»Well, ganz wie Ihr wollt, Charley! Der Passat würde sie mit fortnehmen und nach China oder Japan treiben, wo man gar nicht wüßte, was man mit ihr machen sollte. Behaltet sie also lieber und sagt mir nun endlich, was Ihr eigentlich in diesen Breiten wollt!«
»Land und Leute kennen lernen, wie gewöhnlich!«
»Wie gewöhnlich? Hm,, mir scheint das doch mehr ungewöhnlich. Da dampft, fährt, reitet, läuft, hetzt und springt dieser Mensch in der Welt herum, weil er Land und Leute kennen lernen will! Land und Leute! Eine freie, offene See ist mir lieber als alles Land, was Ihr zu sehen bekommt, und die Leute, na, meine Jungens hier sind mehr wert als alle die Schlingels, die Ihr »Leute« zu nennen beliebt. Bleibt bei mir an Bord und fahrt mit meinem guten »Wind« hinüber nach Hongkong und Canton!«
»Nach Hongkong geht Ihr? Das ist prächtig! Ich gehe mit!«
»Wirklich? Hier meine Hand; schlagt ein!«
»Topp! Doch mache ich eine Bedingung!«
»Oho! Bei mir an Bord giebt es keine Bedingungen, das wißt Ihr wohl!«
»So steige ich wieder in mein Boot, Kaptn.«
»Das wäre der albernste Streich, den Ihr in Eurem Leben begangen hättet, und vor dem ich Euch bewahren muß. Sagt also Eure Bedingung! Ich hoffe, daß ich sie erfüllen kann.«
»Ihr müßt meine Kameraden mitnehmen.«
»Welche Kameraden?«
»Den Kapitän Roberts vom »Poseideon« mit seinen Mannen.«
»Roberts? Poseidon? Ist das Schiff und der Mann nicht von NewYork?«
»Ja. Wir wollten von Valparaiso nach Hongkong, litten aber auf einer der »gefährlichen Inseln« Schiffbruch. Roberts hat mich nach Tahiti geschickt, um einen Kapitän zu suchen, welcher bereit ist, uns an Bord zu nehmen.«
»Das wird jeder brave Kapitän thun, Charley, und ich freue Mich, daß Ihr zuerst zu mir gekommen seid! Ich kenne diesen Roberts; er ist ein ganz passabler Mann, doch scheint er mir in diesen schwierigen Gewässern nicht sehr befahren zu sein. Ein Sturm hier hat schon etwas mehr zu bedeuten als anderswo, aber wenn er das Steuer mit einem guten Troß[4] fest angesorrt hätte, so wäre es ihm möglich gewesen, etwas weiter nach Nord über die NukahiwaInseln zu halten, und von einem Schiffbruche wäre keine Rede gewesen. Wo seid Ihr denn gestrandet?«
»Die Insel ist uns unbekannt. Sie liegt auf dem zweihundertneununddreißigsten Grad im Osten von Ferro und auf dem zweiundzwanzigsten Grade südlicher Breite.«
»Schön; wird wohl zu finden sein! Ist das Schiff sehr wrack?«
»Es ist nicht von den Klippen zu bringen. Wenn Ihr hinkommt, hat die Brandung es vielleicht bereits verschlungen.«
»Hattet Ihr viele Seegasten[5]?«
»Ich war der einzige.«
»Wie viele Marsgasten[6] sind gerettet?«
»Alle.«
»Hm, dann wird es notwendig sein, mehr Proviant einzunehmen. Wurde etwas von der Ladung geborgen?«
»Der größte Teil. Es sind meist wollene und baumwollene Zeuge und ein ziemliches Lager von Stahl und Eisenwaren.«
»Dann ist es ein Glück, daß ich hier löschte, ohne bis jetzt etwas Neues einzunehmen. Kapitän Roberts wird es natürlich sehr eilig haben, aber vor der Morgenebbe können wir unmöglich fort. Wer ist der Bursche hier?«
Er deutete auf Potomba, welcher mir bis an Deck gefolgt war und aus der Entfernung unsere Unterredung beobachtete.
»Ein Ehri von Tahiti. Er wohnt in Papetee und heißt Potomba.«
»Alle Wetter, ein Fürst! Wie kommt Ihr zu dem Manne?«
»Er kam, verfolgt von einer ganzen feindlichen Flottille nach unserer Insel und gab mir einen Platz in seinem Boote.«
»Also ein förmliches Abenteuer! Wer waren seine Feinde?«
»Ihr Anführer ist ein heidnischer Priester auf Eimeo; Potomba heiratete dessen Tochter und ließ sich von einem katholischen Missionär taufen.«
»Ah! Ihr habt doch die Schlingel tüchtig heimgeleuchtet? Das versteht Ihr ja aus dem Fundamente, Charley!«
»Sie sind uns alle entkommen. Mein Feldzugsplan scheiterte an dem Ungeschick des Steuermanns. Also Ihr seid bereit, uns Eueren »Wind« zur Verfügung zu stellen?«
»Natürlich! Morgen früh mit der Ebbe stechen wir in See. Jetzt aber kommt zur Kajüte; wir müssen doch einmal sehen, wie sich meine Flaschen unter der Linie gehalten haben!«
»Einen Trunk zum Willkommen darf ich Euch natürlich nicht abschlagen, aber feststauen kann ich mich noch nicht. Ich habe Potomba versprochen, mit ihm an das Land zu gehen, und er wird ungeduldig sein, sein Weib und seinen Bruder wieder zu sehen.«
»Dann trinkt er mit, und Ihr erlaubt mir, Euch zu begleiten. Ich habe am Lande Geschäfte.«
Potomba mußte mit zur Kajüte, wo uns der gute Master Frick Turnerstick mit seiner besten Sorte regalierte. Dann stiegen wir zu dreien in ein Boot der Barke, welches das Kanoe des Ehri in das Schlepptau nahm, und ruderten an das Land.
Je näher wir demselben kamen, desto aufmerksamer wurden die Züge Potombas. Er schien etwas zu bemerken, was seine Achtsamkeit im höchsten Grade in Anspruch nahm. Er sah meinen fragenden Blick und streckte den Arm aus.
»Siehst du die Kähne dort, Sahib?«
Grad vor uns lag eine große Anzahl geschmückter Boote, eines neben dem andern, an dem Ufer. Das mittelste von ihnen zeichnete sich durch buntes Wimpelwerk und allerlei Blumen und Blätterzierde vor den übrigen aus.
»Ja,« antwortete ich. »Was ist mit ihnen?«
»Siehst du auch das Boot mit den Fahnen und Guirlanden?«
»Allerdings. Warum fragst du?«
»Zu beiden Seiten seiner scharfen Brust sind die Worte »Mata ori«[7] eingeschrieben. So nannte ich Pareyma, als ich sie lieben lernte, und so nannte ich auch das Boot, welches ich ihr zu Tamai auf Eimeo bauen ließ, damit mich Anoui mit demselben abholen könne an dem Tage, an welchem ich sie zum Weibe nahm, um sie in mein Palmenhaus zu führen. Ich kenne das Boot genau; sein Ausleger ist nicht mit Bast, sondern mit eisernen Stocknägeln befestigt, und heut ist es geschmückt grad wie damals, als ich es als Bräutigam betrat. Es muß auf Eimeo eine Hochzeit sein, und Anoui hat es dem Vater des Mädchens geliehen, damit der Bräutigam in demselben abgeholt werde.«
Es spiegelte sich in seinen schönen, offenen Zügen eine Unruhe ab, für welche ich kein Verständnis hatte. Die Erinnerung hätte ihn ja beglücken, nicht aber beunruhigen sollen.
»Und siehst du den Mann im Boote?« fuhr er fort. »Es ist Ombi.«
»Wer ist Ombi?«
»Der Diener des Priesters; doch liebt er mich mehr als ihn. Er hat Pareyma auf den Armen getragen, als sie noch ein Kind war, und sie behütet, seit ihre Mutter gestorben ist.«
Der Diener, welcher uns beobachtete, schien Potomba zu erkennen, denn er erhob sich mit freudiger Miene, setzte sich aber sofort wieder nieder und legte die Hände vor das Gesicht.
Der Sand des Ufers knirschte unter dem Kiele unsers Bootes, und wir sprangen an das Land. Potomba trat zu der »Mata«.
»Ombi!« redete er den Diener an.
Der Diener regte sich nicht.
»Ombi!«
Als auch jetzt noch keine Antwort erfolgte, sprang er in das Boot und ergriff den greisen Polynesier bei der Schulter.
»Ombi, warum antwortest du nicht?«
Der Diener nahm die Hände vom Gesichte und blickte ihn an. In seinen Augen glänzten zwei Thränen.
»Hat der Schmerz Worte, Potomba?« fragte er.
»Welcher Schmerz?«
»Daß du abgefallen bist von Atua, dem Gott alles Guten, und hingegangen zu dem Mitonare.«
»Das schmerzt dich jetzt? Hast du mir nicht oft gestanden, wenn ich dir heimlich von dem Messia erzählte, der das Lamm Gottes ist, daß dir der höchste Sahib Jesu lieber sei, als Atua, der Gott von Tahiti, der niemals gekommen ist, um Kranke zu heilen, Tote zu erwecken und für unsere Sünden zu sterben?«
»Das schmerzt dich jetzt? Hast du mir nicht oft gestanden, wenn ich dir heimlich von dem Messia erzählte, der das Lamm Gottes ist, daß dir der höchste Sahib Jesu lieber sei, als Atua, der Gott von Tahiti, der niemals gekommen ist, um Kranke zu heilen, Tote zu erwecken und für unsere Sünden zu sterben?«
»Das habe ich gesagt, Potomba, und das sage ich auch noch jetzt. Aber ich bin der Diener eines Priesters, dem ich gehorchen muß, und darf nicht sagen, was ich denke.«
»Du darfst sagen, was du denkst und glaubst. Verlaß den Priester des falschen Gottes, und komme zu mir! Du liebst Jesu, den Nazari; du liebst auch mich und Pareyma. Warum willst du nicht bei uns sein? Warum weinst du, wenn du mich erblickst? Du hast es doch bisher noch nie gethan!«
»Ich weine, weil ich gerne bei dir sein möchte und es doch nicht kann.«
»Warum kannst du es nicht?«
»Weil ich Pareyma nicht verlassen mag, die meiner bedarf.«
»Pareyma? Wenn du zu mir kommst, bist du ja bei ihr!«
»Nein!«
Ich sah den Schreck, der die dunklen Züge Potombas jäh erbleichte. Er stockte und ließ seinen angstvollen Blick über die Umgebung gleiten. Die am Strande Spazierenden waren herbei gekommen und beobachteten ihn mit teilnahmsvollen Augen aus der Ferne. Er mußte dies bemerken und noch mehr ahnen als ich, daß ihn während seiner Abwesenheit etwas Schweres betroffen habe. Unwillkürlich fuhr seine Hand nach dem scharfen Kris[8], welcher in seiner Schärpe stak, und zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor fragte er beinahe zischend:
»Wo ist Pareyma?«
»Gehe heim, und frage. Ich darf es dir nicht sagen!«
Potomba trat einen Schritt zurück. Seine Augen funkelten, und seine Lippen zuckten.
»Ombi, wo ist Pareyma? Hörst du, ich frage dich!«
Der Diener senkte das Haupt und wiederholte:
»Gehe nach Hause, und frage!«
»Ombi, du schweigst noch immer? Gut, ich werde gehen, aber wer Pareyma ein Leid gethan hat, der ist verloren!«
Er ging. Wir beide folgten ihm. Die versammelte Menge machte ihm ehrerbietig und teilnahmsvoll Platz. Er sprach kein Wort; er blickte sich nur ein einziges Mal um, um zu sehen, ob wir noch bei ihm seien. Der Weg führte eine Strecke um Papetee herum, bis wir ein Gebäude erreichten, welches sich durch seine Größe und den Umfang der zu ihm gehörigen Brotfruchtbaumpflanzungen auszeichnete.
»Kommt!« sagte er kurz und trat ein.
In dem vorderen Raume des Hauses saß auf einer Matte ein junger Mann, welchen wir infolge seiner Aehnlichkeit mit Potomba sofort als dessen Bruder erkannten.
»Potai!« »Potomba!« Der Sitzende sprang auf und streckte die Arme aus, als wolle er den Kommenden umfangen, trat aber wieder zurück und ließ die Arme sinken.
»Was ist mit dir, Potai? Bin ich nicht dein Bruder?«
Der Gefragte deutete nieder, wo neben der Matte in der Erde ein Dolch stak.
»Ich habe den Kris in die Erde versenkt, bis du kommst, Potomba; ich habe geschworen, dich nicht zu berühren, bis der Tod der Mutter gerächt ist!«
»Der Tod der Mutter? Sprich, Potai, sprich schnell, schnell! Wo ist Pareyma?«
»Fort.«
»Fort! Wohin?«
»Nach Eimeo zu ihrem Vater, dem Priester der Heiden.«
»Freiwillig?«
»Freiwillig! Ich fuhr hinüber nach Maitea, und als ich zurückkehrte, war sie fort. Die Mutter hat sie halten wollen und mit ihr gekämpft. Potomba, dein Weib ist zu den Götzen zurückgekehrt und hat deine Mutter getötet!«
»Womit?«
»Mit ihrem Kris. Ich zog ihn aus dem Herzen der Mutter; er war noch blutig; hier steckt er in der Erde!«
Der Ehri bückte sich nieder und zog den Dolch heraus.
»Das ist nicht Pareymas Messer; das ist der Dolch des Priesters Anoui!« stieß er hervor.
»So hat er sie geholt, und er ist der Mörder.«
»Und wirklich freiwillig ist sie mit ihm gegangen?«
»Ich habe keine Spur eines Kampfes zwischen ihr und ihrem Vater bemerkt. Sahst du die Kähne und dein mata ori?«
»Ja. Was hat die Flotte zu bedeuten?«
»Und kennst du auch Matemba, deinen Todfeind?«
»Du fragst, als sei ich ein kleiner Knabe!«
»Du kehrst zur rechten Zeit zurück. Anoui, der Priester und Vater deines untreuen Weibes, ist gekommen, um Matemba abzuholen. Es ist Hochzeit in Tamai, und Matemba wird heute der Mann deiner Frau!«
Potomba trat an die Oeffnung, welche als Fenster diente.
Er mußte Luft haben, wenn er nicht ersticken sollte. Die beiden Brüder hatten sich bisher gar nicht um uns gekümmert. Der Kapitän flüsterte mir zu:
»Ihr scheint die Sprache dieser Leute zu verstehen. Was geht hier vor? Es scheint nichts Gutes zu sein.«
»Es ist fürchterlich!« antwortete ich. »Man hat die Mutter des Ehri getötet, und sein Weib wird heute mit einem heidnischen Manne getraut.«
»Zum Henker! Das giebt Mord und Totschlag!«
»Diese beiden Männer sind Christen!«
»Pshaw! Auch unter den christlichen Polynesiern erbt die Blutrache fort. Ihr werdet es erfahren!«
Jetzt wandte sich Potomba wieder zurück. Seine Züge waren wie versteinert, und in seinen Augen glühte ein düsteres Feuer.
»Potai, was hast du bisher gethan?«
»Ich habe alles verkauft.«
Der Ehri nickte zustimmend; er schien den Plan seines Bruders sofort zu erraten.
»Auch die Boote, welche ich dir von den TubuaiInseln sandte, als mich Anoui verfolgte?«
»Ja. Wir gehen nach den Ländern Samoa.«
»Du hast recht gethan. Bist du bereit?«
»Ich warte nur auf dich!«
Potomba wandte sich zu mir:
»Das Schiff dieses Sahib holt deine Freunde?«
»Ja.«
»Wohin fährt es dann?«
»Nach dem Lande der Chinesi.«
»So geht euer Weg an den Ländern Samoa vorüber, die ihr die Schifferinseln nennt. Dorthin wollen wir. Dürfen wir mit euch fahren?«
Ich verdolmetschte diese Frage dem Kapitän.
»Ich bin bereit, sie mitzunehmen. Also verkauft haben sie alles?« antwortete er. »Es scheint doch, daß Ihr recht habt, Charley; das Christentum hat aus den Tigern Lämmer gemacht, welche die Flucht ergreifen, statt sich zu rächen!«
»Oh, Kaptn, blickt diese Leute an! Sehen sie aus wie Lämmer?« Ich gab Potomba die erwünschte Auskunft: »Ihr könnt mitfahren.«
»Wann geht das Schiff aus dem Hafen?« »Bei Beginn der Ebbe, nächste Nacht.«
»Darf mein Bruder hingehen, um unsere Habe hinzubringen?«
Auch hierzu gab der Kapitän seine Erlaubnis.
»Potai, du bist der jüngere; du wirst mir gehorchen?« fragte der Ehri.
Der Gefragte nickte.
»Du wirst alles, was unser ist, auf das Schiff bringen, welches ich dir zeige!«
»Drei Matten voll besitzen wir.«
»Du bleibst gleich dort, bis ich zurückkehre!«
»Nein, Potomba. Habe ich nicht auch einen Kris?«
»Erst kommt mein Kris, und nur erst dann, wenn ich sterben sollte, der deinige. Du kannst mich dann rächen, anstatt mit zu sterben!«
»Ich gehorche dir!«
»So komm, Sahib! Ich wollte euch Gastfreundschaft erweisen, aber ich bin ohne Haus geworden.«
Wir kehrten an den Strand zurück. Potomba zeigte seinem Bruder die Barke, und dieser entfernte sich, ohne ein Wort zu sprechen.
»Was willst du thun, Potomba?« fragte ich.
»Glaubst du, das Pareyma mir untreu ist?« Ach weiß es nicht, denn ich habe sie nicht gekannt.«
»Aber ich kenne sie. Sie hat ihren Dolch; sie ist mutig und tapfer; sie wird sterben, aber nicht mit Matemba gehen. Ich werde sie von ihm und von dem Tode erretten!«
»Du willst Anoui töten?« »Ja.« »Er ist der Vater deines Weibes!« »Er ist der Mörder meiner Mutter!« »Du bist ein Christ!« »Er ist ein Heide!«
»Weißt du, was der höchste Sahib Christus befiehlt? Vergebet, auf daß auch euch vergeben werde!«