Wir sitzen rundherum, die Hemden auf den Knien, den Oberkörper nackt in der warmen Luft, die Hände bei der Arbeit. Haie hat eine besonders feine Art von Läusen: sie haben ein rotes Kreuz auf dem Kopf. Deshalb behauptet er, sie aus dem Lazarett in Thourhout* mitgebracht zu haben, sie seien von einem Oberstabsarzt persönlich. Er will auch das sich langsam in dem Blechdeckel ansammelnde Fett zum Stiefelschmieren benutzen und brüllte eine halbe Stunde lang vor Lachen über seinen Witz.
Doch heute hat er wenig Erfolg; etwas anderes beschäftigt uns zu sehr.
Das Gerücht ist Wahrheit geworden. Himmelstoß ist da. Gestern ist er erschienen, wir haben seine wohlbekannte Stimme schon gehört. Er soll zu Hause ein paar junge Rekruten zu kräftig im Sturzacker gehabt haben. Ohne dass er es wusste, war der Sohn des Regierungspräsidenten dabei. Das brach ihm das Genick*.
Hier wird er sich wundern. Tjaden erörtert seit Stunden alle Möglichkeiten, wie er ihm antworten will. Haie sieht nachdenklich seine große Flosse an und kneift mir ein Auge. Die Prügelei war der Höhepunkt seines Daseins; er hat mir erzählt, dass er noch manchmal davon träumt.
* * *Kropp und Müller unterhalten sich. Kropp hat als einziger ein Kochgeschirr voll Linsen erbeutet, wahrscheinlich bei der Pionierküche. Müller schielt gierig hin, beherrscht sich aber und fragt: »Albert, was würdest du tun, wenn jetzt mit einemmal Frieden wäre?«
»Frieden gibts nicht!« äußert Albert kurz.
»Na, aber wenn «, beharrt Müller, »was würdest du machen?«
»Abhauen!« knurrt Kropp.
»Das ist klar. Und dann?«
»Mich besaufen«, sagt Albert.
»Rede keinen Quatsch, ich meine es ernst «
»Ich auch«, sagt Albert, »was soll man denn anders machen.«
Kat interessiert sich für die Frage. Er fordert von Kropp seinen Tribut* an den Linsen, erhält ihn, überlegt dann lange und meint: »Besaufen könnte man sich ja, sonst aber auf die nächste Eisenbahn und ab nach Muttern*. Mensch, Frieden, Albert «
Er kramt in seiner Wachstuchbrieftasche nach einer Fotografie und zeigt sie stolz herum. »Meine Alte!« Dann packt er sie weg und flucht: »Verdammter Lausekrieg «
»Du kannst gut reden«, sage ich. »Du hast deinen Jungen und deine Frau.«
»Stimmt«, nickt er, »ich muss dafür sorgen, dass sie was zu essen haben.«
Wir lachen. »Daran wirds nicht fehlen, Kat, sonst requierierst* du eben.«
Müller ist hungrig und gibt sich noch nicht zufrieden. Er schreckt Haie Westhus aus seinen Verprügelträumen. »Haie, was würdest du denn machen, wenn jetzt Frieden wäre?«
»Er müsste dir den Arsch vollhauen, weil du hier von so etwas überhaupt anfängst«, sage ich, »wie kommt das eigentlich?«
»Wie kommt Kuhscheiße aufs Dach?« antwortet Müller lakonisch und wendet sich wieder an Haie Westhus. Es ist zu schwer auf einmal für Haie. Er wiegt seinen sommersprossigen Schädel: »Du meinst, wenn kein Krieg mehr ist?«
»Richtig. Du merkst auch alles.«
»Dann kämen doch wieder Weiber, nicht?« Haie leckt sich das Maul.
»Das auch.«
»Meine Fresse noch mal«, sagt Haie, und sein Gesicht taut auf, » dann würde ich mir so einen strammen Feger* schnappen, so einen richtigen Küchendragoner, weißt du, mit ordentlich was dran zum Festhalten, und sofort nichts wie rin in die Betten! Stell dir mal vor, richtige Federbetten mit Sprungmatratzen, Kinners*, acht Tage lang würde ich keine Hose wieder anziehen.«
Alles schweigt. Das Bild ist zu wunderbar. Schauer laufen uns über die Haut. Endlich ermannt sich Müller und fragt: »Und danach?«
Pause. Dann erklärt Haie etwas verzwickt: »Wenn ich Unteroffizier wäre, würde ich erst noch bei den Preußen bleiben und kapitulieren.«
»Haie, du hast glatt einen Vogel*«, sage ich.
Er fragt gemütlich zurück: »Hast du schon mal Torf gestochen? Probiers mal.«
Damit zieht er seinen Löffel aus dem Stiefelschaft und langt damit in Alberts Essnapf.
»Schlimmer als Schanzen in der Champagne kanns auch nicht sein«, erwiderte ich.
Haie kaut und grinst: »Dauert aber länger. Kannst dich auch nicht drücken.«
»Aber, Mensch, zu Hause ist es doch besser, Haie.«
»Teils, teils«, sagt er und versinkt mit offenem Munde in Grübelei.
Man kann auf seinen Zügen lesen, was er denkt. Da ist eine arme Moorkate, da ist schwere Arbeit in der Hitze der Heide vom frühen Morgen bis zum Abend, da ist spärlicher Lohn, da ist ein schmutziger Knechtsanzug
»Hast beim Kommiss in Frieden keine Sorgen«, teilt er mit, »jeden Tag ist dein Futter da, sonst machst du Krach, hast dein Bett, alle acht Tage reine Wäsche wie ein Kavalier, machst deinen Unteroffiziersdienst, hast dein schönes Zeug; abends bist du ein freier Mann und gehst in die Kneipe.«
Haie ist außerordentlich stolz auf seine Idee. Er verliebt sich darin. »Und wenn du deine zwölf Jahre um hast, kriegst du deinen Versorgungsschein und wirst Landjäger*. Den ganzen Tag kannst du Spazierengehen.«
Er schwitzt jetzt vor Zukunft. » Stell dir vor, wie du dann traktiert* wirst. Hier einen Kognak, da einen halben Liter. Mit einem Landjäger will doch jeder gutstehen.«
»Du wirst ja nie Unteroffizier, Haie«, wirft Kat ein. Haie blickt ihn betroffen an und schweigt. In seinen Gedanken sind jetzt wohl die klaren Abende im Herbst, die Sonntage in der Heide, die Dorfglocken, die Nachmittage und Nächte mit den Mägden, die Buchweizenpfannkuchen mit den großen Speckaugen, die sorglos verschwatzten Stunden im Krug
Mit soviel Phantasie kann er so rasch nicht fertig werden; deshalb knurrt er nur erbost*: »Was ihr immer für Blödsinn zusammenfragt.«
Er streift sein Hemd über den Kopf und knöpft den Waffenrock zu.
»Was würdest du machen, Tjaden?« ruft Kropp.
Tjaden kennt nur eins. »Aufpassen, dass mir Himmelstoß nicht durchgeht.«
Er möchte ihn wahrscheinlich am liebsten in einen Käfig sperren und jeden Morgen mit einem Knüppel über ihn herfallen. Zu Kropp schwärmt er:
»An deiner Stelle würde ich sehen, dass ich Leutnant würde. Dann kannst du ihn schleifen, dass ihm das Wasser im Hintern kocht.«
»Und du, Detering?« forscht Müller weiter. Er ist der geborene Schulmeister mit seiner Fragerei.
Detering ist wortkarg*. Aber auf dieses Thema gibt er Antwort. Er sieht in die Luft und sagt nur einen Satz: »Ich würde gerade noch zur Ernte zurechtkommen.« Damit steht er auf und geht weg.
Er macht sich Sorgen. Seine Frau muss den Hof bewirtschaften. Dabei haben sie ihm noch zwei Pferde weggeholt. Jeden Tag liest er die Zeitungen, die kommen, ob es in seiner oldenburgischen* Ecke auch nicht regnet. Sie bringen das Heu sonst nicht fort.
In diesem Augenblick erscheint Himmelstoß. Er kommt direkt auf unsere Gruppe zu. Tjadens Gesicht wird fleckig. Er legt sich längelang ins Gras und schließt die Augen vor Aufregung.
Himmelstoß ist etwas unschlüssig, sein Gang wird langsamer. Dann marschiert er dennoch zu uns heran. Niemand macht Miene, sich zu erheben. Kropp sieht ihm interessiert entgegen.
Er steht jetzt vor uns und wartet. Da keiner etwas sagt, lässt er ein »Na?« vom Stapel.
Ein paar Sekunden verstreichen; Himmelstoß weiß sichtlich nicht, wie er sich benehmen soll. Am liebsten möchte er uns jetzt im Galopp schleifen*. Immerhin scheint er schon gelernt zu haben, dass die Front kein Kasernenhof ist. Er versucht es abermals und wendet sich nicht mehr an alle, sondern an einen, er hofft, so leichter Antwort zu erhalten. Kropp ist ihm am nächsten. Ihn beehrt er deshalb. »Na, auch hier?«
Aber Albert ist sein Freund nicht. Er antwortet knapp: »Bisschen länger als Sie, denke ich.«
Der rötliche Schnurrbart zittert. »Ihr kennt mich wohl nicht mehr, was?«
Tjaden schlägt jetzt die Augen auf. »Doch.«
Himmelstoß wendet sich ihm zu: »Das ist doch Tjaden, nicht?«
Tjaden hebt den Kopf.
»Und weißt du, was du bist?«
Himmelstoß ist verblüfft. »Seit wann duzen wir uns denn? Wir haben doch nicht zusammen im Chausseegraben gelegen.«
Er weiß absolut nichts aus der Situation zu machen. Diese offene Feindseligkeit hat er nicht erwartet. Aber er hütet sich vorläufig; sicher hat ihm jemand den Unsinn von Schüssen in den Rücken vorgeschwatzt.
Tjaden wird auf die Frage nach dem Chausseegraben vor Wut sogar witzig.
»Nee, das warst du alleine.«
Jetzt kocht Himmelstoß auch. Tjaden kommt ihm jedoch eilig zuvor. Er muss seinen Spruch loswerden. »Was du bist, willst du wissen? Du bist ein Sauhund, das bist du! Das wollt ich dir schon lange mal sagen.« Die Genugtuung vieler Monate leuchtet ihm aus den blanken Schweinsaugen, als er den Sauhund hinausschmettert.
Auch Himmelstoß ist nun entfesselt: »Was willst du Mistköter*, du dreckiger Torfdeubel*? Stehen Sie auf, Knochen zusammen, wenn ein Vorgesetzter mit Ihnen spricht!«
Tjaden winkt großartig. »Sie können rühren, Himmelstoß. Wegtreten.«
Himmelstoß ist ein tobendes Exerzierreglement*. Der Kaiser könnte nicht beleidigter sein. Er heult: »Tjaden, ich befehle Ihnen dienstlich: Stehen Sie auf!«
»Sonst noch was?« fragt Tjaden.
»Wollen Sie meinem Befehl Folge leisten* oder nicht?«
Tjaden erwidert gelassen und abschließend, ohne es zu wissen, mit dem bekanntesten Klassikerzitat. Gleichzeitig lüftet er seine Kehrseite*.
Himmelstoß stürmt davon: »Sie kommen vors Kriegsgericht!«
Wir sehen ihn in der Richtung zur Schreibstube verschwinden.
Haie und Tjaden sind ein gewaltiges Torfstechergebrüll. Haie lacht so, dass er sich die Kinnlade* ausrenkt und mit offenem Maul plötzlich hilflos dasteht. Albert muss sie ihm mit einem Faustschlag erst wieder einsetzen.
Kat ist besorgt. »Wenn er dich meldet, wirds böse.«
»Meinst du, dass er es tut?« fragt Tjaden.
»Bestimmt«, sage ich.
»Das mindeste, was du kriegst, sind fünf Tage Dicken*«, erklärt Kat.
Das erschüttert Tjaden nicht. »Fünf Tage Kahn sind fünf Tage Ruhe.«
»Und wenn du auf Festung kommst?« forscht der gründlichere Müller.
»Dann ist der Krieg für mich so lange aus.«
Tjaden ist ein Sonntagskind*. Für ihn gibt es keine Sorgen. Mit Haie und Leer zieht er ab, damit man ihn nicht in der ersten Aufregung findet.
* * *Müller ist noch immer nicht zu Ende. Er nimmt sich wieder Kropp vor. »Albert, wenn du nun tatsächlich nach Hause kämst, was würdest du machen?«
Kropp ist jetzt satt und deshalb nachgiebiger. »Wieviel Mann wären wir dann eigentlich in der Klasse?«
Wir rechnen: von zwanzig sind sieben tot, vier verwundet, einer in der Irrenanstalt*. Es kämen höchstens also zwölf Mann zusammen.
»Drei sind davon Leutnants«, sagt Müller. »Glaubst du, dass sie sich von Kantorek anschnauzen ließen?«
»Wir glauben es nicht; wir würden uns auch nicht mehr anschnauzen lassen.«
»Was hältst du eigentlich von der dreifachen Hand-lung im Wilhelm Tell*?« erinnert sich Kropp mit einem Male und brüllt vor Lachen.
»Was waren die Ziele des Göttinger Hainbundes*?« forscht auch Müller plötzlich sehr streng.
»Wieviel Kinder hatte Karl der Kühne*?« erwidere ich ruhig.
»Aus Ihnen wird im Leben nichts, Bäumer«, quäkt Müller.
»Wann war die Schlacht bei Zama*?« will Kropp wissen.
»Ihnen fehlt der sittliche Ernst, Kropp, setzen Sie sich, drei minus «, winke ich ab.
»Welche Aufgaben hielt Lykurgus* für die wichtigsten im Staate?« wispert Müller und scheint an einem Kneifer zu rücken.
»Heißt es: Wir Deutsche fürchten Gott, sonst niemand in der Welt*, oder wir Deutschen?« gebe ich zu bedenken.
»Wieviel Einwohner hat Melbourne*?« zwitschert Müller zurück.
»Wie wollen Sie bloß im Leben bestehen, wenn Sie das nicht wissen?« frage ich Albert empört.
»Was versteht man unter Kohäsion*?« trumpft der nun auf.
Von dem ganzen Kram wissen wir nicht mehr allzuviel. Er hat uns auch nichts genutzt. Aber niemand hat uns in der Schule beigebracht, wie man bei Regen und Sturm eine Zigarette anzündet, wie man ein Feuer aus nassem Holz machen kann oder dass man ein Bajonett am besten in den Bauch stößt, weil es da nicht festklemmt wie bei den Rippen.
Müller sagt nachdenklich: »Was nutzt es. Wir werden doch wieder auf die Schulbank müssen.«
Ich halte es für ausgeschlossen. »Vielleicht machen wir ein Notexamen.«
»Dazu brauchst du Vorbereitung. Und wenn du es schon bestehst, was dann? Student sein ist nicht viel besser. Wenn du kein Geld hast, musst du auch büffeln*.«
»Etwas besser ist es. Aber Quatsch bleibt es trotzdem, was sie dir da eintrichtern.«
Kropp trifft unsere Stimmung:
»Wie kann man das ernst nehmen, wenn man hier draußen gewesen ist.«
»Aber du musst doch einen Beruf haben«, wendet Müller ein, als wäre er Kantorek in Person.
Albert reinigt sich die Nägel mit dem Messer. Wir sind erstaunt über dieses Stutzertum*. Aber es ist nur Nachdenklichkeit. Er schiebt das Messer weg und erklärt: »Das ist es ja. Kat und Detering und Haie werden wieder in ihren Beruf gehen, weil sie ihn schon vorher gehabt haben. Himmelstoß auch. Wir haben keinen gehabt. Wie sollen wir uns da nach diesem hier« er macht eine Bewegung zur Front »an einen gewöhnen.«
»Man müsste Rentier* sein und dann ganz allein in einem Walde wohnen können «, sage ich, schäme mich aber sofort über diesen Größenwahn.
»Was soll das bloß werden, wenn wir zurückkommen?« meint Müller, und selbst er ist betroffen.
Kropp zuckt die Achseln. »Ich weiß nicht. Erst mal da sein, dann wird sichs ja zeigen.«
Wir sind eigentlich alle ratlos. »Was könnte man denn machen?« frage ich.
»Ich habe zu nichts Lust«, antwortet Kropp müde. »Eines Tages bist du doch tot, was hast du da schon? Ich glaube nicht, dass wir überhaupt zurückkommen.«
»Wenn ich darüber nachdenke, Albert«, sage ich nach einer Weile und wälze mich auf den Rücken, »so möchte ich, wenn ich das Wort Friede höre, und es wäre wirklich so, irgend etwas Unausdenkbares tun, so steigt es mir zu Kopf. Etwas, weißt du, was wert ist, dass man hier im Schlamassel gelegen hat. Ich kann mir bloß nichts vorstellen. Was ich an Möglichem sehe, diesen ganzen Betrieb mit Beruf und Studium und Gehalt und so weiter das kotzt mich an, denn das war ja immer schon da und ist widerlich. Ich finde nichts ich finde nichts, Albert.«
Mit einemmal scheint mir alles aussichtslos und verzweifelt.
Kropp denkt ebenfalls darüber nach. Es wird überhaupt schwer werden mit uns allen. Ob die sich in der Heimat eigentlich nicht manchmal Sorgen machen deswegen? Zwei Jahre Schießen und Handgranaten das kann man doch nicht ausziehen wie einen Strumpf nachher «
Wir stimmen darin überein, dass es jedem ähnlich geht; nicht nur uns hier; überall, jedem, der in der gleichen Lage ist, dem einen mehr, dem andern weniger. Es ist das gemeinsame Schicksal unserer Generation.
Albert spricht es aus. »Der Krieg hat uns für alles verdorben.«
Er hat recht. Wir sind keine Jugend mehr. Wir wollen die Welt nicht mehr stürmen. Wir sind Flüchtende. Wir flüchten vor uns. Vor unserem Leben. Wir waren achtzehn Jahre und begannen die Welt und das Dasein zu lieben; wir mussten darauf schießen. Die erste Granate, die einschlug, traf in unser Herz. Wir sind abgeschlossen vom Tätigen, vom Streben, vom Fortschritt. Wir glauben nicht mehr daran; wir glauben an den Krieg.