an und für sich kleinen Unfall mit dem Leben bezahlen könnte, da die Buchten und sonstigen Wasser dieser Inseln von Haien wimmeln, welche zu der gefräßigsten Art dieses unheilvollen Fisches gehören.
Die beiden Männer im Boote waren Potomba und ich.
Der Ehri hatte wirklich Wort gehalten, denn wir langten nach zwei nicht ganz vollen Tagen in Tahiti an, obgleich wir zu einem nicht unbedeutenden Umwege gezwungen gewesen waren. Der stetig wehende starke Passat hatte uns trefflichen Vorschub geleistet; Potomba verstand es ausgezeichnet, jede einzelne Woge zu benutzen, und da wir nicht ermüdeten, weil wir uns im Rudern ablösen konnten, so war unsere Fahrt eine ungewöhnlich rasche gewesen.
Jetzt nun lag die herrliche Insel vor uns, über welche ich so viel Wahres und so viel Unverständiges gelesen hatte; Papetee hob sich immer mehr hervor, je näher wir kamen, und endlich erkannten wir deutlich jeden Einzelnen unter der Menge des Volkes, welches sich an den Strand drängte, um unser Fahrzeug zu beobachten.
Es fiel mir auf, daß eine solche Aufmerksamkeit sich auf unsern kleinen, unbedeutenden Kahn richtete, während es in dem Hafen doch noch ganz andere Objekte des Interesses gab. Ich ließ das Segel fliegen, um von der Brise nicht an die Korallen getrieben zu werden, denen wir uns näherten, und fragte:
»Siehst du die Leute, Potomba?«
»Ja, Sahib,« nickte er.
»Wie kommt es, daß man grad uns so beobachtet, während es doch viele Boote giebt, welche die Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnten?«
»Die Männer und Frauen kennen mein Boot, und Potomba ist ein Ehri, berühmt unter den Leuten seines Volkes. Sitze still und halte dich fest, Sahib, denn wir stoßen jetzt in die Brandung!«
Wir näherten uns einer Seitenluke des Polypenringes, durch welche nur so kleine und schmale Fahrzeuge, wie das unserige, Eingang finden konnten. Ein Ruderschlag brachte uns in die Brandung; ihr kochender Wall riß uns empor, hielt uns einen Augenblick lang fest, so daß es schien, als schwebten wir in freier Luft, und schnellte uns dann in das ruhige Binnenwasser hinab.
Rechts von uns lag eine Reihe von Seeschiffen, welche durch die breitere Einfahrt Zugang gefunden hatten. Der Bau des einen kam mir bekannt vor, obgleich der Rumpf allein zu sehen und alles Segelwerk beschlagen war. Droben in den Wanten hing ein Mann, der diesen hohen Punkt gewählt zu haben schien, um besser nach der Stadt lugen zu können. Er trug einen mexikanischen Sombrero auf dem Kopfe, und dieser Rohrfaserhut hatte eine breite Krempe von so außerordentlicher Breite, als ob eine ganze Familie wimmelnder Peccaris darunter Schutz zu suchen hätte. Eine so ungeheuere Krempe wurde sicherlich nur auf besondere Bestellung hergestellt, und zu einer solchen Bestellung war nur ein einziger fähig, nämlich der sehr wackere und ehrenwerte Master Frick Turnerstick, mit dessen Barke ich vor etwelcher Zeit von Galvestone nach Buenos-Ayres gefahren war.
»Halte hinüber nach diesem Schiffe, Potomba!«
»Warum, Sahib?«
»Der Kapitän desselben muß ein Bekannter von mir sein.«
»So willst du mich schon jetzt verlassen und zu ihm gehen?«
»Aa, wenn ich den Mann dort nicht etwa verwechsele.«
»Sahib, das Schiff gehört den Yanki, die ich nicht liebe. Suche dir lieber ein Schiff der Franki oder der Germani aus!«
»Der Mann ist mein Freund!« »Aber ich werde dich dennoch nicht zu ihm bringen.« »Warum?«
»Du hast zu Potomba gesagt: »Ich habe dich lieb!« Hast du die Wahrheit gesprochen?«
»Ich sage dir keine Lüge.«
»So bitte ich dich, mit nach Papetee in mein Haus zu gehen, um bis morgen auszuruhen. Du müßtest lange bei mir bleiben, viele Tage, viele Wochen, aber du hast den Deinen versprochen, schnell zurückzukehren, und darum darf ich dich nur bis morgen früh behalten.«
»Ich würde bei dir bleiben, so lange es mir meine Zeit erlaubt, Potomba; aber wenn der Kapitän dort sich bereit finden läßt, die Meinen zu holen, und gleich absegeln kann, so muß ich mit ihm gehen.«
»Er kann nicht eher fort als morgen. Die Flut hat jetzt begonnen; er muß die Ebbe abwarten, welche erst am Abend kommt, wo es so dunkel ist, daß er sich nicht durch die Klippen wagen darf.«
»Das ist wahr; er müßte also die zweite Ebbe erwarten, könnte sich aber auch während der Flut von einem Dampfer hinausbringen lassen.«
»Du vergissest, daß ein so großes Schiff vieler Zeit und Arbeit bedarf, um für die See fertig zu werden!«
»Und du weißt nicht, wie schnell die Yanki sind, diese Arbeit zu vollbringen!«
»Und doch wird Zeit vorhanden sein, daß du wenigstens nur eine Stunde mit mir kommen kannst!«
»Das ist allerdings sehr wahrscheinlich.«
»So versprich mir wenigstens, mich nicht allein nach Papetee zu lassen!«
»Ich verspreche es!«
»Ich danke dir, Sahib! Potai, mein Bruder, wird sich freuen, daß ich einen Freund gefunden habe, der ein Germani ist.«
Wir hielten seitwärts nach dem Stern der Barke zu und als wir näher kamen, bemerkte ich, daß ich mich allerdings nicht geirrt hatte. Ich erkannte die dort in großen deutlichen Buchstaben angebrachte Inschrift »The wind«. Der Mann in den Wanten kehrte uns den Rücken zu und bemerkte also unser Nahen nicht. Als wir das Steuerbord des Schiffes beinahe erreicht hatten, legte ich die Hände an den Mund:
»Schiff ahoi ih!«
Er drehte sich herum und fixierte uns.
»Ahoi ih! Was wo Huzza! Wer ist denn das? Legt an, legt an das Tau!«
Er kletterte zum Decke mit einer Geschwindigkeit nieder, welche mich überzeugte, daß er mich erkannt hatte. Wir befestigten das Boot an das Tau, welches an der Seite des Schiffes niederhing. Ich ergriff dasselbe und schwang mich empor. Kaum hatte ich mich über die Regeling (***** Schiffsgeländer, auch Reiling genannt.) geschwungen, so warf der Kapitän seine beiden Arme um mich und drückte mich mit einer Gewalt an seine teerduftende Jacke, daß mir der Atem schwinden wollte.
»Charley, old friend, Ihr hier zwischen diesen Inselklexen? Wie kommt Ihr nach Australien? Wie kommt Ihr nach Tahiti und Papetee? Ich denke, Ihr seid noch immer drüben in Amerika!«
»Zu Schiffe, zu Schiffe komme ich her,« lachte ich; »anders ist es ja nicht gut möglich, mein lieber Master Turnerstick. Aber bitte, nehmt doch einmal Eure Pranken von meinem Leibe, wenn Ihr es nicht geradezu darauf abgesehen habt, mir die Seele aus der Haut zu drücken!«