Waldröschen X. Erkämpftes Glück. Teil 3 - Karl May 5 стр.


Weit mehr hatten Kurt und Geierschnabel zu erzählen. Sie taten es in einer Weise, daß durch kein überflüssiges Wort Zeit verlorenging.

»Wo sind Grandeprise und der Seemann?« fragte Gerard. »Sie haben unten einen Raum für sich«, antwortete Kurt. »Eigentümlich. Ich ziele auf diesen Pater Hilario, und Sie ebenso. Kennen Sie das Kloster?« »Nein, aber Grandeprise war da.« »Ich stand soeben im Begriff, zu rekognoszieren.« »Und ich auch; da stießest du mir die Bretter an die Nase«, antwortete Geierschnabel.

Jetzt öffnete sich die Tür, und Grandeprise trat ein. Er kam, um Geierschnabel zur Rekognoszierung abzuholen, die sie gemeinsam hatten unternehmen wollen, und staunte nicht wenig, den Schwarzen Gerard hier zu sehen. Nachdem ihm das Nötigste erläutert worden war, meinte er:

»Das ist ein glückliches Zusammentreffen. Ein tüchtiger Jäger ist mehr wert, als zehn andere, und es sollte mich wundern, wenn Cortejo und Landola uns zum zweiten Male entgehen sollten.« »Waret Ihr einmal in dem Zimmer des Paters?« »Einige Male.« »Was steht darin?« »Ein Sofa, einige Stühle, ein Tisch, ein Schreibtisch und mehrere Bücherregale. An den Wänden hängen Bilder und viele alte Schlüssel.« »Wozu diese Schlüssel?« »Wer weiß es?« »Hm! Klöster haben immer verborgene Räume und Gänge. Was für eine Form haben die Schlüssel?« »Eine altertümliche.« »So bin ich beinahe überzeugt, daß wir unter dem Kloster finden, was wir suchen.« »Sie meinen unsere Verschollenen?« fragte Kurt rasch. »Ja, wenn er sie nicht getötet hat. Aber Cortejo und Landola finden wir jedenfalls dort.« »Mein Gott! Wenn das wahr wäre!« »Ich möchte darauf schwören!« »So dürfen wir keine Zeit versäumen. Warum dieser Pater sich in die Angelegenheiten der Rodrigandas mischt, das wollen wir gar nicht fragen, wir werden es schon noch erfahren. Zunächst müssen wir um jeden Preis erfahren, ob die Gesuchten sich im Kloster befinden.« »Aber wie?« fragte Grandeprise. »Der Pater wird es uns nicht freiwillig sagen.« »Er wird es uns sagen«, antwortete Kurt, indem seine Augen entschlossen aufblitzten; »ob freiwillig oder nicht, das ist Nebensache. Wer bewohnt das Kloster?«

Grandeprise konnte Auskunft geben. Er sagte:

»Es sind mehrere Ärzte da, deren Oberer eben der Pater ist. Ein Gebäude ist für körperlich Kranke und ein zweites für Geisteskranke eingerichtet. Ein drittes wurde von Pensionärinnen bewohnt, steht aber nun leer. Die übrigen Gebäude dienen als Wirtschaftsräume. Einige Diener bilden die ganze Bewohnerschaft, außer den Kranken natürlich.« »So haben wir gar nichts zu befürchten. Wir werden sehen, ob der Pater daheim ist.« »Auf jeden Fall ist er da«, meinte Gerard. »Er ist kurze Zeit vor mir hier angekommen.« »Dennoch ist es notwendig, sich zunächst zu überzeugen. Einer von uns muß zu ihm gehen.« »Das ist richtig«, meinte Gerard. »Ich aber kann es nicht tun.« »Warum nicht?« »Er ist auf der Hazienda gewesen, wenn auch heimlich, aber er kann mich dort gesehen haben.« »Auch ich kann nicht hin«, meinte Grandeprise, »denn er kennt mich.« »Und ich ebensowenig«, meinte Geierschnabel. »Meine Nase ist zu bekannt im Land.« »So mag Peters gehen«, entschied Grandeprise. »Warum Peters?« fragte Kurt. »Eine so wichtige Sache mag ich ihm nicht anvertrauen. Mich kennt der Pater nicht. Ich gehe selbst.« »Um Gottes willen«, rief Geierschnabel. »In eine solche Gefahr dürfen Sie sich nicht begeben.« »Ein anderer aber doch? Halten Sie mich für feig?« »Nein, aber ich will nicht, daß wir uns um Sie zu sorgen haben.« »Um wen wir uns sorgen, das bleibt sich gleich. Ich verlasse mich lieber auf mich, als auf Peters. Er hat uns als Bote des Kapitäns begleitet. Wichtigeres darf ich ihm nicht anvertrauen.«

Der Schwarze Gerard blickte den jungen Mann wohlgefällig an. Er gab ihm die Hand und sagte:

»Sie haben recht, Monsieur. Ich sehe es Ihnen an, daß Sie ebenso bedächtig und vorsichtig wie mutig sind. Und auf alle Fälle sind ja wir anderen da. Geschehen kann Ihnen nichts. Grandeprise, wie gelangt man in das Zimmer des Paters?« »Durch das Tor über den Hof hinüber und zur Treppe hinauf liegt die Tür gleich gegenüber. Sämtliche Zimmer des Klosters sind numeriert Es hat die Nummer 25.« »Wohin gehen die Fenster?« »Zwei nach einem Seitenhof, eins aber am Giebel heraus, wo wir stehen können.« »So sind wir sicher, daß Señor Helmers nichts passieren kann. Es gilt, den Pater zu überraschen. Man darf im Hof nicht nach ihm fragen. Man tritt unangemeldet bei ihm ein. Das übrige ergibt sich dann aus den Umständen. Unter dem Fenster stehen wir. Sollte Monsieur Helmers in Gefahr oder Verlegenheit kommen, so braucht er uns nur zu rufen.« »Das ist auch meine Ansicht«, sagte Kurt. »Wollen wir aufbrechen?« »Ja, vorwärts«, meinte der Schwarze Gerard. »Zwar habe noch zwei Vaqueros mit, die uns helfen könnten, aber ich bin der Ansicht, daß solche Leute uns eher hinderlich als förderlich sind. Wir vier sind genug. Gehen wir.«

Sie verließen wohlbewaffnet die Venta und stiegen den Klosterberg empor. Als sie oben angekommen waren, hörten sie das Rollen eines Wagens, der um eine Mauerecke bog. Sie traten zur Seite, um nicht bemerkt zu werden, und ahnten nicht, daß in diesem Wagen derjenige saß, den sie suchten, Pater Hilario nämlich.

Dann zeigte Grandeprise ihnen das Fenster, das zum Zimmer des Paters gehörte. Das Tor war offen, und Kurt trat ein. Das betreffende Fenster war erleuchtet, und die drei Jäger blickten unverwandt empor, um beim kleinsten Zeichen bereit zu sein. Da hörten sie nahende Schritte. Sie traten zurück und duckten sich nieder, um nicht gesehen zu werden. Eine Gestalt schritt an ihnen vorüber und huschte in das Tor.

Es war der kleine, dicke Verschwörer, der im Vorderhof Manfredo traf und mit demselben nach dem Zimmer des Paters ging, wie wir bereits wissen.

Vorher aber war Kurt über den Hof geschritten und die Treppe emporgestiegen, ohne von jemandem bemerkt zu werden. Er sah die ihm gegenüberliegende Tür, auf der die Nummer 25 stand und trat ein, ohne anzuklopfen. Es brannte eine Lampe da, aber kein Mensch war zu sehen.

Eine zweite Tür führte nach dem Schlafzimmer des Paters. Kurt vermutete ihn in diesem Raum und öffnete die Tür. Auch hier befand sich niemand. Eben wollte er in das vordere Zimmer zurücktreten, als er draußen die Schritte zweier Personen hörte. Mehr aus plötzlicher Eingebung als aus Berechnung wich er in das Schlafzimmer zurück und zog die Tür desselben zwar an, aber nicht ganz zu. Er war der Meinung, daß der Pater mit irgend jemandem komme. Vielleicht gestattete ihm das Glück, etwas zu belauschen, was ihm von Nutzen sein konnte.

Durch die Spalte, die er gelassen hatte, sah er ein dickes Männchen eintreten und dahinter einen jüngeren Mann, der das Aussehen eines Bediensteten hatte. Nach der Beschreibung, die er sich von der Person des Paters hatte geben lassen, konnte dieser nicht dabeisein.

4. Kapitel

Der Dicke setzte sich behäbig auf einen Stuhl und fragte: »Also dein Oheim ist erst kürzlich fort?« »Ja«, antwortete Manfredo. »Weißt du nicht, was ihn so lange aufgehalten hat?« »Nein.«

Der Kleine warf einen blitzschnellen, stechenden Blick auf den Neffen und fuhr fort:

»Du bist doch der einzige Verwandte des Paters, nicht wahr?« »Ja, der einzige.« »Hm! Da sollte man doch meinen, daß er Vertrauen zu dir habe.« »Das hat er auch.« »Warum sagt er dir da nicht, was ihn abgehalten hat, meinem Befehl schneller nachzukommen?« »Weil ich ihn nicht gefragt habe.« »So! Hm! Weißt du noch, wann ich zum letzten Mal hier war?« »Ja.« »Da waren auch zwei Männer aus der Hauptstadt hier?« Ja«, antwortete der Neffe, der ja eingeweiht war. »Was wollten sie?« »Sie suchten Euch, sie wollten Euch arretieren.« »Also doch! Welch ein Glück, daß ich ihnen entgangen bin! Es waren zwei ganz dumme Kerle. Sind sie wieder hier gewesen?« »Nein.« »Das ist ihr Glück. Ich werde dafür sorgen, daß sie gut empfangen werden, falls sie wiederkommen. Und das ist es eben, weshalb ich mit dir reden will. Sind wir allein?« »Ihr seht es ja.« »Und niemand kann uns belauschen?« »Kein Mensch.« »Nun gut, so sage mir, ob du weißt, weshalb dein Oheim nach der Hauptstadt gereist ist!« »Er hat es mir gesagt« »Alle Wetter! So scheint er also doch Vertrauen zu dir zu haben. Und da sehe ich, daß auch ich aufrichtig mit dir reden kann. Sage mir also, welchen Zweck der Pater in Mexiko verfolgt.« »Er soll dahin wirken, daß der Kaiser nicht mit den Franzosen abzieht.« »Und warum?« »Damit Max von Juarez gerichtet und verurteilt werde.« »Gut. Juarez steht dann als Mörder da und wird allen Kredit verlieren. Auf diese Weise werden wir den Kaiser und auch den Präsidenten los und bekommen die Macht in unsere Hände. Dein Oheim hat die Verhaltungsvorschriften. Er wird diesen Max nicht in Mexiko, sondern in Queretaro treffen. So weit scheint alles gelungen. Aber der Teufel könnte doch sein Spiel haben. Irgendein Zufall kann den Kaiser bestimmen, das Land schleunigst zu verlassen. Man kann ihm sagen, daß er keinen Rückhalt, keinen Beistand und keine Anhänger mehr habe. Da gilt es dann, ihn glauben zu machen, daß man noch in Massen zu ihm hält.« »Das wird nicht leicht sein.« »Leicht und schwer, wie man es nimmt. Ich habe die Veranstaltung getroffen, daß der Kaiser erfährt, seine Anhänger hätten sich im Rücken seines ärgsten Feindes, dieses Juarez erhoben, um die kaiserliche Fahne zum Sieg zu führen. Hört Max dies, so bleibt er sicher im Land und ist ebenso sicher verloren. Es werden morgen an einigen Orten Krawalle vorkommen, den Hauptkrawall aber soll es hier in Santa Jaga geben.« »Hier?« fragte der Neffe überrascht. »Wieso? Hier gibt es ja nur Anhänger des Juarez.« »Pah! Laß nur mich machen«, meinte der Dicke in überlegenem Ton. »Wir haben eine Schar von zweihundert tapferen Kerlen angeworben, die noch in dieser Nacht nach Santa Jaga kommen werden, um die kaiserliche Fahne zu entfalten.« »Die Einwohnerschaft wird sie fortjagen.« »Das wird nicht gelingen. Das Kloster ist zu einer Zeit gebaut worden, in der jedes Haus zugleich Festung sein mußte. Es hat starke, hohe Mauern und gleicht einem Fort. Unsere Leute werden sich im Kloster festsetzen. Was wollen da die Bürger tun?« »Dann allerdings möchte es gehen«, meinte Manfredo nachdenklich. »Gerade der Umstand, daß diese Schilderhebung hier stattfindet, wird deinem Oheim beim Kaiser die allerbeste Empfehlung sein.« »Weiß mein Oheim davon?« »Nein.« »Warum?« »Weil ich selbst noch nichts wußte, als ich zum letzten Male mit ihm sprach. Und heute ist er ja nicht da, so daß ich es ihm sagen könnte. Aber wenn er es in Querétaro hört, hat er bereits meine Instruktionen in den Händen und weiß, was er zu tun hat.« »Sind es Soldaten, die kommen?« »Hm! Man könnte sie so nennen. Es sind bewaffnete Leute, denen es ganz gleich ist, wem sie dienen.« »Wann kommen sie?« »Heute nacht punkt vier Uhr werden sie unten am Klosterweg eintreffen, und du wirst sie in das Kloster führen, aber so, daß unten im Ort kein Mensch etwas merkt. Wenn der Tag anbricht, weht die kaiserliche Fahne von den Mauern herab, und die Bürger dürfen nicht murren.« »Wird der Anführer mir folgen?« Ja. Du sagst ihm das Wort Miramara dann weiß er, daß du der richtige bist.« »Werdet Ihr nicht dabeisein?« »Nein. Ich habe heute nacht noch einen weiten Ritt in einer ähnlichen Angelegenheit. Du hast doch alles ganz genau verstanden?« »Ganz genau.« »Gut. Sei so treu wie dein Oheim, dann wird die Belohnung nicht ausbleiben! Ich will gehen. Hier die Instruktion für den Anführer der Truppen. Du gibst sie ihm, sobald du ihn triffst. Gute Nacht.« »Ich werde Euch hinunterbegleiten«, meinte der Neffe, indem er die empfangenen Papiere zu sich steckte. »Warum?« »Das Tor könnte unterdessen verschlossen worden sein.«

Kaum hatten sie das Zimmer verlassen, so trat Kurt in dasselbe. Er eilte an das Fenster, öffnete es und fragte halblaut hinab:

»Seid ihr hier?« Ja«, antwortete Gerard. »Was gibt es?« »Der Pater ist verreist. Alles geht gut. Haltet euch ruhig, bis ihr mich wiederseht! Aber tretet zurück! Es wird jemand kommen.«

Er schloß das Fenster und kehrte in die Schlafstube zurück! Er war überzeugt, diesem Neffen des Paters gewachsen zu sein; jedenfalls hatte er es nur mit diesem zu tun, und er beschloß, kurzen Prozeß mit ihm zu machen.

Nach wenigen Minuten kehrte Manfredo in die Stube zurück. Er schien nachdenklich zu sein und schritt sinnend im Zimmer auf und ab.

»Hm!« hörte Kurt ihn brummen. »Kaiserliche in Santa Jaga. Räuber und Mörder werden es sein, aber ich muß gehorchen. Zuvor will ich zu meinen Gefangenen. Ah! Bin ich nur erst Graf Alfonzo de Rodriganda, so mögen sie in Mexiko einander erwürgen, wie es ihnen beliebt. Mir soll alles gleich sein!«

Kurt erstaunte gewaltig über den Inhalt dieses Selbstgesprächs. Er stand schon im Begriff, aus der Tür zu treten und den Kerl zu packen und zum Geständnis zu bringen; da sah er, daß derselbe einige Schlüssel ergriff, und das brachte ihn auf andere Gedanken.

Manfredo steckte die Schlüssel ein, brannte eine Blendlaterne an und verließ das Zimmer, ohne die Tür desselben zuzuschieben. Sofort trat Kurt ein, riß ein Licht von einem Leuchter, steckte es ein und zog dann sein Messer. Er öffnete so leise wie möglich die Tür und sah Manfredo eine zweite Treppe hinabsteigen. Er drückte die Tür zu und folgte ihm.

Das Licht der Blendlaterne fiel nur vorwärts, darum ging Kurt im dunkelsten Schatten. Aus diesem Grund konnte er sehr leicht an etwas stoßen und dadurch ein verräterisches Geräusch verursachen. Deshalb blieb er einen Augenblick stehen, um seine Stiefel auszuziehen, deren Sporen ihn ohnedies verraten konnten. Dann ging es wieder weiter.

Da Kurt vom Dunkel eingehüllt war, so konnte er sich nahe genug an seinen Vordermann halten, um diesen nicht aus den Augen zu verlieren. Weil es aber doch möglich war, daß der Mexikaner einmal stehenbleiben und sich umdrehen konnte, so hielt Kurt sich für diesen Fall bereit, sich augenblicklich niederzuwerfen, um nicht bemerkt zu werden.

So ging es durch einige Türen, die Manfredo offenließ. Sie schritten durch mehrere feuchte Felsengänge, ohne daß es dem Mexikaner ein einziges Mal eingefallen wäre, sich umzudrehen. Der Gang, in dem sie sich nun befanden, hatte mehrere Türen. Vor einer derselben blieb Manfredo stehen. Er schob zwei starke, eiserne Riegel zurück und öffnete das Schloß mit einem seiner Schlüssel. Dann trat er ein.

War dort ein neuer Gang, oder gab es hinter dieser Tür ein Gefängnis? So fragte sich Kurt. Im ersteren Fall mußte er rasch folgen, im letzteren aber zurückbleiben.

Er horchte. Ah, er hörte sprechen! Diese Tür hatte also einen Kerker verschlossen. Leise schlich er näher. Niemand hörte ihn. Er wagte es, den Kopf ein wenig vorzustrecken und blickte in ein viereckiges Gefängnis, an dessen Mauern mehrere Personen gefesselt waren. Manfredo stand in der Mitte des Raumes und hatte seine Laterne in eine Ecke gestellt. Sie erhellte das Gefängnis so ungenügend, daß es unmöglich war, die Züge der Gefangenen zu erkennen. Manfredo sprach mit einem derselben.

»Es gibt einen Weg, Euch zu retten«, hörte Kurt ihn sagen.

»Welchen?« fragte eine Stimme aus dem Hintergrund. »Könnt Ihr das nicht erraten?« »Nein.« »Ich will ihn Euch sagen. Ihr wißt, daß dieser Mariano hier Euer wirklicher Neffe ist?« »Ja.« »Und daß der jetzige Graf Alfonzo nur der Sohn von Gasparino Cortejo ist?« »Ja.« »Nun, so stelle ich zwei Bedingungen. Erfüllt Ihr diese, so seid Ihr alle frei.« »Wir wollen sie hören.«

Der alte Graf Ferdinando war es, der sprach. Der Neffe des Paters fuhr fort:

»Zunächst erklärt Ihr diesen Alfonzo für einen Betrüger und laßt ihn und seine Verwandten bestrafen.« »Dazu bin ich natürlich bereit.« »Sodann aber muß Mariano entsagen, und Ihr erkennt mich als den Knaben an, der geraubt und verwechselt wurde.«

Ein Schweigen des Erstaunens folgte.

»Nun, Antwort!« gebot der Mexikaner. »Ah«, sagte Don Ferdinando, »so wollt wohl gar Ihr Graf von Rodriganda werden?« »Ja«, antwortete der Gefragte im Ton der unverschämtesten Offenheit. »Das ist meine Bedingung.« »Ich gehe niemals darauf ein.« »So bleibt Ihr gefangen bis an Euer Ende.« »Gott wird uns erretten.« »Pah, das kann er nicht. Ich gebe Euch eine halbe Stunde Bedenkzeit, bis ich Euch Brot und Wasser bringe. Sagt Ihr dann nicht ja, so erhaltet Ihr weder Trank noch Speise und müßt elend verschmachten!« »Gott wird uns rächen!« »Don Ferdinando, sprecht nicht mit diesem Buben!« klang eine tiefe Stimme von der Seite her.

Es war, als ob Kurt augenblicklich vorstürzen solle. Diese Stimme kannte er. Er hätte sie an jedem Ort, unter allen Verhältnissen wiedererkannt. Es war die Stimme seines einstigen Lehrers, die Stimme Sternaus.

»Was?« rief Manfredo. »Einen Buben nennst du mich? Hier hast du deinen Lohn!«

Er trat zu dem Gefesselten und holte zum Schlag aus, kam aber nicht dazu, denn sein erhobener Arm wurde ergriffen. Er drehte sich im höchsten Grade erschrocken um und sah zwei blitzende Augen und die Mündung eines Revolvers auf sich gerichtet Die Blässe eines tödlichen Schrecks bedeckte sein Gesicht.

»Wer ist das? Was wollt Ihr hier?« fragte er vor Angst stammelnd. »Das wirst du sogleich hören!« antwortete Kurt. »Nieder mit dir auf die Knie!« »Wer wer was « wiederholte der Erschrockene. »Nieder auf die Knie!« wiederholte Kurt.

Und als Manfredo nicht sogleich gehorchte, riß Kurt ihn an dem Arm, den er noch gefaßt hielt, auf den Boden nieder.

»Komm, mein Bursche, wir wollen dich sicher nehmen!«

Bei diesen Worten nahm er sich den Lasso von den Hüften und schlang ihn um den Leib und die Arme des Kerkermeisters. Dieser war mit keiner Waffe versehen; aber selbst wenn er eine solche bei sich gehabt hätte, wäre er doch vor Erstarrung momentan unvermögend gewesen, sie zu gebrauchen. Als er so gebunden war, daß er sich nicht rühren konnte, gab Kurt ihm einen Fußtritt, daß er vollends umstürzte.

Nun aber konnte Kurt sich nicht länger halten. Er holte tief Atem, stieß einen überlauten Jubelruf aus, von dem draußen die Gänge widerhallten, und frohlockte:

»Gott sei Dank! Endlich ist es mir gelungen! Ihr seid frei!« »Frei?« rief es rundum. »Ist das wahr?« »Ja und tausendmal ja!« »Señor, wer seid Ihr?« fragte der alte Ferdinando, der an dieses plötzliche Glück nicht zu glauben vermochte. »Das werdet Ihr noch erfahren. Nur hinaus aus diesem Loch, aus diesem pestilenzialischen Gestank! Das ist das Allernötigste. Könnt Ihr gehen?« »Ja«, antwortete Sternau.

Kurt, so jung er war, vermochte es doch über sich, seinem Herzen einstweilen zu gebieten und das zu tun, was der Verstand ihm vorschrieb.

»Wie öffnet man Eure Ketten?« fragte er. »Dieser Mann hat den kleinen Schlüssel dazu in der Tasche.«

Kurt griff in Manfredos Taschen und fand ein Schlüsselchen. Er eilte von Mann zu Mann in unbeschreiblicher Hast und öffnete die Fesseln, die niederklirrten. Nun wollten sie alle auf ihn stürzen, er aber wehrte sie ab, obgleich ihm die Freudentränen aus den Augen liefen, und rief:

»Noch nicht! Zunächst das Allernötigste. Seid Ihr alle beisammen, oder gibt es woanders noch Leidensgefährten?« »Wir sind es alle«, antwortete Sternau, der die meiste Kraft besaß, kaltblütig zu bleiben. »Aber Cortejo und Landola müssen auch hier sein!« »Sie sind auch hier.« »Aber nicht gefangen?« »Gefangen! Alle beide Cortejos, Landola und Josefa Cortejo.« »Gott sei Dank! Das ist mir zwar ein Rätsel, aber es wird sich aufklären. Folgt mir in eine andere Luft.«

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