»Ach was, Emeritus!« antwortete Schmidt in kräftiger Weise, die ihm eigen zu sein schien. »Für uns sind Sie noch immer der Herr Kantor. Haben Sie sich emeritieren lassen, so ist das Ihre Sache, aber kein Grund für uns, dieses ewige Fremdwort immer wiederzukauen. Warum bleiben Sie immer zurück? Man hat nur stets auf Sie aufzupassen!«
»Piano, piano, lieber Schmidt! Ich höre Sie sehr gut, auch wenn Sie nicht so schreien. Es kam mir ein musikalischer Gedanke. Ich glaube nämlich, daß man bei einer Ouverture, wenn das Cello im Orchester fehlt, die Stimme desselben auch der dritten Trompete übergeben kann. Nicht?«
»Uebergeben Sie sie meinetwegen der großen Paukentrommel! Ich weiß wohl, daß ein Wagen geschmiert werden muß, wenn er gut laufen soll, aber nicht, was in einer Ouverture getrompetet werden muß. Was haben Sie uns denn da für einen Hanswurst mitgebracht?«
Bei diesen Worten deutete er auf Sam Hawkens. Der Kantor antwortete, ohne ihm das kräftige und wohl auch beleidigende Wort zu verweisen:
»Dieser Herr ist ist heißt hm, das weiß ich selbst noch nicht. Ich traf ihn im Dorfe und fragte ihn nach Ihnen; da ist er so freundlich gewesen, mich heraus zu Ihnen zu modulieren. Die Hauptsache ist, daß er auch ein Sachse ist.«
»Ein Sachse?« fragte Schmidt im Tone des Erstaunens, indem er Sam vom Kopfe an bis zu den Füßen herunter betrachtete. »Das ist doch gar nicht möglich! Wenn bei uns in Sachsen jemand in solcher Kleidung herumliefe, würde er auf der Stelle arretiert!«
»Aber wir sind glücklicherweise jetzt nicht in Sachsen,« antwortete Hawkens ganz freundlich; »darum werde ich meine Freiheit wahrscheinlich behalten, wenn ich mich nicht irre. Ihr werdet hier noch ganz andre Anzüge zu sehen bekommen, als der meinige ist. Es gibt im wilden Westen nicht auf je zwanzig Schritte zehn Kleidermagazine. Darf ich vielleicht erfahren, wohin ihr wollt, meine Herren?«
»Ihr?« meinte Schmidt in abweisendem Tone. »Wir sind gewohnt, Sie genannt zu werden, und möchten, ehe wir Ihnen Auskunft geben, zunächst wissen, wer Sie sind, was Sie treiben und auf welchem Weg Sie sich befinden.«
»Well, das können Sie wissen. Ich heiße Falke, bin aus Sachsen herübergekommen, lebe als Westmann und gebe jedem die Ehre, die ihm gebührt. Da habt Ihr meine volle Legitimation. Ob Ihr mir meine Frage nun auch beantworten wollt, das steht in Eurem Belieben.«
»Ihr und Euer? Herr Falke, ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir gewohnt sind «
»Schon gut, schon gut!« unterbrach ihn der Kleine. »Und ich habe auch bereits gesagt, daß ich einem jeden die Ehre gebe, die ihm gebührt. Wer mich als einen Hanswurst betrachtet, der wird von mir Ihr oder gar Er genannt, und sagt der Esel dieses Wort noch einmal, so gehe ich fort und laß ihn so dumm bleiben, wie er ist.«
»Alle Donner! Meinen Sie damit etwa mich?« brauste der Alte auf, indem er drohend einen Schritt zurücktrat.
»Ja,« antwortete der Kleine, indem er ihm furchtlos und höchst freundlich in die Augen sah.
»Da machen Sie ja gleich, daß Sie wieder fortkommen, falls Sie wünschen, daß Ihre Knochen bei einander bleiben sollen!«
»Ich habe ja schon gesagt, daß ich gehen und Sie bleiben lassen werde, was und wie Sie sind. Aber als Ihr Landsmann denke ich, die Pflicht zu haben, Sie vorher zu warnen.«
»Vor wem?«
»Vor den zwölf Reitern, welche heute an Ihnen vorübergekommen sind.«
»Ist nicht nötig. Wir sind selbst so klug, zu wissen, woran wir sind. Die Kerls haben uns gleich nicht gefallen und, als sie uns ausfragen wollten, keine Auskunft erhalten. Sie sehen also, daß Ihre guten Lehren bei uns überflüssig sind.«
Er drehte sich um, zum Zeichen, daß er mit Sam Hawkens nichts mehr zu thun haben wolle. Dieser machte eine Bewegung, sich zu entfernen, blieb aber doch, angetrieben von seinem guten Herzen, wieder halten und sagte:
»Master Schmidt, noch ein Wort!«
»Was?« fragte der Alte barsch.
»Wenn Ihr wirklich keine guten Lehren braucht, so will ich sie gerne für mich behalten. Gestattet mir nur noch das eine zu fragen. Stehen eure Wagen nur einstweilen so bei einander wie jetzt?«
»Warum diese Frage?«
»Weil dies die allerbequemste Weise ist, bestohlen oder gar überfallen zu werden; hätte ich hier etwas zu gebieten, so würde mit den vier Wagen ein Viereck gebildet, innerhalb dessen alle Menschen und Ochsen hihihihi Menschen und Ochsen während der ganzen Nacht zu bleiben hätten. Dabei müßte von der Dunkelheit an bis zum frühen Morgen ein Posten sorgsam Wache halten.«
»Warum?«
»Weil ihr euch in Avijour befindet und nicht daheim in der Dresdener oder Leipziger Kreisdirektion.«
»Wo wir sind, das wissen wir genau. Um das zu erfahren, brauchen wir keinen Hanswurst zu fragen. Macht Euch also fort von hier, sonst schaffe ich Euch Spannfedern in die Beine!«
»Well, gehe schon, wenn ich mich nicht irre, habe es gut gemeint mit euch; aber wenn dem Esel zu wohl ist, so habe ich nichts dagegen, wenn er auf das Eis geht, um eine Polka zu probieren!«
Er drehte sich scharf um und entfernte sich nach dem Dorfe zu. Schmidt fuhr den Kantor unmutig an:
»Da hatten Sie uns einen saubern Kerl gebracht. Sah aus wie ein Harlekin und war dabei doch grob wie Bohnenstroh. Für solche Landsmänner muß ich danken.«
»Aber mit mir ist er vorher sehr zuvorkommend und freundlich gewesen,« wagte der Emeritus einzuwerfen. »Das war wohl die Folge davon, daß ich ihn hübsch dolce angesprochen habe, wie wir Musikkünstler uns auszudrücken pflegen, während Sie ihm sehr sforzando über den Mund gefahren sind.«
»Weil er wie ein Landstreicher dahergelaufen kam und «
Schmidt war von einem lauten Ausrufe unterbrochen worden. Die beiden jungen Männer, welche die Wagen zu Pferde begleitet und von denen die Finders gesprochen hatten, waren am Flusse gewesen, um ihre verstaubten Pferde zu waschen; jetzt kamen sie zurückgeritten. Der eine von ihnen hatte ein sehr intelligentes Gesicht vom Schnitte und der hellen Farbe des Europäers, obgleich die letztere infolge der Sonnenglut beträchtlich gedunkelt war. Er mochte wohl achtzehn Jahre zählen und war von mehr breiter als hoher Figur. Noch interessanter war der Kopf des andern. Seine kühn modellierten Züge waren echt indianisch, doch nicht von der bei den Indsmen gewöhnlichen Schärfe, auch standen seine Backenknochen nicht so weit hervor. Die Farbe seines Gesichtes war ein mattes Bronce, zu welchem das helle Grau seiner scharfen Augen ebenso wie das Mittelblond seines Haares lebhaft kontrastierte. Seine Gestalt war schlanker, doch nicht weniger kräftig als diejenige seines Begleiters, mit welchem er jedenfalls im gleichen Alter stand. Beide waren nach europäischer Art gekleidet und, wie es schien, vortrefflich bewaffnet. Ebenso saßen beide sehr gut zu Pferde, zumal der Grauäugige, welcher mit seinem Tiere wie zusammengegossen schien. Dieser letztere hatte, als er, sich dem Lager nähernd, Sam Hawkens schnell von dannen gehen sah, den Ruf ausgestoßen, durch welchen Schmidt unterbrochen worden war.
»Was gibts? Was wollen Sie?« fragte dieser entgegen.
Der junge Mann trieb sein Pferd schnell näher und antwortete, vor Schmidt anhaltend, in deutscher Sprache doch mit fremdem Accent:
»Wer war der kleine Mann, welcher soeben von hier fortgegangen ist?«
»Warum?«
»Weil er mir bekannt vorkam. Seine Kleidung ist eine andre, und ich habe sein Gesicht nicht gesehen; aber sein Gang fällt mir auf. Hatte er einen Bart?«
»Ja.«
»Das stimmt! Die Augen?«
»Sehr klein.«
»Die Nase?«
»Fürchterlich.«
»Stimmt auch! Hatte er vielleicht falsches Haar?«
»Wie kann ich das wissen? Man fragt doch keinen Menschen bei der ersten Begegnung mit ihm, ob sein Haar echt ist!«
»Weil er mir bekannt vorkam. Seine Kleidung ist eine andre, und ich habe sein Gesicht nicht gesehen; aber sein Gang fällt mir auf. Hatte er einen Bart?«
»Ja.«
»Das stimmt! Die Augen?«
»Sehr klein.«
»Die Nase?«
»Fürchterlich.«
»Stimmt auch! Hatte er vielleicht falsches Haar?«
»Wie kann ich das wissen? Man fragt doch keinen Menschen bei der ersten Begegnung mit ihm, ob sein Haar echt ist!«
»Das thut man nicht; aber eine Perücke ist vom echten Haare mit dem ersten Blicke zu unterscheiden. Wissen Sie vielleicht, was er ist?«
»Einen Westmann nannte er sich.«
»Auch dieses stimmt. Hat er vielleicht seinen Namen genannt?«
»Ja.«
»Sam Hawkens etwa?«
»Nein. Er heißt Falke und ist ein Deutscher.«
»Sonderbar, aber doch erklärlich! Falke heißt englisch auch hawk. Viele Deutsche nehmen, wenn sie herüberkommen, englische Namen an; warum sollte jemand, der Falke heißt, sich nicht Hawkens nennen? Aber daß Sam Hawkens ein Deutscher ist, das glaube ich nicht; er hat nie davon gesprochen und sich auch stets so als Yankee gegeben, daß er jedenfalls westlich vom Atlantik geboren ist. Aber diese Gestalt und dieser eigentümliche, schleichende Gang! Jeder gute Westmann hat das Anschleichen gelernt; aber so pflegt nur Sam Hawkens zu schleichen. Doch halt, noch eine Frage. hat dieser Mann während des Gespräches vielleicht einmal gelacht?«
»Ja.«
»Wie?«
»Ausgesucht höhnisch, als er von Menschen und von Ochsen sprach.«
»Ich meine, mit welchem Vokale, mit welchem Laute er lachte. Man lacht mit a und mit i, sogar mit e oder mit o.«
»Es war mit i, und mehr ein Kichern als ein Lachen.«
»Wirklich, wirklich?« fragte der Jüngling in höher interessiertem Tone. »Dann ist er es vielleicht doch gewesen. Sam Hawkens hat ein ganz eigentümliches Hihihihi, wie man es von keinem andern hört; man vernimmt es sehr oft von ihm; es klingt so listig und dabei stillvergnügt; er schluckt es halb in sich hinein. Und noch ein Erkennungszeichen für ihn gibt es: hat er vielleicht eine Redensart wiederholt?«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Hat er nicht einigemal gesagt: Wenn ich mich irre?«
»Möglich, daß er etwas dem ähnliches gesagt hat; ich habe nicht darauf geachtet.«
»So war er es doch nicht. Sam Hawkens sagt so oft: Wenn ich mich nicht irre, daß es einem jeden auffallen muß; dies wäre auch hier der Fall gewesen, und ich habe mich also geirrt.«
Er schwang sich, wie sein Gefährte schon gethan hatte, vom Pferde und ließ es laufen. Seine Ahnung hatte ihn nicht betrogen, doch hatte Sam sich seiner Redensart zufälligerweise nicht so oft bedient, daß sie besonders in die Ohren gefallen wäre.
Der Kleine war nach der Schenke zurückgekehrt und hatte sich wieder zu Dick und Will gesetzt. Um doch etwas zu verzehren, ließen sie sich je noch einen Whisky geben, den sie mit Wasser verdünnt tranken. Die Finders lachten über diese Nüchternheit, ließen die Drei aber sonst in Ruhe.
Als es dunkel geworden war, brannte der Irländer eine Laterne an, welche aufgehängt wurde und den Platz vor dem Hause zur Not erleuchtete; in das Innere desselben sollte erst später, beim Essen, gegangen werden. Nach einiger Zeit stand Buttler vom Tische auf, gab dreien seiner Gefährten einen Wink und entfernte sich mit ihnen.
»Das hat irgend einen Zweck,« sagte Will Parker leise. »Wohin mögen sie wollen?«
»Kannst du dir das nicht denken?« fragte ihn Sam.
»Nein. Ich bin nicht allwissend.«
»Ich auch nicht; aber wer kein solches Greenhorn wie Will Parker ist, der muß wissen, was sie wollen.«
»Nun, was, altes gescheites Coon?«
»Fleisch.«
»Woher?«
»Von den Auswanderern.«
»Ah, ja! Die haben gewiß Rauchfleisch mit, und das soll ihnen gestohlen werden.«
»Fällt keinem Menschen ein! Die Finders haben Appetit nach frischem Fleische, und da draußen bei den Wagen gibt es sechzehn Ochsen. Weißt du nun, woran du bist, mein süßer Will?«
»Ah, die Ochsen, richtig, richtig!« nickte der Gefragte.
»Es ist diesen Gentlemen wirklich zuzutrauen, daß sie einen Ochsen stehlen, was viel leichter ist, als in einen bewachten Wagen zu steigen, um einen harten Schinken herauszuholen. Man legt sich auf die Erde, schleicht sich an das Tier und treibt es langsam und vorsichtig vom Lager fort, bis man es sicher hat.«
»So ist es; ja, so wirds gemacht, hihihihi! Scheinst in früherer Zeit ein feiner Ochsendieb gewesen zu sein, wenn ich mich nicht irre.«
»Schweig, altes Coon! Mir sollten diese Leute leid thun, wenn sie ein Zugtier einbüßen. Ist dir deine Vermutung erst jetzt gekommen?«
»Nein, sondern gleich als Buttler vom Fleische sprach.«
»Und bist bei den Emigranten gewesen und hast sie nicht gewarnt?«
»Wer sagt dir denn, daß ich dies nicht gethan habe? Aber man nannte mich einen Hanswurst, dessen guten Rat niemand braucht. Sam Hawkens ein Hanswurst, hihihihi! Hat mir ungeheuern Spaß gemacht. Bin zwar nicht ganz salonmäßig gekleidet; aber dieser Kantor emeritus sieht doch noch weit eher wie ein Bajazzo aus als ich, wenn ich mich nicht irre.«
»Du lachst. Denkst du denn auch daran, daß wir zum Essen eingeladen sind?«
»Natürlich denke ich daran! Fühle ja einen Hunger
wie ein Prairiewolf, dem die Sonne zwei Wochen lang in den leeren Magen geschienen hat.«
»Willst also der Einladung folgen und gestohlenes Fleisch mitessen?«
»Yes, sogar sehr!«
»Sam, das wird mir schwer, zu glauben, da du eine so grundehrliche alte Haut bist. Doch thu, was du willst; ich aber mache nicht mit. Gestohlene Ware ißt Will Parker nicht!«
»Sam Hawkens auch nicht, außer er weiß, daß sie hinterher bezahlt wird.«
»Ach, du meinst ?«
»Ja,« nickte der Kleine. »Bin ein Hanswurst genannt worden und mußte mich mit meinem Rate abweisen lassen, werde also nichts verhindern. Strafe muß sein, besonders wenn sie zur Lehre und zur Besserung dient, wie mir scheint. Werde auch mit dem größten Appetit mitessen, dann aber dafür sorgen, daß die Bestohlenen voll entschädigt werden.«
»Wenn das ist, esse ich auch mit. Müssen uns aber dabei sehr in acht nehmen. Sollte mich wundern, wenn uns die Finders ungerupft von dannen lassen wollten.«
»Werden ihre eigenen Federn lassen müssen; paß nur auf!«
Buttler mochte mit seinen Gefährten vielleicht drei Viertelstunden fortgewesen sein, als sie zurückkehrten. Sie brachten eine Rindslende mit, welche in das Haus geschafft wurde, um dort gebraten zu werden. Bis sie gar war, wurden noch mehrere Flaschen Whisky geleert. Als die Negerin endlich meldete, daß der Braten fertig sei, kam Buttler zu dem »Kleeblatt« herüber, um dasselbe aufzufordern, sich mit in das Innere des Hauses zu begeben.
»Können wir das, was ihr uns spenden wollt, nicht lieber herausbekommen?« fragte Sam.
»Nein,« lautete die Antwort. »Wer unser Gast sein will, muß bei uns sitzen. Uebrigens wißt ihr vielleicht, daß der Wein nur in Gesellschaft mundet.«
»Wein? Woher soll der hier kommen?« that Sam erstaunt.
»Ja, woher! Nicht wahr, das wundert euch? Ich sage euch, ihr seid bei echten Gentlemen zu Gaste geladen. Wir haben gesehen, daß ihr keinen Whisky mögt, und darum euch zu Liebe und euch zu Ehren den Wirt überredet, uns das einzige Fäßchen abzulassen, was er noch im Hause hat. Es ist ein Wein, wie ihr wohl noch keinen gekostet habt. Also kommt, Meschschurs!«
Er wendete sich nach der Thür, in welcher seine Leute schon verschwunden waren. Dadurch gewann Sam Gelegenheit, seinen Gefährten zuzuraunen:
»Wollen uns betrunken machen und dann ausrauben. Denken, wir haben Kindermagen, weil wir den Giftschnaps des Iren verschmähen. Hihihihi, sollen sich täuschen, wenn ich mich nicht irre! Sam Hawkens trinkt wie ein Kellerloch, und hat man je ein Kellerloch berauscht gesehen? Hört also, Boys: Richtet euch genau nach mir. Wir thun, als könnten wir nichts vertragen, trinken sie aber dennoch alle unter den Tisch.«