Bestimmt - Морган Райс 5 стр.


»Komm zu mir nach Florenz«, forderte ihr Vater sie auf.

Sie drehte sich zu Caleb um.

»Komm zu mir nach Venedig«, bat er.

Unentschlossen blickte sie zwischen den beiden hin und her. Sie war hin- und hergerissen, welchen Weg sie einschlagen sollte.

* * *

Mit einem Ruck schreckte Caitlin aus dem Schlaf hoch und saß auf einmal senkrecht im Bett.

Verwirrt sah sie sich in der kleinen Kammer um, bis ihr schließlich klar wurde, dass sie geträumt hatte.

Die Sonne ging gerade auf, und sie ging zum Fenster und sah hinaus. Das Städtchen Assisi wirkte im frühen Morgenlicht so friedlich und war wunderschön. Es war noch niemand draußen, doch vereinzelt stieg schon Rauch aus dem einem oder anderen Schornstein auf. Leichter Dunst lag wie eine dünne Wolke über den Feldern und brach das Sonnenlicht.

Plötzlich fuhr Caitlin herum, als mit einem leisen Knarren die Tür aufging. Unwillkürlich ballte sie die Fäuste, während sie sich auf einen unwillkommenen Besucher einstellte.

Doch als die Tür sich weiter öffnete, wurden ihre Augen ganz groß vor Freude.

Es war Rose, die die Tür mit ihrer Nase aufschob.

»Rose!«, rief Caitlin entzückt aus.

Der kleine Wolf rannte durch die Kammer und sprang in Caitlins Arme. Dann leckte er ihr die Freudentränen aus dem Gesicht.

Schließlich lehnte sie sich zurück und betrachtete Rose. Sie hatte zugenommen und war deutlich gewachsen.

»Wie hast du mich gefunden?«, fragte Caitlin.

Erneut leckte der Wolf ihr über das Gesicht und winselte.

Caitlin setzte sich auf die Bettkante, streichelte das Tier und dachte scharf nach: Wenn Rose die Zeitreise geschafft hatte, dann war Caleb vielleicht genauso erfolgreich gewesen. Sie fühlte sich ermutigt.

Ihr Kopf sagte ihr, dass sie nach Florenz gehen sollte, um ihre Suche fortzusetzen. Der Schlüssel zu ihrem Vater und dem Schild lag dort.

Aber ihr Herz tendierte zu Venedig.

Denn wenn auch nur geringste Chance bestand, dass Caleb dort war, musste sie das unbedingt herausfinden. Sie musste einfach.

Also traf sie ihre Entscheidung, hob Rose hoch und sprang mit Anlauf aus dem Fenster.

Sie wusste, dass sie sich vollständig erholt hatte und ihre Flügel sich daher entfalten würden.

So war es dann auch.

Kurz darauf flog Caitlin durch die Morgenluft über die Hügel von Umbrien und schlug den Weg nach Norden ein, nach Venedig.

5. Kapitel

Kyle spazierte die schmalen Straßen des alten Stadtteils von Rom entlang. Es war gerade Geschäftsschluss, und die Ladenbesitzer sperrten ihre Läden zu. Die Zeit des Sonnenuntergangs hatte er immer schon am liebsten gemocht, denn zu dieser Tageszeit wurde er zunehmend stärker. Sein Blut pulsierte schneller, und mit jedem Schritt nahm seine Kraft zu. Er war so glücklich, wieder in den überfüllten Straßen von Rom zu sein, vor allem in diesem Jahrhundert. Die armseligen Menschen waren noch Hunderte von Jahren von jeglicher Überwachungstechnologie entfernt. Daher könnte er, wenn er wollte, diesen Ort völlig entspannt und sorglos auseinandernehmen, ohne sich vor Entdeckung zu fürchten.

Nun bog er in die Via Del Seminario ein, die bald in einen großen, alten Platz mündete, die Piazza Della Rotonda.

Dort blieb Kyle stehen, schloss die Augen und atmete tief durch. Es fühlte sich so gut an, endlich wieder hier zu sein. Direkt vor ihm stand das Gebäude, das er jahrhundertelang als sein Zuhause betrachtet hatte, einer der bedeutendsten Vampirstandorte auf der Welt: das Pantheon.

Zufrieden stellte Kyle fest, dass das Pantheon aussah wie immer, ein massives, altes Bauwerk aus Stein, dessen hinterer Bereich aus einer großen Kuppel bestand, während vorne riesige, imposante Steinsäulen das Bild dominierten. Tagsüber war es selbst im achtzehnten Jahrhundert für Besucher geöffnet. Horden von Menschen waren dort täglich zu sehen.

Doch nachts, nachdem die Tore für die Öffentlichkeit geschlossen worden waren, traten die eigentlichen Eigentümer, die eigentlichen Bewohner des Gebäudes auf den Plan: der Große Vampirrat.

Vampire von kleinen und großen Clans strömten aus allen Winkeln der Erde zusammen, um den Sitzungen beizuwohnen, die die ganze Nacht andauerten. Der Rat traf Entscheidungen in allen möglichen Angelegenheiten, erteilte Genehmigungen oder entzog sie wieder. Nichts passierte in der Welt der Vampire ohne ihre Kenntnis und – jedenfalls in den meisten Fällen – ohne ihre Zustimmung.

Alles passte perfekt. Das Gebäude war ursprünglich ein Tempel zu Verehrung heidnischer Götter gewesen. Es war immer schon ein Ort der Verehrung und der Versammlung der dunklen Vampirmächte gewesen. Jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte die Oden an heidnische Götter, die Fresken, Gemälde und Statuen überall sehen. Jeder menschliche Besucher, der sich die Zeit nahm, die Mission des Ortes zu lesen, musste einfach verstehen, worin dessen wahrer Zweck bestand.

Und als wäre das noch nicht genug, waren auch noch alle bedeutenden Vampire dort begraben. Das Ganze war ein lebendes Mausoleum, der perfekte Ort für Kyle und seinesgleichen, um ihn als ihr Zuhause zu betrachten.

Als Kyle die Stufen hinaufstieg, hatte er das Gefühl, nach Hause zu kommen. Er marschierte geradewegs auf die riesengroße, eiserne Flügeltür zu und betätigte forsch viermal den Metalltürklopfer – das Signal für Vampire – und wartete dann.

Kurz darauf wurde die schwere Tür einen Spalt breit geöffnet, und Kyle sah ein unbekanntes Gesicht. Die Tür öffnete sich gerade eben weit genug, um Kyle einzulassen, dann wurde sie schnell wieder zugemacht.

Der große, kräftige Wachposten – er war noch größer als Kyle – sah auf ihn hinunter.

»Wirst du erwartet?«, fragte er misstrauisch.

»Nein.«

Kyle ignorierte den Wachposten einfach und ging an ihm vorbei. Doch dann spürte er plötzlich einen eiskalten Griff an seinem Arm und blieb stehen. Kochend vor Wut drehte er sich um.

Der fremde Vampir war genauso wütend.

»Ohne Termin kommt hier niemand rein«, knurrte er. »Du musst wieder gehen und ein anderes Mal wiederkommen.«

»Ich gehe hin, wohin ich will«, erwiderte Kyle schäumend vor Wut. »Und wenn du mich nicht auf der Stelle loslässt, wirst du es bitter bereuen.«

Der Wachposten erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken, und gab keinen Deut nach.

»Wie ich sehe, ändern manche Dinge sich nie «, sagte plötzlich jemand. »Es ist in Ordnung, du kannst ihn loslassen.«

Der Griff um Kyles Arm lockerte sich, und als er sich umdrehte, sah er ein vertrautes Gesicht: Es war Lore, einer der Hauptberater des Großen Rates. Lächelnd sah er Kyle an und schüttelte langsam den Kopf.

»Kyle«, sagte er dann, »ich hätte nicht gedacht, dass ich dich noch mal wiedersehen würde.«

Immer noch kochend vor Wut zog Kyle seine Jacke glatt und nickte bedächtig. »Ich muss etwas mit dem Rat besprechen«, erwiderte er. »Und es duldet keinen Aufschub.«

»Tut mir leid, alter Freund«, fuhr Lore fort, »der Terminplan für heute ist komplett. Einige Vampire warten schon seit Monaten. Anscheinend gibt es in jedem Winkel der Welt dringende Probleme. Aber wenn du nächste Woche wiederkommst, kann ich vielleicht dafür sorgen …«

Jetzt trat Kyle einen Schritt vor. »Du verstehst mich nicht«, widersprach er angespannt. »Ich bin nicht aus dieser Zeit gekommen, sondern aus der Zukunft – von heute ausgehend in zweihundert Jahren. Aus einer ganz anderen Welt. Es geht um alles – wir stehen kurz vor dem Sieg, dem Gesamtsieg. Und wenn ich nicht sofort mit dem Großen Rat sprechen kann, wird das schwerwiegende Folgen für uns alle haben.«

Lores Lächeln verblasste, als er begriff, wie ernst es Kyle damit war. Nach einem kurzen angespannten Schweigen räusperte er sich schließlich und forderte ihn auf: »Komm mit.«

Als er sich umdrehte und ging, folgte Kyle ihm dicht auf den Fersen.

Der lange, breite Gang mündete in einen großen, offenen Saal. Er hatte eine hohe Kuppeldecke, und der Boden bestand aus glänzendem Marmor. Der Raum war rund, und am Rand befanden sich kunstvoll verzierte Säulen sowie Statuen, die auf Sockeln platziert waren.

An den Wänden standen Hunderte von Vampiren aus allen Teilen der Welt und von allen möglichen Clans. Kyle wusste, dass die meisten von ihnen Söldner und genauso böse waren wie er selbst. Geduldig beobachteten sie, wie der Große Rat, der am anderen Ende des Saales an der Richterbank saß, seine Urteile fällte. Die Luft vibrierte vor gespannter Erwartung.

Kyle trat ein und nahm die Szene in sich auf. Es war die richtige Entscheidung gewesen, sich an den Rat zu wenden. Natürlich hätte er sich auch dagegen entscheiden und Caitlin auf eigene Faust aufspüren können, doch der Rat verfügte über geheime Informationsquellen und würde ihn sicherlich schneller zu ihr führen. Zudem brauchte er ihre offizielle Genehmigung, denn Caitlin war nicht nur eine persönliche Angelegenheit für ihn, sondern eine Sache von äußerster Wichtigkeit für die gesamte Vampirwelt. Wenn der Rat ihn unterstützte – und dessen war er sich vollkommen sicher -, dann würde er nicht nur ihre Genehmigung bekommen, sondern auch auf ihre Ressourcen zurückgreifen können. Er könnte sie schneller töten und um so schneller wieder zurückkehren, um den Krieg zu Ende zu führen.

Ohne ihre Billigung wäre er nichts weiter als ein abtrünniger Einzelgänger. Eigentlich würde das Kyle nichts ausmachen, aber er wollte nicht ständig auf der Hut sein müssen: Wenn er gegen ihren Willen handelte, würden sie ihm vielleicht Jäger auf den Hals hetzen, die ihn töten sollten. Obwohl er zuversichtlich war, dass er gut auf sich aufpassen konnte, wollte er keine Zeit und keine Energie darauf verschwenden.

Doch falls sie sein Begehren abweisen sollten, war er bereit, alles zu tun, um Caitlin trotzdem zur Strecke zu bringen.

Letztendlich war das Ganze nur eine weitere Formsache unter endlos vielen anderen Formsachen. Diese Etikette war sozusagen der Klebstoff, der für den Zusammenhalt unter den Vampiren sorgte – aber trotzdem ärgerte Kyle sich maßlos darüber.

Als er nun in den Saal hineinging, musterte er die Ratsmitglieder. Sie sahen genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Die zwölf Richter des Großen Rates saßen erhöht auf einem Podium und trugen schlichte, schwarze Roben mit schwarzen Kapuzen, die auch ihre Gesichter bedeckten. Trotzdem wusste Kyle, wer diese Männer waren. Im Laufe der Jahrhunderte hatte er oft genug vor ihnen gestanden. Einmal – nur ein einziges Mal – hatten sie ihre Kapuzen abgesetzt, sodass er ihre unheimlichen, greisenhaften Gesichter hatte sehen können. Er zuckte innerlich zusammen, als er daran dachte. Sie waren hässliche Geschöpfe der Nacht.

Doch sie bildeten den Großen Rat und hatten immer schon hier residiert, seit das Pantheon erbaut worden war. Dieses Bauwerk war geradezu ein Teil von ihnen, und niemand, nicht einmal Kyle, wagte es, das Gericht in Frage zu stellen. Dafür war ihre Macht einfach zu groß, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einfach zu unermesslich. Selbst wenn Kyle versuchen würde, einen oder zwei der Richter zu töten, würden sie ihm ihre Armeen, die überall auf der Welt saßen, auf den Hals hetzen. Irgendwann würden sie ihn dann doch zur Strecke bringen.

Die zahlreichen Vampire im Saal waren gekommen, um Zeugen der Urteilsverkündungen zu sein und ihre eigene Audienz zu erwarten. Sie stellten sich immer ordentlich in einem großen Kreis an den Wänden auf und ließen das Zentrum des Raumes frei. Dort befand sich jeweils nur eine einzige Person – diejenige, die gerade vor Gericht stand.

Im Augenblick war das ein armer Kerl, der vor Furcht zitterte, während er auf die undurchschaubaren Kapuzen starrte und den Urteilsspruch der Richter erwartete. Kyle wusste, wie es sich anfühlte, an diesem Fleck zu stehen – es war alles andere als angenehm. Wenn ihnen die Angelegenheit nicht gefiel, wegen der man sich an sie gewendet hatte, konnte es sein, dass sie den Antragsteller aus einer Laune heraus einfach töteten. Man durfte das Ganze nie auf die leichte Schulter nehmen – es ging immer um Leben und Tod.

»Warte hier«, flüsterte Lore Kyle zu und verschwand dann in der Menge. Kyle blieb am Rand des Saals stehen und wartete.

Während Kyle den Burschen beobachtete, der gerade vor dem Richtergremium stand, nickte einer der Richter ganz leicht, und sofort tauchten zwei Vampire auf. Sie ergriffen die Person vor dem Gremium an beiden Armen.

»Nein! NEIN!«, schrie der Mann.

Doch es nützte ihm nichts. Sie zerrten ihn davon, obwohl er schrie und sich wehrte. Er wusste, dass ihm der Tod bevorstand und dass nichts, was er sagen oder tun könnte, etwas daran ändern würde. Offensichtlich hatte er den Rat um etwas gebeten, was nicht ihre Billigung fand. Die Schreie des armen Kerls hallten im Saal wider. Schließlich wurde er nach draußen geführt, und die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. Daraufhin kehrte im Saal wieder Ruhe ein.

Kyle spürte die Anspannung, die in der Luft lag, als die anderen Vampire Blicke wechselten und den Augenblick fürchteten, wenn sie selbst an der Reihe waren.

Lore näherte sich einem Saaldiener, der sich in der Nähe des Richtertisches aufhielt, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Saaldiener ging zu einem der Richter, kniete erst ehrerbietig nieder und flüstert ihm dann etwas zu.

Der Richter wandte ganz leicht den Kopf, und der Mann zeigte in Kyles Richtung. Trotz der großen Entfernung spürte Kyle, wie sich der stechende Blick des Richters, dessen Augen hinter der Kapuze verborgen waren, auf ihn richtete. Unwillkürlich lief ihm ein Schauder den Rücken hinunter. Schließlich stand er hier vor dem wahrhaft Bösen.

Als der Saaldiener nickte, war das Kyles Zeichen.

Er bahnte sich einen Weg durch das Gedränge und ging auf den Richtertisch zu. Auf dem bewussten Fleck mitten im Saal blieb er stehen. Er wusste, dass direkt über ihm ein Loch in der Decke war, ein Rundfenster, über dem der Himmel zu sehen war. Tagsüber fiel ein Lichtstrahl durch die Öffnung herein; jetzt am Abend war das einfallende Licht nur sehr schwach. Der Raum wurde hauptsächlich durch die Fackeln erhellt.

Kyle kniete nieder und verbeugte sich. Er verharrte in dieser Position, bis er angesprochen wurde – so verlangte es die Vampiretikette.

»Kyle vom Blacktide Clan«, sagte einer der Richter bedächtig. »Es ist kühn von dir, ohne Vorankündigung an uns heranzutreten. Du weißt, dass du die Todesstrafe riskierst, falls dein Ersuchen nicht auf unsere Zustimmung stoßen sollte.«

Es handelte sich nicht um eine Frage, sondern um eine Feststellung. Kyle kannte die möglichen Konsequenzen, doch er fürchtete sich nicht vor dem Ausgang dieser Angelegenheit.

»Dessen bin ich mir bewusst, mein Meister«, antwortete er bloß.

Nach einer kurzen Pause, in der nur das Rascheln der Richterroben zu hören war, richtete der Richter wieder das Wort an Kyle: »Dann sprich. Schildere uns dein Anliegen.«

»Ich komme gerade aus einer anderen Zeit, die zweihundert Jahre in der Zukunft liegt.«

Ein lautes Murmeln erhob sich unter den Anwesenden. Ein Saaldiener stieß seinen Stab dreimal auf den Boden und rief laut: »Ruhe!«

Schließlich beruhigte sich die Menge wieder.

Kyle fuhr fort: »Wie alle anderen von uns unternehme auch ich Zeitreisen nicht leichtfertig. Es geht um eine sehr dringende Angelegenheit. In der Zukunft, in der Zeit, in der ich normalerweise lebe, ist ein Krieg ausgebrochen – ein glorreicher Vampirkrieg. Er hat in New York begonnen und wird sich von dort aus weiter ausbreiten. Es ist die Vampirapokalypse, von der wir immer schon geträumt haben. Untere Gattung – die Bösen – werden daraus schließlich als Sieger hervorgehen. Die gesamte Menschheit wird ausgelöscht werden – die verbleibenden Menschen werden versklavt. Außerdem werden wir alle guten Vampirclans vernichten, alle, die sich uns in den Weg stellen.

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