Bestimmt - Морган Райс 4 стр.


Doch dann gebot sie sich selbst Einhalt, denn es führte zu nichts, wenn sie diese Gedanken weiterverfolgte. Die Dinge hatten sich endgültig geändert, und nichts würde mehr so sein wie zuvor. Sie rief sich ins Gedächtnis, dass der Wandel jetzt ihre neue Normalität war. Nie wieder würde sie das alte, durchschnittliche Menschenmädchen Caitlin sein. Inzwischen war sie älter und weiser. Und auch wenn ihr der Gedanke nicht behagte – sie war auf einer ganz speziellen Mission, die sie einfach akzeptieren musste.

»Aber worin besteht meine Pilgerschaft?«, wollte Caitlin wissen. »Was ist meine Bestimmung? Wohin genau reise ich überhaupt?«

Er ging voraus zum Ende des letzten Ganges und blieb dann vor einem großen, kunstvoll verzierten Grabmal stehen.

Als Caitlin die Energie spürte, die von dem Grab ausging, war ihr sofort klar, dass es sich um das Grab des heiligen Franz von Assisi handeln musste. Durch die bloße Nähe zu der Grabstätte wurden ihre Kräfte aufgeladen – sie wurde zunehmend stärker und hatte das Gefühl, bald wieder sie selbst zu sein. Erneut fragte sie sich, ob sie als Mensch oder als Vampir zurückgekehrt war. Sie vermisste ihre Kräfte sehr.

»Du bist immer noch ein Vampir«, sagte der Priester. »Mach dir keine Sorgen. Es dauert einfach eine Weile, bis du wieder du selbst wirst.«

Obwohl es ihr peinlich war, dass sie schon wieder vergessen hatte, ihre Gedanken zu schützen, fühlte sie sich durch seine Worte getröstet.

»Du bist eine ganze besondere Person, Caitlin«, sagte er eindringlich. »Wir Vampire brauchen dich dringend. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass ohne dich unsere ganze Gattung und auch die Menschheit vom Aussterben bedroht sind. Wir brauchen dich. Wir brauchen deine Hilfe.«

»Aber was soll ich denn tun?«, fragte sie verzagt.

»Wir sind darauf angewiesen, dass du den Schutzschild findest«, erklärte er. »Und um dem Schild auf die Spur zu kommen, musst du zuerst deinen Vater aufspüren. Nur er – einzig und allein er – weiß, wo es ist. Und um ihn zu finden, musst du deinen Clan suchen. Deinen richtigen Clan.«

»Aber ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll«, erwiderte sie. »Ich weiß ja nicht mal, warum ich an diesem Ort und in dieser Zeit gelandet bin. Warum Italien? Warum im Jahr 1790?«

»Die Antworten auf diese Fragen musst du selbst herausfinden. Aber ich kann dir versichern, dass es ganz besondere Gründe dafür gibt, warum du in dieser Zeit wieder aufgetaucht bist. Du wirst ganz spezielle Leute treffen und ganz besondere Aufgaben erfüllen. Und dieser Ort hier und diese Zeit werden dich zu dem Schild führen.«

Caitlin überlegte.

»Aber ich weiß doch gar nicht, wo mein Vater ist. Und ich weiß immer noch nicht, wo ich anfangen soll.«

Lächelnd sah er sie an. »Doch, du weißt es«, widersprach er. »Das ist dein Problem, du vertraust deiner Intuition nicht. Du musst lernen, tief in deinem Inneren zu suchen. Probier es aus, jetzt gleich. Schließ die Augen und atme tief und gleichmäßig.«

Caitlin tat, was er ihr geraten hatte.

»Stell dir die Frage: Wohin muss ich als Nächstes gehen?«

Caitlin zerbrach sich den Kopf, doch nichts geschah.

»Lausche dem Geräusch deines Atems. Werde innerlich ganz ruhig.«

Als Caitlin seiner Anweisung folgte und es tatsächlich schaffte, sich zu konzentrieren und gleichzeitig zu entspannen, blitzten in ihrem Kopf plötzlich Bilder auf. Schließlich schlug sie die Augen wieder auf und sah ihn an.

»Ich sehe zwei Orte«, sagte sie. »Florenz und Venedig.«

»Gut«, antwortete er. »Sehr gut.«

»Aber ich bin verwirrt. Wohin soll ich denn jetzt zuerst gehen?«

»Bei einer Reise gibt es keine falsche Wahl. Jeder Weg bringt uns nur an einen anderen Ort. Die Entscheidung liegt ganz bei dir. Deine Bestimmung ist sehr stark, aber trotzdem hast du Willensfreiheit. Du kannst bei jedem Schritt wählen. Jetzt zum Beispiel stehst du vor einer sehr wichtigen Entscheidung. In Florenz wirst du deinen Verpflichtungen nachkommen und dem Schutzschild ein Stück näherkommen. Das ist das, was gebraucht wird. Doch in Venedig geht es um eine Herzensangelegenheit. Also musst du zwischen deiner Mission und deinem Herzen wählen.«

Caitlins Herz schlug schneller.

Herzensangelegenheit. Hieß das, dass Caleb in Venedig war?

Ihr Herz zog sie nach Venedig, doch ihr Verstand sagte ihr, dass Venedig der Ort war, an dem sie sein sollte, um ihren Auftrag zu erfüllen.

Sie fühlte sich hin- und hergerissen.

»Du bist jetzt eine erwachsene Frau«, fuhr der Priester fort. »Du triffst deine Wahl. Doch wenn du der Stimme deines Herzens folgst, wird Leid daraus entstehen«, warnte er. »Der Weg des Herzens ist nie leicht – und auch nie so, wie man es erwartet.«

»Ich bin völlig durcheinander«, gestand sie hilflos.

»Wir arbeiten am besten, wenn wir träumen«, sagte er. »Nebenan befindet sich ein Kloster, in dem du übernachten kannst. Triff deine Entscheidung einfach morgen. Bis dahin wirst du auch wieder vollkommen wiederhergestellt sein.«

»Danke«, sagte sie, ergriff seine Hand und drückte sie.

Als er sich umdrehte, um zu gehen, schlug ihr Herz heftig. Es gab noch eine letzte Frage, die sie ihm unbedingt stellen musste – die wichtigste von allen. Aber ein Teil von ihr hatte große Angst davor. Zitternd öffnete sie den Mund, um zu sprechen, aber er war so trocken, dass kein Ton herauskam.

Er ging den Gang entlang und war schon fast verschwunden, als sie schließlich den Mut aufbrachte.

»Warten Sie!«, rief sie. Dann fügte sie leiser hinzu: »Bitte, ich habe noch eine Frage.«

Er blieb stehen, wandte sich jedoch nicht zu ihr um. Er schien zu wissen, was sie fragen wollte.

»Mein Baby«, stieß sie mit bebender Stimme hervor. »Hat er … sie … es überlebt? Die Reise? Bin ich noch schwanger?«

Jetzt drehte er sich langsam um und sah sie an. Dann senkte er den Blick.

»Es tut mir leid«, antwortete er dann so leise, dass sie ihn kaum verstand. »Du bist in die Vergangenheit gereist. Kinder können nur vorwärtsgehen. Dein Kind lebt, aber nicht in dieser Zeit, sondern in der Zukunft.«

»Aber …«, widersprach sie aufgewühlt. »Ich dachte, Vampire können nur in die Vergangenheit reisen, nicht in die Zukunft.«

»Das stimmt. Ich fürchte, dein Kind lebt ohne dich in einer anderen Zeit an einem anderen Ort.« Erneut schlug er die Augen nieder. »Es tut mir so leid«, fügte er hinzu.

Mit diesen abschließenden Worten drehte er sich um und verschwand endgültig.

Und Caitlin fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Dolch mitten ins Herz gestoßen.

4. Kapitel

Caitlin saß in einem kahlen Zimmer des Franziskanerklosters und sah aus dem offenen Fenster in die Nacht hinaus. Irgendwann hatte sie schließlich aufgehört zu weinen. Es war schon Stunden her, seit der Priester sie verlassen hatte, seit sie die Nachricht über ihr verlorenes Kind erfahren hatte. Sie hatte es nicht geschafft, den Tränenstrom zu stoppen oder die Gedanken an das Leben, das sie hätte führen können, zu verdrängen. Der Verlust war einfach zu schmerzhaft.

Doch nach vielen Stunden hatte sie sich ausgeweint, und die Tränen auf ihren Wangen waren getrocknet. Jetzt blickte sie aus dem Fenster und atmete tief ein und aus.

Umbrien breitete sich vor ihr aus, von ihrem Aussichtspunkt hoch oben auf einer Anhöhe konnte sie die Hügel von Assisi sehen. Der Vollmond schien und spendete genug Helligkeit, sodass sie erkennen konnte, wie wunderschön die Landschaft war. Kleine Landhäuschen waren wie kleine Tupfen zwischen den Feldern verteilt, und aus den Schornsteinen stieg Rauch auf. Schon jetzt spürte sie, dass diese Epoche ruhiger und entspannter war als das einundzwanzigste Jahrhundert.

Dann drehte Caitlin sich um und betrachtete ihr kleines Zimmer, das nur durch den Mondschein und eine kleine Kerze in einem Wandhalter erhellt wurde. Wände, Decke und Boden waren aus Stein, und in einer Ecke stand ein einfaches Bett. Sie wunderte sich darüber, dass es anscheinend ihr Schicksal war, immer wieder in einem Kloster zu landen. Der Ort war vollkommen anders als Pollepel, doch trotzdem erinnerte der kleine, mittelalterliche Raum sie an ihr Zimmer auf Pollepel Island. Beide Räume waren darauf ausgelegt, sich selbst zu finden.

Als Caitlin den Boden genauer betrachtete, entdeckte sie in der Nähe des Fensters zwei Einbuchtungen. Sie waren einige Zentimeter voneinander entfernt und hatten die Form von Knieabdrücken. Neugierig fragte sie sich, wie viele Nonnen hier wohl schon vor dem Fenster gekniet und gebetet hatten. Wahrscheinlich wurde diese Kammer schon seit Jahrhunderten benutzt.

Caitlin ging zu dem schmalen Bett und legte sich darauf. Eigentlich handelte es sich nur eine Steinplatte mit einer dünnen Strohschicht darauf. Als sie versuchte, es sich ein wenig bequemer zu machen, indem sie sich auf die Seite rollte, fühlte sie plötzlich etwas. Etwas steckte unter ihrem Kleid – sie griff darunter und zog es hervor. Entzückt stellte sie fest, dass es ihr Tagebuch war.

Sie war sehr glücklich, ihren guten alten Freund an ihrer Seite zu haben, offensichtlich war das Buch das Einzige, das die Zeitreise überlebt hatte. Als sie diesen realen, greifbaren Gegenstand an sich drückte, begriff sie endgültig, dass sie nicht bloß träumte. Sie war tatsächlich hier, alles war wirklich geschehen.

Ein moderner Stift rutschte zwischen den Seiten heraus und fiel in ihren Schoß. Nachdenklich hob sie ihn hoch und musterte ihn.

Ja, das war es. Genau das musste sie jetzt tun: schreiben, verarbeiten. Die Ereignisse waren so schnell aufeinandergefolgt, dass sie kaum Zeit zum Luftholen gehabt hatte. Deshalb hatte sie das Bedürfnis, alles noch einmal in Gedanken durchzuspielen und sich jede Einzelheit ins Gedächtnis zurückzurufen. Wie war sie an diesen Ort gelangt? Was war genau geschehen? Wie ging es jetzt weiter?

Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie die Antworten überhaupt noch kannte – doch sie hoffte, dass sie sich durch das Niederschreiben an alles erinnern würde.

Vorsichtig blätterte Caitlin die etwas brüchigen Blätter um, bis sie eine leere Seite fand. Dann setzte sie sich auf, lehnte sich an die Wand, zog die Knie hoch und begann zu schreiben.

* * *

Wie bin ich hier gelandet? In Assisi? In Italien? Im Jahr 1790? Einerseits scheint es nicht lange her zu sein, dass ich noch im einundzwanzigsten Jahrhundert war und in New York das normale Leben eines Teenagers führte. Andererseits kommt es mir wie eine Ewigkeit vor … Wie hat noch mal alles angefangen?

Das Erste, das mir einfällt, sind die extremen Hungerattacken – zuerst hatte ich gar nicht kapiert, woher die Schmerzen kamen. Ich erinnere mich an Jonah, die Carnegie Hall, meine erste Blutmahlzeit. Meine unerklärliche Verwandlung in einen Vampir. Ein Halbblut haben sie mich genannt. Zu dem Zeitpunkt wäre ich am liebsten gestorben. Schließlich hatte ich nie etwas anderes gewollt, als so zu sein wie alle anderen.

Dann war da Caleb. Er hat mich vor dem bösen Clan gerettet. Sein eigener Clan wohnt in The Cloisters. Doch sie haben mich rausgeworfen, weil Beziehungen zwischen Menschen und Vampiren verboten sind. Ich war wieder allein – zumindest, bis Caleb mich wieder gerettet hat.

Meine Suche nach meinem Vater und dem mythenhaften Schwert, mit dessen Hilfe die Menschheit und die Vampire vor einem schrecklichen Krieg bewahrt werden können, führte Caleb und mich von einem historischen Ort zum nächsten. Wir fanden das Schwert, aber es wurde uns wieder weggenommen. Wie immer wartete schon Kyle, um für Unheil zu sorgen.

Dann wurde mir allmählich klar, was aus mir geworden war. Außerdem entdeckten Caleb und ich unsere Liebe füreinander. Nachdem das Schwert gestohlen worden war und nachdem man mich niedergestochen hatte, lag ich im Sterben, aber Caleb verwandelte mich und rettete mir damit wieder einmal das Leben.

Doch dann entwickelten sich die Dinge nicht so, wie ich geglaubt hatte. Ich sah Caleb mit seiner Exfrau Sera und befürchtete gleich das Schlimmste. Obwohl ich damit falsch lag, war es bereits zu spät. Er flüchtete und begab sich in Gefahr. Inzwischen kam ich auf Pollepel Island wieder zu Kräften, trainierte fleißig und gewann Freunde – Vampirfreunde. So gute Freunde hatte ich vorher nie gehabt. Vor allem mit Polly verstand ich mich gut. Und mit Blake – er steckte voller Rätsel und sah blendend aus. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte mir mein Herz gestohlen. Doch ich kam gerade noch rechtzeitig wieder zur Vernunft. Dann erfuhr ich, dass ich schwanger war, und beschloss Caleb zu suchen und vor dem Vampirkrieg zu retten.

Leider kam ich zu spät. Mein eigener Bruder Sam täuschte uns, betrog mich und ließ mich glauben, er wäre ein anderer. Er war schuld daran, dass ich glaubte, Caleb wäre nicht Caleb – und ich tötete unwissentlich meine große Liebe. Mit dem Schwert. Mit meinen eigenen Händen. Das kann ich mir niemals verzeihen.

Danach brachte ich Caleb nach Pollepel und versuchte, ihn wiederzubeleben, koste es, was es wolle. Ich hatte Aiden gesagt, ich würde alles dafür tun und wäre bereit, alles zu opfern. Schließlich bat ich Aiden, uns auf eine Zeitreise in die Vergangenheit zu schicken.

Er hatte mich gewarnt, dass mein Plan möglicherweise schiefgehen könnte. Das würde bedeuten, dass wir vielleicht nicht zusammen sein würden. Trotzdem bestand ich auf meinem Vorhaben, ich musste es einfach tun.

Und jetzt bin ich hier. Allein, an einem fremden Ort in einem vergangenen Jahrhundert. Mein Kind ist weg, und vielleicht habe ich auch Caleb endgültig verloren.

War es ein Fehler, diese Zeitreise zu unternehmen?

Obwohl ich weiß, dass ich meinen Vater und mit ihm den Schutzschild finden muss, bin ich nicht sicher, ob ich die Kraft dazu haben werde – wenn Caleb nicht an meiner Seite ist.

Ich bin völlig durcheinander und weiß nicht, was ich als Nächstes tun soll.

Bitte, lieber Gott, hilf mir …

Als die Sonne wie ein riesiger Ball am Horizont aufging, rannte Caitlin durch die Straßen New Yorks. Es herrschte Weltuntergangsstimmung. Autos standen kreuz und quer auf den Straßen, Leichen lagen herum, und überall bot sich ein Bild der Verwüstung. Sie rannte und rannte, immer weiter – die Straßen hatten offensichtlich kein Ende.

Während sie lief, schien die Welt sich um ihre Achse zu drehen. Dabei verschwanden allmählich die Gebäude, die Landschaft veränderte sich, die Straßen wurden zu unbefestigten Wegen, und aus dem Asphalt wurde eine Hügellandschaft. Sie hatte das Gefühl, in die Vergangenheit zu laufen, von einer modernen Zeit in ein früheres Jahrhundert. Wenn sie noch schneller laufen würde, könnte sie ihren Vater finden, ihren echten Vater – irgendwo dort hinten am Horizont.


Als sie die kleinen Ortschaften auf dem Land hinter sich ließ, schienen diese sich hinter ihr aufzulösen.

Bald war nur noch ein Feld mit weißen Blumen übrig. Voll Entzücken entdeckte sie am Horizont ihren Vater – ganz offensichtlich erwartete er sie schon.

Wie immer zeichnete sich seine Silhouette gegen die Sonne ab, doch diesmal war er näher als sonst. Sie konnte sogar seinen Gesichtsausdruck erkennen. Er wartete mit einem Lächeln auf sie und streckte bereits die Arme nach ihr aus.

Schließlich erreichte sie ihn, und er schloss sie in seine Arme. Er drückte sie ganz fest gegen seinen muskulösen Körper.

»Caitlin«, sagte er liebevoll. »Weißt du eigentlich, wie nahe du mir bist? Weißt du, wie sehr ich dich liebe?«

Doch noch bevor sie antworten konnte, sah sie aus dem Augenwinkel eine Gestalt. Auf der anderen des Blumenfeldes stand Caleb und streckte eine Hand nach ihr aus.

Sofort ging sie einige Schritte in seine Richtung, dann blieb sie stehen und sah ihren Vater an.

Er streckte ihre ebenfalls die Hand entgegen.

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