Nachtfalke strich mit seinen Fingerrücken über ihre weiche Wange, wo Nil sie geschlagen und einen Bluterguss hinterlassen hatte. Craven hatte gesagt, dass das Streicheln eines Liebhabers sie heilen konnte. Musste man eine Seele haben, um zu lieben? Vermutlich, denn er hatte dieses Gefühl nicht mehr verspürt, seit er vor mehreren Jahrzehnten wirklich gestorben war. Er musste sich sehr anstrengen, um überhaupt ein Gefühl zu verspüren, abgesehen von Taubheit.
Nachdem er sie sanft wieder auf das Kissen gelegt hatte, richtete Nachtfalke sich auf und schielte über seine Schulter auf die Seele, die ihn verfolgt hatte, seit er zum Haus zurückgekommen war.
âDu gehörst ihr⦠nicht wahr?â
Carley zuckte überrascht zusammen, denn ihr war nicht klar gewesen, dass der Indianer sie die ganze Zeit über wahrgenommen hatte. Sie richtete ihren Blick scharf auf ihn. Er hatte sie einfach ignoriert, während sie geschrien und gewinkt hatte⦠dieser Idiot. Ihre Gesichtszüge wurden weicher⦠sie hatte nach einer Weile mit dem Schreien aufgehört, nachdem sie gesehen hatte, wie er sich so rührend um Tiara kümmerte.
Langsam näherte sie sich und schwebte neben Tiara, so als würde sie auf der Bettkante sitzen. Es machte keinen Sinn, sich vor ihm zu verstecken⦠er könnte ihr ja doch nichts antun, selbst wenn er es wollte⦠was sie bezweifelte.
âMan könnte meinen, dass ich ihr gehöre⦠aber das tue ich nichtâ, antwortete Carley ehrlich, während sie ihre Hand nach Tiaras langem Haar ausstreckte und sich vorstellte, wie es sich anfühlen würde, wenn sie noch am Leben wäre. Sie war noch nicht lange genug tot, um das Gefühl einer Berührung vergessen zu haben.
âWieso bist du ihr dann gefolgt?â, fragte er.
Carley sah zu ihm hoch und hob herausfordernd ihr Kinn. âSie ist meine Freundin⦠ich will wissen, dass sie in Sicherheit ist.â
Nachtfalke nickte, respektierte die Antwort. âUnd Cravens Magie hat keinen Einfluss auf dich, selbst nicht hier innerhalb dieser Wände?â
Es schien, als wäre die Frage dem Indianer wichtig, also schüttelte Carley ihren Kopf, während sie auf ihre Freundin schielte. âDurch Tiara kann Geisterbeschwörung mich nicht mehr verletzen oder kontrollieren. Dafür bin ich ihr zutiefst dankbar, also bitte tu ihr nichts an.â
Nachtfalke fühlte, wie seine Brust voller Hoffnung anschwoll. Das Gefühl verschwand schnell wieder, aber es war genug gewesen, um ihn auf den Geschmack zu bringen. Das war alles, was er sich je gewünscht hatte⦠nie wieder von einem Dämon gerufen zu werden.
âWir haben nicht vor, ihr etwas anzutun. Es war ihr Wunsch, mit uns zu kommen, und wir fühlen uns dadurch geehrt. Wenn du mir nicht glaubst, dann kannst du bleiben, bis sie aufwacht, und sie selbst fragen.â Er sagte nur die Wahrheit⦠die eine Eigenschaft, die er von seinem Leben mitgenommen hatte.
âAber wer hat sie verletzt?â, fragte Carley, die wusste, dass es nicht der Mann gewesen war, der neben ihr stand, aber die schnell heilenden Blutergüsse auf Tiara waren eindeutige Anzeichen für böse Absichten.
âDer Dämon, gegen den sie am Friedhof kämpfte, hat es getan. Craven hat sie vor ihm gerettetâ, antwortete Nachtfalke, während er zum Fenster trat und sich dort auf einen Stuhl setzte, wo die Sonne ihn erreichen konnte. Dies war einer der wenigen Räume in dem Haus, wo die Fenster nicht schwarz gestrichen waren. Nachtfalke versuchte, sich daran zu erinnern, ob er je das Sonnenlicht genossen hatte, oder nicht⦠er nahm an, dass er es getan hatte.
Carley runzelte die Stirn, als er sein Gesicht dem Fenster zuwandte, wie um zu zeigen, dass er das Interesse an ihr und der Unterhaltung verloren hatte. âUnd Craven war der Dämon, der mit dir war? Wäre das dann auch derselbe, der das Haus mit so vielen Monstern bevölkert hat? Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Tiara das gutheiÃen würde.â
Sie streckte ihre Hand aus und legte sie auf die von Tiara, auch wenn sie geradewegs durch ihren Körper griff. âUnd wieso sollte sie uns verlassen⦠ihre Freunde, um bei einem Dämon zu bleiben?â
âSie und Craven sind blutsverwandt. Du würdest Craven ihren Onkel nennen, aber in Cravens Augen ist das Kind seines Bruders ebenso sein eigenes Kind. Darum wird er sie nicht verletzen. Sie ist keine Gefangene hier und sie wird nicht gezwungen werden, zu bleiben. Wenn sie wieder gesund ist⦠wenn sie sich entscheidet, zu gehen, dann werde ich als ihr Beschützer mit ihr gehen.â
âWieso solltest du das tun?â, fragte Carley. Es war Craven, der mit ihr verwandt war⦠nicht der Indianer. âHat Craven es dir aufgetragen?â
âNein, Craven hat keine Kontrolle mehr über michâ, antwortete er, ohne sie anzusehen. âIch bin ein Nachtwandler und sie ist die einzige, die mir meine Seele zurückgeben kann.â
Carleys Unterkiefer sackte ein Stück hinunter⦠ein Nachwandler? Nun, das war wirklich mächtige Magie. Sie dachte wieder an die Mythen und Legenden, die sie gelesen hatte, und selbst diese alten Schriften erwähnten sie kaum.
Soweit sie sich erinnern konnte, entstand ein Nachtwandler aus einem Menschen, der während seines menschlichen Lebens von mystischen Mächten besessen war, und der nach seinem Tod von einem mächtigen Zauberer wiedererweckt wurde, wie ein Zombie. Aber das war nur der erste Schritt auf dem Weg zu einem vollständig entwickelten Nachtwandler.
Anders als die meisten Zombies konnten sie ihre eigene Macht nutzen, um ihren Geist und ihr Herz wiederzuerlangen. Man sagte, dass sie seelenlos waren, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, welche Mächte ein Nachtwandler besaÃ, oder ob es überhaupt eine Grenze gab, was seine Fähigkeiten betraf.
Ihr Blick ging nachdenklich in die Ferne, als sie sich nicht daran erinnern konnte, dass sie je etwas darüber gelesen hatte, dass ein Nachtwandler seine Seele wiedererlangte. War das überhaupt möglich?
âIst deine Seele nicht im nächsten Leben?â, fragte Carley neugierig.
âNein, sie ist an mein Grab gebundenâ, antwortete Nachtfalke und verschwand in der Geisterwelt.
Carley verschlug es die Sprache. An das Grab gebunden? Sie erschauderte bei dem Gedanken, an den Erdboden gefesselt zu sein, anstatt frei, so wie sie jetzt war. Als sie ihren Blick zum Boden senkte, bemerkte sie, dass Nachtfalkes Gestalt vielleicht verschwunden war, aber sie konnte ihn noch immer im Zimmer fühlen.
Während sie wieder Tiara betrachtete, entschied Carley, dass sie ihn nicht weiter mit Fragen löchern wollte⦠gönnte ihm die Ruhe, um die er still gebeten hatte.
Kapitel 2
Mitten in dem Chaos auf dem Hollywood Friedhof sah Michael hinunter auf die toten Spinnan zu seinen FüÃen, während er sich seine Hände an seinem Mantel abwischte.
âDas war lustigâ, murmelte er. Er schielte gerade rechtzeitig hoch, um zu sehen, wie Kane den Kopf eines anderen Dämons abriss und ihn über seine Schulter warf. Michael machte schnell einen Schritt zur Seite, um dem fliegenden Kopf auszuweichen und starrte wütend auf Kanes Rücken.
âEntschuldigung!â, rief Michael. âIch habe den Kampf überstanden, ohne schmutzig zu werden⦠und ich würde das gerne so beibehalten.â
Kane grinste ihn über seine Schulter an. âDu bist schnell genug, um auszuweichen, wenn etwas auf dich geworfen wird.â
Tabatha seufzte, denn die Anzahl ekelhafter Dinge, die sie heute gesehen hatte, genügte für ihr ganzes Leben. Und jetzt erschien es, als würden die Jungs einfach damit spielen. âWenn ich es nicht besser wüsste, Kane, würde ich schwören, dass es dir viel zu viel Spaà macht, diese Dinger umzubringen.â
âNun, ich habe noch nie gehörtâ¦â Er hielt plötzlich inne und dachte einen Moment lang nach, dann sah er sich zwischen den toten Dämonen um und richtete seinen Blick schlieÃlich wieder auf Tabatha. âDu hast Recht, ich habe SpaÃ.â Er zuckte mitleidslos seine Schultern.
âErinnerst du dich daran, was du mit uns und einer Kamera wolltest?â, fragte Tabatha mit verführerischer Stimme.
Kane lieà den kopflosen Dämon zu Boden fallen und lieà seinen Blick vielsagend über den Körper seiner Partnerin wandern. âJa⦠ich erinnere mich.â
âKeine Kameraâ, knurrte Tabatha und drehte sich um, um wegzugehen.
Michael lachte über den überrumpelten Blick auf Kanes Gesicht, bevor der blonde Vampir seiner Partnerin nachlief.
âWarteâ, rief Kane. âIch nehme es zurück⦠es macht mir überhaupt keinen SpaÃ.â Er schwieg lange genug, um seine Hand durch einen Krabbler zu boxen, der neben ihm rannte. âSie nerven⦠verstehst du?â
Angelica hob eine Augenbraue, aber insgeheim wollte sie lachen. Sie unterdrückte den Drang und musterte Syn mit einem neugierigen Blick. âDeine Söhne sind⦠interessant.â
âSie müssen erst erwachsen werdenâ, erklärte Syn mit ernstem Gesicht. âDas⦠und sie brauchen ihre Mutter.â
Michael warf Syn einen pikierten Blick zu, denn er hatte die Bemerkung gehört. âIch bin schon erwachsen, danke schön.â Nach dieser Feststellung stampfte er davon wie ein Kind, das einen Wutanfall hatte, und murmelte vor sich hin. Im Vorbeigehen trat Michael nach dem Kopf, den Kane auf ihn geworfen hatte, sodass dieser wieder durch die Luft flog. Er landete in einer kleinen Baumgruppe, gefolgt von einem lauten Schrei.
âWer, zur Hölle, wirft hier mit Dämonenköpfen?â ertönte Jasons wütende Stimme.
Michael erstarrte einen Moment lang, zog den Kopf ein und beschloss, Leine zu ziehen. âIch werde nachsehen, was Kane treibtâ, erklärte Michael, während er an Syn und Angelica vorbei weg von den Bäumen rannte.
âKein Kommentarâ, sagte Syn verschwörerisch, sodass Angelica den Kopf abwandte, um ihr Grinsen zu verbergen.
*****
âHabt ihr das gesehen?â, kam Nicks Stimme von hinter der Gruft. âIch habe gerade einen Kopf vorbeifliegen gesehen.â
Ungefähr zu dieser Zeit stolperte ein Krabbler hinter einer Ecke hervor, der versuchte, dem Tod zu entrinnen. Es war irgendwie lustig, ein Monster mit einem verängstigten Gesichtsausdruck zu sehen.
âJa Nick, ich habe ihn gesehenâ, antwortete Kriss, als er um dieselbe Ecke bog.
Nick schoss auf die Beine des Krabblers, sein Gesichtsausdruck leicht sadistisch. âKomm schon, zeig uns, ob du tanzen kannst.â
âNick, hör auf, mit dem verdammten Ding zu spielenâ; knurrte Steven und verdrehte dann die Augen, als ihm klar wurde, dass er ein Monster verteidigte.
Jewel trat näher an den Krabbler und schoss mit ihrem Gewehr den Kopf von seinen Schultern, ehe sie Nick ein süÃes Lächeln schenkte: âIch glaube, dein Tanzpartner ist gerade gestorben.â
âHe-ee!â, jammerte Nick. âDer gehörte mir.â
âGenau genommen gehörte er mirâ, sagte Kriss, seine Arme vor der Brust verschränkt. âVor wem, meinst du, rannte er weg?â
âZu viele Jäger und nicht mehr genug Beuteâ, sagte Dean, als er aus dem Schatten eines nahen Baumes trat.
âZumindest ist Nick den Arm losgewordenâ, murmelte Steven und lieà seinen Körper sichtbar erschaudern, als er hinzufügte: âIgitt.â
Kriss verzog das Gesicht. âErwähne den Arm⦠NIE wieder.â
âWieso?â, fragte Jewel, die den Scherz nicht verstand.
Nick grinste. âNun, ichâ¦â
Kriss wandte sich zu ihm um und knurrte: âSag noch ein Wort und ich schenke dir höchstpersönlich einen Ausflug zum Heiligen Josef, ohne Rückfahrt.â
Dean grinste. âFordere ihn nicht heraus, Kätzchen⦠er sieht wütend genug aus, um ernst zu machen.â
Kriss sah hinüber zu Dean und seine Augenbrauen hoben sich bis zu seinem Haaransatz, als er das Verlangen in Deans Augen leuchten sah. Er konnte nicht anders⦠sein Blick glitt tiefer über Deans Körper und seine Wangen erröteten leicht, als er schnell wieder wegsah.
Jewel lächelte, denn sie hatte erkannt, woran die beiden Männer dachten. Steven und Nick andererseits, hatten keine Ahnung.
Deans Augen wurden einen Ton dunkler, als er Krissâ Reaktion auf ihn sah. Er trat hinter den anderen Gefallenen Engel, schlang einen Arm um Krissâ Hüfte und legte seine Lippen an dessen sensibles Ohr. âIch glaube, ihr kommt jetzt alleine klar.â Er lächelte, als Kriss leicht zitterte, wo sein warmer Atem über ihn strich.
Die drei anderen blinzelten, als die beiden Gefallenen Engel sich einfach in Luft auflösten.
âWie machen sie das?â, fragte Steven leise.
âIch weià es nichtâ, antwortete Nick, während er versuchte, das Bild davon, wie Dean Kriss so festgehalten hatte, zu verdrängen.
Schritte auf der anderen Seite lieÃen sie hochsehen, als Quinn und Kat hinter der Gruft zum Vorschein kamen.
âNun, dann sind wir schon fast alleâ, sagte Nick. âVon mir aus können wir den Rest dieser Sauerei dem TEP überlassen.â
âDann fehlen nur noch Envy und Devonâ, sagte Steven.
Jewel schaute sich um. âIch frage mich, wo sie stecken.â
âDas letzte Mal, wo ich sie gesehen habe, waren sie zusammen mit Envys Bruder und unserem bewaffneten Lieblingskuschelbären. Ich bin sicher, einer von ihnen kann sie nach Hause fahrenâ, erklärte Nick. âAlso wer bei mir mitfährt, der Zug fährt nun ab.â
âWollen wir?â, fragte Quinn Kat, während er einen Arm um ihre Hüfte legte. âWird aber auch Zeitâ, antwortete Kat lächelnd. Sie hatten heute Nacht fantastisch zusammengearbeitet, aber nach all dem Kämpfen war sie nun in der Laune für andere Dinge.
Steven legte seinen Arm um Jewels Schultern und steuerte sie auf den Haupteingang des Friedhofs zu.
Nick verdrehte die Augen. Er fühlte sich langsam wie ein fünftes Rad am Wagen.
In einer anderen Gegend des Friedhofs wanderten die vier Leute, von denen die Rede gewesen war, zwischen den Gräbern umher und zerstörten einen Dämon nach dem anderen. Trevor hatte sein Handy mit der Schulter an sein Ohr geklemmt und gab den Leuten, die er in der Umgebung verteilt hatte, Anweisungen.
âJa, wir werden ein paar StraÃensperren brauchen, um die Menschen vom Hollywood-Friedhof fernzuhalten. Stellen Sie sicher, dass auch alle SeitenstraÃen abgedeckt sind.â Trevor schwieg eine Minute, während der Polizist am anderen Ende der Leitung sprach.