Im Westen nichts Neues / На Западном фронте без перемен. Книга для чтения на немецком языке - Эрих Мария Ремарк 9 стр.


Die Schreibstube wird lebendig. Himmelstoß scheint sie alarmiert zu haben. An der Spitze der Kolonne trabt der dicke Feldwebel. Komisch, dass fast alle etatsmäßigen* Feldwebel dick sind.

Ihm folgt der rachedürstende Himmelstoß. Seine Stiefel glänzen in der Sonne.

Wir erheben uns. Der Spieß* schnauft:

»Wo ist Tjaden?«

Natürlich weiß es keiner. Himmelstoß glitzert uns böse an.

»Bestimmt wisst ihr es. Wollt es bloß nicht sagen. Raus mit der Sprache.«

Der Spieß sieht sich suchend um; Tjaden ist nirgendwo zu erblicken. Er versucht es andersherum. »In zehn Minuten soll Tjaden sich auf der Schreibstube melden.« Damit zieht er davon, Himmelstoß in seinem Kielwasser*.

»Ich habe das Gefühl, dass mir beim nächsten Schanzen eine Drahtrolle auf die Beine von Himmelstoß fallen wird«, vermutet Kropp.

»Wir werden an ihm noch viel Spaß haben«, lacht Müller. Das ist nun unser Ehrgeiz: einem Briefträger die Meinung stoßen.

Ich gehe in die Baracke und sage Tjaden Bescheid, damit er verschwindet. Dann wechseln wir unsern Platz und lagern uns wieder, um Karten zu spielen. Denn das können wir: Kartenspielen, fluchen und Krieg führen. Nicht viel für zwanzig Jahre zuviel für zwanzig Jahre.

Nach einer halben Stunde ist Himmelstoß erneut bei uns. Niemand beachtet ihn. Er fragt nach Tjaden. Wir zucken die Achseln.

»Ihr solltet ihn doch suchen«, beharrt er.

»Wieso ihr?« erkundigt sich Kropp.

»Na, ihr hier «

»Ich möchte Sie bitten, uns nicht zu duzen«, sagt Kropp wie ein Oberst*.

Himmelstoß fällt aus den Wolken*. »Wer duzt euch denn?«

»Sie!«

»Ich?«

»Ja.«

Es arbeitet in ihm. Er schielt Kropp misstrauisch an, weil er keine Ahnung hat, was der meint. Immerhin traut er sich in diesem Punkte nicht ganz und kommt uns entgegen. »Habt ihr ihn nicht gefunden?«

Kropp legt sich ins Gras und sagt: »Waren Sie schon mal hier draußen?«

»Das geht Sie gar nichts an«, bestimmt Himmelstoß. »Ich verlange Antwort.«

»Gemacht«, erwidert Kropp und erhebt sich. »Sehen Sie mal dorthin, wo die kleinen Wölkchen stehen. Das sind die Geschosse der Flaks. Da waren wir gestern. Fünf Tote, acht Verwundete. Dabei war es eigentlich ein Spaß. Wenn Sie nächstens mit rausgehen, werden die Mannschaften, bevor sie sterben, erst vor Sie hintreten, die Knochen zusammenreißen und zackig fragen: Bitte wegtreten zu dürfen! Bitte abkratzen zu dürfen! Auf Leute wie Sie haben wir hier gerade gewartet.«

Er setzt sich wieder, und Himmelstoß verschwindet wie ein Komet.

»Drei Tage Arrest«, vermutet Kat.

»Das nächstemal lege ich los«, sage ich zu Albert. Aber es ist Schluss. Dafür findet abends beim Appell eine Vernehmung statt. In der Schreibstube sitzt unser Leutnant Bertinck und lässt einen nach dem andern rufen.

Ich muss ebenfalls als Zeuge erscheinen und kläre auf, weshalb Tjaden rebelliert* hat. Die Bettnässergeschichte macht Eindruck. Himmelstoß wird herangeholt und ich wiederhole meine Aussagen.

»Stimmt das?« fragt Bertinck Himmelstoß.

Der windet sich und muss es schließlich zugeben, als Kropp die gleichen Angaben macht.

»Weshalb hat denn niemand das damals gemeldet?« fragt Bertinck.

Wir schweigen; er muss doch selbst wissen, was eine Beschwerde über solche Kleinigkeiten beim Kommiss für Zweck hat. Gibt es beim Kommiss überhaupt Beschwerden? Er sieht es wohl ein und kanzelt Himmelstoß zunächst ab, indem er ihm noch einmal energisch klarmacht, dass die Front kein Kasernenhof sei. Dann kommt in verstärktem Maße Tjaden an die Reihe, der eine ausgewachsene Predigt und drei Tage Mittelarrest erhält. Kropp diktiert er mit einem Augenzwinkern einen Tag Arrest.

»Geht nicht anders«, sagt er bedauernd zu ihm. Er ist ein vernünftiger Kerl.

Mittelarrest ist angenehm. Das Arrestlokal ist ein früherer Hühnerstall; da können beide Besuch empfangen, wir verstehen uns schon darauf, hinzukommen. Dicker Arrest wäre Keller gewesen. Früher wurden wir auch an einen Baum gebunden, doch das ist jetzt verboten. Manchmal werden wir schon wie Menschen behandelt.

Eine Stunde nachdem Tjaden und Kropp hinter ihren Drahtgittern sitzen, brechen wir zu ihnen auf. Tjaden begrüßt uns krähend.

Dann spielen wir bis in die Nacht Skat. Tjaden gewinnt natürlich, das dumme Luder*.

* * *

Beim Aufbrechen fragt Kat mich: »Was meinst du zu Gänsebraten?«

»Nicht schlecht«, finde ich.

Wir klettern auf eine Munitionskolonne. Die Fahrt kostet zwei Zigaretten. Kat hat sich den Ort genau gemerkt. Der Stall gehört einem Regimentsstab. Ich beschließe, die Gans zu holen, und lasse mir Instruktionen geben. Der Stall ist hinter der Mauer, nur mit einem Pflock* verschlossen.

Kat hält mir die Hände hin, ich stemme den Fuß hinein und klettere über die Mauer. Kat steht unterdessen Schmiere*.

Einige Minuten bleibe ich stehen, um die Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Dann erkenne ich den Stall. Leise schleiche ich mich heran, taste den Pflock ab, ziehe ihn weg und öffne die Tür.

Ich unterscheide zwei weiße Flecke. Zwei Gänse, das ist faul: fasst man die eine, so schreit die andere. Also beide wenn ich schnell bin, klappt es.

Mit einem Satz springe ich zu. Eine erwische ich sofort, einen Moment später die zweite. Wie verrückt haue ich die Köpfe gegen die Wand, um sie zu betäuben. Aber ich muss wohl nicht genügend Wucht haben. Die Biester räuspern sich und schlagen mit Füßen und Flügeln um sich. Ich kämpfe erbittert, aber, Donnerwetter, was hat so eine Gans für Kraft! Sie zerren, dass ich hin und her taumele. Im Dunkel sind diese weißen Lappen scheußlich, meine Arme haben Flügel gekriegt, beinahe habe ich Angst, dass ich mich zum Himmel erhebe, als hätte ich ein paar Fesselballons in den Pfoten.

Da geht auch schon der Lärm los; einer der Hälse hat Luft geschnappt und schnarrt wie eine Weckuhr. Ehe ich mich versehe, tappt es draußen heran, ich bekomme einen Stoß, liege am Boden und höre wütendes Knurren. Ein Hund.

Ich blicke zur Seite; da schnappt er schon nach meinem Halse. Sofort liege ich still und ziehe vor allem das Kinn an den Kragen.

Es ist eine Dogge. Nach einer Ewigkeit nimmt sie den Kopf zurück und setzt sich neben mich. Doch wenn ich versuche, mich zu bewegen, knurrt sie. Ich überlege. Das einzige, was ich tun kann, ist, dass ich meinen kleinen Revolver zu fassen kriege. Fort muss ich hier auf jeden Fall, ehe Leute kommen. Zentimeterweise schiebe ich die Hand heran.

Ich habe das Gefühl, dass es Stunden dauert. Immer eine leise Bewegung und ein gefährliches Knurren; Stilliegen und erneuter Versuch. Als ich den Revolver in der Hand habe, fängt sie an zu zittern. Ich drücke sie auf den Boden und mache mir klar: Revolver hochreißen, schießen, ehe er zufassen kann, und türmen.

Langsam hole ich Atem und werde ruhiger. Dann halte ich die Luft an, zucke den Revolver hoch, es knallt, die Dogge spritzt jaulend zur Seite, ich gewinne die Tür des Stalles und purzele über eine der geflüchteten Gänse.

Im Galopp greife ich schnell noch zu, schmeiße sie mit einem Schwung über die Mauer und klettere selbst hoch. Ich bin noch nicht hinüber, da ist die Dogge auch schon wieder munter und springt nach mir. Rasch lasse ich mich fallen. Zehn Schritt vor mir steht Kat, die Gans im Arm. Sowie er mich sieht, laufen wir.

Endlich können wir verschnaufen. Die Gans ist tot, Kat hat das in einem Moment erledigt. Wir wollen sie gleich braten, damit keiner etwas merkt. Ich hole Töpfe und Holz aus der Baracke, und wir kriechen in einen kleinen verlassenen Schuppen*, den wir für solche Zwecke kennen. Die einzige Fensterluke wird dicht verhängt. Eine Art Herd ist vorhanden, auf Backsteinen liegt eine eiserne Platte. Wir zünden ein Feuer an.

КОНЕЦ ОЗНАКОМИТЕЛЬНОГО ОТРЫВКА

Kat rupft* die Gans und bereitet sie zu. Die Federn legen wir sorgfältig beiseite. Wir wollen uns zwei kleine Kissen daraus machen mit der Aufschrift: »Ruhe sanft im Trommelfeuer!«

Das Artilleriefeuer der Front umsummt unsern Zufluchtsort. Lichtschein flackert über unsere Gesichter, Schatten tanzen auf der Wand. Manchmal ein dumpfer Krach, dann zittert der Schuppen. Fliegerbomben. Einmal hören wir gedämpfte Schreie. Eine Baracke muss getroffen sein.

Flugzeuge surren; das Tacktack von Maschinengewehren* wird laut. Aber von uns dringt kein Licht hinaus, das zu sehen wäre.

So sitzen wir uns gegenüber, Kat und ich, zwei Soldaten in abgeschabten Röcken, die eine Gans braten, mitten in der Nacht. Wir reden nicht viel, aber wir sind voll zarterer Rücksicht miteinander, als ich mir denke, dass Liebende es sein können. Wir sind zwei Menschen, zwei winzige Funken Leben, draußen ist die Nacht und der Kreis des Todes. Wir sitzen an ihrem Rande, gefährdet und geborgen, über unsere Hände trieft Fett, wir sind uns nahe mit unseren Herzen, und die Stunde ist wie der Raum: überflackert von einem sanften Feuer, gehen die Lichter und Schatten der Empfindungen hin und her. Was weiß er von mir was weiß ich von ihm, früher wäre keiner unserer Gedanken ähnlich gewesen jetzt sitzen wir vor einer Gans und fühlen unser Dasein und sind uns so nahe, dass wir nicht darüber sprechen mögen.

Es dauert lange, eine Gans zu braten, auch wenn sie jung und fett ist. Wir wechseln uns deshalb ab. Einer begießt sie, während der andere unterdessen schläft. Ein herrlicher Duft verbreitet sich allmählich.

Die Geräusche von draußen werden zu einem Band, zu einem Traum, der aber die Erinnerung nicht ganz verliert. Ich sehe im Halbschlaf Kat den Löffel heben und senken, ich liebe ihn, seine Schultern, seine eckige, gebeugte Gestalt und zu gleicher Zeit sehe ich hinter ihm Wälder und Sterne, und eine gute Stimme sagt Worte, die mir Ruhe geben, mir, einem Soldaten, der mit seinen großen Stiefeln und seinem Koppel und seinem Brotbeutel klein unter dem hohen Himmel den Weg geht, der vor ihm liegt, der rasch vergisst und nur selten noch traurig ist, der immer weitergeht unter dem großen Nachthimmel.

Ein kleiner Soldat und eine gute Stimme, und wenn man ihn streicheln würde, könnte er es vielleicht nicht mehr verstehen, der Soldat mit den großen Stiefeln und dem zugeschütteten Herzen, der marschiert, weil er Stiefel trägt, und alles vergessen hat außer dem Marschieren. Sind am Horizont nicht Blumen und eine Landschaft, die so still ist, dass er weinen möchte, der Soldat? Stehen dort nicht Bilder, die er nicht verloren hat, weil er sie nie besessen hat, verwirrend, aber dennoch für ihn vorüber? Stehen dort nicht seine zwanzig Jahre?

Ist mein Gesicht nass, und wo bin ich? Kat steht vor mir, sein riesiger gebückter Schatten fällt über mich wie eine Heimat. Er spricht leise, er lächelt und geht zum Feuer zurück.

Dann sagt er: »Es ist fertig.«

»Ja, Kat.«

Ich schüttele mich. In der Mitte des Raumes leuchtet der braune Braten. Wir holen unsere zusammenklappbaren Gabeln und unsere Taschenmesser heraus und schneiden uns jeder eine Keule ab. Dazu essen wir Kommissbrot, das wir in die Soße tunken. Wir essen langsam, mit vollem Genuss.

»Schmeckt es, Kat?«

»Gut! Dir auch?«

»Gut, Kat.«

Wir sind Brüder und schieben uns gegenseitig die besten Stücke zu. Hinterher rauche ich eine Zigarette,

Kat eine Zigarre. Es ist noch viel übriggeblieben.

»Wie wäre es, Kat, wenn wir Kropp und Tjaden ein Stück brächten?«

»Gemacht«, sagt er. Wir schneiden eine Portion ab und wickeln sie sorgfältig in Zeitungspapier. Den Rest wollen wir eigentlich in unsere Baracke tragen, aber Kat lacht und sagt nur: »Tjaden.«

Ich sehe es ein, wir müssen alles mitnehmen. So machen wir uns auf den Weg zum Hühnerstall, um die beiden zu wecken. Vorher packen wir noch die Federn weg.

Kropp und Tjaden halten uns für eine Fata Morgana*. Dann knirschen ihre Gebisse. Tjaden hat einen Flügel mit beiden Händen wie eine Mundharmonika im Munde und kaut. Er säuft das Fett aus dem Topf und schmatzt: »Das vergesse ich euch nie!«

Wir gehen zu unserer Baracke. Da ist der hohe Himmel wieder mit den Sternen und der beginnenden Dämmerung, und ich gehe darunter hin, ein Soldat mit großen Stiefeln und vollem Magen, ein kleiner Soldat in der Frühe aber neben mir, gebeugt und eckig, geht Kat, mein Kamerad.

Die Umrisse der Baracke kommen in der Dämmerung auf uns zu wie ein schwarzer, guter Schlaf.

Aufgaben zum Text

1. Welches Gerücht ist Wahrheit geworden?

2. Warum nennen die Freunde den Krieg verdammten Lausekrieg?

3. Wovon träumen die Jungen?

4. Warum hat Tjaden 3 Tage Arrest gekriegt?

5. Wie verstehen Sie Alberts Gedanken: Der Krieg hat uns für alles verdorben? Hat er recht?

6. Erläutern Sie die Herkunft der Aufschrift Ruhe sanft im Trommelfeuer!

7. Wie glauben Sie, warum gebraucht der Autor das Wort Kamerad statt des Wortes Freund, wenn er die Beziehungen der Jungen beschreibt: aber neben mir, gebeugt und eckig, geht Kat, mein Kamerad?

Texterläuterungen

Laus, die ein kleines Insekt, das vom Blut von Menschen und Tieren oder vom Saft von Pflanzen lebt

Thourhout eine Stadt in Westflandern

das Genick jemandem brechen jemanden / jemandes Karriere ruinieren

Tribut, der eine Art Steuer, die der Besiegte nach einem Krieg dem Sieger zahlen musste

nach Muttern nach Hause

requierieren beschlagnehmen, besorgen (für Truppen)

Feger, die die Straßendirne

Kinners (niederdeutsch) Kinder

einen Vogel haben (gespr., pej.) seltsame, verrückte Ideen haben

Landjäger, der Polizist auf dem Lande, Gendarm

traktieren bewirten

erbost wütend, ärgerlich

wortkarg <ein Mensch> so, dass er wenig spricht

oldenburgisch zu Oldenburg: Verwaltungsbezirk im Westen des Landes Niedersachsen

schleifen Soldaten (besonders Rekruten) sehr hart und lange üben lassen

Mistköter, der verwendet als Schimpfwort für jemanden, auf den man wütend ist

Torfdeubel, der (Schimpfwort) ein schmutziger Mensch

Reglement, das die Regeln und Vorschriften

Folge leisten einen Befehl, einen Rat akzeptieren und befolgen

Kehrseite, die der Rücken oder das Gesäß

Kinnlade, die Unterkiefer

Dicke, Kahn, der der strenge Arrest

Sonntagskind, das am Sonntag geborener Mensch und daher (nach dem Volksglauben) besonders vom Schicksal begüngstigter Mensch

Irrenanstalt, die Nervenklinik

Wilhelm Tell sagenhafter Nationalheld der Schweiz; Schillers Drama

Göttinger Hainbund Freundeskreis patriotisch gesinnter, dichtender Studenten in Göttingen (gegründet 1772)

Karl der Kühne (14331477) Herzog von Burgund, der zu seinen Erblanden Elsaß, Breisgau und Geldern gewann

Schlacht bei Zama fand 202 statt, Krieg der Römer gegen die Karthager um die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeer; Zama antike Stadt in Nordafrika

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