Der Hehler besah sich dieselbe abermals und sagte:
»Du weißt daß ich mir aus dem alten Terbillon nichts mache; die anderen aber fürchten ihn. Ich bin wirklich der einzige, der sie kauft.« »Um dieses Lumpengeld bekommt sie keiner.« »Gut so will ich dir fünfzig Franken zulegen.« »Die Uhr samt Kette kostet dreihundert Franken. Gibst du sie, so habe ich noch weitere und weit bessere Sachen für dich; gibst du sie nicht so gehe ich sofort wieder!« »Gemach, gemach!« sagte da der Hehler besänftigend. »Du hast noch anderes?« »Ja, ich habe noch Juwelen.« »So hast du heute eine glückliche Hand gehabt. Zeig her!« »Nicht eher, als bis die Uhr bezahlt ist.« »Höre, Gerard, das ist nicht freundschaftlich gehandelt! Zweihundertfünfzig Franken gebe ich dir!« »Gute Nacht!«
Gerard nahm dem Wirt schnell die Uhr aus der Hand, steckte sie ein und wandte sich zum Gehen. »Halt!« sagte jetzt der Wirt, indem er ihn zurückhielt. »Du sollst die dreihundert haben!«
Der Schmied drehte sich kaltblütig wieder um.
»Geld her!« sagte er. »Aber du hast auch wirklich Juwelen?« »Habe ich dich einmal belogen?« »Nein, ich glaube dir. Hier hast du das Geld.«
Der Wirt zog einen Kasten des Schenktischs auf und nahm die Summe heraus, die der Schmied einsteckte.
»Hier, sieh dir diesen Ring an«, nahm dieser dann wieder das Wort und zog den unscheinbarsten der Ringe hervor, um ihn dem Wirt zu geben. Dieser ließ den Stein gegen das Licht spielen. »Echt!« sagte er nickend. »Ich gebe fünfzig Franken.« »Gut. Und für diesen?«
Gerard gab einen zweiten hin.
»Donnerwetter, ein Rubin, und so groß. Ich gebe zweihundert Franken.« »Und für diesen?«
Der Wirt hielt den Ring gegen das Licht.
»Ah, das ist ein sibirischer Smaragd, für den ich auch zweihundert Franken biete.« »Und dieser?« »Ein Saphir«, rief der Wirt, indem er den Stein betrachtete. »Du bist ja zu einer förmlichen Sammlung gekommen. Nun, für diesen bekommst du hundert Franken.« »Und für diesen letzten?«
Gerard gab dem Wirt den fünften und kostbarsten Ring hin. Das Auge des Hehlers blitzte auf, als er ihn erblickte, denn er erkannte einen echten, wasserhellen Diamanten.
»Ein Brillant! Alle Teufel, hast du Glück gehabt! Für den sollst du den höchsten Preis von fünfhundert Franken haben.« »So erbitte ich mir die Ringe zurück.« »Zurück? Warum?« fragte Lecouvert mit gut gespieltem Erstaunen. »Weil ich sie für diese Preise nicht verkaufe.« »Es bietet dir keiner mehr.« »Das wollen wir nicht untersuchen, ich verkaufe sie anderswo sicher.« »Hm. Wir sind Freunde, Gerard, du darfst mich nicht drücken. Sage, was du haben willst.« »Du kennst mich, Etienne, und weißt, daß ich nicht weiche, wenn ich einmal eine Zahl gesagt habe. Du gibst für diese Steine fünfzehnhundert Franken. Willst du?« »Kerl, du prellst mich!« rief der Wirt mit scheinbarem Entsetzen. »Her damit!«
Er wollte die Steine wieder an sich nehmen, aber Etienne wehrte sich dagegen. Er wußte, daß der Brillant allein den zehnfachen Preis des Geforderten selbst unter Hehlern bringen werde.
»Zwölfhundert gebe ich«, sagte er. »Fünfzehnhundert.« »Zwölf ah, du bist schlecht!«
Gerard hatte nämlich mit einem kräftigen Griff seine Hand erfaßt, ihm die Ringe aus derselben gewunden und wollte sich mit einem »Gute Nacht« entfernen.
»Vierzehnhundert will ich wagen«, erklärte der Wirt. »Fünfzehnhundert. Keinen Sous weniger.« »Ah! Na, gut. Weil du es bist, sollst du sie haben. Gib die Ringe her!« »Erst das Geld; aber noch eins. Papa Terbillon darf nichts erfahren.« »Das versteht sich ganz von selbst.« »So sind wir einig. Hier sind die Ringe.« »Und hier ist das Geld.«
Der Hehler zählte Gerard aus dem Kasten fünfzehnhundert Franken auf den Tisch, so daß der Schmied sich jetzt auf einmal im Besitz von gegen viertausend Franken befand.
»Und nun sage auch, wo du den Fang gemacht hast!« bat der Wirt. »Auf der Rue de la Poterie.« »An, wo deine Mignon wohnt! Der Besitzer war gewiß ein Fremder. Du garottiertest ihn?« »Ja. Es war gerade vor der Wohnung der Mignon; ich kannte den Fremden nicht.« »So wünsche ich dir und mir alle Tage einen so guten Fang. Denn ich hoffe, daß er nicht bloß die Uhr und die Ringe, sondern auch eine Börse, wohl gar ein Portefeuille bei sich hatte.« »Es war eine Wenigkeit und «
Gerard hielt inne, denn es war am Eingang gepocht worden.
»Öffne!« befahl der Wirt dem Türhüter. »Es war das richtige Zeichen.«
Der Mensch schob den Schrank zurück, und es erschienen zwei Personen, voran ein Mädchen und hinter ihr ein Herr.
»Donnerwetter, die Mignon!« rief der Wirt beim Anblick des Mädchens erfreut aus.
Auch der Schmied ließ einen Ruf der Freude hören, wurde aber im nächsten Augenblick leichenblaß, denn der Herr, der mit eintrat, war Alfonzo, der von ihm Garottierte.
4. Kapitel
Das Haus, vor dem der Schmied den Grafen gewürgt hatte, gehörte zu den dunkelsten Häusern von Paris. Es enthielt im Parterre eine Weinkneipe, deren Besitzerin zugleich die Gebieterin von ungefähr zwölf Mädchen war. Die Hübscheste unter ihnen führte den Spitznamen Mignon, den keines dieser Mädchen wurde bei seinem ursprünglichen Namen genannt.
Die zwölf Magdalenen saßen heute abend schön herausgeputzt in der Trinkstube zusammen, die sie Salon nannten. Es befand sich kein einziger Gast bei ihnen, und darum herrschte eine ungewöhnliche Stille im Gemach.
Doch diese Stille wurde plötzlich unterbrochen. Die Tür wurde geöffnet, und es trat ein junger Mensch ein, der zu den gewöhnlichen Gästen des Lokals gehörte. Die Mädchen sprangen alle auf ihn zu und umringten ihn.
»Ah, der Robert Barlemy!« riefen sie. »Willkommen, willkommen!«
Sie faßten ihn darauf von allen Seiten und wollten ihn zu einem Sitz drängen, er aber wehrte ihnen entschieden ab und sagte:
»Laßt mich, Mädels! Wir haben Notwendigeres zu tun.« »Notwendigeres? Was?« fragten zwölf Stimmen. »Kommt und helft mir. Draußen vor der Tür liegt ein Toter!« »Ein Toter! Oh! Ah! Mein Gott!«
So erklangen zwölf Schreckensrufe durcheinander.
»Ists wahr?« fragte die Wirtin erschrocken. »Ja«, antwortete der Gast. »Ich fiel beinahe über ihn hinweg.« »So muß man zur Polizei laufen. Der Tote muß fort!« »Nein«, sagte der Mann. »Zunächst muß er hier hereingeschafft werden.«
Die Wirtin stieß einen Ruf des Entsetzens aus.
»Sind Sie verrückt!« rief sie. »Ein Toter zu uns? Was wollen wir mit ihm?« »Es kann ja noch Leben in ihm sein; es schien zwar, daß er tot sei, aber man muß sich doch überzeugen, ob es wirklich so ist. Eine Blutung sah ich nicht; im übrigen war er sehr fein gekleidet. Er scheint den höheren Ständen anzugehören.« »So mag man ihn bringen, aber nicht herein in den Salon, vielmehr nach dem hinteren Zimmer.« »Nein«, sagte Mignon, die ein mitleidiges Herz besaß, »man trage ihn nach meiner Stube.«
Der Gast trat mit dem Hausknecht hinaus auf die Gasse und hob mit Hilfe desselben den Grafen auf. Sie trugen ihn herein und nach dem kleinen Zimmer, das Mignon bewohnte. Dahin folgte die Wirtin mit den Mädchen.
»Er ist wirklich nicht verwundet«, sagte sie. »Wie hübsch er ist«, meinte eins der Mädchen. »Und noch so jung«, ein zweites. »Und so elegant«, ein drittes. »Man muß nach einem Arzt schicken«, sagte die Wirtin. »Halt!« rief der Gast. »Er lebt.« »Er lebt?« schrien alle zugleich. »Ja. Er ist warm, und sein Puls geht.« »Mein Gott, er schlägt die Augen auf, rief Mignon. Alfonzo kam allerdings jetzt zu sich und öffnete die Augen.
»Er ist wirklich nicht verwundet«, sagte sie. »Wie hübsch er ist«, meinte eins der Mädchen. »Und noch so jung«, ein zweites. »Und so elegant«, ein drittes. »Man muß nach einem Arzt schicken«, sagte die Wirtin. »Halt!« rief der Gast. »Er lebt.« »Er lebt?« schrien alle zugleich. »Ja. Er ist warm, und sein Puls geht.« »Mein Gott, er schlägt die Augen auf, rief Mignon. Alfonzo kam allerdings jetzt zu sich und öffnete die Augen.
»Ja, er lebt! Er ist gerettet! Er sieht uns!« ertönte es rundum im Kreis der Mädchen.
Alfonzo mußte sich erst besinnen, was geschehen war, dann fragte er
»Wo bin ich?«
Seine Stimme klang ganz rauh von dem Würgen.
»Sie sind in sehr guten Händen, Monsieur«, antwortete die Wirtin. »Wünschen Sie etwas?« »Um einen Schluck Wein bitte ich.« »Den sollen Sie sofort haben. Aber darf ich fragen, wer Sie sind?« »Ich bin der Marchese Acrozza.« »Ein Marchese? O mein Gott, holt schnell ein Glas Wein, ein Glas vom besten oder vielmehr eine ganze Flasche! Schnell, schnell!« gebot die Wirtin. »Aber, Monsieur le Marchese, wie kommen Sie in eine solche Lage?« »Man hat mich gewürgt und niedergerissen.« »Und niedergerissen! Vielleicht gar garottiert?« »Was ist das?« fragte er. »Man würgt die Passanten, um sie zu berauben.« »Berauben, ah!« sagte er.
Erst jetzt bemerkte er, daß ihm die Handschuhe abgezogen seien. Er griff in die Taschen und erschrak.
»Sie erschrecken«, sagte die Wirtin. »Fehlt Ihnen etwas, Monsieur?« »O ja, leider«, stöhnte er. »Es fehlt mir alles. Meine Brillantringe, Uhr und Kette sowie meine Börse mit einigen hundert Franken; dann auch mein Portefeuille, das achtzehnhundert Franken enthielt.« »Das ist ja ein ganzes Vermögen«, jammerten die Anwesenden. »Ich möchte dies gern verschmerzen«, sagte er, »aber es enthielt auch ein Notizbuch mit sehr kostbaren Bemerkungen, die mir ganz unersetzlich sind.« »Welch ein Unglück! Aber da kommt der Wein. Trinken Sie, Monsieur.«
Alfonzo nahm das Glas, und nun erst während des Trinkens ließ er sein Auge forschend über die Umgebung schweifen. Er bemerkte sofort, in welch einem Haus er sich befand, und fragte:
»Wie komme ich zu Ihnen, Madame?« »Sie lagen vor unserer Tür.« »Und Sie haben sich meiner angenommen?« »Ja. Dieser Herr fand Sie.« »Ich danke Ihnen. Wem gehört dieses Zimmer?« »Mir«, antwortete Mignon. »So bleiben Sie hier, während ich mich ein wenig erhole. Die anderen aber bitte ich, sich nicht länger zu bemühen.«
Die Mädchen verschwanden sofort mit der Wirtin und dem ersten Gast, und Alfonzo befand sich nun mit Mignon allein, die ihm gegenübersaß. Er verfiel in ein finsteres Nachdenken. Die Bemerkungen seines Notizbuchs waren zwar nicht so unersetzlich, wie er gesagt hatte, aber sie enthielten gewisse Enthüllungen, die er unter Umständen fürchten mußte.
»Grämen Sie sich nicht, mein Herr«, bat das Mädchen nach einer Weile. »Vielleicht ist es möglich, den Täter zu entdecken.« »Wer sollte ihn entdecken?« »Die Polizei. Oh, wir haben in Paris eine sehr schlaue Polizei.« »Wohin müßte man sich da wenden?« »An die Mairie des Arrondissements; sie liegt gleich hier an der Straße St. Honoré« zwischen der Straße de lArbre sec und der Rue du Roule.« »So werde ich dort Anzeige machen. Aber ich glaube nicht, daß es etwas hilft. Dieser Garotteur wird sich nicht fangen lassen.« »So lassen Sie sich einen Vorschlag machen, Monsieur. Sie sagen, daß es Ihnen meist um das Notizbuch zu tun ist. Machen Sie in einigen Blättern bekannt, daß Sie den Diebstahl nicht verfolgen werden, wenn der Dieb wenigstens das für ihn nutzlose Taschenbuch an Ihre Adresse sendet.« »Ah«, rief Alfonzo, »der Gedanke ist gut!« »Ich glaube, daß Sie auf diese Weise Erfolg haben werden, denn diese Garotteurs sind zwar sehr gewalttätig, aber oft sonst gute Menschen.« »Meinen Sie?« »Ja«, sagte sie. »Ein Garotteur ist ehrenhafter als ein Taschendieb oder Einbrecher.«
Das war nun allerdings eine eigentümliche Ansicht, und darum sagte Alfonzo mit einem leichten Lächeln:
»Das dürfte schwer zu beweisen sein.« »Nein, das ist leicht, wenn ich nur wollte.« »Ah! Erklären Sie sich, Mademoiselle.« »Nun«, entgegnete sie, leicht errötend, »Sie wissen vielleicht nicht, in welch einem Haus Sie sich gegenwärtig befinden.« »Ich ahne es«, antwortete er. »So werden Sie auch glauben, daß hier Männer aller Stände verkehren, sogar Verbrecher, auch Garotteurs.«
Mignon dachte dabei an Gerard, ihren Geliebten, von dem sie ganz genau wußte, daß er sich durch die Garotte seinen Unterhalt erwarb.
»Und das sind gute Menschen?« lächelte er. »Wenigstens einer von ihnen. Er ist gut und treu, tapfer und verschwiegen. Er ist ein braver Kamerad, der zwar weiß, wie man einen festen Griff oder einen Hieb anzubringen hat, aber der Freund kann sich auf ihn verlassen!«
Alfonzo horchte auf. Bei den Worten des Mädchens kam ihm ein Gedanke. Dieser Mensch war vielleicht mit anderen Garotteurs bekannt und konnte ihm zu seinem Notizbuch verhelfen. Ja, noch weiter. Dieser Mensch war vielleicht auch später zu gebrauchen.
»Kennen sich die Verbrecher untereinander?« fragte er. »Meist, und die Garotteurs sicher. Eine jede Abteilung kennt ihre Angehörigen genau.« »Vielleicht könnte der, den Sie meinen, mir behilflich sein, mein Notizbuch zu erlangen?« »Ah, Monsieur, das ist sehr leicht möglich.« »Wenn ich ihn nur einmal sprechen könnte. Kommt er öfter zu Ihnen?« »Ja, aber heute nicht, denn er war erst gestern da.«
Alfonzo blickte das Mädchen schweigend an, dann sagte er:
»Aber, Mademoiselle, Sie sind unvorsichtig.« »Inwiefern, Monsieur?« »Weil Sie mir solche Geheimnisse anvertrauen. Wie leicht könnten Sie sich selbst, Ihrem Haus und auch dem betreffenden Menschen schaden.«
Sie lächelte unbesorgt und entgegnete:
»Sie irren sich, mein Herr. Auch die Polizei kennt diese Leute, aber sie weiß, daß ein Garotteur nur bestraft werden kann, wenn er ertappt oder überführt wird.« »Wann wird dieser Mann wieder zu Ihnen kommen?« »Das ist unbestimmt.« »Ah, wenn ich wüßte, wo er zu treffen ist« »Hm. Werden Sie ihn für seine Mühe belohnen?« »Ja. Ich gebe ihm hundert Franken für das Portefeuille, und Ihnen gebe ich fünfzig, wenn Sie mich zu ihm bringen.« »Monsieur, soll ich Sie führen?« »Ja, jedoch sogleich?« »Das ginge wohl, aber es ist mit Schwierigkeiten verknüpft, denn Madame läßt so spät kein Mädchen fort.« »Auch nicht gegen eine Belohnung?« »Dann vielleicht.« »So rufen Sie die Frau.«
Das Mädchen ging und brachte die Wirtin mit.
»Was wünschen Sie, Monsieur?« fragte diese. »Würden Sie mir diese junge Dame für eine kurze Zeit anvertrauen? Sie soll mich zu einer Person bringen, die ich kennenzulernen wünsche.« »Zu wem?« »Zu Gerard lAllemand«, antwortete Mignon. »Ah«, sagte die Wirtin. »Du weißt ja, wo er zu finden ist. Ich werde es erlauben, Monsieur, wenn Sie dreißig Franken zahlen.« »Ich zahle sie.« »Aber Sie sind ja ausgeraubt worden!« »Ich habe meine Hauptkasse im Hotel. Ich werde mit dieser Demoiselle zunächst nach meinem Hotel fahren, um mich mit Geld zu versehen.« »Welches Hotel ist es?« »Hotel dAigle in der Rue de la Barillerie.« »Gut, ich vertraue und gebe meine Erlaubnis.«
Als die Frau gegangen war, fragte Mignon:
»Aber wie steht es mit der Anzeige auf der Mairie?« »Diese werde ich unterlassen in der Hoffnung, daß Ihr Freund mir nützlich sein wird. Wie nannten Sie ihn?« »Gerard lAllemand.« »LAllemand? Ist er denn ein Deutscher?« »Nein, sondern er spricht deutsch. Seine Mutter war eine Deutsche.«